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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 126/07
vom
25. Mai 2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Mai 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 2. November 2006 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Konstanz zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
2
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft zum Nachteil des Angeklagten Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Sie erstrebt eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung. Das vom Generalbundesanwalt vertretene
Rechtsmittel hat Erfolg.
II.
-4-
3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Am Tattag war der Angeklagte, ein syrischer Staatsangehöriger, 20 Jahre und fünf Monate alt. Am Abend des 16. August 2005 feierte er in einer Gaststätte in Villingen-Schwenningen u.a. mit dem Zeugen M.
einen Geburtstag.
Gegen 20.00 Uhr zog er an einem Joint. Er trank Whiskey, Wodka und Rotwein.
Nach Mitternacht ließ er sich und den Zeugen M.
von dem Zeugen E.
zu einer Tankstelle chauffieren. Alle drei verließen das Fahrzeug und holten
sich am Nachtschalter etwas zu essen und alkoholfreie Getränke. Danach
standen sie am Rande der Anlage und unterhielten sich. Kurz vor 1.54 Uhr kam
der damals 24-jährige B.
H.
- der Nebenkläger - auf sie zu. Er hatte
zuvor in einer anderen Gruppe in derselben Gaststätte gezecht. Er schrie den
Angeklagten, der ihm bis dahin unbekannt war, ohne jeden Anlass mit Ausdrücken wie "Arsch, kleiner Pisser, Stinker, Fixer" an und schubste ihn mehrfach
weg. Obwohl der Angeklagte die beträchtliche Alkoholisierung des Nebenklägers erkannte - dieser hatte eine Blutalkoholkonzentration von etwas mehr als
2,53 Promille - stieß er gegen den Angreifer und gewann die Oberhand. Er
schlug ihm so heftig mit der Faust ins Gesicht, dass dieser zu Boden ging und
mit dem Hinterkopf auf einen Randstein aufschlug. Der Angeklagte trat dann
mehrfach mit den Füßen, an denen er festes Schuhwerk trug, auf den Kopf, in
das Gesicht und in die Bauchgegend des am Boden Liegenden ein. Seinen beiden Begleitern gelang es schließlich, den Angeklagten vom Opfer wegzuziehen.
Momente später stand der Nebenkläger, der nun am Kopf blutete, auf und ging
schwankend auf den Angeklagten zu. Dieser konnte sich aus der Umklammerung seiner Begleiter losreißen. Seine Wut steigerte sich. Er war jetzt entschlossen, seinen Kontrahenten zu töten. Er sprang mit dem Ruf "Ich bring Dich
um" oder "Ich schlag Dich tot" auf ihn zu und streckte ihn mit mindestens einem
Faustschlag ins Gesicht zu Boden. Das Opfer fiel mit dem Hinterkopf mit solcher Wucht auf eine Betonplatte, dass ein Bersten des Schädels zu hören war.
-5-
Es blieb bewusstlos liegen. Der Angeklagte schrie weiter mehrfach herum und
wollte erneut auf den Nebenkläger eintreten, was seine beiden Begleiter unter
großer Kraftanstrengung verhindern konnten.
5
Als der Angeklagte nach der Tat darauf hingewiesen wurde, dass die
Tankstelle über eine Videoüberwachungsanlage verfüge, flüchtete er in die nähere Umgebung, bevor er festgenommen werden konnte. Die Auswertung der
Videoüberwachung war allerdings unergiebig.
6
Das Opfer erlitt u.a. ein Schädelhirntrauma, eine Schädelfraktur mit
Schädelbasisfraktur und eine Hörminderung beiderseits. Es befand sich in Lebensgefahr und konnte nur durch eine äußerst zeitnahe Notoperation gerettet
werden. Sein Hörvermögen ist dauerhaft rechts um 60 % und links um 80 %
vermindert.
7
Die dem Angeklagten entnommene Blutprobe ergab bei Rückrechnung
auf die Tatzeit eine maximale Blutalkoholkonzentration von 1,74 Promille. Sie
wies außerdem ein positives Ergebnis hinsichtlich von Cannabinoiden auf.
8
2. Auf Grund dieser Feststellungen bejaht die Jugendkammer für den
ersten Angriff einen Körperverletzungsvorsatz, der auch die Qualifikationsmerkmale des gefährlichen Werkzeugs (festes Schuhwerk) und der lebensgefährdenden Behandlung umfasst (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB). Sie nimmt sachverständig beraten - an, zu Beginn der Auseinandersetzung sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf Grund eines Zusammenwirkens verschiedener Alkoholika und des Konsums von Cannabis erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB). Ab dem Zeitpunkt, in dem der Nebenkläger nach dem Niederschlag wieder aufstand - beim zweiten Angriff -, geht sie zwar vom Tötungsvorsatz des Angeklagten aus, gelangt aber zu der Überzeugung, dass nunmehr
seine Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar völlig aufgehoben war (§ 20
-6-
StGB). Die Überzeugung begründet sie damit, der Angeklagte habe sich in diesen Zustand gesteigert auf Grund der durch die tätliche Auseinandersetzung
eingetretenen Erregung und auf Grund der durch die Beleidigungen angestachelten Wut.
9
Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen, aber teilweise Erinnerungslücken geltend gemacht, was die Kammer ihm
abnimmt. Sie ist davon überzeugt, das Motiv seines Handelns war Wut.
III.
10
1. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
11
Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie ist etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der
Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Dies ist
auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen nahe liegende Schlussfolgerung nicht gezogen ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die
dieses Ergebnis stützen können. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz
noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen,
für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr.,
BGH NStZ-RR 2003, 371; BGH NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.).
-7-
12
Die Kammer hätte einen Tötungsvorsatz des Angeklagten schon zu Beginn der tätlichen Auseinandersetzung in ihre Erwägungen einbeziehen müssen. Insoweit ist die Beweiswürdigung lückenhaft.
13
Äußerst gefährliche Gewalthandlungen legen trotz der hohen Hemmschwelle hinsichtlich der Tötung eines Menschen die Annahme von zumindest
bedingtem Tötungsvorsatz nahe (st. Rspr., BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz
bedingter 3, 33, 38 jeweils m.w.N.). Der Täter handelt bereits dann mit bedingtem Vorsatz, wenn er den Erfolgseintritt als nur möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt und einen solchen
Erfolg billigend in Kauf nimmt. Das gefährliche Handeln des Angeklagten, nachdem er seinen Gegner erstmals zu Boden gestreckt hatte, nämlich das mehrfache Eintreten mit festem Schuhwerk auf den Kopf, in das Gesicht und in die
Bauchgegend des wehrlosen Opfers, ist hier ein gewichtiges Beweisanzeichen
für einen bedingten Tötungsvorsatz. Auch der Tatsache, dass er nicht freiwillig
von seinem Opfer abließ, sondern schon im ersten Teilakt durch seine Begleiter
weggezogen werden musste, kann ein hoher Indizwert für die innere Einstellung des Angeklagten gegenüber der Tötung seines Opfers zukommen. Das
gewollte weitere Tun legt es nahe, dass ihm die Folgen seiner Tat - der mögliche Tod des Opfers - zumindest gleichgültig waren. Dies würde für die Annahme von bedingtem Vorsatz genügen (BGHSt 40, 304, 306; BGH, Urt. vom
30. August 2006 - 2 StR 198/06) und war deshalb erörterungsbedürftig.
14
Wenn die Kammer für den ersten Teilakt eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung bejaht, so geht sie davon aus, dass die Tat in der Vorstellung des Angeklagten auf eine Lebensgefährdung "angelegt" war (BGHSt 36, 262, 265). Demnach erkannte der Angeklagte trotz seiner Wut und seiner sonstigen psychischen Verfassung - Einfluss
von Alkohol und Cannabis - die Lebensgefährlichkeit seiner Tritte. Tragfähige
-8-
Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte dennoch darauf vertrauen konnte,
der Nebenkläger werde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt.
15
2. Schon die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit
ist nicht frei von Rechtsfehlern.
16
Die Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der erfolgte Konsum von Cannabis die Wirkungen des getrunkenen Alkohols so erheblich zu
einer explosiven Mischung verstärkt hat, dass zu Beginn der Begehung der
Straftat der gefährlichen Körperverletzung das Steuerungsvermögen des Angeklagten erheblich vermindert gewesen sei. Dem hat sich die Kammer angeschlossen (UA S. 9). Die Ausführungen lassen besorgen, dass dem Tatrichter
nicht bewusst war, dass es sich bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit "erheblich" im Sinne von § 21 StGB ist, um eine Rechtsfrage
handelt, die der Tatrichter - ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen - in eigener Verantwortung zu entscheiden hat (st. Rspr., BGHSt 43, 66, 77
m.w.N.). Dabei fließen normative Überlegungen ein. Dies lässt das Urteil nicht
erkennen.
17
3. Eine nicht ausschließbare Schuldunfähigkeit des Angeklagten ab dem
Zeitpunkt, in dem der Nebenkläger wieder aufstand, ist nicht tragfähig begründet. Die Ausführungen hierzu sind widersprüchlich und unklar. Die Annahme
der Steigerung von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit in einen
Zustand des völligen Ausschlusses ist nicht nachvollziehbar.
18
Nach dem festgestellten objektiven Tatgeschehen erfolgten die Beleidigungen durch das Opfer vor dem ersten Faustschlag des Angeklagten (UA
S. 4). Nach der Überzeugung der Kammer geriet er dadurch in Wut, sodass die
Wut das Motiv seines gesamten Handelns war (UA S. 10, 11). Weitere Beleidi-
-9-
gungen hat das Landgericht nicht festgestellt. Somit können Beleidigungen seine Wut oder Erregung nicht weiter gesteigert haben (UA S. 9). Das gilt auch für
den Verlauf der tätlichen Auseinandersetzung, den die Kammer hier widersprüchlich zu den getroffenen Feststellungen heranzieht. Der Angeklagte hat
sich entgegen UA S. 9 nach den Fußtritten nicht freiwillig vom Opfer zurückgezogen, sondern wurde durch seine Begleiter zurückgezogen (UA S. 4). Das
Verhalten des Angeklagten legt eher einen anhaltenden Willen nahe, den Nebenkläger endgültig auszuschalten.
4. Danach war das Urteil auf die Sachrüge der Staatsanwaltschaft wegen
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der den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler aufzuheben. Nach den bisherigen Feststellungen liegt es nicht fern, dass es sich um ein einheitliches Tatgeschehen mit durchgängigem Tötungsvorsatz handelt. Die Annahme einer
erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit drängt sich jedenfalls unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht auf.
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten sind nicht erkennbar gewor-
20
den (§ 301 StPO).
Nack
Wahl
Hebenstreit
Boetticher
Elf