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447 lines
21 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 190/02
  5. Verkündet am:
  6. 22. Dezember 2005
  7. Preuß
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. ja
  16. BGHR:
  17. ja
  18. AnfG § 3 Abs. 1, § 6 Nr. 2; GmbHG § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1
  19. a) Tilgt die schuldende GmbH mit Mitteln des Gesellschaftsvermögens einen von einem Gesellschafter eigenkapitalersetzend besicherten Kredit und wird sie anschließend vorgefasster Absicht gemäß nach Sitzverlegung ins Ausland sofort still liquidiert, kann eine anfechtbare Rechtshandlung der Schuldnerin darin bestanden haben, dass sie es unterlassen hat, einen Freistellungs-/Erstattungsanspruch nach
  20. den Rechtsprechungsregeln zum Kapitalersatzrecht gegen ihren Gesellschafter geltend zu machen.
  21. b) Werden die Gesellschaftsanteile an einen Erwerber veräußert, der eine faktische
  22. Liquidation durchführen soll, ohne etwa noch offene Forderungen zu realisieren und
  23. Gläubiger zu befriedigen, begründet dies ein erhebliches Beweisanzeichen dafür,
  24. dass die Durchsetzung eines nach den Rechtsprechungsregeln zum Kapitalersatzrecht bestehenden Erstattungsanspruchs bewusst unterlassen wird.
  25. -2c) Wenn eine Gesellschaft ohne ordnungsgemäße Liquidation beseitigt werden soll,
  26. um so alle Verbindlichkeiten zu "erledigen", liegt dem der Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung zu Grunde.
  27. d) Löst die gegen die Rechtsprechungsregeln zum Kapitalersatzrecht verstoßende
  28. Rückzahlung eines gesellschafterbesicherten Drittdarlehens durch die Gesellschaft
  29. eine Erstattungspflicht des Gesellschafters aus, werden die Gesellschaftsgläubiger
  30. dennoch - wenigstens mittelbar - benachteiligt, wenn zugleich der Zugriff auf diesen
  31. Erstattungsanspruch wesentlich erschwert wird, etwa durch Verlegung des Gesellschaftssitzes ins Ausland und stille Liquidation.
  32. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2005 - IX ZR 190/02 - OLG Hamm
  33. LG Essen
  34. -3-
  35. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  36. vom 8. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer und die
  37. Richter Dr. Ganter, Raebel, Kayser und Cierniak
  38. für Recht erkannt:
  39. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 27. Zivilsenats
  40. des Oberlandesgerichts Hamm vom 4. Juli 2002 aufgehoben.
  41. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
  42. über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  43. Von Rechts wegen
  44. Tatbestand:
  45. 1
  46. Der Kläger ist Titelgläubiger der H.
  47. mbH
  48. (im folgenden: Schuldnerin). Die Beklagte zu 1 war Gesellschafterin der
  49. Schuldnerin. Die Beklagte zu 2 ist die Witwe und Erbin des persönlich haftenden Gesellschafters der Beklagten zu 1, B.
  50. , der zugleich alleinver-
  51. tretungsberechtigter Geschäftsführer und Gesellschafter der Schuldnerin war.
  52. 2
  53. Im September 1999 führte die Schuldnerin mit aus einem Auslandsgeschäft eingehenden Zahlungen einen Kontokorrentkredit bei der Nationalbank
  54. zurück, für den die Beklagte zu 1 Grundschulden bestellt und B.
  55. die persönliche Mithaft übernommen hatte. Daraufhin wurden die Grundschulden mit Bewilligung der Nationalbank gelöscht.
  56. -4-
  57. 3
  58. Ende Oktober 1999 veräußerten sämtliche Gesellschafter der Schuldnerin ihre Geschäftsanteile an einen gewissen G.
  59. , damit dieser die
  60. Schuldnerin in Spanien "verschwinden" lasse. Nachdem der Erwerber zum
  61. neuen Geschäftsführer bestellt worden war, verlegte dieser den Sitz der
  62. Schuldnerin nach Spanien und stellte ihren Geschäftsbetrieb ein. Vollstreckungsversuche des Klägers waren vergeblich.
  63. 4
  64. Dieser nimmt nunmehr die Beklagte zu 1 als frühere Gesellschafterin der
  65. Schuldnerin und die Beklagte zu 2 als Erbin von B.
  66. aus dem Ge-
  67. sichtspunkt der Gläubigeranfechtung auf Zahlung von 86.478,14 DM nebst Zinsen in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der
  68. Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Revision.
  69. Entscheidungsgründe:
  70. 5
  71. Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
  72. I.
  73. 6
  74. Das Berufungsgericht hat den Kläger als anfechtungsberechtigt im Sinne
  75. von § 2 AnfG angesehen. Es ist dem Kläger auch darin gefolgt, dass die Beklagten sich auf eine etwaige Versäumung der Anfechtungsfrist des § 6 Nr. 2
  76. AnfG nicht berufen könnten (§ 242 BGB). Indes sei, so das Berufungsgericht,
  77. keiner der in Betracht kommenden Anfechtungstatbestände verwirklicht. Insbe-
  78. -5-
  79. sondere seien die Voraussetzungen des § 6 Nr. 2 AnfG nicht gegeben. Gehe es
  80. - wie im Streitfall - um ein von einem Gesellschafter besichertes Drittdarlehen,
  81. so bestimmten sich die Folgen einer Enthaftung des Gesellschafters durch Darlehensrückzahlung seitens der Gesellschaft ausschließlich nach § 32b GmbHG,
  82. der eine Erstattungspflicht jedoch nur im Insolvenzfall vorsehe. Die Enthaftung
  83. sei auch nicht nach § 3 Abs. 1 AnfG anfechtbar, weil es an einer Rechtshandlung der Schuldnerin fehle. Diese habe keine Möglichkeit gehabt, den von der
  84. Nationalbank kontrollierten Geldfluss aus dem letzten Geschäft der Schuldnerin
  85. zu beeinflussen. § 3 Abs. 2 AnfG scheide aus, weil die Beklagten mit der Löschung der Grundschulden nichts aus dem Vermögen der Schuldnerin erworben hätten. § 4 AnfG sei unanwendbar, weil die Löschung der Grundschulden
  86. nicht unentgeltlich gewesen sei. Die Schuldnerin habe die Beklagten von der
  87. Haftung freizustellen gehabt, und diese hätten der Schuldnerin ihre Aufwendungen nicht erstatten müssen. Auch die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 283c StGB seien
  88. nicht erfüllt.
  89. II.
  90. 7
  91. Diese Begründung hält einer rechtlichen Überprüfung in wesentlichen
  92. Punkten nicht stand.
  93. 8
  94. 1. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten erwirtschaftete die Schuldnerin regelmäßig Verluste, die dadurch ausgeglichen wurden, dass die Beklagte
  95. zu 1 auf die Rückforderung von Darlehen verzichtete. Die Hausbank war nicht
  96. bereit, ihr Kreditengagement zu verlängern. Obwohl die Liquidation der Schuldnerin angezeigt war, lehnte der geschäftsführende Gesellschafter B.
  97. dies ab.
  98. -6-
  99. Im Juni 1999 empfahl ihm sein als Rechtsanwalt tätiger Sohn, der nunmehrige
  100. Streithelfer
  101. der
  102. Beklagten,
  103. die
  104. Geschäftsanteile
  105. an
  106. G.
  107. zu
  108. ver-
  109. äußern, der die Gesellschaft in Spanien "verschwinden" lasse. Mit der Beseitigung der Gesellschaft seien alle Verbindlichkeiten erledigt.
  110. 9
  111. 2. Auf dieser Grundlage in Verbindung mit dem bislang unwiderlegten
  112. Vorbringen des Klägers kann die Anfechtung durchgreifen.
  113. 10
  114. a) Die Anfechtungsberechtigung des Klägers nach § 2 AnfG hat das Berufungsgericht für gegeben erachtet. Dies wird in der Revisionsinstanz nicht
  115. angegriffen und lässt Rechtsfehler auch nicht erkennen.
  116. 11
  117. b) Das Vorgehen der Schuldnerin kann den Tatbestand der vorsätzlichen
  118. Gläubigerbenachteiligung nach § 3 Abs. 1 AnfG erfüllen. Nach dem derzeitigen
  119. Sach- und Streitstand ist nicht auszuschließen, das die Schuldnerin in den letzten zehn Jahren vor der Anfechtung mit dem entsprechenden Vorsatz eine
  120. gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung vorgenommen und der andere Teil
  121. diesen Vorsatz zur Zeit der Schuldnerhandlung gekannt hat.
  122. 12
  123. aa) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann eine Rechtshandlung der Schuldnerin vorliegen. Diese ist allerdings weniger in der Tilgung des
  124. Darlehens der Nationalbank zu sehen, auf welche die Schuldnerin möglicherweise keinen Einfluss nehmen konnte. Die anfechtbare Rechtshandlung der
  125. Schuldnerin kann jedoch darin bestanden haben, dass sie es unterlassen hat,
  126. einen Freistellungs-/Erstattungsanspruch entsprechend §§ 30, 31 GmbHG gegen die Beklagte zu 1 und den früheren Mitgesellschafter B.
  127. geltend zu
  128. machen, der sich aus der Darlehenstilgung und dem dadurch ausgelösten Freiwerden der von den Gesellschaftern gestellten Sicherheiten ergab, falls diese
  129. -7-
  130. diese kapitalersetzenden Charakter hatten. Wenn ein solcher Anspruch bestand, oblag es im Innenverhältnis zur Gesellschaft den Gesellschaftern, den
  131. Grundschuldgläubiger zu befriedigen.
  132. (1) Neben den §§ 32a, 32b GmbHG besteht das aus den §§ 30, 31
  133. 13
  134. GmbHG richterrechtlich entwickelte Kapitalersatzrecht (sogenannte Rechtsprechungsregeln) fort (vgl. BGHZ 90, 370, 376 ff; 106, 7, 11; 109, 55, 67; 123, 289,
  135. 294). Dieses greift auch und gerade dann ein, wenn es - etwa mangels Masse
  136. oder weil das Unternehmen still liquidiert wird - nicht zu einem Insolvenzverfahren
  137. über
  138. der
  139. Vermögen
  140. der
  141. Gesellschaft
  142. kommt
  143. (MünchKomm-InsO/
  144. Stodolkowitz, § 135 Rn. 106; HK-InsO/Kreft, 3. Aufl. § 135 Rn. 6). Erfüllt die
  145. gesellschafterbesicherte Kreditgewährung die Voraussetzungen der entsprechend anzuwendenden §§ 30, 31 GmbHG, so stellt eine Rückführung des Kredits aus Mitteln des zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Gesellschaftsvermögens eine Auszahlung an den besichernden Gesellschafter dar,
  146. die nach § 31 Abs. 1 GmbHG eine Erstattungspflicht auslöst. Der Begriff der
  147. Gesellschaftersicherheit ist weit zu verstehen. Es fallen alle Arten dinglicher und
  148. persönlicher Absicherung darunter (MünchKomm-InsO/Stodolkowitz, § 135
  149. Rn. 82). In einem solchen Fall ist der Gesellschafter der Gesellschaft gegenüber sogar verpflichtet, es gar nicht erst zu der Auszahlung kommen zu lassen.
  150. Er hat die Gesellschaft demgemäß von der Rückzahlungsforderung des Darlehensgebers freizustellen (BGH, Urt. v. 9. Dezember 1991 - II ZR 43/91, WM
  151. 1992, 223, 224).
  152. -8-
  153. 14
  154. (2) Nach dem Vortrag des Klägers hatten die von der Beklagten zu 1 und
  155. dem früheren Mitgesellschafter B.
  156. für das von der Nationalbank gewährte
  157. Darlehen gestellten Sicherheiten verlorenes Stammkapital abgedeckt.
  158. 15
  159. Der Kläger hat behauptet, die Schuldnerin sei bereits zum 31. Dezember
  160. 1996 überschuldet, zumindest jedoch im Spätjahr 1999 kreditunwürdig gewesen. Falls Überschuldung vorliegt, kommt es nicht mehr auf eine Kreditunwürdigkeit an (BGH, Urt. v. 23. Februar 2004 - II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049, 1052).
  161. Diese liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann vor, wenn
  162. die Gesellschaft von dritter Seite den zur Fortführung des Unternehmens benötigten Kredit zu marktüblichen Bedingungen nicht erhält und deshalb liquidiert
  163. werden müsste, wenn nicht der Gesellschafter mit seiner Leistung einspringen
  164. würde (BGHZ 119, 201, 204; BGH, Urt. v. 2. Juni 1997 - II ZR 211/95, WM
  165. 1997, 1770, 1772; v. 17. November 1997 - II ZR 224/96, WM 1998, 243, 244).
  166. Nach dem Vortrag des Klägers hat die Schuldnerin bis zu den Vorgängen vom
  167. Spätjahr 1999 nur fortbestehen können, weil die Beklagte zu 1 auf die Rückzahlung von Darlehen, die sie der Schuldnerin gewährt gehabt habe, teilweise verzichtet und für neue Bankkredite Sicherheiten gestellt habe. Eine eigene Bonität
  168. habe die Schuldnerin nicht mehr besessen.
  169. 16
  170. (3) Falls die Besicherungen durch die Beklagte zu 1 und den früheren
  171. Mitgesellschafter B.
  172. kapitalersetzend waren, hatten diese die National-
  173. bank schon vorher zu befriedigen, damit die Vergütung aus dem letzten Auslandsgeschäft in das Gesellschaftsvermögen gelangte. Nachdem die Vergütung
  174. auf das Konto bei der Nationalbank gelangt und dort verrechnet worden war,
  175. hatten die Gesellschafter der Schuldnerin den entsprechenden Betrag zu erstatten (§ 31 Abs. 1 GmbHG).
  176. -9-
  177. 17
  178. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die für die Revisionsinstanz zu unterstellende Überschuldung oder Kreditunwürdigkeit mit der Rückführung des Bankkredits nachhaltig (vgl. BGH, Urt. v. 8. Januar 2004 - II ZR
  179. 300/02, ZIP 2005, 82, 84) behoben war. Denn nach dem – bisher unwiderlegten - Vortrag des Klägers hatte sich die Vermögenssituation der Schuldnerin
  180. laufend verschlechtert.
  181. 18
  182. (4) Diesen Freistellungs- oder Ersatzanspruch geltend zu machen, hat
  183. die Schuldnerin unterlassen.
  184. 19
  185. Unterlassungen stehen anfechtungsrechtlich den Rechtshandlungen
  186. gleich (§ 1 Abs. 2 AnfG, § 129 Abs. 2 InsO). Dies gilt auch für § 3 Abs. 1 AnfG.
  187. Wie bei der parallelen Bestimmung des § 133 Abs. 1 InsO ist lediglich erforderlich, dass die Unterlassung auf einer Willensbetätigung beruht, also bewusst
  188. und gewollt erfolgt (Huber, Anfechtungsgesetz 9. Aufl. § 1 Rn. 5; Kübler/
  189. Prütting/Paulus, § 1 AnfG Rn. 5; vgl. zur Insolvenzanfechtung BGH, Urt. v.
  190. 24. Oktober 1996 - IX ZR 284/95, WM 1996, 2250, 2252). Nötig ist das Bewusstsein, dass das Nichthandeln irgendwelche Rechtsfolgen haben wird (vgl.
  191. MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 129 Rn. 24; HK-InsO/Kreft, § 129 Rn. 23; Uhlenbruck/Hirte, InsO 12. Aufl. § 129 Rn. 64; Kübler/Prütting/Paulus, § 129 InsO
  192. Rn. 16). Auf eine konkrete Rechtsfolge brauchen sich die Vorstellungen des
  193. Schuldners nicht zu richten; sie müssen auch nicht rechtlich zutreffend sein.
  194. Anfechtbar ist es deshalb, wenn aus einer Situation, die naheliegender Weise
  195. materiellrechtliche Ansprüche auslöst, bewusst keine Konsequenzen gezogen
  196. werden (vgl. Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 29 Rn. 10; MünchKomm-InsO/
  197. Kirchhof, § 129 Rn. 25) oder eine Besicherung belassen wird, nachdem der besicherte Gesellschafterkredit erkennbar kapitalersetzend geworden ist (vgl.
  198. OLG Hamburg NJW-RR 1988, 46, 49).
  199. - 10 -
  200. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten hat die Schuldnerin, weil sie
  201. 20
  202. den Rat ihres nunmehrigen Streithelfers befolgte, in Spanien still zu "verschwinden", eine faktische Liquidation durchgeführt, ohne etwa noch offene
  203. Forderungen zu realisieren. Ein derartiges Verhalten der für die Schuldnerin
  204. handlungsberechtigten Personen, das darauf abzielt, die Gesellschaft dem
  205. Rechtsverkehr zu entziehen, begründet ein erhebliches Beweisanzeichen dafür,
  206. dass die Durchsetzung von Ansprüchen nach §§ 30 ff GmbHG gegen die Gesellschafter bewusst unterlassen wurde. Diesem Umstand kommt grundsätzlich
  207. dieselbe Rechtswirkung zu wie der Inkongruenz einer Sicherung oder Befriedigung für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die entsprechende Kenntnis des Anfechtungsgegners im Rahmen des § 133 InsO, § 3
  208. Abs. 1 AnfG. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten ist danach ein bewusstes Unterlassen im Sinne des § 1 Abs. 2 AnfG zu bejahen.
  209. (5) Da die maßgeblichen Vorgänge alle im Jahr 1999 stattgefunden ha-
  210. 21
  211. ben, ist die Anfechtungsfrist von 10 Jahren unproblematisch eingehalten.
  212. bb) Der Plan umfasste darüber hinaus den Vorsatz der Gläubigerbenach-
  213. 22
  214. teiligung. Dies folgt bereits aus dem Vortrag der Beklagten, die Gesellschaft
  215. habe beseitigt werden sollen, um so alle Verbindlichkeiten zu "erledigen".
  216. cc) Der Vorsatz der Schuldnerin war dem anderen Teil - nämlich den von
  217. 23
  218. der Unterlassung begünstigten Gesellschaftern, also der Beklagten zu 1 und
  219. B.
  220. , dem Rechtsvorgänger der Beklagten zu 2 - bekannt. Wegen
  221. der Verknüpfung der Schuldnerin und ihrer Gesellschafter in der Person des
  222. B.
  223. kann von einer entsprechenden Vereinbarung zwischen der
  224. Gesellschaft und den Gesellschaftern ausgegangen werden.
  225. - 11 -
  226. 24
  227. dd) Durch das beschriebene Vorgehen der Schuldnerin und ihrer Gesellschafter wurden die Gläubiger objektiv benachteiligt.
  228. 25
  229. (1) Allerdings erschließt sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht, ob die
  230. Schuldnerin rechtlich noch existiert. Auch der Kläger hat sich dazu nicht geäußert. Eine "Sitzverlegung über die Grenze", eine "faktische Liquidation" und die
  231. angebliche Unerreichbarkeit des einzigen Gesellschafters sind insoweit nicht
  232. hinreichend aussagekräftig. Ob mit der Einstellung des Unternehmens ein Auflösungsbeschluss gefasst (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) und die Schuldnerin
  233. gelöscht worden ist, steht nicht fest. Falls die Schuldnerin gelöscht sein sollte,
  234. wäre die Möglichkeit einer Nachtragsliquidation nicht von vornherein ausgeschlossen. Eine Nachtragsliquidation findet statt, wenn trotz der (scheinbaren)
  235. Vollbeendigung noch verteilungsfähiges Vermögen vorhanden ist. Dafür kommt
  236. insbesondere ein realisierbarer Anspruch der Gesellschaft gegen Gesellschafter entsprechend §§ 30, 31 GmbHG in Betracht (Scholz/K. Schmidt, aaO § 74
  237. Rn. 19). Ob eine derartige Nachtragsliquidation hier angeregt worden ist, was
  238. auch ein Gläubiger der Gesellschaft kann (Scholz/K. Schmidt, aaO § 74 Rn. 25;
  239. Lutter/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, aaO § 74 Rn. 21; Michalski/Nerlich, aaO
  240. § 74 Rn. 50), und welchen Erfolg der Kläger damit hatte, ist nicht festgestellt
  241. und vom Kläger bisher auch nicht vorgetragen.
  242. 26
  243. (2) Hat die Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder
  244. die Aktivmasse verkürzt, liegt eine Gläubigerbenachteiligung vor. Dies kann
  245. auch dann der Fall sein, wenn durch die Rechtshandlung der Zugriff auf das
  246. Schuldnervermögen vereitelt, erschwert oder verzögert wird, etwa für einen
  247. aufgegebenen Vermögenswert ein anderer in das Schuldnervermögen gelangt,
  248. der jedoch für die Gläubiger minder leicht oder weniger rasch verwertbar ist (so
  249. - 12 -
  250. zum Anfechtungsgesetz BGHZ 78, 318, 328; BGH, Urt. v. 27. September 1990
  251. – IX ZR 67/90, WM 1990, 1981, 1983; zur Konkursordnung BGH, Urt. v.
  252. 21. April 1988 - IX ZR 71/87, NJW 1989, 1037). Davon ist im Streitfall auszugehen.
  253. 27
  254. Zwar kann die gegen §§ 30, 31 GmbHG (in analoger Anwendung) verstoßende Rückzahlung eines gesellschafterbesicherten Drittdarlehens durch die
  255. Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter wegen der dadurch ausgelösten
  256. Erstattungspflicht aus § 31 Abs. 1 GmbHG rechtlich ausgeglichen sein. Den
  257. gegen den Gesellschafter gerichteten Erstattungsanspruch der Gesellschaft
  258. kann deren Gläubiger pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen.
  259. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Gesellschaft auf ihren Erstattungsanspruch verzichtet. Denn dieser Verzicht ist unwirksam (§ 31 Abs. 4 GmbHG).
  260. Unentgeltlich wird die Rückzahlung auch nicht dadurch, dass die Gesellschaft
  261. es rein tatsächlich unterlässt, von ihrem Erstattungsanspruch Gebrauch zu machen (vgl. BGH, Urt. v. 21. Januar 1999 - IX ZR 429/97, WM 1999, 394, 395).
  262. Denn dadurch bleibt die Zugriffsmöglichkeit der Gläubiger rechtlich unberührt.
  263. 28
  264. Jedoch liegt ungeachtet einer theoretisch noch gegebenen Möglichkeit
  265. des Zugriffs der Gläubiger auf den Erstattungsanspruch aus § 31 Abs. 1
  266. GmbHG eine objektive Gläubigerbenachteiligung vor, wenn dieser Zugriff durch
  267. die Rechtshandlung des Schuldners tatsächlich unmöglich gemacht oder doch
  268. wesentlich erschwert wird. Dies ist vorliegend wenigstens mittelbar, was für § 3
  269. Abs. 1 AnfG ausreicht, der Fall. Durch das "Verschwindenlassen" der Schuldnerin ist die Gläubigerin des Erstattungsanspruchs faktisch nicht mehr existent.
  270. Eine Vollstreckung in diesen Anspruch setzt eine erfolgreiche Nachtragsliquidation voraus. Diese begegnet zumindest erheblichen Schwierigkeiten.
  271. - 13 -
  272. 29
  273. c) Danach kann offen bleiben, ob der Sachverhalt nicht auch die Voraussetzungen einer Schenkungsanfechtung (§ 4 AnfG) oder - alternativ - einer Anfechtung nach § 3 Abs. 2 AnfG oder einer solchen nach § 6 Nr. 2 AnfG erfüllt.
  274. Nicht vertiefen muss der Senat schließlich auch, ob die Handlungsweise der
  275. Schuldnerin und/oder ihrer Gesellschafter eine Haftung wegen sittenwidriger
  276. Schädigung (§ 826 BGB) oder existenzvernichtenden Eingriffs (vgl. BGHZ 149,
  277. 10; 150, 61, 67; 151, 181, 187; BGH, Urt. v. 13. Mai 2004 - 5 StR 73/03, NJW
  278. 2004, 2248, 2255, z.V.b. in BGHSt) begründet. Anspruchsvoraussetzung wäre
  279. jeweils die - noch festzustellende - Kapitalersatzfunktion der Besicherungen.
  280. 30
  281. 3. Falls die Anfechtung gegen B.
  282. begründet gewesen wä-
  283. re, haftet die Beklagte zu 2 als dessen Gesamtrechtsnachfolgerin (§ 15 Abs. 1
  284. AnfG, §§ 1922, 1967 Abs. 1 BGB). Selbst wenn nur gegen die Beklagte zu 1 ein
  285. Anfechtungstatbestand verwirklicht wäre, haftete die Beklagte zu 2 daneben als
  286. Gesamtrechtsnachfolgerin des B.
  287. als persönlich haftenden Ge-
  288. sellschafters der Beklagten zu 1 (§§ 128, 161 Abs. 2 HGB, §§ 1922, 1967
  289. Abs. 1 BGB).
  290. 31
  291. 4. Wenn die Schuldnerin rechtlich nicht mehr existiert und eine Nachtragsliquidation ausscheidet, kann der Kläger - falls dessen Anfechtung durchgreift - von den Beklagten Zahlung verlangen. Ist eine Nachtragsliquidation
  292. noch möglich, hat der Anfechtungsanspruch einen geringeren Umfang. Gegebenenfalls kann der Kläger nur verlangen, dass die Beklagten die Pfändung des
  293. Erstattungsanspruchs der Schuldnerin aus § 31 Abs. 1 GmbHG gestatten (vgl.
  294. Huber, aaO § 13 Rn. 23; Kübler/Prütting/Paulus, § 13 AnfG Rn. 7).
  295. III.
  296. - 14 -
  297. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache
  298. 32
  299. ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), damit geprüft wird, ob gemäß dem Vorbringen
  300. des Klägers die Besicherung kapitalersetzend im Sinne der §§ 30, 31 GmbHG
  301. war.
  302. 33
  303. Gegebenenfalls wird der Frage nachgegangen werden müssen, ob der
  304. Erstattungsanspruch gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG - etwa im Wege einer Nachtragsliquidation - noch realisiert werden kann. Da dies bisher im Verfahren nicht
  305. - 15 -
  306. behandelt worden und auch kein Hinweis an die Parteien erfolgt ist, muss diesen noch Gelegenheit zum Vortrag gegeben werden.
  307. Fischer
  308. Ganter
  309. Kayser
  310. Vorinstanzen:
  311. LG Essen, Entscheidung vom 21.06.2001 - 18 O 526/00 OLG Hamm, Entscheidung vom 04.07.2002 - 27 U 187/01 -
  312. Raebel
  313. Cierniak