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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 217/09
vom
6. Juli 2011
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Vorsitzende Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richter Wendt, Felsch, Lehmann
und die Richterin Dr. Brockmöller
am 6. Juli 2011
beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des
5. Zivilsenats
des
Saarländischen
Oberlandesgerichts
vom 7. Oktober 2009 durch Beschluss nach § 552a ZPO
auf Kosten des Klägers zurückzuweisen.
Beide Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
4 Wochen
Stellung zu nehmen.
Gründe:
1
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht
vor; das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
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I. Der Kläger, selbständiger Juwelier und Goldschmied, fordert
Rentenleistungen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.
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1. Er leidet an einer Limbusstammzellen-Insuffizienz mit Hornhautdegeneration am linken Auge, in deren Folge er seit 1981 behandelt und
mehrfach operiert wurde. Mit Blick darauf wurde in den Versicherungsvertrag auf Verlangen des beklagten Versicherers folgende von ihm vorformulierte Zusatzklausel aufgenommen:
"Es gilt als vereinbart, dass die unten bezeichnete Gesun dheitsbeeinträchtigung und alle Leiden einschließlich eventueller Operationsfolgen, die medizinisch nachweisbar d amit ursächlich zusammenhängen, eine Leistung aus der B erufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nicht bedingt und bei
der Festsetzung des Grades der Berufsunfähigkeit aus a nderen gesundheitlichen Gründen unberücksichtigt bleibt.
Art der Gesundheitsbeeinträchtigung: Erkrankung des linken Auges"
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Nach Vertragsschluss verringerte sich infolge einer anderen E rkrankung auch das Sehvermögen des Klägers auf seinem rechten Auge.
Die Beklagte bestreitet einen Versicherungsfall. Infolge der Zusatzklausel müsse die Erkrankung des Klägers auf seinem linken Auge bei der
Ermittlung des Grades der Berufsunfähigkeit außer Betracht bleiben,
mithin dieses Auge als gesund betrachtet werden. Die Beeinträchti gung
des rechten Auges führe für sich genommen nicht zu einem für die bea ntragte Versicherungsleistung zumindest vorausgesetzten Grad der B erufsunfähigkeit von 33%.
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Der Kläger meint, dieser Grad der Berufsunfähigkeit werde selbst
dann überschritten, wenn man unterstelle, sein linkes Auge sei gesund.
Im Übrigen habe er die Zusatzklausel so verstehen dürfen, dass lediglich
sein linkes Auge unversichert, er also wie ein "Einäugiger" gegen den
Verlust der Sehkraft auf seinem rechten Auge versichert sei. An deren-
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falls sei die Ausschlussklausel intransparent und benachteilige ihn una ngemessen.
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2. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger nicht bewiesen, dass er zu
jedenfalls 33% berufsunfähig sei. Die Sehschwäche des linken Auges
müsse ungeachtet des Umstandes, dass auch sie sich seit Vertrag sschluss verschlechtert habe, bei der Bemessung der Berufsunfähigkeit
insgesamt außer Betracht bleiben und stattdessen unterstellt werden,
das linke Auge des Klägers sei gesund.
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Das ergebe die Auslegung der Ausschlussklausel. Die Erkrankung
eines Organs unberücksichtigt zu lassen, zwinge im Umkehrschluss d azu, es als nicht erkrankt anzusehen. Die Zusatzklausel sei wirksam , halte
insbesondere der AGB-rechtlichen Kontrolle stand.
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Ein Schadensersatzanspruch stehe dem Kläger nicht zu. Selbst
wenn die Beklagte beim ihm falsche Vorstellungen über den Umfang des
Versicherungsschutzes erweckt haben sollte, habe er nicht behauptet,
dass er bei einem anderen Versicherer die Mitversicherung seiner Erkrankung des linken Auges hätte erreichen können.
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II. Das Berufungsgericht hat die Revision gestützt auf § 543 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache mit der
Erwägung zugelassen, dass sie die Auslegung einer in ähnlichen Versicherungsverträgen häufiger verwendeten Klausel betreffe.
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Das allein rechtfertigt die Zulassung der Revision indes nicht (vgl.
dazu Senatsbeschluss vom 18. November 2009 - IV ZR 36/09, VersR
2010, 645 Rn. 4 m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich, dass die Auslegung der
Klausel in Rechtsprechung und Literatur umstritten wäre (vgl. zu ähnlichen Klauseln: LG Düsseldorf VersR 2008, 1522 f.; OLG Nürnberg VersR
1987, 249).
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Auch sonstige Zulassungsgründe sind nicht ersichtlich.
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III. Eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Klägers von
zumindest 33% lässt sich nicht feststellen, weil die Erkrankung des li nken Auges des Klägers bei der Bemessung des Grades der Berufsunf ähigkeit nach der von den Parteien wirksam vereinbarten Zusatzklausel
außer Betracht bleiben muss und die Beweisaufnahme einen solchen
Grad der Berufsunfähigkeit im Übrigen nicht ergeben hat.
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1. Die vom Senat aufgestellten Maßstäbe für die Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen (vgl. nur BGHZ 123, 83, 85; Senatsurteil vom 17. Dezember 2008 - IV ZR 9/08, VersR 2009, 341 Rn. 16, 17
m.w.N.) hat das Berufungsgericht beachtet.
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a) Dem in erster Linie maßgeblichen Klauselwortlaut kann der Versicherungsnehmer entnehmen, dass die Erkrankung seines li nken Auges
weder für sich genommen einen Leistungsanspruch begründen noch im
Zusammenspiel mit anderweitigen Erkrankungen den Grad der Berufsu nfähigkeit beeinflussen, insbesondere erhöhen kann. Vielmehr soll die E rkrankung des linken Auges selbst im Falle einer möglichen Verschlechterung auf die Feststellung der Berufsunfähigkeit keinerlei Einfluss haben.
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Das ist, wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, nur möglich, wenn
man diese Erkrankung bei der Bestimmung des Grades der Berufsunf ähigkeit vollständig außer Betracht lässt und damit im Ergebnis unterstellt,
das linke Auge sei gesund (vgl. LG Düsseldorf aaO; OLG Nürnberg
aaO).
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Die Einwände der Revision gegen dieses Verständnis des Kla uselwortlauts überzeugen nicht. Soweit sie meint, die Klausel könne
ebenso gut dahin verstanden werden, dass die von der Erkrankung des
linken Auges ausgehende Beeinträchtigung der Berufsunfähigkeit nach
vorausgehender Bestimmung der aus der Erkrankung beider Augen in sgesamt folgenden Berufsunfähigkeit "abzuziehen" sei, führt dies zum
gleichen Ergebnis. Eine Unklarheit der Klausel i.S. von § 305c Abs. 2
BGB zeigt die Revision damit nicht auf.
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b) Auch bei Berücksichtigung ihres erkennbaren Sinnzusammenhangs kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Zusatzk lausel nicht anders verstehen. Sie bezweckt eine Einschränkung des vom
Versicherer übernommenen Risikos, welches bereits bei der Vertragsa nbahnung dadurch erhöht war, dass der Versicherungsnehmer am linken
Auge erkrankt war. Die Beklagte war erkennbar nicht bereit, dieses erhöhte Risiko zu versichern, sondern wollte es vom Versicherungsschutz
ausnehmen und damit eine dem Kläger nachteilige Regelung treffen. Eine Besserstellung des Versicherungsnehmers war demgegenüber ersichtlich nicht bezweckt; sie läge aber vor, wollte man die Klausel so
verstehen, dass der Kläger als ein auf dem linken Auge Erblindeter (als
"Einäugiger") versichert wäre. Denn das hätte zur Folge, bei Bemessung
der Berufsunfähigkeit die Sehfähigkeit insgesamt allein anhand der Se hkraft des rechten Auges zu bestimmen. Dabei müssten sich Schäden am
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rechten Auge ungleich stärker auf den Grad der Berufsunfähigkeit au swirken, zumal sogar ein - in Wahrheit nicht gegebener - vollständiger
Verlust der Sehkraft des linken Auges in die Bemessung einf lösse.
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2. In der genannten Auslegung hält die Klausel einer Kontrolle a nhand der §§ 305c, 306, 307 bis 309 BGB stand.
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a) Sie ist kontrollfähig, weil sie nach Wortlaut und erkennbarem
Zweck das vom Versicherer gegebene Hauptleistungsversprechen le diglich einschränkt, verändert, ausgestaltet oder sonst modifiziert (Senat surteil vom 26. September 2007 - IV ZR 252/06, VersR 2007, 1690 Rn. 13
m.w.N.).
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b) Die Zusatzklausel ist keine überraschende Klausel i.S. des
§ 305c Abs. 1 BGB, weil ihr kein Überrumpelungseffekt innewohnt. Sie
weicht nicht deutlich in einer Art und Weise von den Erwartungen des
Versicherungsnehmers ab, mit der er nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (vgl. Senatsurteile vom 30. September
2009 - IV ZR 47/09, VersR 2009, 1622 Rn. 13; vom 6. Dezember 1995
- IV ZR 363/94, VersR 1996, 322 unter 2 a; vom 17. März 1999 - IV ZR
137/98, VersR 1999, 745 unter II 3 a; vom 19. Mai 2004 - IV ZR 176/03,
juris Rn. 25; vom 27. Oktober 2004 - IV ZR 141/03, VersR 2005, 64 unter
II 2 a; vom 18. Februar 2009 - IV ZR 11/07, VersR 2009, 623 Rn. 18).
Vielmehr ist sie - individuell auf die Erkrankung des Klägers bezogen - im
Zuge der Vertragsanbahnung als zusätzliche Bedingung in den Vertrag
aufgenommen worden. Schon dadurch war das Augenmerk des Klägers
in besonderer Weise auf diese Vereinbarung gelenkt, ohne die die Beklagte nicht zum Vertragsabschluss bereit war und mit der sie erkennbar
bezweckte, die Erkrankung des linken Auges vom Versicherungsschutz
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auszunehmen. Die Herausnahme individueller gesundheitlicher Risiken
aus dem Versicherungsschutz stellt in der Personenversicherung auch
keinen ungewöhnlichen, sondern Versicherungsnehmern weithin geläuf igen Vorgang dar.
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c) Dass die Klausel auch der Kontrolle nach den §§ 306, 307 bis
309 BGB unterliegt, folgt aus § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB. Obwohl der Kläger
hier das Risiko versichert hat, seine selbständige berufliche Tätigkeit aus
gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben zu können, ist er Ve rbraucher i.S. der § 310 Abs. 3 Satz 1, § 13 BGB. Eine solche Absicherung zählt als Maßnahme der Gesundheitsvorsorge zur privaten Sphäre
und ist deshalb nicht der gewerblichen oder selbständigen beruflichen
Tätigkeit des Klägers i.S. des § 13 BGB zuzurechnen (Palandt/Ellenberger, BGB 70. Aufl. § 13 Rn. 3; Martinek in jurisPK, BGB 5. Aufl. [2010]
§ 13 Rn. 51).
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aa) Die Zusatzklausel führt nicht zu einer Beweislastverschiebung
zu Lasten des Versicherungsnehmers i.S. von § 309 Nr. 12 BGB. Sie belässt es vielmehr dabei, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall darlegen und beweisen muss (vgl. Senatsurteil vom 11. November 1987 - IVa ZR 240/86, VersR 1988, 234 unter 2 c, in BGHZ 102,
194 ff. nicht abgedruckt; Senatsbeschluss vom 20. Januar 2010 - IV ZR
111/07, r+s 2010, 251 Rn. 3). Ihr Regelungsgehalt beschränkt sich darauf, die Erkrankung am linken Auge für die Begründung der Berufsunf ähigkeit oder die Feststellung ihres Grades auszuschließen. Damit geht
indes keine Verpflichtung des Versicherungsnehmers einher, die V oraussetzungen des Risikoausschlusses dahin auszuräumen, dass ein
bestimmter Grad der Berufsunfähigkeit nicht von der Erkrankung des li nken Auges herrühre. Denn dieser steht nicht von vorn herein fest, son-
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dern ergibt sich erst aus der Gewichtung der vom Versicherungsne hmer
darzulegenden und zu beweisenden Gesundheitsbeeinträchtigungen.
Wird die Erkrankung am linken Auge davon ausgenommen, so muss die
Berufsunfähigkeit anhand anderweitiger Gründe bemessen werden. Die
Frage, ob und inwieweit sie auch auf der Erkrankung de s linken Auges
beruht, stellt sich danach nicht mehr.
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bb) Gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB
verstößt die Zusatzklausel nicht. Sie enthält eine klare Regelung, die
dem Versicherungsnehmer den ihn treffenden Nachteil beim Nachweis
der Berufsunfähigkeit ausreichend veranschaulicht (vgl. dazu Senatsurteile vom 11. Februar 2009 - IV ZR 28/08, VersR 2009, 533 Rn. 14; vom
30. April 2008 - IV ZR 241/04, VersR 2008, 816 Rn. 15 m.w.N.; vom
26. September 2007 - IV ZR 252/06, VersR 2007, 1690 Rn. 16 ff.). Er erkennt, dass eine Erkrankung des linken Auges auch nicht ergänzend zur
Erhöhung des Grades einer Berufsunfähigkeit herangezogen werden
kann, er diesbezüglich nicht anders gestellt ist, als wäre sein linkes Auge
gesund. Dass die Klausel den Nachweis erschwert, eine Störung des
räumlichen Sehens (der Binokularfunktion) beruhe allein oder vorwiegend auf einer Beeinträchtigung des rechten Auges ist eine für den Versicherungsnehmer erkennbare Folge daraus.
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cc) Die Frage, ob die Zusatzklausel wesentliche Rechte des Versicherungsnehmers in einer die Erreichung des Vertragszwecks gefäh rdenden Weise einschränkt (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB), hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler verneint. Eine Leistungsbegrenzung begründet
für sich genommen noch keine Vertragszweckgefährdung, sondern bleibt
grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des Versich erers überlassen, soweit er nicht mit der Beschreibung der Hauptleistung
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beim Versicherungsnehmer falsche Vorstellungen erweckt ( Senatsurteil
vom 11. Februar 2009 - IV ZR 28/08, VersR 2009, 533 Rn. 19 m.w.N.).
Das ist hier nicht der Fall. Mit dem Abschluss einer Berufsunfähigkeit sversicherung bezweckt der Versicherungsnehmer Schutz vor einem da uerhaften krankheitsbedingten Verlust des aus seiner beruflichen Tätigkeit
erzielten Einkommens. Dem wird die vom Kläger gehaltene Berufsunf ähigkeits-Zusatzversicherung trotz der hier in Rede stehenden Au sschlussklausel gerecht.
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Eine Gefährdung des Vertragszwecks liegt erst dann vor, wenn die
Einschränkung den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und in
Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht (Senatsurteil vom
11. Februar 2009 aaO Rn. 21 m.w.N.). In der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung scheidet eine solche Vertragszweckgefährdung aus, solange das primäre Leistungsversprechen nicht angetastet wird. Hier bleibt
jedwede Berufsunfähigkeit des Klägers versichert, solange sie ei nen
Grad von 33% oder mehr erreicht und nicht von der Erkrankung des Klägers am linken Auge beeinflusst ist. Der Beklagten wiederum kann ein
- auch mit Blick auf die übrigen Versicherten - berechtigtes Interesse
nicht abgesprochen werden, außergewöhnliche und insbesondere in vo rvertraglichen Erkrankungen bereits angelegte Risiken vom Versich erungsschutz auszunehmen.
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3. Dass sich allein aufgrund der Schädigung des rechten Auges
des Klägers eine Berufsunfähigkeit von zumindest 33% nicht feststellen
lässt, hat das Berufungsgericht mit sachverständiger Hilfe ohne Recht sfehler dargelegt.
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4. Gegen die Ablehnung von Schadensersatzansprüchen des Klägers hat die Revision im Übrigen nichts erinnert.
Dr. Kessal-Wulf
Wendt
Lehmann
Hinweis:
Das Revisionsverfahren
erledigt worden.
Felsch
Dr. Brockmöller
ist
durch
Revisionsrücknahme
Vorinstanzen:
LG Saarbrücken, Entscheidung vom 24.01.2008 - 14 O 237/07 OLG Saarbrücken, Entscheidung vom 07.10.2009 - 5 U 87/08-9 -