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19 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 150/16
  4. vom
  5. 16. März 2017
  6. in der Zwangsversteigerungssache
  7. ECLI:DE:BGH:2017:160317BVZB150.16.0
  8. -2-
  9. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. März 2017 durch die
  10. Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Brückner und Weinland und die
  11. Richter Dr. Kazele und Dr. Hamdorf
  12. beschlossen:
  13. Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der
  14. 4. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 26. September 2016
  15. aufgehoben.
  16. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
  17. des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
  18. Die Vollziehung des Zuschlagsbeschlusses des Amtsgerichts Siegen vom 14. Juli 2016 (20 K 69/07) wird bis zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde des Schuldners ausgesetzt.
  19. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  20. 148.000 € für die anwaltliche Vertretung des Schuldners.
  21. -3-
  22. Gründe:
  23. I.
  24. 1
  25. Die Gläubigerin betreibt seit dem Jahr 2007 die Zwangsversteigerung der
  26. eingangs genannten Grundstücke des Schuldners, deren Werte mit 83.000 €
  27. und 65.000 € festgesetzt wurde. Das Verfahren wurde wegen einer bestehenden Suizidgefährdung des Schuldners mehrmals einstweilen eingestellt. In dem
  28. Versteigerungstermin am 5. September 2011 wurde ein Meistgebot über
  29. 60.000 € abgegeben. Auf Antrag des Schuldners versagte das Amtsgericht
  30. nach Einholung einer amtsärztlichen Stellungnahme den Zuschlag auf das
  31. Meistgebot und stellte das Verfahren einstweilen bis zum 21. April 2012 ein.
  32. Dabei wies es den Schuldner darauf hin, dass sein Gesundheitszustand nicht
  33. zu einer dauerhaften Einstellung des Verfahrens führen könne; er sei daher gehalten, durch geeignete Maßnahmen seinen Gesundheitszustand zu stabilisieren. Vor dem für den 7. Februar 2013 anberaumten nächsten Versteigerungstermin stellte der Schuldner erneut Vollstreckungsschutzantrag, den er wiederum mit akuter Suizidgefahr begründete. Er teilte dabei mit, dass er keine psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen habe, da
  34. sich sein Zustand infolge der vorläufigen Einstellung des Verfahrens stabilisiert
  35. habe. Eine erhebliche Verschlechterung sei mit der Fortsetzung des Verfahrens
  36. eingetreten. In dem Termin wurde ein Meistgebot über 62.000 € abgegeben.
  37. Nach Einholung einer weiteren amtsärztlichen Stellungnahme, die wiederum
  38. vom Vorliegen einer Suizidgefahr bei dem Schuldner ausging, versagte das
  39. Amtsgericht erneut den Zuschlag und stellte das Verfahren bis zum 27. September 2013 einstweilen ein. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der betreibenden Gläubigerin wies das Landgericht nach Einholung eines psychiatrischen
  40. Gutachtens zurück. Seine im März 2013 aufgenommene ambulante psychothe-
  41. -4-
  42. rapeutische Behandlung beendete der Schuldner im April 2014. Unmittelbar vor
  43. dem nächsten Versteigerungstermin am 18. Dezember 2014 beantragte er erneut die einstweilige Einstellung wegen Suizidgefahr. In dem Termin wurde ein
  44. Gebot über 60.000 € abgegeben. Den Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts
  45. hob das Landgericht auf die sofortige Beschwerde des Schuldners auf, versagte den Zuschlag und stellte die Zwangsversteigerung einstweilen bis zum
  46. 14. März 2016 ein. In diesem Beschluss gab es dem Schuldner auf, sich in eine
  47. psychotherapeutische Behandlung zu begeben und dies dem Vollstreckungsgericht gegenüber nachzuweisen. Der Schuldner wurde darauf hingewiesen, dass
  48. weiterer Vollstreckungsschutz nicht in Betracht käme, sollte er der Auflage nicht
  49. nachkommen. Ab dem 5. April 2016 wurde das Verfahren fortgesetzt. Vor dem
  50. auf den 30. Juni 2016 bestimmten Versteigerungstermin stellte der Schuldner
  51. erneut Vollstreckungsschutzantrag. Zur Begründung führte er aus, er sei zunächst aufgrund von Erkrankungen nicht zur Aufnahme einer Therapie in der
  52. Lage gewesen; anschließend habe es keine zeitnahen Termine gegeben. Außerdem sei seine Skepsis an einem Behandlungserfolg weiterhin bestehen geblieben. Von seinem Entschluss, sich einer psychotherapeutischen Behandlung
  53. zu unterziehen, sei er wieder abgerückt. In dem Versteigerungstermin blieb der
  54. Ersteher mit einem Gebot von 60.000 € Meistbietender.
  55. 2
  56. Mit Beschlüssen vom 14. Juli 2016 hat das Amtsgericht den Vollstreckungsschutzantrag des Schuldners zurückgewiesen und dem Ersteher den
  57. Zuschlag erteilt. Die gegen beide Beschlüsse gerichteten sofortigen Beschwerden hat das Landgericht zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser will der Schuldner die Versagung des Zuschlags und die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens erreichen.
  58. -5-
  59. II.
  60. 3
  61. Das Beschwerdegericht geht aufgrund von mehreren gutachterlichen
  62. Stellungnahmen der Amtsärztin sowie des in dem vorangegangenen Beschwerdeverfahren eingeholten Gutachtens eines Psychiaters und Psychotherapeuten davon aus, dass der Schuldner psychisch erkrankt ist und dass ernsthaft mit einem Suizid des Schuldners gerechnet werden muss, falls der Zuschlagsbeschluss rechtskräftig wird und der Schuldner damit sein Eigentum an
  63. dem von ihm bewohnten Haus - seinem Elternhaus - endgültig verliert. Die Abwendung der Suizidgefahr werde nach allen eingeholten ärztlichen Stellungnahmen nur durch eine konsequente längerfristige psychotherapeutische Behandlung erfolgen können. Andere Möglichkeiten stünden nicht zu Gebote. Eine
  64. Unterbringung, die Gabe von Medikamenten oder eine stationäre Behandlung
  65. seien nicht geeignet, den zugrundeliegenden Konflikt zu lösen und es dem
  66. Schuldner zu ermöglichen, anders als mit einem Selbstmord auf den Eigentumsverlust zu reagieren sowie sich sicher von seinen Selbstmordabsichten zu
  67. distanzieren. Eine solche längerfristige Psychotherapie habe der Schuldner
  68. nicht aufgenommen. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts besteht auch keinerlei Aussicht darauf, dass er sich dazu bereitfinden werde. Dies sei zur Überzeugung des Gerichts nicht darauf zurückzuführen, dass der Schuldner krankheitsbedingt nicht in der Lage wäre, eine solche Therapie anzugehen oder
  69. durchzuführen. Zwar sei die ihm diagnostizierte Anpassungsstörung auch durch
  70. Antriebslosigkeit gekennzeichnet. Dass er bis heute keine Therapie begonnen
  71. habe, liege aber nicht hierin begründet, sondern sei vielmehr darauf zurückzuführen, dass er nach eigenem glaubhaften Vorbringen skeptisch sei, ob ihm
  72. eine Psychotherapie überhaupt helfen werde. Mithin sei davon auszugehen,
  73. dass der momentane Zustand des Schuldners sich in den nächsten Jahren
  74. nicht verändern werde. Auch eine Unterbringung oder Ingewahrsamnahme
  75. -6-
  76. könne lediglich für die Zeit ihrer Dauer helfen; danach werde die Gefahr eines
  77. „Bilanzselbstmords“ weiterhin bestehen bleiben. Einzig in Betracht komme daher eine dauerhafte Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens ohne Auflagen, was praktisch einem dauerhaften Eingriff in das Eigentumsrecht der betreibenden Gläubigerin gleichkäme. Vor diesem Hintergrund überwögen nunmehr deren Interessen.
  78. III.
  79. 4
  80. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 96 ZVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Satz 1
  81. Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg, da die Entscheidung des Beschwerdegerichts
  82. rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
  83. 5
  84. 1. Einer Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss ist nach § 100
  85. Abs. 3 i.V.m. § 83 Nr. 6 ZVG stattzugeben, wenn wegen eines Vollstreckungsschutzantrages des Schuldners nach § 765a ZPO bereits der Zuschlag wegen
  86. einer mit dem Eigentumsverlust verbundenen konkreten Gefahr für das Leben
  87. des Schuldners oder eines nahen Angehörigen nicht hätte erteilt werden dürfen
  88. (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2016 - V ZB 138/15, MDR
  89. 2017, 238 Rn. 8; Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR
  90. 2016, 336 Rn. 5; Beschluss vom 12. November 2014 - V ZB 99/14, NJW-RR
  91. 2015, 393 Rn. 6 mwN). Den Feststellungen des Beschwerdegerichts zufolge ist
  92. der Schuldner aufgrund einer psychischen Erkrankung ernsthaft suizidgefährdet, und zwar schon durch den mit dem Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses bewirkten Eigentumsverlust als solchen; hiervon ist für das
  93. Rechtsbeschwerdeverfahren auszugehen.
  94. -7-
  95. 6
  96. 2. Das Beschwerdegericht geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass
  97. der Zuschlag nicht ohne weiteres zu versagen und die Zwangsversteigerung
  98. (einstweilen) einzustellen ist, wenn eine solche konkrete Gefahr für Leben und
  99. Gesundheit des Schuldners mit der Zwangsvollstreckung verbunden ist. Vielmehr ist das in solchen Fällen ganz besonders gewichtige Interesse des von
  100. der Vollstreckung Betroffenen (Lebensschutz, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gegen
  101. das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers (Gläubigerschutz, Art. 14 GG;
  102. wirksamer Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG) abzuwägen. Es ist daher sorgfältig
  103. zu prüfen, ob der Gefahr der Selbsttötung auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Mit Blick auf die
  104. Interessen des Erstehers gilt nichts anderes (zum Ganzen: Senat, Beschluss
  105. vom 13. Oktober 2016 - V ZB 138/15, MDR 2017, 238 Rn. 11; Beschluss vom
  106. 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR 2016, 336 Rn. 6; Beschluss vom
  107. 12. November 2014 - V ZB 99/14, NJW-RR 2015, 393 Rn. 7 mwN; vgl. auch
  108. BVerfG, ZfIR 2014, 874 Rn. 11 f.).
  109. 7
  110. a) Mögliche Maßnahmen betreffen die Art und Weise, wie die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, die Ingewahrsamnahme des suizidgefährdeten
  111. Schuldners nach polizeirechtlichen Vorschriften oder dessen Unterbringung
  112. nach den einschlägigen Landesgesetzen sowie die betreuungsrechtliche Unterbringung (§ 1906 BGB). Kann der Suizidgefahr des Schuldners auf diese Weise
  113. entgegengewirkt werden, scheidet die Einstellung aus. Der Verweis auf die für
  114. den Lebensschutz primär zuständigen Behörden und Gerichte ist verfassungsrechtlich allerdings nur tragfähig, wenn diese entweder Maßnahmen zum
  115. Schutz des Lebens des Schuldners getroffen oder aber eine erhebliche Suizidgefahr gerade für das diese Gefahr auslösende Moment (Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses oder Räumung) nach sorgfältiger Prüfung abschließend
  116. verneint haben. Hat die Ordnungsbehörde Maßnahmen ergriffen, kann das
  117. -8-
  118. Vollstreckungsgericht davon ausgehen, dass diese ausreichen; flankierende
  119. Maßnahmen hat es nur zu erwägen, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür hat,
  120. dass die von der Behörde ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen, oder wenn
  121. sich konkrete neue Gesichtspunkte ergeben, die die Lage entscheidend verändern (vgl. zum Ganzen: Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15,
  122. NJW-RR 2016, 336 Rn. 7; Beschluss vom 12. November 2014 - V ZB 99/14,
  123. NJW-RR 2015, 393 Rn. 8 mwN). Das Vollstreckungsgericht ist daher gehalten,
  124. die zuständigen Stellen zu beteiligen, wenn entsprechende Maßnahmen als
  125. Alternative zur einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung in Betracht
  126. kommen (Schmidt-Räntsch, ZfIR 2011, 849, 854; siehe zur primären Zuständigkeit der Behörden und des Betreuungsgerichts für den Lebensschutz auch
  127. BVerfG, ZfIR 2014, 874 Rn. 12).
  128. 8
  129. b) Steht hingegen fest oder ist aller Voraussicht nach davon auszugehen,
  130. dass die Anordnung der Unterbringung zu einer bloßen Verwahrung auf Dauer
  131. führte, so ist eine Freiheitsentziehung zur Ermöglichung der Zwangsvollstreckung unverhältnismäßig und das Verfahren (ggfs. erneut) auf bestimmte Zeit
  132. einzustellen. Gleiches gilt, wenn der Gefahr der Selbsttötung nur durch eine
  133. außer Verhältnis stehende jahrelange Unterbringung ohne erkennbaren therapeutischen
  134. Nutzen
  135. begegnet
  136. werden
  137. kann
  138. (Senat,
  139. Beschluss
  140. vom
  141. 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR 2016, 336 Rn. 8; Beschluss vom
  142. 15. Juli 2010 - V ZB 1/10, NJW-RR 2010, 1649 Rn. 14 mwN; siehe auch
  143. BVerfG, ZfIR 2014, 874 Rn. 11 mwN). Anders verhält es sich dagegen, wenn
  144. innerhalb eines überschaubaren Zeitraums eine Chance dafür besteht, dass die
  145. Freiheitsentziehung zu einer Stabilisierung des Suizidgefährdeten führen und
  146. durch therapeutische Maßnahmen während der Unterbringung die Grundlage
  147. für ein Leben in Freiheit ohne konkrete Suizidgefährdung gelegt werden kann
  148. (Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, aaO, Rn. 8 mwN).
  149. -9-
  150. 9
  151. 3. Diesen Vorgaben der ständigen Rechtsprechung sowohl des Senats
  152. als auch des Bundesverfassungsgerichts wird die Vorgehensweise des Beschwerdegerichts aus mehreren Gründen nicht gerecht.
  153. 10
  154. a) Die durch das Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen tragen
  155. nicht die von ihm gezogene Schlussfolgerung, dass der Gefahr der Selbsttötung
  156. des Schuldners nicht auf andere Weise als durch die dauerhafte Einstellung der
  157. Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Das Beschwerdegericht
  158. geht auf der Grundlage der bisher eingeholten ärztlichen Stellungnahmen davon aus, dass die Suizidgefahr durch eine konsequente längerfristige psychotherapeutische Behandlung abgewendet werden kann. Die Möglichkeit, eine
  159. solche Behandlung durch bestimmte flankierende Maßnahmen, wie etwa eine
  160. vorübergehende Unterbringung des Schuldners oder eine ihm aufzuerlegende
  161. stationäre Behandlung (hierzu Zschieschack/Brücher, ZMR 2015, 745, 747 f.),
  162. sicherzustellen, lässt sich mit der von dem Beschwerdegericht gegebenen Begründung nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen. Dass der
  163. Schuldner in der Vergangenheit psychotherapeutische Behandlungen nicht aufgenommen oder aus eigenem Antrieb beendet hat, belegt alleine nicht, dass
  164. eine Unterbringung zu dem Zwecke der therapeutischen Behandlung keine
  165. Aussicht auf Erfolg hat. Wie das Beschwerdegericht selbst feststellt, ist die bei
  166. dem Schuldner diagnostizierte Anpassungsstörung auch durch Antriebslosigkeit
  167. gekennzeichnet. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der
  168. Schuldner sich ungeachtet seiner Skepsis und der Aussicht, im Falle einer erfolgreichen Therapie mit einer Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens rechnen zu müssen, einer solchen im Falle der Unterbringung stellen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2013 - I ZB 15/13, NJW 2014, 2288
  169. Rn. 27). Zumindest hätte das Beschwerdegericht diese Möglichkeit in Erwägung ziehen und die Amtsärztin bzw. den psychiatrischen Sachverständigen zu
  170. den Erfolgsaussichten einer solchen Maßnahme befragen müssen (vgl. Senat,
  171. - 10 -
  172. Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR 2016, 336 Rn. 12).
  173. Die Annahme des Beschwerdegerichts, eine Unterbringung könne lediglich für
  174. die Zeit ihrer Dauer helfen und danach sei die Gefahr eines Bilanzselbstmords
  175. weiterhin gegeben, bleibt ohne entsprechende Sachaufklärung mit ärztlicher
  176. Hilfe spekulativ und wird dem Gebot der sorgfältigen Abwägung der gegenseitigen Interessen des Betroffenen und des Gläubigers nicht gerecht.
  177. 11
  178. b) Die Feststellungen des Landgerichts tragen auch nicht seine Schlussfolgerung, dass eine solche Unterbringung vorliegend nicht in Betracht kommt.
  179. Nach dem einschlägigen Landesrecht ist dies nicht ausgeschlossen. § 11
  180. Abs. 1 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG NRW) erlaubt eine Unterbringung
  181. Betroffener, wenn und solange durch deren krankheitsbedingtes Verhalten eine
  182. erhebliche Selbstgefährdung besteht, die nicht anders abgewendet werden
  183. kann. Dass eine Unterbringung auf dieser Grundlage nicht möglich ist, hat das
  184. Beschwerdegericht nicht begründet. Es kann auch nicht ohne weiteres davon
  185. ausgegangen werden, dass die für den Lebensschutz primär zuständigen Behörden sich ihrer Verantwortung dadurch entziehen, dass sie auf die Möglichkeit der Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens verweisen. Das Beschwerdegericht durfte daher nicht davon absehen, die für den Antrag auf Unterbringung des Schuldners nach § 12 PsychKG NRW zuständige örtliche Ordnungsbehörde zu befassen.
  186. 12
  187. c) Entsprechendes gilt für die betreuungsrechtliche Unterbringung des
  188. Schuldners. Im Gegensatz zu einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung setzt
  189. die Unterbringung nach dem Betreuungsrecht (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB) keine
  190. akute, unmittelbare bevorstehende Gefahr für den Betreuten voraus. Notwendig
  191. ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für dessen Leib und Leben,
  192. wobei die Anforderungen an die Voraussehbarkeit einer Selbsttötung oder einer
  193. - 11 -
  194. erheblichen gesundheitlichen Eigenschädigung jedoch nicht überspannt werden
  195. dürfen (Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR 2016,
  196. 336 Rn. 15; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2010 - XII ZB 118/10, NJW-RR
  197. 2010, 1370 Rn. 10). Zwar darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden (§ 1896 Abs. 1a BGB). Das Beschwerdegericht hat
  198. aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob sich der Schuldner einer solchen
  199. Betreuung widersetzen würde und ob ein solcher Entschluss auf einer freien
  200. Willensbildung beruhte. Es wäre daher gehalten gewesen, zunächst das Betreuungsgericht einzuschalten, gegebenenfalls gleichzeitig mit der Befassung
  201. der für die Unterbringung nach § 12 PsychKG NRW zuständigen Stellen.
  202. IV.
  203. 13
  204. 1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache
  205. zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Sie
  206. ist nicht zur Entscheidung reif, da nicht abschließend feststeht, ob eine erneute
  207. befristete Einstellung des Verfahrens zur Abwendung der Gefahr der Selbsttötung des Schuldners geeignet ist.
  208. 14
  209. 2. Das Beschwerdegericht wird die fehlenden tatsächlichen Feststellungen zu der Frage, ob der Schuldner mit dem Ziel einer therapeutischen Behandlung untergebracht werden kann, nachzuholen haben. Dabei bietet es sich
  210. auch im Hinblick auf die schon jetzt erhebliche Verfahrensdauer an, die hierfür
  211. zuständigen Behörden parallel zu beteiligen und jeweils von der Befassung der
  212. anderen Behörden in Kenntnis zu setzen, um eine Koordination der zu ergreifenden Maßnahmen zu ermöglichen.
  213. 15
  214. 3. Gelangt das Beschwerdegericht bei der abschließenden, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Würdigung der Gesamtumstände (vgl.
  215. BVerfG, NZM 2014, 701 Rn. 19; Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016
  216. - 12 -
  217. - V ZB 115/15,
  218. NJW-RR
  219. 2016,
  220. 336
  221. Rn. 19;
  222. Beschluss
  223. vom
  224. 6. De-
  225. zember 2012 - V ZB 80/12, NZM 2013, 162 Rn. 8) zu dem Ergebnis, dass eine
  226. zeitweise Unterbringung vor Erteilung des Zuschlages keine Aussicht auf Erfolg
  227. hat oder aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist bzw. von den hiermit befassten öffentlichen Stellen nicht angeordnet wird, so wird es nach den genannten
  228. Maßstäben gleichwohl die Möglichkeit einer befristeten Einstellung des
  229. Zwangsversteigerungsverfahrens nicht von vornherein mit der bisher gegebenen Begründung ausschließen können, selbst wenn die Aussichten auf eine
  230. Besserung des Gesundheitszustandes des Schuldners gering sein sollten (vgl.
  231. Senat, Beschluss vom 12. November 2014 - V ZB 99/14, NJW-RR 2015, 393
  232. Rn. 13).
  233. V.
  234. 16
  235. 1. Da aus dem Zuschlagsbeschluss schon vor dem Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden kann und die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt,
  236. ist die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts gemäß § 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO auszusetzen (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR
  237. 2016, 336 Rn. 20; Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 48/10, NJW-RR 2011,
  238. 1452 Rn. 17).
  239. - 13 -
  240. 17
  241. 2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Vertretung
  242. des Schuldners beruht auf § 26 Nr. 2 RVG. Gerichtskosten sind in dem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht angefallen.
  243. Schmidt-Räntsch
  244. Brückner
  245. Kazele
  246. Weinland
  247. Hamdorf
  248. Vorinstanzen:
  249. AG Siegen, Entscheidung vom 14.07.2016 - 20 K 69/07 LG Siegen, Entscheidung vom 26.09.2016 - 4 T 144/16 -