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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 72/13
  4. vom
  5. 18. September 2014
  6. in dem Insolvenzverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. InsO § 290 Abs. 1 aF, § 305 Abs. 3 Satz 2 aF
  14. Gilt ein Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein
  15. Vermögen und auf Restschuldbefreiung wegen Nichterfüllung einer zulässigen
  16. Auflage als zurückgenommen, kann ein neuer Antrag erst nach Ablauf von drei
  17. Jahren gestellt werden.
  18. BGH, Beschluss vom 18. September 2014 - IX ZB 72/13 - LG Kleve
  19. AG Kleve
  20. - 2 -
  21. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  22. Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape
  23. und die Richterin Möhring
  24. am 18. September 2014
  25. beschlossen:
  26. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer
  27. des Landgerichts Kleve vom 24. September 2013 wird auf Kosten
  28. des Schuldners zurückgewiesen.
  29. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
  30. 5.000 € festgesetzt.
  31. Gründe:
  32. I.
  33. 1
  34. Am 7. Mai 2013 stellte der Schuldner durch seinen anwaltlichen Vertreter
  35. beim Amtsgericht Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens
  36. über sein Vermögen und auf Restschuldbefreiung. Das Amtsgericht forderte
  37. den Schuldner zur Nachbesserung des in näher bezeichneter Weise unvollständigen Antrags mit dem Hinweis auf, dass der Insolvenzantrag als zurückgenommen gelte, wenn nicht binnen Monatsfrist dem Nachbesserungsverlangen nachgekommen werde. Mit Anwaltsschriftsatz erklärte sich der Schuldner
  38. hierzu und legte weitere Unterlagen vor. Mit Schreiben vom 19. Juni 2013 teilte
  39. - 3 -
  40. daraufhin das Amtsgericht mit, dass der Insolvenzantrag mangels ausreichender Nachbesserung kraft Gesetzes als zurückgenommen gelte, womit auch der
  41. Restschuldbefreiungsantrag gegenstandslos sei.
  42. 2
  43. Am 7. August 2013 hat der Schuldner erneut Antrag auf Eröffnung des
  44. Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen und auf Restschuldbefreiung gestellt, zudem auf Stundung der Verfahrenskosten. Diese Anträge hat
  45. das Amtsgericht mit Beschluss vom 19. August 2013 zurückgewiesen, weil sie
  46. jedenfalls innerhalb einer Frist von drei Jahren nach der Rücknahmefiktion des
  47. § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO unzulässig seien. Die hiergegen erhobene sofortige
  48. Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seine Anträge weiter.
  49. II.
  50. 3
  51. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
  52. 4
  53. 1. Das Landgericht hat gemeint, nach einer Rücknahmefiktion gemäß
  54. § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO wegen der Nichtbehebung solcher Mängel, die innerhalb der dortigen Monatsfrist hätten behoben werden können, bestehe in Fortbildung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenfalls eine dreijährige
  55. Sperrfrist. Der Schuldner lasse, wenn er die Frist ungenutzt verstreichen lasse,
  56. ein auf effiziente Verfahrensförderung bedachtes Verhalten vermissen. Bliebe
  57. der Umstand mit Ausnahme der Rücknahmefiktion ohne Konsequenz, würde
  58. der Zweck des § 305 Abs. 3 InsO, das Verfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen, in das Gegenteil verkehrt. Der grundsätzlich fehlende Rechtsschutz
  59. gegen die Rücknahmefiktion stehe dem nicht entgegen, weil in Fällen, in denen
  60. - 4 -
  61. die gerichtlichen Anforderungen nicht erfüllbar seien oder mit den gesetzlichen
  62. Anforderungen des § 305 Abs. 1 InsO nicht in Einklang stünden, ein Rechtsmittel als zulässig anzusehen sei. Mit der Neuregelung der Vorschriften zur Restschuldbefreiung wolle der Gesetzgeber zwar die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs teilweise nicht übernehmen. Für das hier noch
  63. anwendbare alte Recht könnten hieraus aber keine Rückschlüsse gezogen
  64. werden.
  65. 5
  66. 2. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts halten rechtlicher Prüfung
  67. stand.
  68. 6
  69. a) Für den hier vorliegenden Fall, in dem das Insolvenzverfahren vor
  70. dem 1. Juli 2014 beantragt worden ist, findet die Insolvenzordnung gemäß
  71. Art. 103h Satz 1 EGInsO in der vor dem 1. Juli 2014 geltenden Fassung Anwendung. Das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und
  72. zur Stärkung der Gläubigerrechte findet noch keine Anwendung.
  73. 7
  74. b) Für das hier anwendbare Recht ergibt sich für den Fall der Rücknahmefiktion des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO eine Sperrfrist von drei Jahren.
  75. 8
  76. Die Frage ist allerdings, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat,
  77. streitig. Nach einer Auffassung gibt es hier keine Sperrfrist (AG Hamburg,
  78. ZInsO 2011, 2048 f; LG Frankenthal, ZInsO 2012, 2399 f; LG Düsseldorf, ZInsO
  79. 2013, 893 f; AG Köln, NZI 2013, 498; für einen Sonderfall auch AG Essen,
  80. ZInsO 2012, 1730; HK-InsO/Waltenberger, 7. Aufl., § 305 aF Rn. 62; HmbKomm-InsO/Streck, 4. Aufl., § 287 Rn. 6 b; MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, 3. Aufl.,
  81. § 305 Rn. 95; FK-InsO/Grote, 7. Aufl., § 305 Rn. 64; Schmidt/Stephan, InsO,
  82. 18. Aufl., § 305 Rn. 53). Nach anderer Auffassung, der die Vorinstanzen gefolgt
  83. - 5 -
  84. sind, ist eine Sperrfrist jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation einzuhalten, in der die Rücknahmefiktion eintritt, weil der Schuldner solche Mängel
  85. nicht beseitigt hat, die er in der Monatsfrist des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO hätte
  86. beheben können (AG Essen, ZInsO 2012, 1730; ZInsO 2012, 850 f; AG Hamburg, ZInsO 2012, 195 f; NZI 2011, 981; AG Ludwigshafen, ZInsO 2012, 1586).
  87. 9
  88. c) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend.
  89. 10
  90. Der Senat hat die im Beschluss vom 16. Juli 2009 (IX ZB 219/08, BGHZ
  91. 183, 13 Rn. 8 ff) entwickelte Rechtsprechung auch auf Fälle erstreckt, in denen
  92. der Schuldner auf den ihm im Anschluss an den Antrag eines Gläubigers erteilten gerichtlichen Hinweis, er könne einen eigenen Antrag auf Eröffnung des
  93. Insolvenzverfahrens verbunden mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung stellen, bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag des Gläubigers nicht mit
  94. eigenen Anträgen reagiert hat (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 - IX ZB
  95. 174/09, ZInsO 2010, 344 Rn. 7 f; vom 4. Februar 2010 - IX ZA 40/09, ZInsO
  96. 2010, 491 Rn. 5). Ebenso gilt die Sperrfrist, wenn der Schuldner seinen Antrag
  97. auf Restschuldbefreiung zurückgenommen hat (BGH, Beschluss vom 12. Mai
  98. 2011 - IX ZB 221/09, ZInsO 2011, 1127 Rn. 7 f). Sie gilt auch für den Fall, dass
  99. der Schuldner seinen Antrag auf Verfahrenseröffnung und Kostenstundung zurücknimmt, bevor ein die Kostenstundung versagender Beschluss rechtskräftig
  100. wird (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2011, aaO Rn. 7; vom 6. Oktober 2011 - IX
  101. ZB 114/11, ZInsO 2011, 2198 Rn. 2). Schließlich gilt die Sperrfrist auch in Fällen, in denen der Schuldner den Antrag auf Restschuldbefreiung erst in der
  102. Wohlverhaltensperiode zurücknimmt, nachdem er neue Schulden begründet
  103. hat, um sofort einen neuen Antrag zu stellen (BGH, Beschluss vom 20. März
  104. 2014 - IX ZB 17/13, ZInsO 2014, 795 Rn. 8).
  105. - 6 -
  106. 11
  107. Die dort entwickelten Grundsätze gelten auch im Falle der Rücknahmefiktion des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO, jedenfalls wenn der Schuldner - wie
  108. hier - Nachbesserungsverlangen des Insolvenzgerichts fristgerecht hätte erfüllen können.
  109. 12
  110. Die Pflicht des Insolvenzgerichts, den Schuldner auf Mängel der Anträge
  111. hinzuweisen, würde ebenso wie die Pflicht, ihn auf die Möglichkeit der Eigenantragstellung mit Antrag auf Restschuldbefreiung hinzuweisen und eine richterliche Frist zu setzen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010, aaO Rn. 8),
  112. ihrer verfahrensfördernden und beschleunigenden Funktion beraubt, wenn die
  113. Nichtbefolgung des Hinweises wegen der Befugnis zur sofortigen Einleitung
  114. eines weiteren Insolvenzverfahrens ohne verfahrensrechtliche Konsequenzen
  115. bliebe. Im Falle der Rücknahmefiktion des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO käme dieser keine praktische Wirkung zu, wenn der Schuldner die Gerichte schon am
  116. nächsten Tag mit einem neuen Verfahren belasten könnte, obwohl er die Möglichkeit und Gelegenheit hatte, die fehlenden Erklärungen und Unterlagen beizubringen und damit mehrere, innerhalb kurzer Fristen nacheinander durchzuführende Verfahren zu vermeiden. Letzteres wäre weder mit Sinn und Zweck
  117. der entsprechenden Belehrungspflichten noch mit derjenigen der Rücknahmefiktion vereinbar. Diese sollen gerade verhindern, dass Verfahren innerhalb
  118. kurzer Zeiträume wiederholt durchgeführt werden müssen (vgl. BGH, Beschluss
  119. vom 21. Januar 2010, aaO). Es kann nicht im Belieben des Schuldners stehen,
  120. neue Verfahren einzuleiten, um ihm gesetzte zeitliche Fristen zu entgehen (vgl.
  121. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2011, aaO Rn. 7).
  122. 13
  123. Zwar ist im Falle des § 305 Abs. 3 InsO, anders als bei Rücknahme des
  124. Antrags auf Restschuldbefreiung im schon eröffneten Verfahren oder in der
  125. Wohlverhaltensperiode, noch kein aufwendiges und kostenintensives Verfahren
  126. - 7 -
  127. durchgeführt worden. Gleichwohl muss bei einem neuen Antrag erneut eine
  128. vollständige Prüfung durchgeführt werden, die weit aufwendiger ist als die Prüfung lediglich der fehlenden Erklärungen und Unterlagen.
  129. 14
  130. d) Der Senat hat allerdings im Beschluss vom 16. Oktober 2003 (IX ZB
  131. 599/02, ZInsO 2003, 1040, 1041 angenommen, der Schuldner könne jederzeit
  132. nach Eintritt der Rücknahmefiktion einen neuen Insolvenzantrag stellen. Diese
  133. Annahme stammt aber aus einer Zeit lange vor der Entwicklung der Sperrfristen
  134. im Beschluss vom 16. Juli 2009 (aaO). Ihr kommt daher heute im Zusammenhang mit den Sperrfristen keine Bedeutung mehr zu.
  135. 15
  136. e) Der Erstreckung der Sperrfrist auf die hier behandelten Fälle des
  137. § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO steht nicht entgegen, dass gegen die Rücknahmefiktion in der Insolvenzordnung kein Rechtsmittel vorgesehen ist.
  138. 16
  139. aa) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die aus
  140. Art. 19 Abs. 4 GG und dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Garantie effektiven Rechtsschutzes nicht eine Überprüfung in einem Instanzenzug (BVerfG,
  141. NJW 2003, 1924). Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und
  142. Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei
  143. einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und
  144. unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können (BVerfG, aaO).
  145. Die in § 305 Abs. 3 InsO vorgesehene Prüfung der Vollständigkeit der von Gesetzes wegen bei der Stellung des Eröffnungsantrags geforderten Erklärungen
  146. und Unterlagen durch das Insolvenzgericht genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen. Eine Überprüfung durch eine weitere gerichtliche Instanz
  147. ist von Verfassungs wegen auch unter Abwägung der Interessen der Beteiligten
  148. nicht geboten (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2003, aaO).
  149. - 8 -
  150. 17
  151. bb) Im Übrigen hat der Senat ausgesprochen, dass eine sofortige Beschwerde in analoger Anwendung des § 34 Abs. 1 InsO in Betracht kommt,
  152. wenn die gerichtlichen Anforderungen an die beizubringenden Unterlagen und
  153. Erklärungen nicht erfüllbar sind oder das Insolvenzgericht Anforderungen stellt,
  154. die willkürlich von den vom Schuldner zu erfüllenden gesetzlichen Anforderungen nach § 305 Abs. 1 InsO abweichen (BGH, Beschluss vom 22. Oktober
  155. 2009 - IX ZB 195/08, ZInsO 2009, 2262 Rn. 4 ff mwN).
  156. 18
  157. f) Es kann dahinstehen, ob nach dem ab 1. Juli 2014 geltenden Recht
  158. eine Sperrfrist im Falle des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO anzunehmen ist. Diesem
  159. Recht ist - wie dargelegt - vom Gesetzgeber keine Rückwirkung auf früher beantragte Insolvenzverfahren beigemessen worden.
  160. 19
  161. Die Neuregelung verfolgt das Anliegen, die unterschiedlichen Sperrfristen in § 287a Abs. 2 InsO zu harmonisieren. Nach der Gesetzesbegründung zu
  162. § 287a InsO sind Sperrfristen für dort nicht geregelte Fälle vorhergehenden
  163. Fehlverhaltens des Schuldners nicht vorgesehen. Insbesondere soll es auch
  164. keine Sperrfrist für die von der Rechtsprechung entwickelten Fälle eines vorhergehend als unzulässig abgelehnten Restschuldbefreiungsantrags oder eines
  165. unterlassenen Restschuldbefreiungsantrags im Vorverfahren mehr geben. Dem
  166. zwar nachlässigen, aber gegenüber seinen Gläubigern redlichen Schuldner soll
  167. eine alsbaldige Restschuldbefreiung nicht verwehrt werden (BT-Drucks.
  168. 17/11268 S. 24 f zu Nr. 20, Einfügung von § 287a). Dies spricht dafür, dass
  169. - 9 -
  170. nach neuem Recht im Falle des (geänderten) § 305 InsO keine Sperrfrist gelten
  171. soll.
  172. Kayser
  173. Vill
  174. Pape
  175. Lohmann
  176. Möhring
  177. Vorinstanzen:
  178. AG Kleve, Entscheidung vom 19.08.2013 - 32 IK 98/13 LG Kleve, Entscheidung vom 24.09.2013 - 4 T 239/13 -