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245 lines
12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 308/04
  4. vom
  5. 8. Dezember 2005
  6. in dem Insolvenzverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. InsO §§ 59, 5 Abs. 1
  14. a) Die Entlassung des Insolvenzverwalters wegen ihm vorgeworfener Pflichtverletzungen setzt grundsätzlich voraus, dass die Tatsachen, die den Entlassungsgrund
  15. bilden, zur vollen Überzeugung des Insolvenzgerichts nachgewiesen sind.
  16. b) Ausnahmsweise kann bereits das Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für die
  17. Verletzung von wichtigen Verwalterpflichten für eine Entlassung genügen, wenn
  18. der Verdacht im Rahmen zumutbarer Amtsermittlung nicht ausgeräumt und nur
  19. durch die Entlassung die Gefahr größerer Schäden für die Masse noch abgewendet werden kann.
  20. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - IX ZB 308/04 - LG Leipzig
  21. AG Leipzig
  22. -2-
  23. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  24. Dr. Fischer und die Richter Dr. Ganter, Raebel, Kayser und Cierniak
  25. am 8. Dezember 2005
  26. beschlossen:
  27. Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 wird der
  28. Beschluss der 12. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 26.
  29. November 2004 aufgehoben.
  30. Die Sache wird - auch zur Entscheidung über die Kosten der
  31. Rechtsbeschwerde - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
  32. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
  33. 3.000 € festgesetzt.
  34. Gründe:
  35. I.
  36. 1
  37. In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wurde
  38. der Rechtsbeschwerdeführer (i.F.: Beschwerdeführer) mit Beschluss des Amtsgerichts - Insolvenzgerichts - vom 12. Mai 1999 zum Insolvenzverwalter bestellt.
  39. Unter dem 23. Mai 2002 setzte das Insolvenzgericht gegen ihn ein Zwangsgeld
  40. von 1.000 € fest, um ihn zur Abgabe einer mehrfach angemahnten Ein- und
  41. Ausgabenrechnung anzuhalten. Dieser Beschluss wurde aufgehoben, weil der
  42. - 3 -
  43. Beschwerdeführer die Rechnung innerhalb der Beschwerdefrist einreichte.
  44. Nachdem ihm das Insolvenzgericht unter dem 26. Juni 2002 angedroht hatte,
  45. ihn wegen "unangemessen verzögerter Erfüllung der Berichtspflicht" gemäß
  46. § 59 InsO aus dem Amt zu entlassen, erstattete er am 15. August 2002 seinen
  47. Schlussbericht. Das Insolvenzgericht bat ihn mit Schreiben vom 19. August
  48. 2002 um Beseitigung verschiedener, einem ordnungsgemäßen Abschluss des
  49. Verfahrens entgegenstehender Hindernisse. Unter anderem bemerkte es, auf
  50. das Stammkapital der Schuldnerin von 50.000 DM seien 2.000 DM nicht erbracht worden; der Beschwerdeführer möge mitteilen, inwieweit er sich um die
  51. Beitreibung bemüht habe. Die sich anschließende Korrespondenz verlief nicht
  52. zur Zufriedenheit des Insolvenzgerichts. Mit Beschluss vom 6. Januar 2003 bestellte es gemäß § 56 InsO Rechtsanwalt H.
  53. zum Sonderinsolvenzver-
  54. walter mit dem Auftrag, insbesondere festzustellen, ob sämtliche Vermögenswerte der Schuldnerin verwertet worden seien. Unter dem 29. Juli 2003 erstattete der Sonderinsolvenzverwalter seinen Bericht. Er kam zu dem Ergebnis, auf
  55. das Stammkapital der Schuldnerin seien mindestens 2.000 DM nicht einbezahlt
  56. worden. Darauf gerichtete Ansprüche wie auch anderweitig in Betracht kommende Anfechtungsansprüche seien nicht geltend gemacht worden und inzwischen teilweise verjährt. Der Beschwerdeführer wurde hierzu angehört.
  57. 2
  58. Mit Beschluss vom 19. August 2004 hat das Insolvenzgericht den Beschwerdeführer gemäß § 59 InsO aus seinem Amt entlassen und zugleich den
  59. Sonderinsolvenzverwalter zum neuen Insolvenzverwalter bestellt. Die sofortige
  60. Beschwerde des entlassenen Insolvenzverwalters hat das Landgericht mit Beschluss vom 26. November 2004 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die
  61. Rechtsbeschwerde.
  62. - 4 -
  63. II.
  64. 3
  65. Das statthafte (§ 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und zulässige
  66. (§ 574 Abs. 2 ZPO) Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
  67. Die bisher getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um einen wichtigen
  68. Grund für die Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Amt des Insolvenzverwalters anzunehmen.
  69. 4
  70. 1. Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO kann das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter aus wichtigem Grund aus seinem Amt entlassen.
  71. 5
  72. a) In Rechtsprechung und Schrifttum herrscht Uneinigkeit, wann ein solcher wichtiger Grund vorliegt. Teilweise wird die - auch vom Beschwerdegericht
  73. geteilte - Auffassung vertreten, hierfür genüge es, dass die begründete Besorgnis der Parteilichkeit oder der Pflichtwidrigkeit bestehe (Uhlenbruck, InsO
  74. 12. Aufl. § 59 Rn. 12; Smid, InsO 2. Aufl. § 59 Rn. 4 f). Nach anderer Ansicht
  75. darf eine Entlassung nur ausgesprochen werden, wenn das Insolvenzgericht
  76. die volle Überzeugung vom Vorliegen der Umstände gewonnen habe, die einen
  77. wichtigen Grund darstellen könnten; es reiche nicht aus, dass der Insolvenzverwalter lediglich den bösen Schein gesetzt habe (LG Halle ZIP 1993, 1739;
  78. LG Magdeburg ZIP 1996, 2116, 2117 f; Lüke in Kübler/Prütting, InsO § 59
  79. Rn. 5; HK-InsO/Eickmann, 3. Aufl. § 59 Rn. 10; Nerlich/Römermann/Delhaes,
  80. InsO § 59 Rn. 7; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung
  81. 3. Aufl. Kap. 5 Rn. 65; Pape EWiR 1993, 1203, 1204). Nach einer vermittelnden
  82. Auffassung genügen konkrete Verdachtsgründe für Verfehlungen schwerster
  83. Art, so wenn die Gefahr bestehe, dass der Insolvenzverwalter größere Ausfälle
  84. der Gläubiger zu vertreten habe, oder bei dem Verdacht von gegen die Masse
  85. gerichteten oder anlässlich der Verwaltung begangener Straftaten (Münch-
  86. - 5 -
  87. Komm-InsO/Graeber,
  88. § 59
  89. Rn. 14 ff;
  90. Blersch
  91. in
  92. Breutigam/Blersch/
  93. Goetsch, InsO § 59 Rn. 4; Hess in Hess/Weis/Wienberg, InsO 2. Aufl. § 59
  94. Rn. 12; Kind in FK-InsO, 3. Aufl. § 59 Rn. 10; ders. in Braun, InsO 2. Aufl. § 59
  95. Rn. 8).
  96. 6
  97. Umstritten ist auch, ob ein wichtiger Grund gegeben ist, wenn das Verhältnis zwischen Insolvenzverwalter und Insolvenzgericht in einem Maße gestört ist, dass an ein gedeihliches Zusammenarbeiten künftig nicht mehr zu
  98. denken ist (bejahend OLG Zweibrücken NZI 2000, 373 f; Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. Aufl. Rn. 6.33; MünchKomm-InsO/Graeber, § 59 Rn. 19; Lüke in
  99. Kübler/Prütting, InsO § 59 Rn. 4; Nerlich/Römermann/Delhaes, aaO; HKInsO/Eickmann,
  100. aaO
  101. Rn. 3;
  102. Smid,
  103. § 59
  104. Rn. 4;
  105. verneinend
  106. Haarmey-
  107. er/Wutzke/Förster, aaO Kap. 5 Rn. 64).
  108. 7
  109. b) Im Grundsatz ist für die Entlassung des Insolvenzverwalters zu fordern, dass die Tatsachen, die den Entlassungsgrund bilden, zur vollen Überzeugung des Insolvenzgerichts nachgewiesen sind. Dies gilt insbesondere
  110. dann, wenn dem Insolvenzverwalter Pflichtverletzungen vorgeworfen werden.
  111. 8
  112. Ein Insolvenzverwalter ist zu entlassen, wenn sein Verbleiben im Amt
  113. unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen des Verwalters die Belange der Gesamtgläubigerschaft und die Rechtmäßigkeit der Verfahrensabwicklung objektiv nachhaltig beeinträchtigen würde (vgl. Haarmeyer/Wutzke/
  114. Förster, aaO Kap. 5 Rn. 56). Diese Beeinträchtigung muss feststehen. Die Ausübung des Insolvenzverwalteramtes ist durch Art. 12 GG geschützt. Eingriffe
  115. sind nur zulässig, soweit sie durch höherwertige Interessen des gemeinen
  116. Wohls gerechtfertigt sind, nicht weiter gehen, als es erforderlich ist, und den
  117. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Außerdem ist die in Art. 6 Abs. 2
  118. - 6 -
  119. EMRK niedergelegte Unschuldsvermutung auch von den Zivilgerichten zu beachten.
  120. 9
  121. Die Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Insolvenzverwalter
  122. und Insolvenzgericht reicht niemals für die Entlassung des ersteren aus, wenn
  123. sie lediglich auf persönlichem Zwist beruht. Hat die Störung ihren Grund in dem
  124. Verwalter vorgeworfenen Pflichtverletzungen, müssen diese grundsätzlich feststehen. Andernfalls würde ein bloßer Verdacht schon deshalb zur Entlassung
  125. ausreichen, weil das Insolvenzgericht ihn teilt. Dies wäre mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Berufstätigkeit des Insolvenzverwalters
  126. nicht zu vereinbaren.
  127. 10
  128. Liegt eine Pflichtverletzung vor, die einen wichtigen Grund zur Entlassung des Insolvenzverwalters darstellt, darf das Insolvenzgericht von dieser
  129. zwar nicht lediglich deshalb absehen, weil die Gläubiger wegen der Pflichtverletzung den Verwalter nach §§ 60, 61 InsO auf Schadensersatz in Anspruch
  130. nehmen können (MünchKomm-InsO/Graeber, § 59 Rn. 24). Umgekehrt ist jedoch nicht jede Pflichtverletzung, die einen Schadensersatzanspruch auslöst,
  131. zugleich ein wichtiger Grund zur Entlassung (MünchKomm-InsO/Graeber, § 59
  132. Rn. 23). Diese setzt grundsätzlich voraus, dass es in Anbetracht der Erheblichkeit der Pflichtverletzung, insbesondere ihrer Auswirkungen auf den Verfahrensablauf und die berechtigten Belange der Beteiligten, sachlich nicht mehr
  133. vertretbar erscheint, den Verwalter im Amt zu belassen. Diese Beurteilung, die
  134. auf einer Abwägung aller jeweils bedeutsamen Umstände beruht, obliegt dem
  135. Tatrichter.
  136. 11
  137. c) Ausnahmsweise kann bereits das Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für die Verletzung von wichtigen Verwalterpflichten für eine Entlassung
  138. - 7 -
  139. genügen, wenn der Verdacht im Rahmen zumutbarer Amtsermittlung (§ 5
  140. Abs. 1 InsO) nicht ausgeräumt und nur durch die Entlassung die Gefahr größerer Schäden für die Masse noch abgewendet werden kann. Gegebenenfalls
  141. müssen hier der Schutz der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) und die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) zurücktreten, weil der Insolvenzverwalter auch im öffentlichen Interesse tätig wird und Grundrechte der Gläubiger
  142. (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) gefährdet sind. Im Konfliktfall geht das Interesse der
  143. Gläubiger an der gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung ihrer Forderungen dem Interesse des Insolvenzverwalters an der Beibehaltung seines Amtes vor (vgl. BVerfG ZIP 2005, 537, 538).
  144. 12
  145. 2. Die bisher getroffenen Feststellungen erfüllen die Voraussetzungen
  146. eines derartigen Ausnahmefalles nicht. Es ist bereits zweifelhaft, ob das Insolvenzgericht zwischen dem 29. Juli 2003 (Erstattung des Berichts des Sonderinsolvenzverwalters) und dem 19. August 2004 (Entlassung des Beschwerdeführers) nicht hinreichend Zeit gehabt hat, um sich darüber schlüssig zu werden,
  147. ob die Pflichtverletzungen, von denen der Sonderinsolvenzverwalter berichtet
  148. hat, tatsächlich vorliegen oder nicht. Im Übrigen hat das Beschwerdegericht die
  149. Entlassung - abgesehen von einer untauglichen pauschalen Bezugnahme auf
  150. die "darüber hinausgehenden Feststellungen des Sonderinsolvenzverwalters im
  151. Rahmen seines Gutachtens" - lediglich mit dem "erhärteten" Verdacht begründet, dass der Beschwerdeführer die Wirksamkeit der Einzahlungen von
  152. 2.000 DM und 22.000 DM auf die Stammeinlage bei der Schuldnerin nicht geprüft habe. Insoweit hatte der Sonderinsolvenzverwalter die Auffassung vertreten, dass die 2.000 DM nicht wirksam und die 22.000 DM nicht nachweisbar
  153. einbezahlt worden seien. Hinsichtlich des zuletzt genannten Betrages bedürfe
  154. es weiterer Aufklärung. Weshalb diese, die von Amts wegen geboten war (§ 5
  155. Abs. 1 InsO), unterblieben ist, lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht
  156. - 8 -
  157. entnehmen. Auf die unterlassene Beitreibung dieses Betrages darf die Entlassung deshalb nicht gestützt werden. Wegen des verbleibenden Betrages von
  158. 2.000 DM ist sie nicht gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer hat hierzu geltend
  159. gemacht, aus seiner Sicht sei es wirtschaftlich nicht sinnvoll, wegen eines derartigen Kleinstbetrages eine unsichere Forderung prozessual geltend zu machen, zumal ihm in anderen Prozessen Prozesskostenhilfe versagt worden sei.
  160. Zwar mag bei einer letztendlich realisierten Masse von etwa 5.500 € ein Betrag
  161. von 2.000 DM nicht ganz unerheblich sein. Dies ändert jedoch nichts daran,
  162. dass der Betrag bei zur Tabelle festgestellten Forderungen von 411.870,89 €
  163. nicht ins Gewicht fällt. Damit zeugt das Verhalten des Beschwerdeführers hinsichtlich der Verfolgung des Kapitaleinzahlungsanspruchs für sich genommen
  164. nicht von einer derartigen Pflichtvergessenheit, dass seine Ablösung und die
  165. Fortsetzung des im Übrigen möglicherweise abschlussreifen Insolvenzverfahrens mit einem anderen Insolvenzverwalter geboten war.
  166. 13
  167. 3. Ob eine weitere Ausnahme für den Fall anzuerkennen ist, dass der
  168. Insolvenzverwalter den bösen Schein einer Befangenheit oder Interessenkollision gesetzt hat oder der Verdacht von gegen die Masse gerichteten Straftaten
  169. besteht, kann offen bleiben. Ein solcher Fall kommt hier nicht in Betracht.
  170. - 9 -
  171. III.
  172. 14
  173. Die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit die
  174. weiteren Entlassungsgründe geprüft werden, zu denen das Beschwerdegericht
  175. keine konkreten Ausführungen gemacht hat.
  176. Fischer
  177. Ganter
  178. Kayser
  179. Raebel
  180. Cierniak
  181. Vorinstanzen:
  182. AG Leipzig, Entscheidung vom 19.08.2004 - 92 IN 449/99 LG Leipzig, Entscheidung vom 26.11.2004 - 12 T 5422/04 -