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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 72/13
vom
18. September 2014
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 290 Abs. 1 aF, § 305 Abs. 3 Satz 2 aF
Gilt ein Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein
Vermögen und auf Restschuldbefreiung wegen Nichterfüllung einer zulässigen
Auflage als zurückgenommen, kann ein neuer Antrag erst nach Ablauf von drei
Jahren gestellt werden.
BGH, Beschluss vom 18. September 2014 - IX ZB 72/13 - LG Kleve
AG Kleve
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape
und die Richterin Möhring
am 18. September 2014
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer
des Landgerichts Kleve vom 24. September 2013 wird auf Kosten
des Schuldners zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
5.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Am 7. Mai 2013 stellte der Schuldner durch seinen anwaltlichen Vertreter
beim Amtsgericht Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens
über sein Vermögen und auf Restschuldbefreiung. Das Amtsgericht forderte
den Schuldner zur Nachbesserung des in näher bezeichneter Weise unvollständigen Antrags mit dem Hinweis auf, dass der Insolvenzantrag als zurückgenommen gelte, wenn nicht binnen Monatsfrist dem Nachbesserungsverlangen nachgekommen werde. Mit Anwaltsschriftsatz erklärte sich der Schuldner
hierzu und legte weitere Unterlagen vor. Mit Schreiben vom 19. Juni 2013 teilte
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daraufhin das Amtsgericht mit, dass der Insolvenzantrag mangels ausreichender Nachbesserung kraft Gesetzes als zurückgenommen gelte, womit auch der
Restschuldbefreiungsantrag gegenstandslos sei.
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Am 7. August 2013 hat der Schuldner erneut Antrag auf Eröffnung des
Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen und auf Restschuldbefreiung gestellt, zudem auf Stundung der Verfahrenskosten. Diese Anträge hat
das Amtsgericht mit Beschluss vom 19. August 2013 zurückgewiesen, weil sie
jedenfalls innerhalb einer Frist von drei Jahren nach der Rücknahmefiktion des
§ 305 Abs. 3 Satz 2 InsO unzulässig seien. Die hiergegen erhobene sofortige
Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seine Anträge weiter.
II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
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1. Das Landgericht hat gemeint, nach einer Rücknahmefiktion gemäß
§ 305 Abs. 3 Satz 2 InsO wegen der Nichtbehebung solcher Mängel, die innerhalb der dortigen Monatsfrist hätten behoben werden können, bestehe in Fortbildung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenfalls eine dreijährige
Sperrfrist. Der Schuldner lasse, wenn er die Frist ungenutzt verstreichen lasse,
ein auf effiziente Verfahrensförderung bedachtes Verhalten vermissen. Bliebe
der Umstand mit Ausnahme der Rücknahmefiktion ohne Konsequenz, würde
der Zweck des § 305 Abs. 3 InsO, das Verfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen, in das Gegenteil verkehrt. Der grundsätzlich fehlende Rechtsschutz
gegen die Rücknahmefiktion stehe dem nicht entgegen, weil in Fällen, in denen
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die gerichtlichen Anforderungen nicht erfüllbar seien oder mit den gesetzlichen
Anforderungen des § 305 Abs. 1 InsO nicht in Einklang stünden, ein Rechtsmittel als zulässig anzusehen sei. Mit der Neuregelung der Vorschriften zur Restschuldbefreiung wolle der Gesetzgeber zwar die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs teilweise nicht übernehmen. Für das hier noch
anwendbare alte Recht könnten hieraus aber keine Rückschlüsse gezogen
werden.
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2. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts halten rechtlicher Prüfung
stand.
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a) Für den hier vorliegenden Fall, in dem das Insolvenzverfahren vor
dem 1. Juli 2014 beantragt worden ist, findet die Insolvenzordnung gemäß
Art. 103h Satz 1 EGInsO in der vor dem 1. Juli 2014 geltenden Fassung Anwendung. Das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und
zur Stärkung der Gläubigerrechte findet noch keine Anwendung.
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b) Für das hier anwendbare Recht ergibt sich für den Fall der Rücknahmefiktion des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO eine Sperrfrist von drei Jahren.
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Die Frage ist allerdings, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat,
streitig. Nach einer Auffassung gibt es hier keine Sperrfrist (AG Hamburg,
ZInsO 2011, 2048 f; LG Frankenthal, ZInsO 2012, 2399 f; LG Düsseldorf, ZInsO
2013, 893 f; AG Köln, NZI 2013, 498; für einen Sonderfall auch AG Essen,
ZInsO 2012, 1730; HK-InsO/Waltenberger, 7. Aufl., § 305 aF Rn. 62; HmbKomm-InsO/Streck, 4. Aufl., § 287 Rn. 6 b; MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, 3. Aufl.,
§ 305 Rn. 95; FK-InsO/Grote, 7. Aufl., § 305 Rn. 64; Schmidt/Stephan, InsO,
18. Aufl., § 305 Rn. 53). Nach anderer Auffassung, der die Vorinstanzen gefolgt
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sind, ist eine Sperrfrist jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation einzuhalten, in der die Rücknahmefiktion eintritt, weil der Schuldner solche Mängel
nicht beseitigt hat, die er in der Monatsfrist des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO hätte
beheben können (AG Essen, ZInsO 2012, 1730; ZInsO 2012, 850 f; AG Hamburg, ZInsO 2012, 195 f; NZI 2011, 981; AG Ludwigshafen, ZInsO 2012, 1586).
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c) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend.
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Der Senat hat die im Beschluss vom 16. Juli 2009 (IX ZB 219/08, BGHZ
183, 13 Rn. 8 ff) entwickelte Rechtsprechung auch auf Fälle erstreckt, in denen
der Schuldner auf den ihm im Anschluss an den Antrag eines Gläubigers erteilten gerichtlichen Hinweis, er könne einen eigenen Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens verbunden mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung stellen, bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag des Gläubigers nicht mit
eigenen Anträgen reagiert hat (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 - IX ZB
174/09, ZInsO 2010, 344 Rn. 7 f; vom 4. Februar 2010 - IX ZA 40/09, ZInsO
2010, 491 Rn. 5). Ebenso gilt die Sperrfrist, wenn der Schuldner seinen Antrag
auf Restschuldbefreiung zurückgenommen hat (BGH, Beschluss vom 12. Mai
2011 - IX ZB 221/09, ZInsO 2011, 1127 Rn. 7 f). Sie gilt auch für den Fall, dass
der Schuldner seinen Antrag auf Verfahrenseröffnung und Kostenstundung zurücknimmt, bevor ein die Kostenstundung versagender Beschluss rechtskräftig
wird (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2011, aaO Rn. 7; vom 6. Oktober 2011 - IX
ZB 114/11, ZInsO 2011, 2198 Rn. 2). Schließlich gilt die Sperrfrist auch in Fällen, in denen der Schuldner den Antrag auf Restschuldbefreiung erst in der
Wohlverhaltensperiode zurücknimmt, nachdem er neue Schulden begründet
hat, um sofort einen neuen Antrag zu stellen (BGH, Beschluss vom 20. März
2014 - IX ZB 17/13, ZInsO 2014, 795 Rn. 8).
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Die dort entwickelten Grundsätze gelten auch im Falle der Rücknahmefiktion des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO, jedenfalls wenn der Schuldner - wie
hier - Nachbesserungsverlangen des Insolvenzgerichts fristgerecht hätte erfüllen können.
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Die Pflicht des Insolvenzgerichts, den Schuldner auf Mängel der Anträge
hinzuweisen, würde ebenso wie die Pflicht, ihn auf die Möglichkeit der Eigenantragstellung mit Antrag auf Restschuldbefreiung hinzuweisen und eine richterliche Frist zu setzen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010, aaO Rn. 8),
ihrer verfahrensfördernden und beschleunigenden Funktion beraubt, wenn die
Nichtbefolgung des Hinweises wegen der Befugnis zur sofortigen Einleitung
eines weiteren Insolvenzverfahrens ohne verfahrensrechtliche Konsequenzen
bliebe. Im Falle der Rücknahmefiktion des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO käme dieser keine praktische Wirkung zu, wenn der Schuldner die Gerichte schon am
nächsten Tag mit einem neuen Verfahren belasten könnte, obwohl er die Möglichkeit und Gelegenheit hatte, die fehlenden Erklärungen und Unterlagen beizubringen und damit mehrere, innerhalb kurzer Fristen nacheinander durchzuführende Verfahren zu vermeiden. Letzteres wäre weder mit Sinn und Zweck
der entsprechenden Belehrungspflichten noch mit derjenigen der Rücknahmefiktion vereinbar. Diese sollen gerade verhindern, dass Verfahren innerhalb
kurzer Zeiträume wiederholt durchgeführt werden müssen (vgl. BGH, Beschluss
vom 21. Januar 2010, aaO). Es kann nicht im Belieben des Schuldners stehen,
neue Verfahren einzuleiten, um ihm gesetzte zeitliche Fristen zu entgehen (vgl.
BGH, Beschluss vom 12. Mai 2011, aaO Rn. 7).
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Zwar ist im Falle des § 305 Abs. 3 InsO, anders als bei Rücknahme des
Antrags auf Restschuldbefreiung im schon eröffneten Verfahren oder in der
Wohlverhaltensperiode, noch kein aufwendiges und kostenintensives Verfahren
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durchgeführt worden. Gleichwohl muss bei einem neuen Antrag erneut eine
vollständige Prüfung durchgeführt werden, die weit aufwendiger ist als die Prüfung lediglich der fehlenden Erklärungen und Unterlagen.
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d) Der Senat hat allerdings im Beschluss vom 16. Oktober 2003 (IX ZB
599/02, ZInsO 2003, 1040, 1041 angenommen, der Schuldner könne jederzeit
nach Eintritt der Rücknahmefiktion einen neuen Insolvenzantrag stellen. Diese
Annahme stammt aber aus einer Zeit lange vor der Entwicklung der Sperrfristen
im Beschluss vom 16. Juli 2009 (aaO). Ihr kommt daher heute im Zusammenhang mit den Sperrfristen keine Bedeutung mehr zu.
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e) Der Erstreckung der Sperrfrist auf die hier behandelten Fälle des
§ 305 Abs. 3 Satz 2 InsO steht nicht entgegen, dass gegen die Rücknahmefiktion in der Insolvenzordnung kein Rechtsmittel vorgesehen ist.
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aa) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die aus
Art. 19 Abs. 4 GG und dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Garantie effektiven Rechtsschutzes nicht eine Überprüfung in einem Instanzenzug (BVerfG,
NJW 2003, 1924). Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und
Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei
einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und
unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können (BVerfG, aaO).
Die in § 305 Abs. 3 InsO vorgesehene Prüfung der Vollständigkeit der von Gesetzes wegen bei der Stellung des Eröffnungsantrags geforderten Erklärungen
und Unterlagen durch das Insolvenzgericht genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen. Eine Überprüfung durch eine weitere gerichtliche Instanz
ist von Verfassungs wegen auch unter Abwägung der Interessen der Beteiligten
nicht geboten (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2003, aaO).
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bb) Im Übrigen hat der Senat ausgesprochen, dass eine sofortige Beschwerde in analoger Anwendung des § 34 Abs. 1 InsO in Betracht kommt,
wenn die gerichtlichen Anforderungen an die beizubringenden Unterlagen und
Erklärungen nicht erfüllbar sind oder das Insolvenzgericht Anforderungen stellt,
die willkürlich von den vom Schuldner zu erfüllenden gesetzlichen Anforderungen nach § 305 Abs. 1 InsO abweichen (BGH, Beschluss vom 22. Oktober
2009 - IX ZB 195/08, ZInsO 2009, 2262 Rn. 4 ff mwN).
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f) Es kann dahinstehen, ob nach dem ab 1. Juli 2014 geltenden Recht
eine Sperrfrist im Falle des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO anzunehmen ist. Diesem
Recht ist - wie dargelegt - vom Gesetzgeber keine Rückwirkung auf früher beantragte Insolvenzverfahren beigemessen worden.
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Die Neuregelung verfolgt das Anliegen, die unterschiedlichen Sperrfristen in § 287a Abs. 2 InsO zu harmonisieren. Nach der Gesetzesbegründung zu
§ 287a InsO sind Sperrfristen für dort nicht geregelte Fälle vorhergehenden
Fehlverhaltens des Schuldners nicht vorgesehen. Insbesondere soll es auch
keine Sperrfrist für die von der Rechtsprechung entwickelten Fälle eines vorhergehend als unzulässig abgelehnten Restschuldbefreiungsantrags oder eines
unterlassenen Restschuldbefreiungsantrags im Vorverfahren mehr geben. Dem
zwar nachlässigen, aber gegenüber seinen Gläubigern redlichen Schuldner soll
eine alsbaldige Restschuldbefreiung nicht verwehrt werden (BT-Drucks.
17/11268 S. 24 f zu Nr. 20, Einfügung von § 287a). Dies spricht dafür, dass
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nach neuem Recht im Falle des (geänderten) § 305 InsO keine Sperrfrist gelten
soll.
Kayser
Vill
Pape
Lohmann
Möhring
Vorinstanzen:
AG Kleve, Entscheidung vom 19.08.2013 - 32 IK 98/13 LG Kleve, Entscheidung vom 24.09.2013 - 4 T 239/13 -