You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.
 
 

336 lines
18 KiB

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 21/09
vom
22. April 2009
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
-2-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. April
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
der Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Hanau vom 13. November 2008 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verurteilten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen
Gründe:
1
Das Landgericht hat es abgelehnt, gegen den Verurteilten gemäß § 66 b
StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen.
Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge.
Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
2
Dem Urteil des Landgerichts liegt Folgendes zugrunde:
3
1. Der heute 38-jährige Verurteilte hat im Alter von 14 Jahren bei einem
Verkehrsunfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma sowie Verletzungen an der
Harnröhre erlitten. Infolge dieser Schädigungen und der deshalb erforderlich
gewordenen zahlreichen Operationen ist er nicht in der Lage, vaginalen Geschlechtsverkehr auszuführen. Es gelingt ihm allerdings, eine angemessene
Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse durch manuelle Stimulation bzw. mit
oralen Handlungen weiblicher Partner zu erreichen. Zuletzt lebte er ausschließlich von finanziellen Zuwendungen seiner Eltern und verbrachte viel Zeit damit,
mit einem Motorrad oder mit verschiedenen Pkw ziellos in der Gegend herum-
-4-
zufahren. Anlässlich dieser Fahrten sprach er immer wieder Frauen an. Diesen
gegenüber gab er sich wahrheitswidrig als selbstständiger Fotograf aus. Dabei
machte er ihnen Komplimente und schlug ihnen vor, sich von ihm für Werbekataloge fotografieren zu lassen. Fand sich eine der Angesprochenen hierzu bereit, versuchte er sie zunächst zu Nacktaufnahmen, anschließend zur Vornahme sexueller Handlungen zu überreden, was ihm in einigen Fällen auch gelang.
Wenn die Frauen seine Annäherungsversuche zurückwiesen, nahm er dies zunächst ohne Weiteres hin und verfolgte sein allein angestrebtes Ziel – die Erlangung von Sexualkontakten – nicht mehr weiter.
4
2. Am 23. November 1994 wurde der Verurteilte, der bis dahin mehrfach
u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Straßenverkehrsdelikten mit
Geldstrafen belegt worden war, durch das Amtsgericht Hanau wegen sexueller
Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung (Tatzeit: 15. April 1993) zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung
ausgesetzt wurde. Diese Strafe wurde im Urteil des Landgerichts Hanau vom
14. Januar 1998 mit einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Tatzeit: Sommer 1994) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zusammengefasst, die wiederum zur Bewährung ausgesetzt wurde.
5
Letztmalig wurde der Verurteilte durch das Landgericht Hanau am
25. Februar 1999 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom
09. Mai 2000 wurde unter Auflösung dieser Gesamtfreiheitsstrafe aus den
zugrunde liegenden Einzelstrafen und der Geldstrafe aus einem Strafbefehl
(40 Tagessätze zu je 30 DM) eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren
und sieben Monaten gebildet. Diese Strafe verbüßte der Verurteilte bis zum
-5-
11. Dezember 2008. Dem Urteil vom 25. Februar 1999 lagen folgende Geschehen zu Grunde:
6
a) Über eine Partnerschaftsanzeige gelangte der Verurteilte im August
1998 in Kontakt zu der damals 18 Jahre alten M.
M.
. Diese konfrontier-
te er zunächst anlässlich mehrerer Telefonate mit sexualbezogenen Erkundungen und Handlungsaufforderungen. Die geistig retardierte, intellektuell nicht altersgemäß entwickelte junge Frau kam diesen nach, als ihr der Verurteilte damit
drohte, sie ansonsten zu Hause aufzusuchen und ihr „die Fresse zu polieren“.
Anlässlich ihres ersten unmittelbaren Zusammentreffens am 29. August 1998
veranlasste der Verurteilte M.
M.
, zu ihm in seinen PKW zu steigen. An-
schließend verbrachte er sie zu einem abgelegenen Wiesenstück. Nachdem
diese sich dort auf sein Verlangen hin entkleidet hatte, führte er ihr u.a. den
Stiel eines Klappspatens in Vagina und After ein und bewegte diesen dort jeweils eine geraume Zeit hin und her. Als M.
M.
während des gegen ih-
ren Willen durchgeführten und für sie äußerst schmerzhaften Geschehens seinen Anweisungen nicht schnell genug nachkam, versetzte er ihr einen heftigen
Schlag gegen die Brust. Anschließend urinierte der Verurteilte in den Mundraum der jungen Frau und zwang sie, den Urin zu schlucken. Danach musste
sie ihn oral befriedigen und das Ejakulat herunter schlucken.
7
b) Anlässlich seiner üblichen „Erkundungsfahrten“ sprach der Verurteilte
Mitte September 1998 die damals 29 Jahre alte A.
S.
an. Er erklärte
ihr, er sei freischaffender Fotograf für eine Agentur, die für Werbeaufnahmen
weibliche Modelle suche. Die Zeugin zeigte sich interessiert und suchte den
Verurteilten am 24. September 1998 in dessen Wohnung auf, nachdem dieser
ihr zugesagt hatte, es ginge „keinesfalls auch um Nacktfotos“. Dort bedrohte der
Verurteilte sie mit einem Messer und bedeutete ihr, sie müsse machen was er
wolle, ansonsten käme sie „hier gar nicht mehr raus“. Nachdem sich die Ge-
-6-
schädigte auf sein Geheiß bis auf die Unterwäsche entkleidet hatte, fertigte der
Verurteilte mehrere Fotoaufnahmen. Anschließend warf er A.
S.
un-
vermittelt auf eine Bettcouch, wo er sie nunmehr vollständig entkleidete und zu
küssen versuchte. Als sie sich dem widersetzte, schlug er ihr mehrfach mit der
Hand ins Gesicht, drohte, er werde ihr „die Nase kaputt“ schlagen und steckte
ihr seinen Finger mehrfach in die Scheide. Im weiteren Verlauf des Geschehens
führte er der Geschädigten einen Analdildo mit gekrümmter Endung in die
Scheide ein, was dieser Schmerzen bereitete. Danach befriedigte er sich selbst,
wobei er in den geöffneten Mund der Geschädigten ejakulierte und diese veranlasste, das Ejakulat zu schlucken.
8
c) Das Landgericht war im Urteil vom 25. Februar 1999 auf Grundlage
der von ihm für überzeugend gehaltenen Ausführungen des psychiatrischen
Sachverständigen Dr. S.
zu der Feststellung gelangt, dass der Verurteilte
bei der Begehung dieser Taten in seinem Steuerungsvermögen nicht erheblich
eingeschränkt war. Als Folge des im Jahr 1985 erlittenen Schädel-HirnTraumas sei lediglich ein leichtes Psychosyndrom verbunden mit einer leichten
Distanzschwäche und geringen Kritikschwäche zurückgeblieben. Die hirnorganischen Beeinträchtigungen seien bei zusammenfassender Betrachtung nicht
so gravierend, dass diese eine erhebliche Verminderung seines Steuerungsvermögens bewirkt haben könnten; ergänzende Zusatzuntersuchungen, wie
etwa die Erstellung eines aktuellen Computertomogramms oder eines Elektroenzophalogramms hielt der Sachverständige nicht für veranlasst.
9
3. Der Verurteilte hat während des Vollzugs jegliche Mitarbeit und Teilnahme an einer Behandlung verweigert. Vielmehr drehte sich sein gesamtes
Leben in der JVA um sexuelle Inhalte. So verbrachte er nahezu den gesamten
Tag damit, sexuell betonte Briefkontakte mit jungen Frauen zu unterhalten. Des
Weiteren onanierte er dermaßen exzessiv, dass sich Mitgefangene weigerten,
-7-
mit ihm die Zelle zu teilen. Auch fiel er dadurch auf, dass er weiblichen Bediensteten nachstellte.
10
4. Mit Verfügung vom 02. Mai 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft
bei dem Landgericht Hanau, die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung nachträglich anzuordnen. Dies hat das Landgericht nach Anhörung zweier psychiatrischer Sachverständiger abgelehnt, weil während des
Vollzugs keine neuen Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB
erkennbar geworden seien.
II.
11
Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
12
Mit rechtsfehlerfreier Begründung hat das Landgericht den Antrag auf
nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zurückgewiesen.
13
1. Zutreffend stellt die Strafkammer auf § 66 b Abs. 2 StGB ab, dessen
formelle Voraussetzungen vorliegen. Der Verurteilte wurde im Anlassverfahren
wegen zweier Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Vergewaltigung) - also ausschließlich wegen Katalogtaten (vgl. BGH StV 2008, 76) - zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt.
14
Nach umfassender Würdigung seiner Persönlichkeit, seiner Taten und
ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ist das Landgericht in
Übereinstimmung mit den Sachverständigen auch zutreffend zu dem Ergebnis
gelangt, dass von dem Verurteilten eine erhebliche Gefahr ausgeht und er nach
einer Entlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut erhebliche und für die
Allgemeinheit gefährliche Straftaten begehen wird. Die organisch bedingte Wesensveränderung zeigt das Bild einer Pseudopsychopathie mit Empathiedefizit,
-8-
Distanzminderung, Verschiebung des Wertesystems sowie Ablehnung der
Übernahme jeglicher Verantwortung, was ein hohes Risiko im Hinblick auf sexuelle Gewalthandlungen bedingt. Die nach dem Unfall entstandene Wesensveränderung lässt auf der Basis ihrer langjährigen Konsistenz keine Änderung
mehr erwarten und ist bei - wie hier - fehlender Behandlungswilligkeit zudem
nicht therapierbar.
15
2. Das Vorliegen prognoserelevanter „neuer“ Tatsachen im Sinne des
§ 66 b Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StGB hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint.
16
a) Zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass als „neu“ in
diesem Sinne nur solche Tatsachen gelten können, die dem im Ausgangsverfahren zuständigen früheren Tatrichter auch bei Wahrnehmung seiner Aufklärungspflicht nicht hätten bekannt werden können. Umstände, die für den ersten
Tatrichter hingegen erkennbar waren, die er aber nicht erkannt hat, scheiden
demgegenüber als neue Tatsachen in diesem Sinne aus (BGHSt 50, 180, 187;
50, 284, 296; 51, 185, 187; 52, 31, 33; BGH NJW 2006, 3154, 3155; StV 2008,
636, 637). Auch psychiatrische Befundtatsachen können im Einzelfall „neue“
Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB darstellen. Dies setzt allerdings voraus,
dass die zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen für den früheren Tatrichter
nicht erkennbar waren und damit als „neu“ im Sinne des § 66 b StGB zu bewerten sind (BGH NStZ-RR 2006, 302). Eine bloße Um- bzw. Neubewertung bereits im Ausgangsverfahren erkannter und gewürdigter Tatsachen und eine
hierauf gestützte bloße Änderung der psychiatrischen Bewertung genügen hingegen nicht (BGHSt 50, 275, 278; BGHR StGB § 66 b – Neue Tatsachen 3;
Rissing-van Saan/Peglau in LK-StGB 12. Aufl. § 66b Rdn. 89). Ebenso wenig
können Tatsachen, die zwar nach der Anlassverurteilung auftreten, durch die
sich ein im Ausgangsverfahren bekannter bzw. erkennbarer Zustand aber lediglich bestätigt, als „neu“ gelten (BGH StV 2007, 29, 30). Vielmehr ist Vorausset-
-9-
zung für die Einordnung der Anknüpfungstatsachen als „neue“ Tatsachen im
Sinne des § 66 b Abs. 1 StGB, dass sie die Gefährlichkeit des Betroffenen höher bzw. in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lassen (BGH StV
2008, 636, 638), etwa wenn sie belegen, dass sich eine bekannte Störung des
Verurteilten in nicht vorhersehbarer Weise vertieft oder verändert hat (BGH StV
2007, 29, 30). Soweit nach der zu § 66 b Abs. 3 StGB ergangenen Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 07. Oktober 2008 (NStZ 2009,
141) die nachträgliche Verhängung von Sicherungsverwahrung nicht davon abhängt, ob die Tatsachen, welche die Gefährlichkeit des Verurteilten ausmachen,
zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung erkennbar gewesen waren, ist dies auf
Fälle des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB nicht übertragbar.
17
b) Vor diesem Hintergrund hat die Strafkammer zu Recht entscheidend
darauf abgestellt, dass die von ihr im Rahmen der Gefährlichkeitsbewertung
herangezogenen Anknüpfungstatsachen bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung
im Jahr 1999 vorgelegen hatten, für den damaligen Tatrichter auch erkennbar
waren und mithin nicht „neu“ sind. Weiter ist nicht zu beanstanden, dass die
Strafkammer von einer weiteren Aufklärung der Frage abgesehen hat, ob unter
Berücksichtigung der Ausführungen der nunmehr gehörten Sachverständigen
die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Anlasstaten neu
und abweichend von der Wertung des früheren Tatrichters beurteilt werden
muss. Denn nach den übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen
waren die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen bereits zum Zeitpunkt der
Verurteilung im Jahr 1999 gegeben (UA S. 28/29). Der die Prognose bestimmende Befund einer seit dem 15. Lebensjahr des Verurteilten unverändert bestehenden, organisch bedingten Persönlichkeitsstörung mit Frontalhirnsyndrom
war schon von der im Anlassverfahren entscheidenden Strafkammer erkannt
und im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung - wenn auch möglicherweise mit
einem anderen Ergebnis - gewürdigt worden. Zudem waren maßgebliche Risi-
- 10 -
kofaktoren, wie der ungünstige soziale Empfangsraum sowie fehlende Krankheitseinsicht und Therapiemöglichkeiten, bereits zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung bekannt. Eine Intensivierung oder Veränderung des gesundheitlichen
Zustandes des Verurteilten im Verlaufe der Haft hat nach Einschätzung der
Sachverständigen nicht stattgefunden. Dies steht im Einklang mit dem noch
während des Strafvollzugs eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten des Prof. Dr. K.
vom 14. Januar 2008, wonach der heutige psychopa-
thologische Befund nahezu identisch bereits im Jahr 1999 gegeben war. Auch
hatte sich der im Anlassverfahren gehörte Sachverständige Dr. S.
in seinem
vorbereitend erstellten schriftlichen Gutachten bereits ausführlich mit Art und
Ausmaß des Störungsbildes befasst und eine ungünstige Kriminalprognose gestellt. So hatte er ausgeführt, dass der „etwas distanz- und kritikschwache“ Verurteilte hirnorganisch gefördert zu einer „thematisch polytopen Kriminalität“ neige, weshalb von einer ungünstigen Kriminalprognose auszugehen sei. Der Proband gebe sich „seinen aggressiven und seinen sexuellen Impulsen gerne bedenkenfrei“ hin. Es sei „nicht zu erkennen, dass er dauerhaft in dieser Grundhaltung beeinflusst und gehemmt werden könnte, wenn solches Verhalten ihn in
Triebspannungen bringen würde“. Weiter liege es nahe, dass er auch in Zukunft
„Taten wie Körperverletzungen“ begehen werde.
18
c) Entgegen den Ausführungen der Revision hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, dass erst unter den Bedingungen des Vollzugs das
volle Ausmaß und die Folgen der hirnorganischen Erkrankung des Verurteilten
erkennbar geworden sind. Nach den Ausführungen aller angehörter Sachverständigen sind die gezeigten Verhaltensauffälligkeiten im Vollzug sämtlich Ausfluss des bereits vom früheren Gutachter zutreffend diagnostizierten Störungsbilds. Sie stellen lediglich die an die Bedingungen der Haft angepasste Fortsetzung des Verhaltens dar, welches der Verurteilte bereits vor seiner Inhaftierung
gezeigt hatte. Sie führen nicht dazu, dass die Gefährlichkeit höher oder gravie-
- 11 -
render einzustufen wäre, als zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung. Dies gilt
namentlich für die vom Verurteilten aufgenommenen Briefkontakte zu Frauen,
denen nahezu die gleiche Intention und der gleiche Inhalt zugrunde liegen, wie
den früheren persönlichen Kontaktaufnahmen. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, vom früheren Gutachter festgestellte „Kontrollfähigkeiten des Verurteilten“ seien „nicht mehr gegeben“, dieser habe vielmehr (erst) im Verlaufe der
Haft „sein sexuelles Suchverhalten auf Opfer erheblich“ ausgeweitet, findet in
den Urteilsgründen keine Grundlage. Der Verurteilte hatte bereits spätestens im
Jahre 1994 damit begonnen, „in verstärktem Maße“ Frauen anzusprechen und
diese zur Vornahme von Nacktaufnahmen zu überreden, was ihm „in ca. 100
bis 120 Fällen“ auch gelungen war. Gleiches gilt im Ergebnis für die Feststellung der Strafkammer, dass sich das gesamte Leben des Verurteilten in der
JVA um sexuelle Inhalte drehte. Denn auch in Freiheit hatte der Verurteilte bereits einen Großteil seiner Zeit für die Anbahnung von Sexualkontakten aufgewendet. Den von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 10.10.2006 - 1 StR 475/06
(NStZ 2007, 30) und vom 12.09.2007 – 1 StR 391/07 lagen insoweit nicht vergleichbare Fallgestaltungen zugrunde.
19
Zu Recht hat es die Strafkammer auch nicht für ausreichend erachtet,
dass der Verurteilte jegliche Behandlungsmaßnahmen im Vollzug abgelehnt
und sich jeglicher Mitarbeit verweigert hat. Eine Therapieverweigerung kann
regelmäßig nur dann als berücksichtigungsfähige „neue“ Tatsache angesehen
werden, wenn – wofür hier nichts zu erkennen ist – das Ursprungsgericht zum
Zeitpunkt seiner Verurteilung begründet annehmen durfte, der Verurteilte werde
sich erfolgversprechenden therapeutischen Maßnahmen unterziehen (BVerfG
NJW 2006, 3483, 3485; BGHSt 50, 275, 281; BGH NJW 2008, 3010, 3011; Beschluss vom 17.03.2009 – 1 StR 34/09).
- 12 -
20
d) Schließlich führt der Umstand, dass der Tatrichter im Ausgangsverfahren offenkundig nicht in einen die Frage der Sicherungsverwahrung betreffenden Erkenntnisprozess eingetreten war, obwohl bereits zum damaligen Zeitpunkt die formellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorlagen und nach den Feststellungen die Kriminalprognose des Verurteilten negativ
zu beurteilen war, nicht dazu, die bereits bekannten Tatsachen als „rechtlich
neu erkennbar“ zu bewerten (BGH StV 2007, 29, 30). Denn das Verfahren nach
§ 66 b StGB dient nicht der nachträglichen Korrektur früherer Entscheidungen,
in denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung - von der Staatsanwaltschaft unbeanstandet - rechtsfehlerhaft unterblieben ist (vgl. BGHSt 50, 121,
126; 180, 188; 275, 278; 284, 297; NJW 2006, 3154; StV 2008, 636, 637).
Rissing-van Saan
Rothfuß
RiinBGH Roggenbuck
ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert.
Rissing-van Saan
Appl
Schmitt