@ -0,0 +1,48 @@ | |||
BUNDESGERICHTSHOF | |||
BESCHLUSS | |||
1 ARs 2/09 | |||
vom | |||
21. Januar 2009 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
wegen schweren Raubes u.a. | |||
hier: Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 29. Oktober 2008 i.V.m. dem | |||
Anfrageschreiben der Senatsvorsitzenden vom 2. Januar 2009 | |||
- 2 StR 386/08 | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Januar 2009 beschlossen: | |||
Die beabsichtigte Entscheidung widerspricht nicht der Rechtsprechung des Senats. | |||
Gründe: | |||
1 | |||
Der 2. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden, "dass ein Härteausgleich | |||
in den Fällen nicht zu gewähren ist, in denen eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit Strafen aus ausländischen Verurteilungen nicht vorgenommen | |||
werden kann". | |||
2 | |||
Laut Begründung des zugrunde liegenden Beschlusses vom 29. Oktober | |||
2008 (2 StR 386/08) soll dies nur für diejenigen Fälle gelten, in denen eine gemeinsame Aburteilung aller Taten in Deutschland nicht oder allenfalls theoretisch nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB möglich gewesen wäre. | |||
-3- | |||
Insoweit steht die Rechtsprechung des 1. Strafsenats der beabsichtigten | |||
3 | |||
Entscheidung nicht entgegen. | |||
Nack | |||
Kolz | |||
Elf | |||
Hebenstreit | |||
Jäger | |||
@ -0,0 +1,33 @@ | |||
BUNDESGERICHTSHOF | |||
BESCHLUSS | |||
1 ARs 6/00 | |||
vom | |||
21. August 2000 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
1. | |||
2. | |||
wegen schweren Bandendiebstahls u.a. | |||
hier: Anfrage des 4. Strafsenats vom 14. März 2000 - 4 StR 284/99 | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. August 2000 beschlossen: | |||
Der Beschluß des Senats vom 27. Juni 2000 - 1 ARs 6/00 - wird | |||
auf Seite 8 der Begründung in Absatz 2 Satz 1 wegen offensichtlichen Fassungsversehens wie folgt berichtigt und gefaßt: | |||
"Im Zusammenhang mit der im Jahre 1977 erfolgten Neufassung | |||
des § 373 Abs. 2 Nr. 3 AO ist in der Gesetzesbegründung ausgeführt: 'Die Nummer 3 lehnt sich an § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB (aF) | |||
an, weil beide Fälle miteinander vergleichbar sind. ...' " | |||
Schäfer | |||
Granderath | |||
Wahl | |||
Nack | |||
Schluckebier | |||
@ -0,0 +1,565 @@ | |||
Bundesgerichtshof | |||
Ermittlungsrichter I | |||
I ARs 3/2008 | |||
1 BGs 20/2009 | |||
In dem Verfahren | |||
der aus den Abgeordneten | |||
Dr. S | |||
., | |||
Prof. Dr. P . und | |||
St . | |||
bestehenden Minderheit von einem Viertel der Mitglieder des 1. Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, | |||
Platz der Republik 1, 11011 Berlin | |||
- Antragstellerin – | |||
gegen | |||
1. den 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, | |||
Platz der Republik 1, 11011 Berlin | |||
- Antragsgegner zu 1 – | |||
2. den Vorsitzenden des 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, den Abgeordneten K. , | |||
Platz der Republik 1, 11011 Berlin | |||
- Antragsgegner zu 2 – | |||
-2- | |||
erlässt der Ermittlungsrichter I beim Bundesgerichtshof am 20. Februar 2009 folgenden | |||
B e s c h l u s s: | |||
I. | |||
Der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des | |||
Deutschen Bundestages hat nochmals über den vom Abgeordneten Prof. Dr. P. | |||
am 8. Oktober 2008 schriftlich ge- | |||
stellten Beweisantrag (A-Drs. 586) abzustimmen und ihm – | |||
sollte er weiterhin von mindestens einem Viertel der Mitglieder | |||
des Ausschusses unterstützt werden – (zumindest) mehrheitlich zuzustimmen. | |||
II. | |||
Die weiteren und weitergehenden Anträge werden als unbegründet verworfen. | |||
Gründe: | |||
I. | |||
1 | |||
Die Begehren der Antragstellerin zielen auf die ausschussinterne Umsetzung | |||
und Ausführung eines im 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des | |||
Deutschen Bundestages gestellten Antrags auf Beiziehung von Unterlagen der Bundesregierung (Mitteilungen eines BND-Mitarbeiters). | |||
2 | |||
1. Der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages wurde am 7. April 2006 eingesetzt, um unter anderem zu klären, „ob und | |||
inwieweit über die in dem Bericht der Bundesregierung [an das Parlamentarische | |||
Kontrollgremium vom 20. Februar 2006] aufgeführten hinaus weitere Informationen | |||
… vom BND vor Beginn und während des Irak-Krieges aus dem Irak an die Zentrale | |||
gegeben wurden und an US-Dienststellen gelangt sind, die für die US-Kriegsführung | |||
von Bedeutung sein konnten oder sogar tatsächlich dafür eingesetzt wurden“ (IV.2. | |||
der BT-Drs. 16/990 und 16/1179), sowie zu klären, „Anfragen welchen Inhalts von | |||
-3- | |||
den US-Stellen an den BND ab Beginn des Jahres 2003 gestellt wurden [und] wie | |||
auf die Anfragen seitens des BND reagiert wurde“ (a.a.O. Ziffern IV.4.). | |||
3 | |||
Im Mai 2006 fasste der Untersuchungsausschuss mehrere Beweisbeschlüsse, | |||
die insbesondere die Beiziehung von Unterlagen der Bundesregierung und des BND | |||
zu Weisungen und Aufträgen an im Irak eingesetzte BND-Mitarbeiter sowie deren | |||
Meldungen an die BND-Zentrale (Beweisbeschluss 16-16 vom 18. Mai 2006) und | |||
von weiteren Akten sowie Unterlagen der Bundesregierung und des Bundeskanzleramtes zum Gegenstand hatten (Beweisbeschlüsse 16-17 und 16-27 vom 18. Mai | |||
2006). | |||
4 | |||
Im Juni 2008 übermittelte die Bundesregierung dem Untersuchungsausschuss | |||
mehrere Stehordner, die nach dem Schreiben des Bundeskanzleramts vom 30. Juni | |||
2008 – unter Zusicherung der Vollständigkeit – „das Schriftgut des Bundesnachrichtendienstes zu den o.g. Beweisbeschlüssen“ sowie „Schriftgut, … [das] nicht einschlägig im Sinne des Untersuchungsauftrags ist“, enthalten. Die Unterlagen weisen | |||
stellenweise Schwärzungen auf, bezüglich derer – auch zur „Zusammenstellung der | |||
Akten“ – das Bundeskanzleramt auf die „verfassungsmäßigen Grenzen des Beweiserhebungsrechts“ des Untersuchungsausschusses verwies. Teil der Unterlagen sind | |||
in einem mit der VS-Einstufung „Geheim“ versehenen Stehordner enthaltene Schreiben eines BND-Mitarbeiters, die in erheblichem Umfang geschwärzt sind (im Folgenden bezeichnet als „Request for Information“). | |||
5 | |||
In der 96. Sitzung des Untersuchungsausschusses vom 25. September 2008 | |||
beantragte der Abgeordnete S. | |||
, die Bundesregierung aufzufordern, „die ‚ge- | |||
weißten’ Stellen in den Akten offen zu legen“. Dieser Antrag wurde von der Ausschussmehrheit abgelehnt. | |||
6 | |||
In der 98. Sitzung des Untersuchungsausschusses vom 8. Oktober 2008 stellte der Abgeordnete Prof. Dr. P. | |||
mündlich folgenden Antrag: | |||
„Der Ausschuss fordert die Bundesregierung auf, die auf den request for information beruhenden Meldungen des Gardisten, die bislang nahezu vollständig ‚geweißt’ sind, dem Ausschuss in ungeweißter Form zu übermitteln. | |||
-4- | |||
Falls die Bundesregierung dieser Aufforderung nicht nachkommt, wird eine | |||
einstweilige Verfügung beantragt.“ | |||
7 | |||
Nachdem der Antrag zurückgestellt worden war, wies Dr. H. | |||
(Bundes- | |||
kanzleramt) darauf hin, dass die Schwärzungen aus „wohlerwogenen Gründen“ des | |||
Staatswohls vorgenommen worden seien; es handle sich um Informationen eines | |||
anderen Nachrichtendienstes, die „der Gardist … lediglich [als] völlig indoloser Bote“ | |||
weitergeleitet habe und bezüglich derer die Bundesregierung nicht disponieren könne. Anschließend verlas der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses noch in | |||
dessen 98. Sitzung folgenden, zwischenzeitlich vom Abgeordneten Prof. Dr. P. | |||
schriftlich vorgelegten Antrag: | |||
„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Requests for Information des | |||
Verbindungsoffiziers des BND bei US-CENTCOM/FORWARD in Doha in vollständiger Fassung dem 1. Untersuchungsausschuss vorzulegen.“ | |||
8 | |||
Der als Drucksache (A-Drs.) 586 erfasste Antrag wurde im Untersuchungsausschuss auch im Hinblick auf das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Organstreitverfahren (Az.: 2 BvE 3/07) sowie die „Dispositionsbefugnis der Bundesregierung“ und die „Verfügungsgewalt des deutschen Nachrichtendienstes“ erörtert, | |||
wobei der Antragsteller seinen Antrag als „Beweiskonkretisierungsantrag“ bezeichnete. Auf die sog. Fristeinrede (die sich darauf bezieht, dass Beweisanträge grundsätzlich bis zum Donnerstag der Vorwoche einzureichen sind) wurde allseits verzichtet. | |||
Anschließend stimmten die Abgeordneten Dr. St. | |||
, Prof. Dr. P. | |||
sowie S. | |||
– | |||
und damit ein Viertel der Mitglieder des Ausschusses – für den Antrag, die | |||
„Koalitionsfraktionen“ (Protokoll S. 23) stimmten gegen ihn. Daraufhin stellte der Vorsitzende fest, dass der Antrag mit dem notwendigen Minderheitsquorum beschlossen | |||
worden sei, das Beweismittel sei weder unerreichbar, noch sei die Zulässigkeit gerügt worden. Hiergegen erhob ein Mitglied des Untersuchungsausschusses – noch | |||
während der Sitzung – Einwendungen und verwies darauf, dass es sich nicht um einen Beweisantrag, sondern eine Handlungsaufforderung gehandelt habe, für die | |||
nicht § 17 PUAG gelte, sondern die durch (einfache) Mehrheit abgelehnt werden | |||
könne. | |||
-5- | |||
9 | |||
In der Folgezeit fertigte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses den | |||
Beschluss nicht aus und leitete ihn auch nicht der Bundesregierung zu. Dies begründete er in der 100. Sitzung des Untersuchungsausschusses vom 16. Oktober 2008 | |||
damit, dass er prüfe, ob es sich um einen Sach- oder einen Beweisantrag gehandelt | |||
habe und wie es zu werten sei, „dass die Minderheit dem Antrag zugestimmt habe | |||
und die Mehrheit sich nicht wie üblich enthalten, sondern dagegen gestimmt habe“. | |||
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2008 teilte er unter anderem mit, dass der Antrag | |||
nicht als Beweisantrag im Sinn des § 17 PUAG angesehen werden könne; vielmehr | |||
sei der Antrag durch die Ausschussmehrheit (wirksam) abgelehnt worden. Er sehe | |||
sich aus Rechtsgründen daran gehindert, die Zuleitung als Beweisbeschluss an die | |||
Bundesregierung zu veranlassen (Schreiben vom 10. November 2008). | |||
10 | |||
2. Die Antragstellerin ist der Ansicht, wegen der Schwärzungen in den Schreiben des BND-Mitarbeiters sei es dem Untersuchungsausschuss nicht möglich, insbesondere Ziffer IV.4. des Untersuchungsauftrags zu erfüllen. Sie ist der Meinung, | |||
dem zulässigen und rechtmäßigen Antrag sei am 8. Oktober 2008 durch einen (wirksamen) Beweisbeschluss entsprochen worden, zumal die Beweiserhebung zulässig | |||
und das Beweismittel erreichbar sei. Auch habe (insbesondere) der Ausschussvorsitzende selbst den Antrag als Beweisantrag behandelt und die Entscheidung über ihn | |||
als Beweisbeschluss bezeichnet. Ein nachträgliches Prüfungsrecht stehe dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses nicht zu. | |||
11 | |||
Die Antragstellerin beantragt festzustellen: | |||
1. | |||
Der Antrag zu A-Drs. 586 ist am 8.10.2008 in der 98. Sitzung des 1. | |||
Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode des Deutschen | |||
Bundestages wirksam beschlossen worden, | |||
2. | |||
der Vorsitzende des 1. Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages ist verpflichtet, den Beweisbeschluss zu A-Drs. 586 der Bundesregierung unverzüglich zuzuleiten, | |||
-6- | |||
hilfsweise: | |||
der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen | |||
Bundestages wird verpflichtet, unverzüglich eine wirksame Beschlussfassung zum Antrag A-Drs. 596 nachzuholen. | |||
12 | |||
Mit Schreiben vom 5. Februar 2009 fasste die Antragstellerin den Hilfsantrag | |||
„wie folgt“: Es wird festgestellt, dass der 1. Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages verpflichtet ist, den Beweisantrag auf A-Drs. | |||
586 unverzüglich zu beschließen. | |||
13 | |||
Die Antragsgegner sind der Ansicht, das vorliegende Antragsverfahren sei bereits unzulässig. Zum einen ziele es der Sache nach auf das bereits in dem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht verfolgte Begehren und sei Teil | |||
der Auseinandersetzung über die Aktenfreigabe durch die Bundesregierung. Zum | |||
anderen sei der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs für die Entscheidung nicht | |||
zuständig, weil es sich nicht um einen Beweisantrag im Sinn des § 17 PUAG, sondern um einen Sachantrag gehandelt habe. Auch die unbeanstandet gebliebene Behandlung des in der 96. Sitzung des Untersuchungsausschusses gestellten Antrags | |||
zeige, dass der hier gegenständliche und mit jenem identische Antrag zutreffend als | |||
Sachantrag – und nicht als Beweisantrag – behandelt worden sei, zumal der Antragsteller selbst seinen Antrag nicht als Beweisantrag angesehen habe. Schließlich | |||
sind die Antragsgegner der Meinung, die Anträge seien wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. In der Sache vertreten die Antragsgegner die Auffassung, dass – würde es sich um einen Beweisantrag handeln – die Beweiserhebung | |||
unzulässig und das Beweismittel teilweise unerreichbar sei; unzulässig sei er als | |||
„reine Wiederholung“ und aus Gründen des Geheimnisschutzes und damit des | |||
Staatswohls, unerreichbar sei das Beweismittel, weil die Bundesregierung über die | |||
von den US-Stellen gelieferten Informationen keine Verfügungsgewalt besitze. | |||
14 | |||
Die Antragsgegner beantragen, | |||
die Anträge als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen. | |||
-7- | |||
15 | |||
3. Wegen der weiteren Einzelheiten wird insbesondere auf die Antragsschrift | |||
vom 5. Dezember 2008 und die Erwiderung des Vertreters der Antragsgegner vom | |||
12. Januar 2009 Bezug genommen. | |||
II. | |||
16 | |||
Das Begehren der Antragstellerin hat teilweise Erfolg. Der Untersuchungsausschuss ist verpflichtet, sich nochmals mit dem vom Abgeordneten Prof. Dr. P. | |||
gestellten Beweisantrag (A-Drs. 586) zu befassen und ihm – sollte er weiterhin von | |||
mindestens einem Viertel der Mitglieder des Ausschusses unterstützt werden – (zumindest) mehrheitlich im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 1 PUAG zuzustimmen. | |||
17 | |||
1. Die Haupt- und Hilfsanträge sind zulässig. | |||
18 | |||
a) Der Statthaftigkeit der Anträge und der Entscheidungsbefugnis des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof stehen weder Art. 93 GG, § 13 BVerfGG entgegen, noch das bereits anhängige Organstreitverfahren oder die Möglichkeit einer | |||
(weiteren) Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit einer Aktenanforderung | |||
des Untersuchungsausschusses gegenüber der Bundesregierung oder einer der in | |||
§ 18 Abs. 1 PUAG aufgeführten Stellen. | |||
19 | |||
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist weder unmittelbar noch mittelbar | |||
die im Streitfall (gegebenenfalls) allein vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Frage, ob die Bundesregierung gegenüber dem Untersuchungsausschuss zur | |||
Übersendung von (ungeschwärzten) Akten – hier: bezüglich der „Request for Information“ – verpflichtet ist (vgl. §§ 18 Abs. 3, 36 Abs. 1 PUAG). Vielmehr geht es – was | |||
auch die Anträge deutlich machen – um das in § 17 PUAG ausdrücklich geregelte | |||
Verfahren bei der ausschussinternen Behandlung und Entscheidung über den Antrag | |||
zu einer Beweiserhebung und damit einen bezüglich der erforderlichen Zustimmungsquote gegenüber dem Strafprozess zwar modifizierten, hinsichtlich der Ablehnungsgründe (§ 17 Abs. 2 PUAG) aber der Regelung in § 244 Abs. 3 StPO teilweise | |||
entsprechenden Verfahrensabschnitt (vgl. auch BT-Drs. 14/5790 S. 17). Auch wenn | |||
das Beweiserhebungs- und Beweiserzwingungsrecht der Minderheit in Art. 44 GG | |||
wurzelt (vgl. BVerfGE 67, 100, 128, 134), geht es vorliegend mithin nicht (vorrangig) | |||
-8- | |||
um die Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht, sondern die Anwendung der einfachgesetzlichen Regelung des § 17 PUAG. Diese Prüfung ist nicht dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten, sondern obliegt – verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. | |||
BVerfG, einstweilige Anordnung vom 15. Juni 2006 – 2 BvQ 18/05 [Rdn. 37 ff.]; anderer Ansicht wohl Klein in Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 44 Rdn. 239) | |||
– nach §§ 17 Abs. 4, 36 Abs. 1 PUAG (zumindest auch) dem Ermittlungsrichter des | |||
Bundesgerichtshofs. | |||
20 | |||
b) Antragsberechtigt im Sinn des § 17 Abs. 4 PUAG und Antragstellerin ist die | |||
Minderheit eines Viertels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses als solche, | |||
nicht die Abgeordneten (persönlich), die diese Minderheit bilden (vgl. Gärditz ZParl | |||
2005, 854, 859; Platter, Das parlamentarische Untersuchungsverfahren vor dem Verfassungsgericht, Berlin, 2004, S. 166). Antragsgegner sind – wie in der Antragsschrift | |||
aufgeführt und aus dem jeweiligen Antrag unzweifelhaft zu entnehmen – der Untersuchungsausschuss (1. Haupt- und Hilfsantrag) sowie der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses (2. Hauptantrag; zum Vorsitzenden als möglichem Antragsgegner auch Gärditz ZParl 2005, 854, 868). | |||
21 | |||
2. Die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 36 Abs. 2 PUAG ist nicht geboten. Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses bestehen keine Bedenken, zumal auch von den Verfahrensbeteiligten | |||
weder im vorliegenden Verfahren noch – soweit bekannt – in dem vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Organstreitverfahren (Az. 2 BvE 3/07) entsprechende | |||
Einwände erhoben wurden. | |||
22 | |||
3. Die Antragstellerin hat in der Sache teilweise Erfolg. | |||
23 | |||
a) Unbegründet sind jedoch die mit den Hauptanträgen verfolgten Begehren. | |||
24 | |||
Soweit aufgrund des 1. Hauptantrags festgestellt werden soll, dass der Beweisantrag vom Untersuchungsausschuss wirksam beschlossen wurde, trifft dies | |||
nicht zu. Vielmehr stimmte die Mehrheit der Ausschussmitglieder gegen den Antrag. | |||
Damit war er abgelehnt (§ 9 Abs. 4 Satz 1 PUAG). Dem steht nicht entgegen, dass | |||
nach § 17 Abs. 2 PUAG – sofern die Voraussetzungen im Übrigen vorliegen – Be- | |||
-9- | |||
weise zu erheben sind, wenn dies von einem Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses beantragt wurde. Allein dadurch, dass eine qualifizierte Minderheit einen solchen Antrag stellt oder für ihn stimmt, wird er nicht vom Ausschuss | |||
„wirksam beschlossen“ (vgl. dazu auch unten b. dd.). | |||
25 | |||
Infolge der Ablehnung des Antrags war und ist der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses nicht – wie im 2. Hauptantrag begehrt – verpflichtet, den Beweisbeschluss der Bundesregierung zuzuleiten (vgl. § 6 Abs. 2 PUAG). | |||
26 | |||
b) Erfolg hat jedoch der entsprechend dem Entscheidungstenor auszulegende | |||
Hilfsantrag. Der Untersuchungsausschuss hat sich nochmals mit dem vom Abgeordneten Prof. Dr. P. | |||
gestellten Beweisantrag (A-Drs. 586) zu befassen und ihm – | |||
sollte er weiterhin von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Ausschusses unterstützt werden – (zumindest) mehrheitlich im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 1 PUAG | |||
zuzustimmen. | |||
27 | |||
aa) Bei dem vom Abgeordneten Prof. Dr. P. | |||
gestellten Antrag (A-Drs. 586) | |||
handelt es sich um einen Beweisantrag im Sinn des § 17 Abs. 2, 4 PUAG. | |||
28 | |||
(1.) Unter einem Beweisantrag wird im Strafverfahren – soweit vorliegend von | |||
Bedeutung – das Begehren eines Prozessbeteiligten verstanden, mit einem bestimmten, nach der Strafprozessordnung zulässigen Beweismittel eine konkrete, für den | |||
Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch relevante Beweisbehauptung festzustellen (vgl. | |||
Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 51. Aufl., § 244 Rdn. 18; Fischer in Karlsruher | |||
Kommentar zur Strafprozessordnung, 6. Aufl., § 244 Rdn. 69 ff., 79 jeweils m.w.N.). | |||
Er ist mithin durch die Bezeichnung eines Beweismittels und die Angabe der durch | |||
dieses zu beweisenden Behauptung, also eine äußere oder innere Tatsache bzw. | |||
einen Sachverhalt, gekennzeichnet. | |||
29 | |||
Diese Anforderungen gelten infolge der Verweisung in Art. 44 Abs. 2 Satz 1 | |||
GG im Grundsatz auch für Beweisanträge im Sinn des § 17 Abs. 2 PUAG (vgl. Glauben/Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund | |||
und Ländern, 2005, § 16 Rdn. 3, 5). Die Angabe des Beweismittels, dessen sich der | |||
Ausschuss bedienen soll, ist auch bei einer im Untersuchungsausschuss begehrten | |||
- 10 - | |||
Beweisaufnahme unerlässlich, schon weil erst dies die Prüfung ermöglicht, ob das | |||
Beweismittel erreichbar ist (§ 17 Abs. 2 PUAG). Ferner muss den Mitgliedern des | |||
Ausschusses vor der Abstimmung über den Antrag als notwendige Grundlage des | |||
eigenen Abstimmungsverhaltens aber auch die Tatsache oder der Sachverhalt bekannt sein, die bzw. der Gegenstand der Beweisaufnahme sein soll. Nicht zuletzt | |||
wird hiervon häufig die Entscheidung abhängen, ob die Beweiserhebung vom Untersuchungsauftrag gedeckt und aus diesem oder anderen Gründen zulässig ist (§ 17 | |||
Abs. 2 PUAG). Auch ist erst dann, wenn Beweismittel und Beweisthema klar sind, | |||
eine sachgerechte Entscheidung des Gerichts nach § 17 Abs. 4 PUAG über eine abgelehnte Beweiserhebung möglich. Indes dürfen insofern an einen Beweisantrag keine überzogenen, letztlich nur mehr Formalien betreffende Anforderungen gestellt | |||
werden. So ist es beispielsweise ausreichend, wenn die Angabe des Beweisthemas | |||
vom Antragsteller erst auf Frage eines Ausschussmitglieds nachgeholt wird. Ferner | |||
wird dem Zweck, der der Forderung nach der Mitteilung des Beweisthemas zugrunde | |||
liegt, auch ohne dessen ausdrückliche Angabe entsprochen, wenn das Beweisthema | |||
offensichtlich ist oder aufgrund des Zusammenhangs, in dem der Antrag gestellt | |||
wurde, unzweifelhaft feststeht und ohne weiteres etwa aus dem über die Ausschusssitzung gefertigten Protokoll nachvollzogen werden kann. In solchen Fällen unterliegt | |||
es keinen Bedenken, wenn Beweismittel und Beweisthema erst im Beweisbeschluss | |||
konkret bezeichnet werden (vgl. BT-Drs. 14/2363 S. 13; ähnlich Glauben/Brocker | |||
a.a.O § 16 Rdn. 3). | |||
30 | |||
Neben diesen allgemein Beweisanträge betreffenden Grundsätzen gelten für | |||
Anträge, die die Vorlage von Akten im Sinn des § 18 Abs. 1 PUAG betreffen, weitere | |||
Besonderheiten. Akten als solche – als „Gesamturkunde“ – sind nämlich keine Beweismittel im Sinn der Strafprozessordnung für ihren Inhalt. Beweismittel sind insofern vielmehr nur die jeweils einen bestimmten Vorgang oder eine solche Tatsache | |||
betreffenden Eintragungen, also die einzelnen in der Akte enthaltenen Urkunden | |||
(Fischer in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung a.a.O. § 244 Rdn. 81 | |||
m.w.N.). Die uneingeschränkte Übernahme dieser Bewertung in Bezug auf Akten als | |||
Beweismittel würde indes den Bedürfnissen und Besonderheiten des Verfahrens eines Untersuchungsausschusses nicht gerecht, zumal die Strafprozessordnung selbst | |||
(in § 96 i.V.m. § 94 Abs. 1) zwischen „Akten“ und „Beweismitteln“ zumindest einen | |||
engen Zusammenhang herstellt. Im Strafverfahren werden die der Staatsanwalt- | |||
- 11 - | |||
schaft bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens ohnehin bekannten Ermittlungsmaßnahmen und deren Ergebnisse dem Gericht durch die Übersendung der | |||
Akten unterbreitet und dem Verteidiger auf Verlangen durch Akteneinsicht (§ 147 | |||
StPO) übermittelt. Weitgehend auf dieser Grundlage entscheidet das Gericht, welche | |||
Beweise in der Hauptverhandlung erhoben werden sollen; auch für die Prozessbeteiligten, die Beweiserhebungen anregen oder beantragen wollen, sind die in den Akten | |||
niedergelegten Erkenntnisse regelmäßig von besonderer Bedeutung und vor einer | |||
solchen Antragstellung jedenfalls zu bedenken. In ähnlicher Weise dient die Aktenanforderung im Untersuchungsausschuss zunächst regelmäßig der Information der | |||
Ausschussmitglieder (Glauben/Brocker a.a.O. § 17 Rdn. 4, 8; Weisgerber, Das Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages, 2003, S. 325; Wiefelspütz, Das Untersuchungsausschussgesetz, 2003, S. 232; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 1987 – 2 BvR 1178, | |||
1179, 1191/86 [Rdn. 114]), ist die Aktenübersendung also notwendige – und durch | |||
die Verfassung abgesicherte – Grundlage für die Ausübung des parlamentarischen | |||
Kontrollrechts (vg. BVerfGE 67, 100, 132: „Wesenskern“). Darüber hinaus ist die | |||
Aktenanforderung aber bereits Teil der Beweiserhebung; sie bereitet nämlich die | |||
Beweisaufnahme durch Einführung einzelner Aktenteile im Wege des Urkundenbeweises nach § 31 PUAG vor (vgl. Glauben/Brocker a.a.O. § 15 Rdn. 3, § 16 Rdn. 8, | |||
§ 15 Rdn. 5, § 17 Rdn. 41; ferner Klein in Maunz/Dürig a.a.O. Art. 44 Rdn. 215, 218; | |||
Achterberg/Schulte in v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, | |||
Art. 44 Rdn. 116; Weisgerber a.a.O. S. 144; zur Unterscheidung „Beweiserhebung“ – | |||
„Beweisaufnahme“: BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 1987 – 2 BvR 1178, 1179, | |||
1191/86 [Rdn. 115]). Dienen die Akten mithin aber zunächst der Informationsbeschaffung, so kann – soweit sie die Beweisaufnahme vorbereiten – zumindest im | |||
Regelfall nicht verlangt werden, dass der Antragsteller in seinem Beweisantrag bereits das auf den (ihm regelmäßig jedenfalls im Detail noch nicht bekannten) Inhalt | |||
der Akte bezogene Beweisthema mitteilt; schlichtweg „ins Blaue hinein“ aufgestellte | |||
Behauptungen oder Vermutungen hinsichtlich des Akteninhalts sind von ihm nicht zu | |||
verlangen und wären für die mit der Entscheidung über den Antrag Befassten auch | |||
nicht weiterführend. Die „sinngemäße Anwendung“ der Vorschriften über den Strafprozess (Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG; dazu Weisgerber a.a.O. S. 147) gebietet es in | |||
solchen Fällen der Aktenanforderung daher regelmäßig nicht, einen Beweisantrag | |||
nur dann anzunehmen, wenn auch ein konkretes Beweisthema mitgeteilt ist; insofern | |||
- 12 - | |||
genügt vielmehr, dass ein erkennbarer Zusammenhang mit dem Untersuchungsauftrag besteht (vgl. zu einem „Beweisantrag“ auf Aktenvorlage, dessen Beweisthema | |||
lediglich mit dem „Untersuchungsauftrag“ bezeichnet wurde: BVerfGE 67, 100, 109, | |||
145; im Ergebnis ähnlich BbgVerfG LKV 2004, 177, 178; Glauben/Brocker a.a.O. | |||
§ 16 Rdn. 3). | |||
31 | |||
(2.) Auf dieser Grundlage ist der vom Abgeordneten Prof. Dr. P. | |||
gestellten | |||
Antrag (A-Drs. 586) als Beweisantrag im Sinn des § 17 Abs. 2, 4 PUAG zu bewerten. | |||
32 | |||
Der Antrag bezeichnete die anzufordernden Unterlagen und es war offensichtlich, dass die Mitteilungen des BND-Mitarbeiters in unmittelbarem Zusammenhang | |||
mit dem Untersuchungsauftrag standen und Beweisthema die dem Antragsteller im | |||
Einzelnen noch nicht bekannten Inhalte der „Request for Information“, jedenfalls aber | |||
schon die Existenz von „Anfragen … von US-Stellen“ im Sinn der Ziffer IV.4. des Untersuchungsauftrags waren. | |||
33 | |||
Unerheblich ist demgegenüber, ob der Antrag bereits früher gestellt oder von | |||
einem früheren Beweisantrag umfasst war. Allein dies, also die bloße Wiederholung, | |||
würde dem Antrag nicht die Qualität als Beweisantrag nehmen. Jedoch wäre der Antrag als Beweisantrag unzulässig oder zumindest nicht als solcher zu behandeln, | |||
wenn er trotz bereits erfolgter Beweisaufnahme nochmals gestellt und auf deren bloße Wiederholung gerichtet wäre (vgl. Fischer in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung a.a.O. § 244 Rdn. 107). Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Es ist | |||
schon nicht vorgetragen, dass bezüglich der übersandten „Request for Information“ | |||
gemäß § 31 PUAG Beweis erhoben wurde. Aber auch wenn auf die bloße Übersendung der Unterlagen abzustellen wäre, würde sich der Antrag nicht auf deren Wiederholung beziehen; denn der Antragsteller will mit seinem Begehren ein Übermittlung der ungeschwärzten Schriftstücke erreichen, nicht aber die erneute Übersendung der im selben Umfang unleserlich gemachten Unterlagen. | |||
- 13 - | |||
34 | |||
bb) Der Antrag entspricht auch im Übrigen den sich aus § 17 Abs. 2 Halbs. 1 | |||
PUAG ergebenden Anforderungen. | |||
35 | |||
Dabei kann dahinstehen, ob er – wie nach dem Wortlaut von § 17 Abs. 2 | |||
PUAG erforderlich – von einer qualifizierten Minderheit (so zwar nicht die amtliche, | |||
aber die gebräuchliche Bezeichnung, vgl. etwa BT-Drs 14/5790 S. 17; BVerfGE 105, | |||
197, 225 f.) oder lediglich einem Ausschussmitglied gestellt wurde. Nach dem Sinn | |||
und Zweck der Regelung (Minderheitenschutz) genügt es, wenn ihm – wie hier – vor | |||
der Abstimmung weitere Mitglieder „beigetreten“ sind und er damit durch eine qualifizierte Minderheit unterstützt wurde. | |||
36 | |||
Demgegenüber kommt der Frage, wie der Vorsitzende, der oder die Antragsteller bzw. die weiteren Ausschussmitglieder den Antrag qualifiziert haben, keine | |||
maßgebliche Bedeutung für die hier vorzunehmende Bewertung zu (zu der auf ältere | |||
Gesetzesmaterialien zurückgehenden Bezeichnung als „Beweisvorbereitungsantrag“ | |||
bzw. „Beweisvorbereitungsbeschluss“: Glauben/Brocker a.a.O. § 16 Rdn. 8). Im | |||
Rahmen einer nach § 17 Abs. 4 PUAG zu treffenden Entscheidung ist ein Antrag als | |||
Beweisantrag zu behandeln, wenn er den an diesen zu stellenden Anforderungen | |||
entspricht. | |||
37 | |||
cc) Der Beweisantrag durfte von der Ausschussmehrheit nicht abgelehnt werden, da keiner der Ablehnungsgründe des § 17 Abs. 2 PUAG vorlag. | |||
38 | |||
(1.) § 17 Abs. 2 PUAG ermöglicht die – grundsätzlich zu begründende | |||
(BVerfGE 105, 197, 225; Glauben/Brocker a.a.O. § 27 Rdn. 9) – Ablehnung eines | |||
Beweisantrags nur im Fall der Unzulässigkeit der Beweiserhebung oder der Unerreichbarkeit des Beweismittels. | |||
39 | |||
(a.) Der Antrag durfte nicht wegen Unzulässigkeit der Beweiserhebung abgelehnt werden. | |||
40 | |||
Unzulässig ist die Beweiserhebung beispielsweise dann, wenn sie durch den | |||
Untersuchungsauftrag nicht gedeckt ist oder gegen verfassungsrechtliche, gesetzli- | |||
- 14 - | |||
che und geschäftsordnungsrechtliche Vorschriften verstößt (BT-Drs. 14/2363 S. 14; | |||
14/5790 S. 17; Risch DVBl. 2003, 1418; Glauben/Brocker a.a.O. § 15 Rdn. 6 f.). | |||
41 | |||
Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Allein der Umstand, dass | |||
ein Beweisantrag mehrfach gestellt wurde, macht – unabhängig davon, ob ein solcher Fall hier vorliegt – die Beweiserhebung nicht unzulässig. Ebenso wenig wäre die | |||
Beweiserhebung unzulässig, wenn ein Antrag trotz bereits erfolgter Ablehnung erneut oder wenn er nach durchgeführter Beweiserhebung nochmals gestellt werden | |||
würde (vgl. Fischer in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung a.a.O. § 244 | |||
Rdn. 107; zur Unterscheidung zwischen der Unzulässigkeit eines Beweisantrags und | |||
der Unzulässigkeit der Beweiserhebung auch Meyer-Goßner a.a.O. § 244 Rdn. 48). | |||
In diesen Fällen wäre die (erneute) Erhebung des Beweises nicht „verboten“, sondern – möglicherweise – der Beweisantrag nicht als solcher zu behandeln oder unzulässig. | |||
42 | |||
Auch soweit sich die Antragsgegner auf eine Unzulässigkeit „wegen Geheimnisschutzinteressen“ berufen, vermag dies die Ablehnung des Beweisantrags nicht | |||
zu rechtfertigen. Nach dem Wortlaut des § 96 StPO steht eine „Sperrerklärung“ zwar | |||
schon dem Ersuchen um Übersendung von Akten entgegen. Jedoch wird die im | |||
Strafprozess durch §§ 95, 96 StPO geregelte Aktenanforderung im Verfahren des | |||
Untersuchungsausschusses durch § 18 PUAG modifiziert. Sachlich gerechtfertigt | |||
dadurch, dass regelmäßig allein die aktenführende oder für die „Sperrerklärung“ bzw. | |||
die Herausgabe der Akten verantwortliche Stelle die tatsächlichen Grundlagen und | |||
Hintergründe etwaiger „Geheimnisschutzinteressen“ kennt und bewerten kann, besteht die Verpflichtung der Bundesregierung und der in § 18 Abs. 1 PUAG genannten | |||
Stellen, einem Aktenübersendungsersuchen des Untersuchungsausschusses zu entsprechen „vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Grenzen“. Dies – und auch die Regelung in § 18 Abs. 2 PUAG – zeigt, dass der Untersuchungsausschuss ein solches | |||
Ersuchen auch dann stellen darf, wenn zu erwarten ist, dass es aus „verfassungsrechtlichen Gründen“ abgelehnt wird; denn über deren Vorliegen entscheidet die | |||
Bundesregierung oder der zuständige Bundesminister und im Streitfall das Bundesverfassungsgericht – nicht aber schon vorab der Untersuchungsausschuss. Hinzu | |||
kommt, dass – falls schon der Untersuchungsausschuss im Hinblick auf eine drohende oder bereits tatsächlich abgegebene „Sperrerklärung“ der Bundesregierung | |||
- 15 - | |||
von einer mittels Beweisbeschluss einzufordernden Aktenübersendung absehen | |||
müsste – von ihm eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach § 18 Abs. | |||
3 PUAG nicht mehr eingeholt werden könnte. Nichts anderes gilt, wenn das Aktenübersendungsersuchen in Form eines Beweisantrags gestellt wird. | |||
43 | |||
Im Übrigen ist vorliegend zudem zu berücksichtigen, dass die Übersendung | |||
der (nicht oder weniger umfassend geschwärzten) „Request for Information“ bislang | |||
noch nicht in konkretisierter Form Gegenstand eines Beweisantrags oder eines Aktenübersendungsersuchens war. Auch der Beweisbeschluss 16-438 betrifft lediglich | |||
„Aufzeichnungen … zwischen Stellen des BND … und Stellen von Centcom“. Hinzu | |||
kommt, dass die „Request for Information“ nach dem unwidersprochen gebliebenen | |||
Vortrags der Antragstellerin in der Antragsschrift (S. 6) jedenfalls nicht nur aus den | |||
Gründen geschwärzt wurden, die der Vertreter des Bundeskanzleramts in der 110. | |||
Ausschusssitzung vom 18. Dezember 2008 (nochmals) erläuterte (fehlende Dispositionsbefugnis), und er dort zudem ankündigte, dass ein entsprechender Beweisantrag eine – wenn auch nicht aussichtsreiche – Anfrage um Freigabe bei der dispositionsbefugten Stelle zur Folge hätte. | |||
44 | |||
(b.) Auch der Ablehnungsgrund der Unerreichbarkeit lag und liegt nicht vor. | |||
45 | |||
Unerreichbar sind Beweismittel, bei denen der Untersuchungsausschuss nicht | |||
weiß oder nicht ermitteln kann, wo sie sich aufhalten oder bei denen abzusehen ist, | |||
dass sie auch nach Anwendung der im Untersuchungsausschussgesetz vorgesehenen Zwangsmittel für die Beweiserhebung im laufenden Untersuchungsverfahren | |||
nicht herbeigeschafft werden können (BT-Drs. 14/2363 S. 14; 14/5790 S. 17). Letzteres ist bezüglich der „Request for Information“ aus den oben dargelegten Gründen | |||
nicht der Fall, Unerreichbarkeit aufgrund anderer Umstände ist ersichtlich nicht gegeben. | |||
46 | |||
(2.) Ob neben den in § 17 Abs. 2 PUAG aufgeführten Gründen noch weitere | |||
Umstände, wie Verschleppung oder offensichtlicher Missbrauch (BVerfGE 105, 197, | |||
225), die Ablehnung eines Beweisantrags rechtfertigen können oder ob solche Umstände bereits zur Unzulässigkeit der Beweiserhebung führen, bedarf keiner Entscheidung. Solche Umstände sind vorliegend nicht gegeben. | |||
- 16 - | |||
47 | |||
dd) Bestand und besteht somit kein tragfähiger Grund für die Ablehnung des | |||
Antrags, waren die Ausschussmitglieder zumindest mehrheitlich (im Sinn des | |||
§ 9 Abs. 4 Satz 1 PUAG) verpflichtet, dem Beweisantrag zuzustimmen, mithin den | |||
Beweisbeschluss zu erlassen (vgl. BT-Drs. 14/2363 S. 14; 14/5790 S. 17; Klein in | |||
Maunz/Dürig a.a.O. Art. 44 Rdn. 198; Risch DVBl. 2003, 1418, 1423; zur entsprechenden Praxis der Untersuchungsausschüsse auch Platter a.a.O. S. 80 mit Beispielen in Fußn. 257). Dies ist nunmehr nachzuholen. Entsprechend war der Hilfsantrag | |||
der Antragstellerin auszulegen (vgl. zum Ziel des Hilfsantrags insbesondere S. 11, 17 | |||
der Antragsschrift). | |||
48 | |||
Diese Entscheidung des Untersuchungsausschusses kann der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs nicht ersetzen, da er andernfalls – weil sein Beschluss nicht Gegenstand oder Grundlage eines Organstreitverfahrens sein kann – | |||
dieses Beweismittel einem solchen verfassungsgerichtlichen Verfahren entziehen | |||
würde (vgl. Risch DVBl. 2003, 1418, 1423 f.). Ob dies auch dann gilt, wenn sich die | |||
Mehrheit des Untersuchungsausschusses trotz einer sie zur Zustimmung verpflichtenden gerichtlichen Entscheidung weigert, den Beweisbeschluss zu erlassen, bedarf | |||
hier keiner Entscheidung. | |||
49 | |||
Im Hinblick auf die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten sowie in Abgrenzung zur im Streitfall insofern allein dem Bundesverfassungsgericht zustehenden | |||
Entscheidungsbefugnis wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass die vorliegende | |||
Entscheidung allein den Erlass eines Beweisbeschlusses durch den Untersuchungsausschuss zum Gegenstand hat, nicht aber dessen Vollzug oder gar die Bundesregierung dazu verpflichtet, dem Ausschuss (ungeschwärzte) Akten zur Verfügung zu | |||
stellen. | |||
III. | |||
50 | |||
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. | |||
51 | |||
Ein Gebührentatbestand bezüglich der Gerichtskosten ist nicht ersichtlich, zudem wäre der Bund von der Zahlung dieser Gebühren befreit (§ 2 Abs. 1 Satz | |||
1GKG). Auch für die Überbürdung der Kosten und Auslagen der Antragstellerin bzw. | |||
- 17 - | |||
der Antragsgegner mangelt es an einer Rechtsgrundlage (vgl. zudem § 35 Abs. 1 | |||
PUAG). | |||
IV. | |||
Rechtsmittelbelehrung | |||
52 | |||
Gegen diesen Beschluss können die Antragstellerin und der Antragsgegner zu | |||
1. Beschwerde einlegen (§ 36 Abs. 3 PUAG). Die Beschwerde ist schriftlich oder zu | |||
Protokoll bei dem Gericht einzureichen, das die angegriffene Entscheidung erlassen | |||
hat (§ 306 Abs. 1 StPO), also beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs. Sie ist | |||
an keine Frist gebunden. Auch besteht für die Einlegung der Beschwerde kein „Anwaltszwang“, die Verfahrensbeteiligten können das Rechtsmittel also auch durch ein | |||
selbst verfasstes Schreiben einlegen und begründen. | |||
Dr. Mutzbauer | |||
Richter am Bundesgerichtshof | |||
@ -0,0 +1,129 @@ | |||
Bundesgerichtshof | |||
Ermittlungsrichter | |||
1 BGs 48/2001 | |||
2 BJs 23/01-2 | |||
Beschluß | |||
vom 20. April 2001 | |||
im Ermittlungsverfahren gegen | |||
unbekannt | |||
wegen des Verdachts eines Verbrechens nach § 129a Abs. 1 StGB | |||
u.a. (gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr in der Nacht zum 9. | |||
März 2001 durch Mitglieder "Autonomer Gruppen) | |||
wird die Anordnung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom | |||
15. März 2001 - 2 BJs 23/01 – | |||
bestätigt. | |||
Hausanschrift: | |||
Herrenstraße 45a | |||
76133 Karlsruhe | |||
Postfach: | |||
76125 Karlsruhe | |||
Telefon: | |||
(0721) 159-0 | |||
Telefax: | |||
(0721) 159-829 | |||
- 2 - | |||
Gründe: | |||
1. Der Generalbundesanwalt hat auf der Grundlage von § 12 des Gesetzes über | |||
Fernmeldeanlagen (FAG) mit § 98a StPO mit Anordnung vom 15. März 2001 | |||
wegen Gefahr im Verzug – ohne richterliche Gestattung – den folgenden Netzbetreibern | |||
D 1 , T-Mobil GmbH Münster, | |||
D 2, Mannesmann Mobilfunk GmbH, | |||
E plus Mobilfunk GmbH, | |||
E 2, VIAG Interkom Eschborn | |||
aufgegeben, dem Bundeskriminalamt Meckenheim Auskunft zu erteilen, über | |||
sämtliche Aufzeichnungen über Verbindungsdaten, die sich auf Fernmeldeverkehr beziehen, den in der Ortschaft | |||
H. | |||
-R. | |||
unter den | |||
Geodaten | |||
in der Zeit vom | |||
geführt worden ist. | |||
2. | |||
Die Anträge auf richterliche Entscheidung sind zulässig. Ordnet die Staatsanwaltschaft wegen Gefahr im Verzug die Auskunft gemäß § 12 FAG an, so | |||
ist in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO die Anrufung | |||
des Gerichts möglich (vgl. Lampe in Strafrechtliche Nebengesetze, FSS | |||
(FAG), RdNr. 23). Bei § 98a StPO folgt dies aus § 98b Abs. 1 Satz 2 StPO. | |||
3. | |||
Die Anordnung des Generalbundesanwalts ist auf der Grundlage von § 12 | |||
FAG zu bestätigen. | |||
a) | |||
Der Generalbundesanwalt führt ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Mitglieder "Autonomer Gruppen" wegen des Verdachts eines | |||
Verbrechens der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung | |||
nach § 129a Abs. 1 StGB. | |||
- 3 Bisher nicht ermittelte Täter verübten in der Nacht zum 9. März 2001 an drei | |||
Orten in Brandenburg und Niedersachsen Anschläge auf Anlagen der Deutschen Bahn AG, indem sie Hakenkrallen in die elektrischen Oberleitungen der | |||
Straßenbahnen einhängten. Die Eisenteile waren so konstruiert, daß die | |||
Stromabnehmer der Lokomotiven sich in den Krallen verfingen und diese mitrissen. Dadurch kam es teilweise zu erheblichen Beschädigungen an den | |||
Oberleitungen. Ein Tatort befand sich auf der Bahnstrecke W. | |||
H. | |||
-L. | |||
im Bereich der Ortschaft H. | |||
-R. | |||
. Dort wurden | |||
durch die von dem Stromabnehmer mitgerissene Hakenkralle die Oberleitung | |||
auf einer Strecke von etwa 250 Metern beschädigt. Die Täter hinterließen am | |||
Tatort ein fünfteiliges HAT-Rohr, mit dessen Hilfe die Hakenkralle offenbar | |||
eingesetzt worden war. Außerdem hinterließen sie eine Comic-Zeichnung, auf | |||
der sich der Satz befindet: | |||
"solange ihr unser Leben missachtet, missachten wir eure Gesetze". | |||
Am 12. /13. März 2001 gingen insgesamt fünf Selbstbezichtigungsschreiben | |||
zu den Anschlägen ein. Darin bekannten sich "Autonome Gruppen" zu den | |||
Anschlägen. Durch die Taten bezweckten sie nicht nur den Widerstand gegen | |||
die Castor-Transporte, sondern sie wollten auch deutlich machen, daß sie die | |||
"herrschenden Verhältnisse" insgesamt ablehnen. | |||
b) | |||
Die Ermittlungen in vorausgegangenen Anschlagsserien gleicher Art haben | |||
ergeben, daß die Täter bei Ausführung der Anschläge Mobiltelefone benutzen. Es ist anzunehmen, daß auch im vorliegenden Fall die Mitglieder der | |||
“Autonomen Gruppen” während der Tatausführung untereinander telefonisch | |||
Kontakt gehabt haben, um die zeitgleiche Ausführung der Anschläge zu gewährleisten und um eine Störung durch unbekannte Dritte möglichst auszuschließen. | |||
Nach den Vermerken des Bundeskriminalamts vom 14.03.2001 (dort unter Nr. | |||
5) und vom 30.3.2001 ist davon auszugehen, daß im Bereich des abgelegenen Tatortes in der vorgenannten Zeit Telekommunikationsverkehr über Mobiltelefone nur in sehr geringem Umfang stattgefunden hat. | |||
- 4 Alle Teilnehmer am Mobilfunkverkehr dieses Bereichs während dieser kommunikationsarmen Zeit kommen deshalb als Tatverdächtige in Betracht. Diese | |||
Annahme ist angesichts des Gewichts des Tatvorwurfs nicht unverhältnismäßig. Da die Erforschung des Sachverhalts und die Ermittlung der Täter auf | |||
andere Weise wesentlich erschwert, wenn nicht sogar aussichtslos wäre, haben die Betreiber der unter 1. genannten Mobilfunknetze gemäß § 12 FAG | |||
Auskunft darüber zu geben, ob und gegebenenfalls mit welchem Mobiltelefon | |||
im Bereich der Ortschaft H. | |||
-R. | |||
in der mutmaßlichen Zeit der | |||
Tatausführung am | |||
zwischen | |||
Uhr Telekommunkationsverkehr stattgefunden hat. | |||
4. | |||
Auf § 98a StPO kann die Maßnahme dagegen nicht gestützt werden. Es mag | |||
dahinstehen, ob überhaupt ein Datenabgleich im Sinne der Rasterfahndung | |||
mit “personenbezogenen Daten von Personen, die bestimmte, auf den Täter | |||
vermutlich zutreffende Prüfungsmerkmale erfüllen” vorgesehen ist. § 98a | |||
StPO berechtigt jedenfalls nicht zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis. | |||
Dieses umfaßt nicht nur den Inhalt der Telekommunikation, sondern auch deren nähere Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war, sowie Ort, Zeitpunkt und Dauer | |||
der Verbindung und Verbindungsversuche. Die Befugnis der Strafverfolgungsbehörden zur Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs | |||
sind in den §§ 100a, 100b bzw. § 12 FAG aber abschließend geregelt. Die | |||
hier gewünschte Information kann daher aufgrund anderer Eingriffsnormen | |||
nicht erlangt werden. | |||
5. | |||
Es bestand Gefahr im Verzug (§ 98 b Abs. 1 StPO). Die angeforderten vollständigen Verbindungsdaten werden üblicherweise von den Mobilfunkbetreibern nur 72 Stunden lang gespeichert. Nach Auskunft des Netzbetreibers TMobil vom 15. März 2001 standen die geforderten Daten an diesem Tag noch | |||
zur Verfügung, sollten aber möglicherweise bereits am 16. März 2001 gelöscht werden. Um einem drohenden Verlust wichtiger Beweismittel zu begegnen, war der Generalbundesanwalt berechtigt, im Rahmen der Eilkompetenz eine Anordnung nach § 12 FAG zu treffen. | |||
Hebenstreit | |||
Richter am Bundesgerichtshof | |||
@ -0,0 +1,63 @@ | |||
BUNDESGERICHTSHOF | |||
BESCHLUSS | |||
1 StR 100/05 | |||
vom | |||
1. Juni 2005 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
wegen Vergewaltigung u. a. | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juni 2005 beschlossen: | |||
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allg) vom 20. September 2004 wird als unbegründet verworfen. | |||
Jedoch wird der Urteilstenor wie folgt neu gefaßt: | |||
Der Angeklagte wird wegen Vergewaltigung und wegen unerlaubten Überlassens von Betäubungsmitteln an eine Person | |||
unter 18 Jahren zum unmittelbaren Verbrauch zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. | |||
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens, einschließlich | |||
der Kosten der Nebenklage, zu tragen. | |||
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und | |||
die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen | |||
notwendigen Auslagen zu tragen. | |||
Gründe: | |||
Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des | |||
Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). | |||
-3- | |||
Allerdings hat das Landgericht als Große Jugendkammer zwar eine Berufungshauptverhandlung durchführen wollen und deshalb den Urteilsspruch | |||
äußerlich wie in einem Berufungsurteil abgefaßt, jedoch dabei verkannt (vgl. | |||
UA S. 31), daß in diesem Fall der Großen Jugendkammer nur eine Strafgewalt | |||
von bis zu vier Jahren Freiheitsstrafe zugestanden hätte (§ 24 Abs. 2 GVG). | |||
Das Verfahren und das Urteil des Landgerichts sind jedoch hier als erstinstanzlich zu beurteilen, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen vorliegen (vgl. BGHSt 21, 229; 23, 283; 31, 63; BGH NStZ-RR 1997, 229). | |||
Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt: | |||
"Auf den Willen der Kammer, als Berufungskammer oder als erstinstanzliche Strafkammer tätig zu werden, kommt es nicht an (BGH, Beschluss | |||
vom 23. April 1996 - 4 StR 142/96 = NStZ-RR 1997, 22). Das Verfahren | |||
entsprach den Anforderungen auch einer erstinstanzlichen Verhandlung. | |||
Die Große Jugendkammer hat in der Besetzung verhandelt, in der sie | |||
auch als erstinstanzliches Gericht hätte verhandeln können. Ein entsprechender Beschluss, wonach die Jugendkammer in der Hauptverhandlung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei | |||
Jugendschöffen besetzt sein sollte, wurde am 12. Mai 2004 gefasst (Bl. | |||
254 d.A.). | |||
Auch ansonsten sind die für das Verfahren erster Instanz geltenden Vorschriften in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht eingehalten worden. Zwar wurden in Anwendung des § 325 StPO Aussagen von in der | |||
Hauptverhandlung nicht erschienenen und zu dieser nicht geladenen | |||
Zeugen durch Verlesung eingeführt. Jedoch erfolgten diese Verlesungen | |||
jeweils in allseitigem Einverständnis. Damit wären sie auch nach dem für | |||
-4- | |||
dem für das Beweisverfahren erster Instanz geltenden § 251 Abs. 2 Nr. | |||
3 StPO zulässig gewesen (vgl. BGHSt 31, 63, 65). Das Urteil des Landgerichts Kempten vom 20. September 2004 ist mithin als erstinstanzliches Urteil anzusehen, eine Überschreitung des Strafrahmens liegt daher nicht vor." | |||
Dem schließt sich der Senat an. | |||
Nack | |||
Wahl | |||
Hebenstreit | |||
Boetticher | |||
Graf | |||
@ -0,0 +1,98 @@ | |||
BUNDESGERICHTSHOF | |||
BESCHLUSS | |||
1 StR 100/12 | |||
vom | |||
21. März 2012 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. März 2012 beschlossen: | |||
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 9. Dezember 2011 aufgehoben, soweit | |||
der Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden | |||
ist, einschließlich der hierzu getroffenen Feststellungen. | |||
Die weitergehende Revision wird verworfen. | |||
Der Tenor der schriftlichen Urteilsgründe wird wie folgt ergänzt: | |||
Die Fahrerlaubnis wird der Angeklagten entzogen, ihr Führerschein wird eingezogen, die Verwaltungsbehörde darf ihr vor Ablauf von noch drei Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilen. | |||
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung | |||
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an | |||
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. | |||
Gründe: | |||
1 | |||
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Diebstahls und Nötigung in | |||
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von | |||
einem Jahr und vier Monaten verurteilt. | |||
2 | |||
Das Rechtsmittel der Angeklagten hat Erfolg, soweit ihr Strafaussetzung | |||
zur Bewährung versagt worden ist; im Übrigen ist es im Sinne von § 349 Abs. 2 | |||
StPO unbegründet. | |||
-3- | |||
3 | |||
Der Verurteilung lag neben einer Nötigung ein Ladendiebstahl (Waren, | |||
insbesondere Katzenfutter, im Wert von 72,46 €) zu Grunde. Die 72-jährige | |||
Angeklagte war schon mehrfach wegen vergleichbarer Vorkommnisse mit Geldund Bewährungsfreiheitsstrafen geahndet worden und hat diese Tat innerhalb | |||
einer Bewährungszeit begangen. Sie war zuletzt am 25. Februar 2008 wegen | |||
zweier Diebstähle aus einem Verbrauchermarkt zu der Freiheitsstrafe von acht | |||
Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung bis 3. März 2012 zur Bewährung ausgesetzt worden war. Deshalb entspricht die nunmehr für den Diebstahl | |||
verhängte Einzelstrafe von einem Jahr und zwei Monaten noch dem Unrechtsund Schuldgehalt der festgestellten Tat. Sie ist nicht unvertretbar hoch und löst | |||
sich noch nicht nach oben von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2003 - 2 StR 54/03, BGHR StGB | |||
§ 46 Abs. 1 Strafhöhe 18). | |||
4 | |||
Das Landgericht hat die Frage, ob der Vollzug der gegen die Angeklagte | |||
verhängten Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt | |||
werden kann, in den Urteilsgründen nicht erörtert. Dies verstieß schon gegen | |||
§ 267 Abs. 3 Satz 4 StPO, da der Verteidiger den Antrag gestellt hatte, auf Bewährung zu erkennen. Aus sachlich-rechtlichen Gründen sind Urteilsausführungen zur Strafaussetzung erforderlich, wenn eine Erörterung dieser Frage als | |||
Grundlage für die revisionsrechtliche Nachprüfung geboten erscheint (vgl. BGH, | |||
Beschlüsse vom 5. März 1997 - 2 StR 63/97; vom 6. März 2012 - 1 StR 50/12, | |||
Rn. 4). Dies war hier der Fall. | |||
5 | |||
Zwar muss aus materiell-rechtlicher Sicht die Frage der Aussetzung des | |||
Vollzugs einer verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung in den Urteilsgründen | |||
nicht zwingend ausdrücklich erörtert werden, wenn nach den Feststellungen die | |||
Strafaussetzung völlig fern liegt. Eine Straftat während einer Bewährungszeit | |||
-4- | |||
zeigt schon, dass die frühere Prognose falsch war. Dennoch schließt ein Bewährungsbruch eine günstige Prognose nicht von vorneherein aus. Hat ein Täter etwa erstmals Freiheitsentzug erlitten, kann ihn dies so beeindruckt haben, | |||
dass die Prognose deswegen nunmehr günstig ist (vgl. Schäfer/Sander/van | |||
Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 136, 139 mwN). | |||
6 | |||
In dieser Sache war die Angeklagte vom 11. November 2011 bis zum | |||
9. Dezember 2011 - erstmals - in Haft (§ 230 Abs. 2 StPO) in der Justizvollzugsanstalt Aichach. Deshalb lag hier eine Aussetzung der Vollstreckung der | |||
verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung nicht so fern, dass auf eine | |||
Gesamtwürdigung der wesentlichen Umstände im Hinblick auf die der Angeklagten zu stellende Kriminalprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) und auf das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB verzichtet werden | |||
konnte. | |||
-5- | |||
7 | |||
Der Passus zur Fahrerlaubnisentziehung wurde nicht in den Tenor der | |||
schriftlichen Urteilsgründe aufgenommen. Dabei handelt es sich aber lediglich | |||
um ein offensichtliches Schreibversehen, wie den Urteilsgründen und dem verkündeten Urteil ausweislich der Sitzungsniederschrift zu entnehmen ist. | |||
Nack | |||
Wahl | |||
Hebenstreit | |||
Rothfuß | |||
Sander | |||
@ -0,0 +1,5 @@ | |||
In diesem Verfahren wurde das Rechtsmittel ohne weitere Begründung verworfen. | |||
Rechtskräftig ist somit die Entscheidung der Vorinstanz geworden, das Aktenzeichen der | |||
Vorinstanz können Sie der Pressemitteilung entnehmen. | |||
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BUNDESGERICHTSHOF | |||
BESCHLUSS | |||
1 StR 105/15 | |||
vom | |||
21. Juli 2015 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
1. | |||
2. | |||
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a. | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juli 2015 gemäß § 349 | |||
Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen: | |||
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 4. November 2014 soweit es sie betrifft, im Ausspruch über die Dauer des jeweiligen Vorwegvollzugs dahin abgeändert, dass vor der Unterbringung in der | |||
Entziehungsanstalt | |||
a) des Angeklagten D. | |||
zwei Jahre der gegen ihn ver- | |||
hängten Freiheitsstrafe | |||
b) des Angeklagten M. | |||
ein Jahr sieben Monate und zwei | |||
Wochen der gegen ihn verhängten Jugendstrafe | |||
zu vollziehen sind. | |||
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen. | |||
3. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel | |||
und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. | |||
Gründe: | |||
1 | |||
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen erpresserischen | |||
Menschenraubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, schwerer räuberischer Erpressung und versuchtem Computerbetrug schuldig gesprochen | |||
und den Angeklagten D. | |||
zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren, | |||
-3- | |||
den Angeklagten M. | |||
zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und drei Mona- | |||
ten verurteilt. Gegen beide hat es die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und für den Angeklagten D. | |||
den Vorweg- | |||
vollzug der Strafe vor der Maßregel von drei Jahren und einem Monat, für den | |||
Angeklagten M. | |||
einen solchen von zwei Jahren und sieben Monaten be- | |||
stimmt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachrüge. Sie haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg | |||
(§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 | |||
Abs. 2 StPO. | |||
2 | |||
1. Der Schuld- und der Strafausspruch erweisen sich als rechtsfehlerfrei. | |||
Zwar ist dem Urteil weder ausdrücklich noch in seinem Gesamtzusammenhang | |||
zu entnehmen, dass die Jugendkammer die gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 | |||
JGG gebotene Prüfung vorgenommen hat, ob von Jugendstrafe wegen der Unterbringung in der Entziehungsanstalt abgesehen werden kann. Aus den Urteilsgründen ergibt sich angesichts der Schwere der Tat aber gleichwohl ohne | |||
weiteres, dass eine Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG ausscheidet (vgl. BGH, | |||
Beschlüsse vom 22. Juli 2009 – 2 StR 240/09; vom 17. September 2013 | |||
– 1 StR 372/13 und vom 23. Juni 2015 – 1 StR 243/15). | |||
3 | |||
2. Auch die jeweilige Anordnung der Maßregel des § 64 StGB ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat aber die Dauer des Vorwegvollzugs der Strafen vor der Unterbringung fehlerhaft bemessen. | |||
4 | |||
Der Senat setzt die Dauer des Vorwegvollzugs – entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts – fest. Da die jeweils zur Therapie erforderliche | |||
Dauer der Unterbringung rechtsfehlerfrei festgestellt ist, kann der Senat den | |||
Urteilstenor entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst abändern (vgl. BGH, Be- | |||
-4- | |||
schlüsse vom 15. Dezember 2010 – 1 StR 642/10 mwN und vom 14. Januar | |||
2014 – 1 StR 531/13, NStZ-RR 2014, 107, 108). | |||
5 | |||
Ausgehend vom Zeitpunkt der Halbstrafe (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB) | |||
von drei Jahren und sechs Monaten für den Angeklagten D. | |||
Jahren ein Monat und zwei Wochen für den Angeklagten M. | |||
und drei | |||
und einer vo- | |||
raussichtlichen Therapiedauer von jeweils einem Jahr und sechs Monaten beträgt die Dauer des festzusetzenden Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe zwei | |||
Jahre für den Angeklagten D. | |||
Wochen für den Angeklagten M. | |||
6 | |||
und ein Jahr sieben Monate und zwei | |||
. | |||
Der teilweise Erfolg der Rechtsmittel ist nicht von einer solchen Bedeutung, dass es unbillig wäre, die Beschwerdeführer mit den Kosten und Auslagen in vollem Umfang zu belasten, § 473 Abs. 1 und 4 StPO. | |||
Raum | |||
Rothfuß | |||
Cirener | |||
Jäger | |||
Mosbacher | |||
@ -0,0 +1,133 @@ | |||
BUNDESGERICHTSHOF | |||
BESCHLUSS | |||
1 StR 109/11 | |||
vom | |||
31. März 2011 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
wegen gefährlicher Körperverletzung | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. März 2011 gemäß den | |||
§§ 349 Abs. 2 und 4, 354 Abs. 1 StPO beschlossen: | |||
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts | |||
Kempten (Allgäu) vom 30. November 2010 wird mit der Maßgabe | |||
als unbegründet verworfen, dass die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt. | |||
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die | |||
dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. | |||
Gründe: | |||
1 | |||
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Außerdem hat es ihn in einer | |||
Entziehungsanstalt untergebracht sowie zu einer Schadensersatz- und einer | |||
Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, ausschließlich auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zum Wegfall der Unterbringungsanordnung (§ 349 | |||
Abs. 4 StPO) und bleibt im Übrigen erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). | |||
2 | |||
2. Nach den landgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte am | |||
24. Oktober 2009 gegen 5.00 Uhr einer Spielhalle verwiesen worden, nachdem | |||
er das in einem Automaten steckende Geld eines anderen Gastes eigenmächtig verspielt hatte. Aus „Frust“ hierüber entschloss er sich, den ihm unbekannten, zufällig begegnenden | |||
A. | |||
zusammenzuschlagen. Während dieser | |||
deutlich alkoholisiert war, hatte der Angeklagte eine die Steuerungsfähigkeit | |||
-3- | |||
nicht beeinträchtigende Blutalkoholkonzentration zwischen 0,27 und 0,69 Promille. In der Folge schlug und trat der Angeklagte seinem Zufallsopfer derart ins | |||
Gesicht, dass es mit mehreren Frakturen „regungslos und röchelnd“ am Boden | |||
liegen blieb und mehrfach operiert werden musste. | |||
3 | |||
Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat das Landgericht | |||
festgestellt: Dieser ist im Oktober 2002 nach Deutschland übergesiedelt. Sowohl in den ersten sechs Monaten hier als auch zuvor in seinem Herkunftsland | |||
Kasachstan hat er „fast jeden Tag“ vor allem Bier und Wodka konsumiert, „bis | |||
er betrunken war“. Bereits in der Folge hat er seinen Alkoholkonsum reduziert, | |||
weil er deshalb „Probleme im Zusammenhang mit Schlägereien bekam“ und | |||
deswegen verurteilt wurde. Den Vorstrafen des Angeklagten, der letztmals am | |||
2. Januar 2006 straffällig geworden ist, liegen dementsprechend u.a. drei im | |||
Jahr 2003 jeweils unter Alkoholeinfluss begangene - mit zwei Geldstrafen zu je | |||
50 Tagessätzen sowie einer zweimonatigen Freiheitsstrafe geahndete - Körperverletzungen zugrunde. Nach der jetzigen Tat hat er seinen Alkoholkonsum auf | |||
„ein bis zwei halbe Bier an drei Tagen unter der Woche“ reduziert und an Wochenenden lediglich noch im Kreis seiner Familie Alkohol getrunken. Der Angeklagte hat Ende 2006 geheiratet und lebt mit seiner Frau und seiner im Folgejahr geborenen Tochter zusammen. Seit Ende 2005 ist er ununterbrochen bei | |||
einer Firma als angelernter Fassadenbauarbeiter beschäftigt. | |||
4 | |||
3. Die vom Landgericht bejahten Voraussetzungen der Unterbringung in | |||
einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) liegen danach nicht vor. Es fehlt jedenfalls an einem Hang, Alkohol „im Übermaß“ zu sich zu nehmen. Deshalb | |||
braucht der Senat der Frage, ob die gefährliche Körperverletzung hier als Symptomtat i.S.d. § 64 StGB angesehen werden könnte, nicht nachzugehen. | |||
-4- | |||
5 | |||
a) Ein Hang i.S.d. § 64 StGB liegt nämlich nur vor, wenn entweder eine | |||
chronische, auf Sucht beruhende körperliche Abhängigkeit gegeben ist - hierfür | |||
bestehen keinerlei Anhaltspunkte - oder ohne körperliche Abhängigkeit eine | |||
eingewurzelte, | |||
auf | |||
psychische | |||
Disposition | |||
zurückgehende | |||
oder | |||
durch | |||
Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Alkohol (oder andere berauschende Mittel) zu konsumieren, und zwar „im Übermaß“. Dies wäre zu | |||
bejahen, wenn der Angeklagte aufgrund einer - allein in Betracht kommenden psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erschiene. Da er | |||
keine sog. Beschaffungstat begangen hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210), könnte hierauf indiziell hindeuten, wenn der Angeklagte Alkohol in einem solchen Umfang zu sich nehmen | |||
würde, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR | |||
406/03, BGHR StGB § 64 Hang 2; BGH, Beschluss vom 6. November 2003 | |||
- 1 StR 451/03, NStZ 2004, 384; BGH, Beschluss vom 1. April 2008 - 4 StR | |||
56/08). | |||
6 | |||
b) Solches lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Das Landgericht hat | |||
vielmehr festgestellt, dass der Angeklagte seit Ende 2005 ohne Unterbrechung | |||
beim selben Arbeitgeber im Fassadenbau arbeitet, nachdem es ihm bereits etwa zwei Jahre zuvor, also im Alter von 20 Jahren, gelungen war, weniger Alkohol zu trinken. Der Angeklagte lebt seit mehreren Jahren mit seiner Familie zusammen. Auch der Umstand, dass er im Anschluss an die mehr als 13 Monate | |||
vor dem Urteil begangene Tat seinen Alkoholkonsum durchaus steuern, nämlich auf „ein bis zwei halbe Bier an drei Tagen unter der Woche“ erneut reduzieren und an Wochenenden lediglich noch auf im Kreis der Familie getrunkenen | |||
Alkohol beschränken konnte, spricht gegen eine psychische Abhängigkeit (vgl. | |||
BGH, Beschluss vom 13. Juni 2008 - 2 StR 111/08). Die Tat selbst hat der Angeklagte nur geringfügig alkoholisiert, insbesondere ohne erhebliche Einschrän- | |||
-5- | |||
kung seiner Steuerungsfähigkeit verübt. Da maßgeblich für die Feststellung des | |||
Hanges der Zeitpunkt des Urteils ist, kam den im Jahr 2003 unter Alkoholeinfluss begangenen drei Körperverletzungen entgegen der Ansicht des Landgerichts keine maßgebliche Bedeutung mehr zu. Nach alledem ist für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kein Raum. | |||
7 | |||
4. Da das Landgericht die für die Beurteilung eines Hanges wesentlichen | |||
Umstände festgestellt hat, kann der Senat vorliegend ausschließen, dass eine | |||
neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die ein anderes Ergebnis | |||
rechtfertigen würden. Er erkennt daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf | |||
den Wegfall der Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR 451/03, NStZ 2004, 384 mwN). | |||
-6- | |||
8 | |||
5. Trotz dieses Teilerfolges der Revision hält es der Senat nicht für unbillig, den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten zu belasten (§ 473 | |||
Abs. 4 StPO). Es ist nicht erkennbar, dass der Angeklagte das Urteil nicht angefochten hätte, wenn von einer Unterbringung abgesehen worden wäre (vgl. | |||
BGH aaO). | |||
Richter am Bundesgerichtshof | |||
Dr. Wahl ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung | |||
gehindert. | |||
Rothfuß | |||
Rothfuß | |||
Elf | |||
Graf | |||
Sander | |||
@ -0,0 +1,270 @@ | |||
BUNDESGERICHTSHOF | |||
IM NAMEN DES VOLKES | |||
URTEIL | |||
1 StR 111/03 | |||
vom | |||
12. August 2003 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
wegen Mordes | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. August | |||
2003, an der teilgenommen haben: | |||
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof | |||
Nack | |||
und die Richter am Bundesgerichtshof | |||
Dr. Wahl, | |||
Schluckebier, | |||
Dr. Kolz, | |||
Richterin am Bundesgerichtshof | |||
Elf, | |||
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof | |||
als Vertreter der Bundesanwaltschaft, | |||
Rechtsanwalt | |||
als Verteidiger, | |||
Rechtsanwalt | |||
als Vertreter der Nebenkläger, | |||
Justizangestellte | |||
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, | |||
für Recht erkannt: | |||
-3- | |||
-4- | |||
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Waldshut - Tiengen vom 17. Mai | |||
2002 werden verworfen. | |||
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen | |||
Auslagen trägt die Staatskasse. Die Nebenkläger tragen die | |||
Kosten ihrer Revisionen. | |||
Von Rechts wegen | |||
Gründe: | |||
Der Angeklagte und sein Bruder, der frühere Mitangeklagte M. | |||
G. | |||
, wurden vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Die Revisionen der | |||
Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger richten sich gegen den Freispruch | |||
des Angeklagten, hinsichtlich M. | |||
G. | |||
wurden sie wieder zurückge- | |||
nommen. | |||
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist auf eine Verfahrensrüge und die | |||
näher ausgeführte Sachrüge gestützt, die Revisionen der Nebenkläger auf die | |||
Sachrüge, wobei die Ausführungen hierzu im wesentlichen den Ausführungen | |||
der Staatsanwaltschaft entsprechen. | |||
Die im Ergebnis auch vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen | |||
bleiben erfolglos. | |||
-5- | |||
1. Die Strafkammer hat festgestellt: | |||
Die Angeklagten hatten Auseinandersetzungen mit | |||
Ak. | |||
, der im | |||
Zusammenhang mit der Anpachtung eines Lokals durch die Angeklagten | |||
Geldforderungen gegen sie erhob. Sollten die Angeklagten bis 9. November | |||
1998 nicht zahlen, so stand zumindest im Raum, sollte das Lokal Ak. übertragen werden. Am späten Abend des 8. November wurde Ak. telefonisch vom | |||
Angeklagten A. G. | |||
in das Lokal bestellt; er glaubte, er bekomme sein Geld | |||
und fuhr hin, obwohl er stark erkältet war. Seither wurde er nicht mehr lebend | |||
gesehen. Am 5. April 1999 wurde die Leiche des erschossenen Ak. etwa acht | |||
km von dem Lokal entfernt an einsamer Stelle aufgefunden. Sie war in Tischtücher gewickelt, die aus dem Lokal stammten. Der PKW Ak. s, der am späten | |||
Abend des 8. November 1998 noch vor dem Lokal gestanden hatte, war bereits | |||
am 10. November 1998 in der Nähe des Lokals auf einem Parkplatz gefunden | |||
worden. | |||
2. Den Angeklagten war vorgeworfen worden, daß entweder in dem Lokal oder in dessen Nähe einer von ihnen im Einverständnis und im Beisein des | |||
anderen Ak. | |||
erschossen habe; möglicherweise habe aber auch eine dritte | |||
Person ihn auf Veranlassung der Angeklagten und in deren Anwesenheit erschossen. | |||
Nach umfangreicher Beweisaufnahme bejaht die Strafkammer einen erheblichen ("gesteigerten") Verdacht gegen beide Angeklagte, insbesondere | |||
aber gegen den Angeklagten A. G. | |||
, daß sie den Tod Ak. s zu verant- | |||
worten haben. Es bleibe aber völlig unklar, wer geschossen habe und ob dies | |||
auf Grund eines gemeinsamen Tatplans geschehen sei. Es sei möglich, daß | |||
Ak. nur zum Zweck der Einschüchterung in das Lokal einbestellt worden sei. | |||
Immerhin habe der Angeklagte A. G. | |||
durch die Einbestellung Ak. s mit- | |||
-6- | |||
tels eines zunächst von einer Tochter Ak. s angenommenen Telefonanrufs | |||
"fast automatisch" einen Tatverdacht auf sich gelenkt, was gegen eine geplante | |||
Tötung sprechen könne. Auf der Grundlage der Annahme einer Einbestellung | |||
nur zur Einschüchterung sei nicht auszuschließen, daß sich Ak. , wofür angefallene Erkenntnisse zu seiner Persönlichkeit ("uneinsichtig, widerspenstig") | |||
sprechen könnten, bei dieser Besprechung nicht habe beeindrucken lassen. | |||
Dann könne das Treffen auch eskaliert sein, wobei einer der Anwesenden Ak. | |||
erschossen habe. Bei solchem Geschehensablauf könne dies dann aber nur | |||
dem Schützen selbst - gewissermaßen nach den Grundsätzen des "Exzesses" | |||
- zugerechnet werden. Wer der Schütze aber sei, sei nicht festzustellen. Da die | |||
Angeklagten Brüder seien, könne gemäß § 258 Abs. 4 StGB keine Bestrafung | |||
wegen einer Strafvereitelung durch Beseitigung der Leiche erfolgen. | |||
An dieser Beweiswürdigung könne insbesondere auch die Aussage des | |||
Zeugen D. | |||
nichts ändern. Dieser war lange V-Mann für die Polizeidi- | |||
rektion H. | |||
und andere Behörden und im Bereich Rauschgift- und | |||
Falschgeldkriminalität erfolgreich tätig. Er wurde am 6. April 1999 wegen eigener Rauschgiftgeschäfte verhaftet - inzwischen ist er deshalb rechtskräftig zu | |||
drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt - und alsbald aus Sicherheitsgründen aus | |||
dem Raum H. | |||
nach W. | |||
verlegt. Er war ab 9. April 1999 für neun | |||
Wochen Zellengenosse des an diesem Tag verhafteten Angeklagten M. | |||
G. | |||
. Im Juni 1999 meldete sich D. | |||
bei den Behörden und | |||
schilderte im einzelnen, daß sein Zellengenosse ihm gegenüber eingeräumt | |||
habe, Ak. sei von zwei zu diesem Zwecke gedungenen Mördern, Kurden aus | |||
Italien, erschossen worden, weil er wegen seiner Geldforderungen lästig geworden sei; er, M. | |||
G. | |||
, sei aber unschuldig. | |||
-7- | |||
Die Strafkammer konnte aber, auch nach Anhörung des gemäß § 220 | |||
StPO in die Sitzung gestellten aussagepsychologischen Sachverständigen | |||
Prof. Köhnken (Kiel) nicht ausschließen, daß D. | |||
absichtlich falsche | |||
Angaben gemacht habe, um sich eigene Vorteile im Zusammenhang mit dem | |||
damals gegen ihn anhängigen Verfahren zu verschaffen. | |||
3. Mit ihrer Verfahrensrüge macht die Staatsanwaltschaft geltend, die | |||
Strafkammer habe einen Beweisantrag auf Vernehmung eines weiteren Sachverständigen zu Unrecht zurückgewiesen. Gestützt war der Antrag auf das | |||
Vorbringen, das Gutachten von Prof. Köhnken weise methodische Mängel auf. | |||
Ohne daß es auf weiteres ankäme, ist die Rüge entgegen § 344 Abs. 2 | |||
Satz 2 StPO nicht zulässig erhoben: | |||
Das Gutachten ist in nicht unerheblichen Teilen durch Bezugnahmen, | |||
z.B. auf Seitenzahlen oder Abschnitte oder durch Zusammenfassungen (z.B. | |||
"einige Realitätskriterien") wiedergegeben. Dies war im Rahmen des Beweisantrags gegenüber dem Landgericht unbedenklich, da diesem das Gutachten | |||
bekannt war und vorlag. Das Revisionsgericht prüft dagegen die Schlüssigkeit | |||
von Verfahrensrügen nur anhand des Revisionsvorbringens. Angesichts der | |||
dargelegten Art der Schilderung vermittelt die Revisionsbegründung nicht die | |||
umfassende Kenntnis des Gutachtens, die erforderlich wäre, um in eine Prüfung darüber einzutreten, ob das Gutachten von Prof. Köhnken, dessen generelle "Sachkunde und ... wissenschaftliche Reputation" die Strafkammer zutreffend ("einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Glaubwürdigkeitsbegutachtung") bewertet und belegt hat, Methodenfehler enthalten | |||
könnte. Der Senat bemerkt jedoch, daß auch im übrigen das Revisionsvorbringen die Möglichkeit methodischer Mängel nicht naheliegend erscheinen läßt. | |||
-8- | |||
Insoweit verweist er auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts im Anschreiben vom 12. Mai 2003. | |||
4. Das Vorbringen der Revision zur Begründung der Sachrüge richtet | |||
sich gegen die Beweiswürdigung. | |||
a) Kann der Tatrichter nicht die erforderliche Gewißheit gewinnen und | |||
spricht den Angeklagten daher frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt | |||
nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Urteil vom | |||
26. Juni 2003 - 1 StR 269/02; vgl. auch zusammenfassend Schoreit in KK | |||
5. Aufl. § 261 Rdn. 5 m.N.). Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn | |||
eine vom Tatrichter getroffene Feststellung "lebensfremd erscheinen" mag | |||
(BGH NStZ 1984, 180). Es gibt nämlich im Strafprozeß keinen Beweis des | |||
ersten Anscheins, der nicht auf Gewißheit, sondern auf der Wahrscheinlichkeit | |||
eines Geschehensablaufs beruht (vgl. BGH aaO, Eisenberg, Beweisrecht der | |||
StPO, 4. Aufl. Rdn. 104 m.N.). | |||
Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, | |||
wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, | |||
widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr., vgl. BGH aaO; NJW | |||
2002, 2188, 2189 jew.m.N.). Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den | |||
Feststellungen naheliegende Schlußfolgerung nicht gezogen ist, ohne daß | |||
konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können (vgl. | |||
BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 StR 269/02; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, | |||
StPO 25. Aufl. § 261 Rdn. 47). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz | |||
-9- | |||
noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, | |||
für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (BGH aaO | |||
m.N.). | |||
b) Soweit sich die Revision mit Einzelausführungen gegen die Beweiswürdigung wendet, stützt sie sich in weiten Teilen auf urteilsfremde Tatsachen. | |||
So wird etwa die Aussage des Zeugen D. | |||
eingehend dargelegt und | |||
ein Rechtsfehler darin gesehen, daß das Urteil nicht "überprüft" werden könne, | |||
weil die Urteilsfeststellungen zu den Aussagen dieses Zeugen nicht deckungsgleich mit der genannten Schilderung seien. Ähnlich heißt es in anderem Zusammenhang, die Strafkammer habe bestimmte "in den Urteilsgründen nicht | |||
wiedergegebene Angaben" eines Zeugen nicht in ihre Erwägungen einbezogen. | |||
Bei alledem ist verkannt, daß das Revisionsgericht weder den Gang und | |||
das Ergebnis der Beweisaufnahme rekonstruiert, noch den Akteninhalt mit den | |||
Urteilsgründen abgleicht (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Wahl in NJW Sonderheft für G. Schäfer 2002, 73 m.N.). | |||
c) Auch im übrigen ist ein Rechtsfehler in der Beweiswürdigung weder | |||
von der Revision aufgezeigt noch sonst ersichtlich. Die zentralen Erwägungen | |||
der Strafkammer, die Art der Einbestellung Ak. s könne gegen eine geplante | |||
Tötung sprechen und die Möglichkeit einer Eskalation ergebe sich aus den zur | |||
Persönlichkeit Ak. s angefallenen Erkenntnissen, knüpfen an konkrete Anhaltspunkte an und überschreiten auch sonst die aufgezeigten Grenzen tatrichterlicher Beweiswürdigung nicht, selbst wenn eine geplante Tat wahrscheinlicher erscheinen mag, als die "Exzesshypothese". Das Revisionsvorbringen - soweit es nicht, wie dargelegt, an urteilsfremde Feststellungen anknüpft - beschränkt sich trotz seiner Ausführlichkeit letztlich insgesamt darauf, | |||
- 10 - | |||
aufzuzeigen, daß auch eine solche Beweiswürdigung möglich wäre. An Formulierungen, wonach etwa bestimmte Überlegungen "nicht überzeugen", weil anderen Gesichtspunkten nicht das "angemessene Gewicht" eingeräumt sei, wird | |||
deutlich, daß die Revision ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle der Beweiswürdigung des Tatrichters setzen will, ohne dabei jedoch Rechtsfehler aufzuzeigen. | |||
d) Auch die Ausführungen des Generalbundesanwalts führen letztlich zu | |||
keinem anderen Ergebnis. So setzt er etwa den Erwägungen der Strafkammer, | |||
die Beseitigung der Leiche spreche nicht gegen eine nicht geplante Tötung, da | |||
eine solche Beseitigung auch improvisiert sein könne, die Erwägung entgegen, | |||
das Nachtatverhalten spreche dafür, daß eine Tötung Ak. s "zumindest bedingt eingeplant" gewesen sei. Auch insoweit ist lediglich eine andere Gewichtung der angefallenen Erkenntnisse vorgenommen. Ähnliches gilt für die | |||
Erwägungen, die daran anknüpfen, daß Ak. damit rechnete, daß sein Aufenthalt in dem Lokal nicht von langer Dauer sein werde oder zu den Ausführungen | |||
zu den festgestellten Aussagen eines Zeugen Ü. | |||
gegenüber der Polizei. | |||
Die Urteilsgründe ergeben, daß die Strafkammer aus den Aussagen dieses Zeugen keine für den Angeklagten nachteiligen Schlüsse zieht: Ü. , der | |||
sich im Ermittlungsverfahren "von Vernehmung zu Vernehmung genauer und | |||
besser erinnert habe", sei "intellektuell und psychisch" überfordert gewesen; | |||
seine Aussagen seien widersprüchlich, wobei der Zeuge P. | |||
, ein Verneh- | |||
mungsbeamter, "offen und ehrlich eingeräumt habe, daß er eben den Zeugen | |||
habe reden lassen" ohne den Widersprüchen in der Aussage nachzugehen. | |||
Mit Erwägungen, wonach etwa die Aussagen Ü. s auch anders erklärbar seien und "keine essentiellen, unauflösbaren ... Widersprüche" aufwiesen, | |||
- 11 - | |||
wird zwar die Möglichkeit einer anderen Beweiswürdigung, nicht aber ein | |||
Rechtsfehler im dargelegten Sinne aufgezeigt. | |||
Angesichts der umfangreichen, wenn auch letztlich vergeblichen, wie sie | |||
es ausdrückt, "Anstrengungen" der Strafkammer, ihre Zweifel zu überwinden, in | |||
deren Rahmen sie eingehend auf die von ihr vorgenommene Gesamtwürdigung | |||
aller Indizien verweist, kann der Senat schließlich auch nicht die Sorge teilen, | |||
die Strafkammer könnte gegen den Angeklagten sprechende Indizien aus dem | |||
Blick verloren oder nur isoliert gewürdigt haben. | |||
Nack | |||
Wahl | |||
Kolz | |||
Schluckebier | |||
Elf | |||
@ -0,0 +1,60 @@ | |||
BUNDESGERICHTSHOF | |||
BESCHLUSS | |||
1 StR 111/03 | |||
vom | |||
12. August 2003 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
wegen Mordes | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. August 2003 beschlossen: | |||
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die | |||
dem Angeklagten durch Urteil des Landgerichts Waldshut | |||
- Tiengen vom 17. Mai 2002 zuerkannte Entschädigung für | |||
Strafverfolgungsmaßnahmen wird verworfen. Die Kosten des | |||
Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. | |||
Gründe: | |||
1. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes freigesprochen und ihm Entschädigung für im einzelnen aufgeführte Strafverfolgungsmaßnahmen, insbesondere Untersuchungshaft, zuerkannt (§ 8 Abs. 1 | |||
Satz 1 StrEG). Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil Revision und gegen die Entschädigungsentscheidung sofortige Beschwerde eingelegt. Hinsichtlich der sofortigen Beschwerde heißt es im Rahmen der Revisionsbegründung lediglich, insoweit solle das Revisionsurteil abgewartet werden. | |||
2. Der Senat hat die Revision der Staatsanwaltschaft durch Urteil von | |||
heute als unbegründet verworfen. Er ist zugleich zur Entscheidung über die | |||
sofortige Beschwerde berufen (§ 8 Abs. 3 Satz 3 StrEG in Verbindung mit | |||
§ 464 Abs. 3 Satz 3 StPO). Der Ausspruch über die Entschädigung und damit | |||
die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde wäre gegenstandslos, wenn der | |||
Senat das Urteil des Landgerichts aufgehoben hätte (vgl. Franke in KK 5. Aufl. | |||
§ 464 Rdn. 14 m.N.). Da Gründe, die auf der Basis des Urteils des Landge- | |||
-3- | |||
richts den Bestand der Entschädigungsentscheidung in Frage stellen könnten | |||
(vgl. z.B. § 6 StrEG), weder von der Staatsanwaltschaft vorgetragen noch sonst | |||
ersichtlich sind, bleibt das Rechtsmittel erfolglos. | |||
3. Der Senat weist auf folgendes hin: | |||
Durch das Urteil vom 17. Mai 2002 wurde auch der damalige Mitangeklagte M | |||
G. | |||
freigesprochen, ihm wurde ebenfalls Entschädigung | |||
zuerkannt. Auch insoweit hatte die Staatsanwaltschaft Revision und sofortige | |||
Beschwerde eingelegt. Die Revision hat sie (noch gegenüber dem Landgericht) | |||
zurückgenommen, die sofortige Beschwerde nicht. Zur Entscheidung über dieses Rechtsmittel ist das Oberlandesgericht Karlsruhe berufen (vgl. Franke aaO | |||
Rdn. 13 m.N.). | |||
Nack | |||
Wahl | |||
Kolz | |||
Schluckebier | |||
Elf | |||
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BUNDESGERICHTSHOF | |||
BESCHLUSS | |||
1 StR 112/01 | |||
vom | |||
24. April 2001 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
wegen versuchten Totschlags u.a. | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. April 2001 gemäß § 349 | |||
Abs. 1 StPO beschlossen: | |||
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts | |||
Stuttgart vom 19. Dezember 2000 wird als unzulässig verworfen. | |||
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. | |||
Gründe: | |||
Die Revision ist unzulässig, weil Rechtsanwalt M. | |||
als Verteidiger des | |||
Angeklagten sowie der Angeklagte selbst ausweislich des beweiskräftigen | |||
Protokolls der Hauptverhandlung (§ 274 StPO) nach Verkündung des Urteils | |||
auf Rechtsmittel verzichtet haben. | |||
Umstände, die Zweifel an der Wirksamkeit dieses Verzichts begründen | |||
könnten, sind nicht ersichtlich. Das Unterbleiben einer Rechtsmittelbelehrung | |||
ist insoweit ohne Belang (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 302 | |||
Rdn. 23 m.w.Nachw.). Überdies liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der | |||
Angeklagte bei Abgabe seiner Verzichtserklärung etwa verhandlungsunfähig | |||
und damit nicht in der Lage gewesen wäre, die Bedeutung seiner Erklärung zu | |||
erkennen. Diese Fähigkeit wird in der Regel nur durch schwere körperliche | |||
oder seelische Mängel ausgeschlossen; auf die Geschäftsfähigkeit im Sinne | |||
des bürgerlichen Rechts kommt es nicht an (BGH NStZ 1983, 280; BGH bei | |||
Kusch NStZ 1997, 378; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht | |||
3, 16). Ob Verhandlungsunfähigkeit in diesem Sinne vorlag, ist im Wege des | |||
-3- | |||
Freibeweises zu prüfen; der Grundsatz "in dubio pro reo" gilt hier nicht (BGH | |||
aaO). | |||
Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich kein Hinweis darauf, daß Bedenken gegen die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten bestanden haben. Er hat aktiv an der Verhandlung teilgenommen. Aus der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden der Strafkammer, der sich die beiden berufsrichterlichen Beisitzer angeschlossen haben, ergibt sich, daß der Angeklagte | |||
am letzten Hauptverhandlungstag vor der Urteilsverkündung in fließender | |||
Sprechweise etwa 15- bis 20minütige Ausführungen zu seiner Verteidigung | |||
gemacht hat. Dabei haben sich Anzeichen körperlicher oder psychischer Beschwerden, namentlich von Erschöpfung oder Desorientierung, nicht gezeigt. | |||
Wenn das Landgericht danach keinen Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit | |||
des Angeklagten hatte und solche auch von der Verteidigung nicht geltend | |||
gemacht worden sind, so kann diese grundsätzlich auch vom Revisionsgericht | |||
ohne Bedenken bejaht werden (vgl. BGH NStZ 1984, 181; BGHR StPO § 302 | |||
Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16). | |||
Der erklärte Rechtsmittelverzicht ist weder widerruflich noch anfechtbar | |||
(Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO Rdn. 21 m.w.Nachw.). Die trotz wirksamen | |||
Verzichts eingelegte Revision ist unzulässig und muß verworfen werden. | |||
-4- | |||
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. | |||
Schäfer | |||
Nack | |||
Schluckebier | |||
Boetticher | |||
Schaal | |||
@ -0,0 +1,69 @@ | |||
BUNDESGERICHTSHOF | |||
BESCHLUSS | |||
1 StR 112/11 | |||
vom | |||
14. April 2011 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
wegen Steuerhinterziehung u.a. | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. April 2011 beschlossen: | |||
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts | |||
Essen vom 26. November 2010 wird als unbegründet verworfen, | |||
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben | |||
hat (§ 349 Abs. 2 StPO). | |||
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. | |||
Ergänzend bemerkt der Senat: | |||
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung (§ 370 | |||
Abs. 1 Nr. 2 AO) bzw. versuchter Steuerhinterziehung - er hatte in den Jahren | |||
2002 bis 2007 weder Umsatzsteuer- noch Einkommensteuererklärungen abgegeben - wird in allen elf zur Aburteilung gelangten Fällen von den rechtfehlerfrei | |||
getroffenen Feststellungen des Landgerichts getragen. | |||
a) Die vom Angeklagten im Zusammenhang mit der Veräußerung des in | |||
seinem Eigentum stehenden Grundstücks erbrachten und in Rechnung gestellten Architektenleistungen (Vorplanung, Erschließungsplanung, Beantragen der | |||
Baugenehmigung u. dgl.; die Errichtung eines Gebäudes schuldete der Angeklagte nicht) sind als eigenständige, nicht gemäß § 4 Nr. 9a UStG von der Umsatzsteuer befreite Leistungen zu qualifizieren, selbst wenn sie beim Leistungsempfänger in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einbezogen | |||
worden sein sollten (vgl. BFH, Urteil vom 19. März 2009 - V R 50/07, BStBl II | |||
-3- | |||
2010, 78; BFH, Urteil vom 24. Januar 2008 - V R 42/05, BStBl II 2008, 697; | |||
BFH, Urteil vom 18. Juli 2001 - V B 30/01 - BFH/NV 2001, 1617; BFH, Urteil | |||
vom 20. Juni 1994 - V B 12/94, BFH/NV 1995, 456; BFH, Urteil vom 15. Oktober 1992 - V R 17/89, BFH/NV 1994, 198; BFH, Urteil vom 10. September 1992 | |||
- V R 99/88, BStBl II 1993, 316). | |||
b) Der Einwand der Revision, der Angeklagte hätte im Falle pflichtgemäßer Abgabe einer Einkommensteuererklärung die von ihm gemeinsam mit | |||
seiner Ehefrau gewählte getrennte Veranlagung widerrufen können, mit der Folge, dass der ihm strafrechtlich zur Last liegende Steuerhinterziehungserfolg | |||
geringer ist, als die Strafkammer ausgehend von getrennter Veranlagung errechnet hat, greift nicht. Denn es wäre rechtsfehlerhaft, im Falle einer durch | |||
Unterlassen begangenen Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) hypothetisches Verhalten eines Dritten (hier die notwendige Mitwirkung der Ehefrau des | |||
Angeklagten an einer Änderung der Veranlagungswahl) für die Bestimmung des | |||
durch das Unterlassen bewirkten Taterfolges zu berücksichtigen. | |||
Zwar gesteht § 26 EStG jedem Ehegatten seine eigene Wahl der Veranlagungsart zu. Ehegatten können aber nur einheitlich - entweder zusammen | |||
oder getrennt - veranlagt werden (vgl. BFH, Urteil vom 21. September 2006 | |||
- VI R 80/04, BStBl II 2007, 11), so dass der Angeklagte, wollte er die bereits | |||
getroffene Wahl seiner Ehefrau anfechten, deren Mitwirkung bedurft hätte (vgl. | |||
R 26 Abs. 3 S. 2 EStR). Ein Fall, in dem die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Verweigerung des anderen Ehegatten zur Zusammenveranlagung | |||
als unbeachtlich angenommen hat (vgl. BFH, Urteil vom 3. Februar 1987 - IX R | |||
255/84, BFH/NV 1987, 751), liegt nicht vor. | |||
-4- | |||
c) Hinsichtlich der im Eigentum der Ehefrau des Angeklagten stehenden | |||
Grundstücke, die für diese zu Verlusten aus Vermietung und Verpachtung führten, bestehen entgegen dem Revisionsvorbringen keine Anhaltspunkte für das | |||
Vorliegen der Voraussetzungen eines Treuhandverhältnisses i.S.d. § 39 Abs. 2 | |||
AO (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 11. November 2004 - 5 StR 299/03, | |||
NJW 2005, 300), so dass es weiterer Erörterungen, ob ein derartiges Treuhandverhältnis hier missbräuchlich i.S.d. § 42 AO wäre, nicht bedarf. | |||
2. Soweit das Landgericht im Fall 6 der Urteilsgründe (Einkommensteuerhinterziehung für den Veranlagungszeitraum 2002) die geschuldete Einkommensteuer anhand des Überschusses der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 3 EStG) bestimmt und dabei jeweils die um eine angenommene Umsatzsteuer verminderten Nettobeträge zugrunde gelegt hat, | |||
beschwert dies den Angeklagten nicht. Nach dem für die Gewinnermittlung insoweit maßgeblichen Zu- und Abflussprinzip (§ 11 EStG) sind jeweils die Bruttobeträge anzusetzen. Als Betriebsausgabe kann nicht schon eine geschuldete, | |||
sondern nur die im betreffenden Veranlagungszeitraum tatsächlich gezahlte | |||
Umsatzsteuer berücksichtigt werden. | |||
Nack | |||
Hebenstreit | |||
Jäger | |||
Graf | |||
Sander | |||
@ -0,0 +1,53 @@ | |||
BUNDESGERICHTSHOF | |||
BESCHLUSS | |||
1 StR 112/13 | |||
vom | |||
10. April 2013 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
wegen versuchten Mordes u.a. | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. April 2013 beschlossen: | |||
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts | |||
Ravensburg vom 26. Oktober 2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). | |||
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die | |||
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. | |||
Ergänzend bemerkt der Senat: | |||
Die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen tragen unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs des Urteils für den konkreten Einzelfall | |||
auch die Verurteilung wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung gemäß | |||
§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Für die Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung kommt es darauf an, dass die Körperverletzungshandlung unter den konkreten Umständen generell geeignet ist, den Tod des Opfers | |||
herbeizuführen (BGH, Urteile vom 4. September 1996 - 2 StR 320/96, BGHR | |||
StGB § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 8 und vom 13. Januar 2006 - 2 StR | |||
463/05; siehe auch Hardtung, in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., | |||
§ 224 Rn. 38). Besteht die Tathandlung im Würgen des Tatopfers oder in anderen Formen der Einwirkung auf dessen Fähigkeit zu atmen, kommt es für das | |||
Vorliegen des Qualifikationsmerkmals auf die Dauer und Stärke der Einwirkung | |||
an (etwa BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 - 2 StR 73/02, StV 2002, 649, 650). | |||
-3- | |||
Nach den Feststellungen des Landgerichts und seinen Ausführungen in | |||
der Beweiswürdigung hat sich der über 100 kg schwere Angeklagte rittlings im | |||
Rippen- und Bauchbereich seiner Frau, der Nebenklägerin, auf diese gesetzt | |||
und ihr zugleich seine linke Hand so auf Mund und Nase gepresst, dass diese | |||
keine Luft mehr bekam. Aus den vom Tatgericht mitgeteilten und von ihm dem | |||
Urteil zugrunde gelegten Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen ergibt sich, dass durch das beschriebene Aufsitzen des Angeklagten die | |||
Rippen seiner Ehefrau nach oben geschoben wurden sowie aufgrund der | |||
dadurch bewirkten Kompression des Brustkorbs zusätzlich zu dem Verschließen von Mund und Nase eine gefährliche Einschränkung der Atmung herbeigeführt wurde. Das Zusammenwirken beider Einwirkungen des Angeklagten (zum | |||
Zusammenwirken von Würgen und gleichzeitigem Drehen des Kopfes zum Boden, das zu einer weiteren Beeinträchtigung der Atemluftzufuhr führt vgl. BGH, | |||
Urteil vom 31. Mai 2002 - 2 StR 73/02, StV 2002, 649, 650) erweist sich daher | |||
unter den besonderen Umständen des Einzelfalls als eine das Leben gefährdende Behandlung. Der bereits eingetretenen Vollendung des Qualifikationsmerkmals stand das im Ergebnis erfolgreiche Eingreifen des Sohnes der Nebenklägerin zu ihren Gunsten nicht entgegen. | |||
Rothfuß | |||
Jäger | |||
Radtke | |||
Cirener | |||
Zeng | |||
@ -0,0 +1,137 @@ | |||
BUNDESGERICHTSHOF | |||
BESCHLUSS | |||
1 StR 113/17 | |||
vom | |||
20. Juni 2017 | |||
in der Strafsache | |||
gegen | |||
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht | |||
geringer Menge u.a. | |||
ECLI:DE:BGH:2017:200617B1STR113.17.0 | |||
-2- | |||
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts am 20. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 | |||
und 4 StPO beschlossen: | |||
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 24. Oktober 2016 | |||
a) im Tat 2 der Urteilsgründe betreffenden Einzelstrafausspruch, der entfällt, und | |||
b) im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben. | |||
2. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere | |||
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. | |||
3. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegründet verworfen. | |||
Gründe: | |||
1 | |||
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens | |||
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer | |||
Menge unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei | |||
Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat zudem den Verfall von Wertersatz | |||
in Höhe von 6.710 € angeordnet, für den die Angeklagte in Höhe von 1.500 € | |||
mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten als Gesamtschuldnerin haftet. Die | |||
auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat in dem | |||
-3- | |||
aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg und erweist sich im Übrigen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargestellten Erwägungen als unbegründet. | |||
2 | |||
1. Es liegt kein Verfahrenshindernis vor. Zwar enthält der Eröffnungsbeschluss vom 8. August 2016 ein unzutreffendes Datum, soweit darin die "Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 3. Juni 2016 (Aktenzeichen: 610 | |||
Js | |||
) zur Hauptverhandlung zugelassen" wird. Dies führt aber nicht zur | |||
Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. hierzu BGH, Urteile vom | |||
3. Oktober 1979 – 3 StR 327/79 und vom 15. November 1983 – 5 StR 657/83, | |||
NStZ 1984, 133). | |||
3 | |||
Die Anklageschrift gegen die Angeklagte und den nicht revidierenden | |||
Mitangeklagten datiert auf den 28. Juni 2016 (Aktenzeichen: 610 Js | |||
). | |||
Wenige Seiten vor dieser ist die Abschrift einer Anklage gegen einen anderen | |||
Beschuldigten abgeheftet, die das Datum 3. Juni 2016 trägt. Dem Eröffnungsbeschluss lässt sich aber durch die Angabe allein des die Angeklagte und den | |||
Mitangeklagten betreffenden Rubrums und die zweifache Angabe des Aktenzeichens der Anklage vom 28. Juni 2016 die eindeutige Willenserklärung des | |||
Gerichts entnehmen (vgl. BGH, Urteil vom 6. August 1974 – 1 StR 226/74; | |||
MünchKommStPO/Wenske, 1. Aufl., § 207 Rn. 79), dass es die die beiden Angeklagten betreffende Anklage mit dem Aktenzeichen 610 Js | |||