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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 150/16
vom
16. März 2017
in der Zwangsversteigerungssache
ECLI:DE:BGH:2017:160317BVZB150.16.0
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. März 2017 durch die
Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Brückner und Weinland und die
Richter Dr. Kazele und Dr. Hamdorf
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der
4. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 26. September 2016
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Die Vollziehung des Zuschlagsbeschlusses des Amtsgerichts Siegen vom 14. Juli 2016 (20 K 69/07) wird bis zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde des Schuldners ausgesetzt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
148.000 € für die anwaltliche Vertretung des Schuldners.
-3-
Gründe:
I.
1
Die Gläubigerin betreibt seit dem Jahr 2007 die Zwangsversteigerung der
eingangs genannten Grundstücke des Schuldners, deren Werte mit 83.000 €
und 65.000 € festgesetzt wurde. Das Verfahren wurde wegen einer bestehenden Suizidgefährdung des Schuldners mehrmals einstweilen eingestellt. In dem
Versteigerungstermin am 5. September 2011 wurde ein Meistgebot über
60.000 € abgegeben. Auf Antrag des Schuldners versagte das Amtsgericht
nach Einholung einer amtsärztlichen Stellungnahme den Zuschlag auf das
Meistgebot und stellte das Verfahren einstweilen bis zum 21. April 2012 ein.
Dabei wies es den Schuldner darauf hin, dass sein Gesundheitszustand nicht
zu einer dauerhaften Einstellung des Verfahrens führen könne; er sei daher gehalten, durch geeignete Maßnahmen seinen Gesundheitszustand zu stabilisieren. Vor dem für den 7. Februar 2013 anberaumten nächsten Versteigerungstermin stellte der Schuldner erneut Vollstreckungsschutzantrag, den er wiederum mit akuter Suizidgefahr begründete. Er teilte dabei mit, dass er keine psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen habe, da
sich sein Zustand infolge der vorläufigen Einstellung des Verfahrens stabilisiert
habe. Eine erhebliche Verschlechterung sei mit der Fortsetzung des Verfahrens
eingetreten. In dem Termin wurde ein Meistgebot über 62.000 € abgegeben.
Nach Einholung einer weiteren amtsärztlichen Stellungnahme, die wiederum
vom Vorliegen einer Suizidgefahr bei dem Schuldner ausging, versagte das
Amtsgericht erneut den Zuschlag und stellte das Verfahren bis zum 27. September 2013 einstweilen ein. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der betreibenden Gläubigerin wies das Landgericht nach Einholung eines psychiatrischen
Gutachtens zurück. Seine im März 2013 aufgenommene ambulante psychothe-
-4-
rapeutische Behandlung beendete der Schuldner im April 2014. Unmittelbar vor
dem nächsten Versteigerungstermin am 18. Dezember 2014 beantragte er erneut die einstweilige Einstellung wegen Suizidgefahr. In dem Termin wurde ein
Gebot über 60.000 € abgegeben. Den Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts
hob das Landgericht auf die sofortige Beschwerde des Schuldners auf, versagte den Zuschlag und stellte die Zwangsversteigerung einstweilen bis zum
14. März 2016 ein. In diesem Beschluss gab es dem Schuldner auf, sich in eine
psychotherapeutische Behandlung zu begeben und dies dem Vollstreckungsgericht gegenüber nachzuweisen. Der Schuldner wurde darauf hingewiesen, dass
weiterer Vollstreckungsschutz nicht in Betracht käme, sollte er der Auflage nicht
nachkommen. Ab dem 5. April 2016 wurde das Verfahren fortgesetzt. Vor dem
auf den 30. Juni 2016 bestimmten Versteigerungstermin stellte der Schuldner
erneut Vollstreckungsschutzantrag. Zur Begründung führte er aus, er sei zunächst aufgrund von Erkrankungen nicht zur Aufnahme einer Therapie in der
Lage gewesen; anschließend habe es keine zeitnahen Termine gegeben. Außerdem sei seine Skepsis an einem Behandlungserfolg weiterhin bestehen geblieben. Von seinem Entschluss, sich einer psychotherapeutischen Behandlung
zu unterziehen, sei er wieder abgerückt. In dem Versteigerungstermin blieb der
Ersteher mit einem Gebot von 60.000 € Meistbietender.
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Mit Beschlüssen vom 14. Juli 2016 hat das Amtsgericht den Vollstreckungsschutzantrag des Schuldners zurückgewiesen und dem Ersteher den
Zuschlag erteilt. Die gegen beide Beschlüsse gerichteten sofortigen Beschwerden hat das Landgericht zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser will der Schuldner die Versagung des Zuschlags und die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens erreichen.
-5-
II.
3
Das Beschwerdegericht geht aufgrund von mehreren gutachterlichen
Stellungnahmen der Amtsärztin sowie des in dem vorangegangenen Beschwerdeverfahren eingeholten Gutachtens eines Psychiaters und Psychotherapeuten davon aus, dass der Schuldner psychisch erkrankt ist und dass ernsthaft mit einem Suizid des Schuldners gerechnet werden muss, falls der Zuschlagsbeschluss rechtskräftig wird und der Schuldner damit sein Eigentum an
dem von ihm bewohnten Haus - seinem Elternhaus - endgültig verliert. Die Abwendung der Suizidgefahr werde nach allen eingeholten ärztlichen Stellungnahmen nur durch eine konsequente längerfristige psychotherapeutische Behandlung erfolgen können. Andere Möglichkeiten stünden nicht zu Gebote. Eine
Unterbringung, die Gabe von Medikamenten oder eine stationäre Behandlung
seien nicht geeignet, den zugrundeliegenden Konflikt zu lösen und es dem
Schuldner zu ermöglichen, anders als mit einem Selbstmord auf den Eigentumsverlust zu reagieren sowie sich sicher von seinen Selbstmordabsichten zu
distanzieren. Eine solche längerfristige Psychotherapie habe der Schuldner
nicht aufgenommen. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts besteht auch keinerlei Aussicht darauf, dass er sich dazu bereitfinden werde. Dies sei zur Überzeugung des Gerichts nicht darauf zurückzuführen, dass der Schuldner krankheitsbedingt nicht in der Lage wäre, eine solche Therapie anzugehen oder
durchzuführen. Zwar sei die ihm diagnostizierte Anpassungsstörung auch durch
Antriebslosigkeit gekennzeichnet. Dass er bis heute keine Therapie begonnen
habe, liege aber nicht hierin begründet, sondern sei vielmehr darauf zurückzuführen, dass er nach eigenem glaubhaften Vorbringen skeptisch sei, ob ihm
eine Psychotherapie überhaupt helfen werde. Mithin sei davon auszugehen,
dass der momentane Zustand des Schuldners sich in den nächsten Jahren
nicht verändern werde. Auch eine Unterbringung oder Ingewahrsamnahme
-6-
könne lediglich für die Zeit ihrer Dauer helfen; danach werde die Gefahr eines
„Bilanzselbstmords“ weiterhin bestehen bleiben. Einzig in Betracht komme daher eine dauerhafte Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens ohne Auflagen, was praktisch einem dauerhaften Eingriff in das Eigentumsrecht der betreibenden Gläubigerin gleichkäme. Vor diesem Hintergrund überwögen nunmehr deren Interessen.
III.
4
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 96 ZVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg, da die Entscheidung des Beschwerdegerichts
rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
5
1. Einer Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss ist nach § 100
Abs. 3 i.V.m. § 83 Nr. 6 ZVG stattzugeben, wenn wegen eines Vollstreckungsschutzantrages des Schuldners nach § 765a ZPO bereits der Zuschlag wegen
einer mit dem Eigentumsverlust verbundenen konkreten Gefahr für das Leben
des Schuldners oder eines nahen Angehörigen nicht hätte erteilt werden dürfen
(st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2016 - V ZB 138/15, MDR
2017, 238 Rn. 8; Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR
2016, 336 Rn. 5; Beschluss vom 12. November 2014 - V ZB 99/14, NJW-RR
2015, 393 Rn. 6 mwN). Den Feststellungen des Beschwerdegerichts zufolge ist
der Schuldner aufgrund einer psychischen Erkrankung ernsthaft suizidgefährdet, und zwar schon durch den mit dem Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses bewirkten Eigentumsverlust als solchen; hiervon ist für das
Rechtsbeschwerdeverfahren auszugehen.
-7-
6
2. Das Beschwerdegericht geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass
der Zuschlag nicht ohne weiteres zu versagen und die Zwangsversteigerung
(einstweilen) einzustellen ist, wenn eine solche konkrete Gefahr für Leben und
Gesundheit des Schuldners mit der Zwangsvollstreckung verbunden ist. Vielmehr ist das in solchen Fällen ganz besonders gewichtige Interesse des von
der Vollstreckung Betroffenen (Lebensschutz, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gegen
das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers (Gläubigerschutz, Art. 14 GG;
wirksamer Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG) abzuwägen. Es ist daher sorgfältig
zu prüfen, ob der Gefahr der Selbsttötung auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Mit Blick auf die
Interessen des Erstehers gilt nichts anderes (zum Ganzen: Senat, Beschluss
vom 13. Oktober 2016 - V ZB 138/15, MDR 2017, 238 Rn. 11; Beschluss vom
28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR 2016, 336 Rn. 6; Beschluss vom
12. November 2014 - V ZB 99/14, NJW-RR 2015, 393 Rn. 7 mwN; vgl. auch
BVerfG, ZfIR 2014, 874 Rn. 11 f.).
7
a) Mögliche Maßnahmen betreffen die Art und Weise, wie die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, die Ingewahrsamnahme des suizidgefährdeten
Schuldners nach polizeirechtlichen Vorschriften oder dessen Unterbringung
nach den einschlägigen Landesgesetzen sowie die betreuungsrechtliche Unterbringung (§ 1906 BGB). Kann der Suizidgefahr des Schuldners auf diese Weise
entgegengewirkt werden, scheidet die Einstellung aus. Der Verweis auf die für
den Lebensschutz primär zuständigen Behörden und Gerichte ist verfassungsrechtlich allerdings nur tragfähig, wenn diese entweder Maßnahmen zum
Schutz des Lebens des Schuldners getroffen oder aber eine erhebliche Suizidgefahr gerade für das diese Gefahr auslösende Moment (Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses oder Räumung) nach sorgfältiger Prüfung abschließend
verneint haben. Hat die Ordnungsbehörde Maßnahmen ergriffen, kann das
-8-
Vollstreckungsgericht davon ausgehen, dass diese ausreichen; flankierende
Maßnahmen hat es nur zu erwägen, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür hat,
dass die von der Behörde ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen, oder wenn
sich konkrete neue Gesichtspunkte ergeben, die die Lage entscheidend verändern (vgl. zum Ganzen: Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15,
NJW-RR 2016, 336 Rn. 7; Beschluss vom 12. November 2014 - V ZB 99/14,
NJW-RR 2015, 393 Rn. 8 mwN). Das Vollstreckungsgericht ist daher gehalten,
die zuständigen Stellen zu beteiligen, wenn entsprechende Maßnahmen als
Alternative zur einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung in Betracht
kommen (Schmidt-Räntsch, ZfIR 2011, 849, 854; siehe zur primären Zuständigkeit der Behörden und des Betreuungsgerichts für den Lebensschutz auch
BVerfG, ZfIR 2014, 874 Rn. 12).
8
b) Steht hingegen fest oder ist aller Voraussicht nach davon auszugehen,
dass die Anordnung der Unterbringung zu einer bloßen Verwahrung auf Dauer
führte, so ist eine Freiheitsentziehung zur Ermöglichung der Zwangsvollstreckung unverhältnismäßig und das Verfahren (ggfs. erneut) auf bestimmte Zeit
einzustellen. Gleiches gilt, wenn der Gefahr der Selbsttötung nur durch eine
außer Verhältnis stehende jahrelange Unterbringung ohne erkennbaren therapeutischen
Nutzen
begegnet
werden
kann
(Senat,
Beschluss
vom
28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR 2016, 336 Rn. 8; Beschluss vom
15. Juli 2010 - V ZB 1/10, NJW-RR 2010, 1649 Rn. 14 mwN; siehe auch
BVerfG, ZfIR 2014, 874 Rn. 11 mwN). Anders verhält es sich dagegen, wenn
innerhalb eines überschaubaren Zeitraums eine Chance dafür besteht, dass die
Freiheitsentziehung zu einer Stabilisierung des Suizidgefährdeten führen und
durch therapeutische Maßnahmen während der Unterbringung die Grundlage
für ein Leben in Freiheit ohne konkrete Suizidgefährdung gelegt werden kann
(Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, aaO, Rn. 8 mwN).
-9-
9
3. Diesen Vorgaben der ständigen Rechtsprechung sowohl des Senats
als auch des Bundesverfassungsgerichts wird die Vorgehensweise des Beschwerdegerichts aus mehreren Gründen nicht gerecht.
10
a) Die durch das Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen tragen
nicht die von ihm gezogene Schlussfolgerung, dass der Gefahr der Selbsttötung
des Schuldners nicht auf andere Weise als durch die dauerhafte Einstellung der
Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Das Beschwerdegericht
geht auf der Grundlage der bisher eingeholten ärztlichen Stellungnahmen davon aus, dass die Suizidgefahr durch eine konsequente längerfristige psychotherapeutische Behandlung abgewendet werden kann. Die Möglichkeit, eine
solche Behandlung durch bestimmte flankierende Maßnahmen, wie etwa eine
vorübergehende Unterbringung des Schuldners oder eine ihm aufzuerlegende
stationäre Behandlung (hierzu Zschieschack/Brücher, ZMR 2015, 745, 747 f.),
sicherzustellen, lässt sich mit der von dem Beschwerdegericht gegebenen Begründung nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen. Dass der
Schuldner in der Vergangenheit psychotherapeutische Behandlungen nicht aufgenommen oder aus eigenem Antrieb beendet hat, belegt alleine nicht, dass
eine Unterbringung zu dem Zwecke der therapeutischen Behandlung keine
Aussicht auf Erfolg hat. Wie das Beschwerdegericht selbst feststellt, ist die bei
dem Schuldner diagnostizierte Anpassungsstörung auch durch Antriebslosigkeit
gekennzeichnet. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der
Schuldner sich ungeachtet seiner Skepsis und der Aussicht, im Falle einer erfolgreichen Therapie mit einer Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens rechnen zu müssen, einer solchen im Falle der Unterbringung stellen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2013 - I ZB 15/13, NJW 2014, 2288
Rn. 27). Zumindest hätte das Beschwerdegericht diese Möglichkeit in Erwägung ziehen und die Amtsärztin bzw. den psychiatrischen Sachverständigen zu
den Erfolgsaussichten einer solchen Maßnahme befragen müssen (vgl. Senat,
- 10 -
Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR 2016, 336 Rn. 12).
Die Annahme des Beschwerdegerichts, eine Unterbringung könne lediglich für
die Zeit ihrer Dauer helfen und danach sei die Gefahr eines Bilanzselbstmords
weiterhin gegeben, bleibt ohne entsprechende Sachaufklärung mit ärztlicher
Hilfe spekulativ und wird dem Gebot der sorgfältigen Abwägung der gegenseitigen Interessen des Betroffenen und des Gläubigers nicht gerecht.
11
b) Die Feststellungen des Landgerichts tragen auch nicht seine Schlussfolgerung, dass eine solche Unterbringung vorliegend nicht in Betracht kommt.
Nach dem einschlägigen Landesrecht ist dies nicht ausgeschlossen. § 11
Abs. 1 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG NRW) erlaubt eine Unterbringung
Betroffener, wenn und solange durch deren krankheitsbedingtes Verhalten eine
erhebliche Selbstgefährdung besteht, die nicht anders abgewendet werden
kann. Dass eine Unterbringung auf dieser Grundlage nicht möglich ist, hat das
Beschwerdegericht nicht begründet. Es kann auch nicht ohne weiteres davon
ausgegangen werden, dass die für den Lebensschutz primär zuständigen Behörden sich ihrer Verantwortung dadurch entziehen, dass sie auf die Möglichkeit der Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens verweisen. Das Beschwerdegericht durfte daher nicht davon absehen, die für den Antrag auf Unterbringung des Schuldners nach § 12 PsychKG NRW zuständige örtliche Ordnungsbehörde zu befassen.
12
c) Entsprechendes gilt für die betreuungsrechtliche Unterbringung des
Schuldners. Im Gegensatz zu einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung setzt
die Unterbringung nach dem Betreuungsrecht (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB) keine
akute, unmittelbare bevorstehende Gefahr für den Betreuten voraus. Notwendig
ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für dessen Leib und Leben,
wobei die Anforderungen an die Voraussehbarkeit einer Selbsttötung oder einer
- 11 -
erheblichen gesundheitlichen Eigenschädigung jedoch nicht überspannt werden
dürfen (Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR 2016,
336 Rn. 15; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2010 - XII ZB 118/10, NJW-RR
2010, 1370 Rn. 10). Zwar darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden (§ 1896 Abs. 1a BGB). Das Beschwerdegericht hat
aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob sich der Schuldner einer solchen
Betreuung widersetzen würde und ob ein solcher Entschluss auf einer freien
Willensbildung beruhte. Es wäre daher gehalten gewesen, zunächst das Betreuungsgericht einzuschalten, gegebenenfalls gleichzeitig mit der Befassung
der für die Unterbringung nach § 12 PsychKG NRW zuständigen Stellen.
IV.
13
1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache
zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Sie
ist nicht zur Entscheidung reif, da nicht abschließend feststeht, ob eine erneute
befristete Einstellung des Verfahrens zur Abwendung der Gefahr der Selbsttötung des Schuldners geeignet ist.
14
2. Das Beschwerdegericht wird die fehlenden tatsächlichen Feststellungen zu der Frage, ob der Schuldner mit dem Ziel einer therapeutischen Behandlung untergebracht werden kann, nachzuholen haben. Dabei bietet es sich
auch im Hinblick auf die schon jetzt erhebliche Verfahrensdauer an, die hierfür
zuständigen Behörden parallel zu beteiligen und jeweils von der Befassung der
anderen Behörden in Kenntnis zu setzen, um eine Koordination der zu ergreifenden Maßnahmen zu ermöglichen.
15
3. Gelangt das Beschwerdegericht bei der abschließenden, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Würdigung der Gesamtumstände (vgl.
BVerfG, NZM 2014, 701 Rn. 19; Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016
- 12 -
- V ZB 115/15,
NJW-RR
2016,
336
Rn. 19;
Beschluss
vom
6. De-
zember 2012 - V ZB 80/12, NZM 2013, 162 Rn. 8) zu dem Ergebnis, dass eine
zeitweise Unterbringung vor Erteilung des Zuschlages keine Aussicht auf Erfolg
hat oder aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist bzw. von den hiermit befassten öffentlichen Stellen nicht angeordnet wird, so wird es nach den genannten
Maßstäben gleichwohl die Möglichkeit einer befristeten Einstellung des
Zwangsversteigerungsverfahrens nicht von vornherein mit der bisher gegebenen Begründung ausschließen können, selbst wenn die Aussichten auf eine
Besserung des Gesundheitszustandes des Schuldners gering sein sollten (vgl.
Senat, Beschluss vom 12. November 2014 - V ZB 99/14, NJW-RR 2015, 393
Rn. 13).
V.
16
1. Da aus dem Zuschlagsbeschluss schon vor dem Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden kann und die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt,
ist die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts gemäß § 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO auszusetzen (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR
2016, 336 Rn. 20; Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 48/10, NJW-RR 2011,
1452 Rn. 17).
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2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Vertretung
des Schuldners beruht auf § 26 Nr. 2 RVG. Gerichtskosten sind in dem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht angefallen.
Schmidt-Räntsch
Brückner
Kazele
Weinland
Hamdorf
Vorinstanzen:
AG Siegen, Entscheidung vom 14.07.2016 - 20 K 69/07 LG Siegen, Entscheidung vom 26.09.2016 - 4 T 144/16 -