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5.5 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 50/12
  4. vom
  5. 27. September 2012
  6. in der Abschiebungshaftsache
  7. -2-
  8. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. September 2012 durch
  9. die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Roth, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele
  10. beschlossen:
  11. Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3 wird festgestellt,
  12. dass
  13. der
  14. Beschluss
  15. des
  16. Amtsgerichts
  17. Bielefeld
  18. vom
  19. 13. Februar 2012 und der Beschluss der 23. Zivilkammer des
  20. Landgerichts Bielefeld vom 27. Februar 2012 den Betroffenen in
  21. seinen Rechten verletzt haben.
  22. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
  23. zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
  24. des Betroffenen und des Beteiligten zu 3 werden der Stadt Solingen auferlegt.
  25. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  26. 3.000 €.
  27. Gründe:
  28. I.
  29. 1
  30. Der Betroffene, ein tadschikischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2008
  31. nach Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde mit seit Februar 2010 bestandskräftigem Bescheid des zuständigen Bundesamts zurückgewiesen. Aufgrund
  32. dieser Entscheidung ist er vollziehbar ausreisepflichtig, kam dem aber nicht
  33. nach. Im Februar 2012 wurde er von der Polizei aufgegriffen. Am
  34. -3-
  35. 13. Februar 2012 hat das Amtsgericht Haft zur Sicherung der Abschiebung für
  36. die Dauer von vier Wochen angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde
  37. hat das Landgericht zurückgewiesen. Am 29. Februar 2012 ist der Betroffene
  38. abgeschoben worden.
  39. 2
  40. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der Beteiligte zu 3 festgestellt wissen,
  41. dass der Betroffene durch die Haftanordnung und ihre Aufrechterhaltung in seinen Rechten verletzt worden ist.
  42. II.
  43. 3
  44. Das Beschwerdegericht bejaht die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1
  45. Nr. 2 und Nr. 5 AufenthG. Der Betroffene habe seinen Aufenthaltsort gewechselt, ohne der Ausländerbehörde seine neue Anschrift anzugeben. Zudem sei
  46. er 2008 untergetaucht, um nicht ausreisen zu müssen.
  47. III.
  48. 4
  49. 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2
  50. FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). Der Beteiligte zu
  51. 3 ist beschwerdeberechtigt, weil er als von dem Betroffenen benannte Vertrauensperson bereits im ersten Rechtszug an dem Verfahren beteiligt worden ist
  52. (§ 429 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG).
  53. 5
  54. 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Betroffene ist durch
  55. die Haftanordnung und ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht in
  56. seinen Rechten verletzt worden.
  57. 6
  58. a) Das Amtsgericht hätte die Haft nicht anordnen dürfen, weil es dem
  59. Betroffenen den Haftantrag der Beteiligten zu 2 zu Beginn der mündlichen An-
  60. -4-
  61. hörung lediglich "bekannt gegeben" hat. Das Protokoll der mündlichen Anhörung lässt nicht erkennen, dass ihm der Haftbefehl auch ausgehändigt wurde.
  62. 7
  63. aa) Der Haftantrag kann dem Betroffenen zwar erst zu Beginn der richterlichen Anhörung eröffnet werden, wenn er einen einfachen, überschaubaren
  64. Sachverhalt betrifft, zu dem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer
  65. etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist (Senat, Beschluss
  66. vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 330 Rn. 16 mwN). Das bedeutet aber nicht, dass sich der Haftrichter in einem solchen Fall darauf beschränken dürfte, den Inhalt des Haftantrags mündlich bekannt zu geben.
  67. Vielmehr muss dem Betroffenen in jedem Fall eine Kopie ausgehändigt werden; dies muss in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle
  68. schriftlich dokumentiert werden. Er muss im weiteren Verlauf der Anhörung in
  69. ein Exemplar des Haftantrags einsehen und dieses gegebenenfalls später einem Rechtsanwalt vorlegen können (Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012
  70. - V ZB 284/11, Rn. 9, juris). Die Bekanntgabe durch Aushändigung des Haftantrags ist Voraussetzung für die ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs.
  71. Anderenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene nicht in
  72. der Lage war, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde (vgl. § 417
  73. Abs. 2 FamFG) zu äußern (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11,
  74. FGPrax 2011, 257 Rn. 8).
  75. 8
  76. bb) Da die Haftanordnung bereits mangels Aushändigung des Haftantrags rechtswidrig ist, kann dahingestellt bleiben, ob deren Rechtswidrigkeit
  77. auch daraus folgt, dass die Begründung des Amtsrichters nicht erkennen lässt,
  78. ob er die Angaben der Behörde in dem Haftantrag einer eigenständigen Würdigung unterzogen hat. Zweifel daran bestehen deshalb, weil sich die Begründung der Haftanordnung auf eine wörtliche Übernahme des Haftantrags - sogar
  79. -5-
  80. mit Übernahme der von dem behördlichen Sachbearbeiter verwendeten IchForm - beschränkt.
  81. 9
  82. b) Die Aufrechterhaltung der Haftanordnung durch das Beschwerdegericht hat den Betroffenen ebenfalls in seinen Rechten verletzt. Es durfte von der
  83. auch in einem Beschwerdeverfahren grundsätzlich erforderlichen Anhörung
  84. (vgl. nur Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012 - V ZB 284/11, Rn. 12 mwN, juris)
  85. nicht absehen, da die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen schon mangels Aushändigung des Haftantrags fehlerhaft war (vgl. Senat, Beschluss vom
  86. 14. Juni 2012 - V ZB 48/12, Rn. 14, juris).
  87. IV.
  88. 10
  89. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83
  90. Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
  91. Stresemann
  92. Roth
  93. Weinland
  94. Brückner
  95. Kazele
  96. Vorinstanzen:
  97. AG Bielefeld, Entscheidung vom 13.02.2012 - 9 XIV 5794.B LG Bielefeld, Entscheidung vom 27.02.2012 - 23 T 104/12 -