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  1. 5 StR 380/04
  2. BUNDESGERICHTSHOF
  3. BESCHLUSS
  4. vom 9. November 2004
  5. in der Strafsache
  6. gegen
  7. wegen Vergewaltigung
  8. -2-
  9. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. November 2004
  10. beschlossen:
  11. 1. Auf den Antrag des Angeklagten nach § 346 Abs. 2
  12. StPO wird der Beschluß des Landgerichts Hamburg
  13. vom 6. Juli 2004, durch den es die Revision des Angeklagten gegen das Urteil vom 9. März 2004 verworfen
  14. hat, aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 6. September 2004 aufgehoben.
  15. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird dieses Urteil
  16. nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  17. 3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
  18. andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  19. G r ü n d e
  20. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei
  21. Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten
  22. verurteilt. Die Revision des Beschwerdeführers hat mit einer Rüge nach
  23. § 338 Nr. 3 StPO Erfolg. Die erkennende Strafkammer hat mit ihrem nach
  24. § 26a StPO einstimmig gefaßten Beschluß vom 3. März 2004 den Befangenheitsantrag des Angeklagten vom 1. März 2004, gestellt durch die Verteidigerin, zu Unrecht zurückgewiesen.
  25. -3-
  26. 1. Anlaß für dieses Gesuch war der Inhalt des ebenfalls einstimmig
  27. nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gefaßten Beschlusses vom 1. März 2003, mit
  28. dem ein Befangenheitsgesuch des Angeklagten vom 26. Februar 2004 verworfen worden war. Ausgangspunkte jenes Gesuchs waren eine Intervention
  29. des Vorsitzenden während der Befragung der Nebenklägerin W
  30. durch
  31. die Verteidigung sowie Vorhalte des Vorsitzenden und des Beisitzers auf
  32. dem Gerichtsflur, mit denen die Verteidiger – als Folge ihrer Zeugenbefragung – für den angeschlagenen psychischen Zustand der weinenden Nebenklägerin verantwortlich gemacht wurden. In ihrem am übernächsten Verhandlungstag verkündeten Beschluß hat die Strafkammer die Art und Weise
  33. der Ausübung des Fragerechts durch die Verteidiger in ungewöhnlich drastischer Weise bewertet, ohne daß Fragen zuvor beanstandet worden wären.
  34. Das Befangenheitsgesuch vom 1. März 2004 greift folgende Wertungen beispielhaft auf: Vorhalte der Verteidiger an die Nebenklägerin W
  35. zur Vergewisserung von deren bisheriger Aussage und Vorhalte zur Bestätigung ihrer modifizierten Aussage hätten „den guten Willen des Vorsitzenden
  36. zu einem bösen Spiel mißbraucht“. Die ebenfalls unbeanstandet gebliebene
  37. Frage, ob der Angeklagte die seinerzeitige Tatsituation dahingehend mißverstanden habe, daß er von einem Einverständnis der Zeugin in die geschlechtlichen Handlungen habe ausgehen können, bewertete die Strafkammer als „eine taktlose Torheit oder eine abgefeimte Perfidie“. Diese Frage sei ferner „quälend und überflüssig“ gewesen. Die Intervention des Vorsitzenden sei das mildeste Mittel gewesen auf die „üble, menschenverachtende
  38. Entgleisung“; die Frage habe „die Menschenwürde der Zeugin verletzt.“ Der
  39. beisitzende Richter habe das Verhalten der Verteidigerin als „widerwärtig“
  40. empfunden.
  41. Das Befangenheitsgesuch sieht ferner in zwei Wertungen der Strafkammer die Gefahr einer vorzeitigen Festlegung des Beweisergebnisses
  42. zum Nachteil des Angeklagten.
  43. -4-
  44. 2. Die Strafkammer stützt ihre Wertung, das Ablehnungsgesuch vom
  45. 1. März 2003 sei wegen Fehlens einer Begründung unzulässig, auch auf eine
  46. Auslegung des letzten Satzes des Gesuchs, wonach das Vertrauen des Angeklagten in die Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richter durch den
  47. Inhalt des Beschlusses zerstört sei. Dies bedeute, daß bis zur Kenntnisnahme des Angeklagten vom Inhalt des Beschlusses vom 1. März 2004 das Vertrauen in die Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richter noch bestanden habe. Daraus folge, daß der vorherigen Richterablehnung (vom
  48. 26. Februar 2004) keine echten Bedenken des Angeklagten zugrundegelegen hätten.
  49. 3. Insbesondere mit dieser Begründung ist das Gesuch zu Unrecht
  50. zurückgewiesen worden.
  51. a) Die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es das auf die Bescheidung des vorangegangenen Ablehnungsantrags gestützte neue Ablehnungsgesuch als unzulässig erachtet hat, begegnen durchgreifenden Bedenken (vgl. BGHSt 48, 4, 8). Der letzte Satz des Befangenheitsgesuchs ist offensichtlich eine wertende Beschreibung der Wirkungen des Beschlusses
  52. vom 1. März 2004 auf den Angeklagten. Es liegt absolut fern, darin ein Zugeständnis des Angeklagten in dem Sinne zu erblicken, der Befangenheitsantrag vom 26. Februar 2004 sei mutwillig gestellt gewesen. Das Landgericht
  53. entzieht sich darüber hinaus auch jeder sachlichen Auseinandersetzung mit
  54. dem Inhalt des Gesuchs. Dies wäre nur dann statthaft gewesen, wenn der
  55. Begründung des Gesuchs von vornherein die Eignung zur Ablehnung gefehlt
  56. hätte (vgl. BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 9; BGHR StPO § 338 Nr. 3 Revisibilität 1). Dies ist hier nicht der Fall. Der Beschluß, mit dem das erste Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen wurde, enthält schwerwiegende
  57. Vorwürfe des Gerichts gegenüber der Verteidigung und Wertungen, die geeignet sein können, aus der Sicht des Angeklagten eine vorzeitige Festlegung des Beweisergebnisses durch die Strafkammer besorgen zu lassen.
  58. -5-
  59. b) Das Ablehnungsgesuch war auch sachlich begründet. Die Bewertungen der Strafkammer in deren Beschluß vom 1. März 2004 sind in ihrer
  60. Gesamtschau zur Überzeugung des Senats geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu erwecken. Zwar begründen erst im Verfahren entstandene
  61. Spannungen zwischen Richtern und Verteidigern in aller Regel nicht die Besorgnis der Befangenheit (vgl. BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 8; BGH
  62. NJW 1998, 2458, 2459 – in BGHSt 44, 26 ff. nicht abgedruckt). Hier bestehen aber mehrere Besonderheiten. Die exzessive, die Zeugin bedrängende,
  63. zum Teil auf Wiederholungen gerichtete und durch nicht ausreichende Aktenkenntnis motivierte Befragung der Zeugin W
  64. durch die Verteidiger
  65. am 25. und 26. Februar 2004 war an diesen Sitzungstagen zwar kritikwürdig.
  66. Gleichwohl hatte aber am 27. Februar ein weiterer – problemloser – Verhandlungstag stattgefunden, an dem der Vorsitzende bereits das Ende der
  67. Beweisaufnahme angekündigt hatte. Jedenfalls danach kann von spontanen
  68. Unmutsäußerungen nicht mehr ausgegangen werden. Vielmehr verlassen
  69. die im Beschluß vom 1. März 2004 – als Reaktion auf einen Befangenheitsantrag – ungewöhnlich drastisch formulierten Vorwürfe gegen die Verteidigung den Bereich der Sachlichkeit. Dies begründet auch aus der Sicht eines
  70. besonnenen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit. Der Verteidigung
  71. wird auf massive Weise die sach- und rechtswidrige Ausübung des Fragerechts vorgeworfen, obwohl das Gericht dafür eine Mitverantwortung trifft.
  72. Der Vorsitzende hätte in Ausübung der Verhandlungsleitung unzulässige,
  73. ungeeignete und nicht zur Sache gehörende Fragen zurückweisen müssen,
  74. um der Achtung der menschlichen Würde der Zeugin sowie dem Rechtsstaatsprinzip zu genügen (BGHSt 48, 372). Namentlich vor dem Hintergrund,
  75. daß solches weitgehend unterblieben war, ist die – zudem noch nach einer
  76. gewissen „Abkühlungsphase“ erfolgte – mit ungewöhnlich scharfer Negativwertung überzogen formulierte Kritik des Gerichts auch aus der Sicht eines
  77. besonnenen Angeklagten als unsachliche Beanstandung der Berufsausübung der Verteidiger zu verstehen, die besorgen läßt, das Gericht werde
  78. auch künftiges Verteidigerhandeln und Verteidigungsvorbringen nicht in der
  79. -6-
  80. erforderlichen abwägenden Distanziertheit zur Kenntnis nehmen (vgl. BGHR
  81. StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 8).
  82. c) Der Senat weist erneut darauf hin, daß eine Anwendung von § 26a
  83. Abs. 1 Nr. 2 StPO auf Befangenheitsanträge mit sachlichem Gehalt das Revisionsgericht wegen der – infolge fehlender dienstlicher Erklärungen – eingeschränkten Tatsachengrundlage dazu nötigen kann, den im Befangenheitsgesuch anwaltlich als richtig versicherten Vortrag der Revisionsentscheidung zugrunde zulegen (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 3 Revisibilität 1).
  84. Zudem kann in solchen Fällen die Gefahr bestehen, daß ein Angeklagter
  85. seinem gesetzlichen Richter entzogen wird (vgl. BVerfG – Kammer –,
  86. Beschl. vom 9. Juli 2004 – 2 BvR 836/04).
  87. Basdorf
  88. Häger
  89. Brause
  90. Gerhardt
  91. Schaal