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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 21/09
  5. vom
  6. 22. April 2009
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. April
  12. 2009, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Rissing-van Saan,
  15. der Richter am Bundesgerichtshof
  16. Rothfuß,
  17. die Richterin am Bundesgerichtshof
  18. Roggenbuck,
  19. die Richter am Bundesgerichtshof
  20. Dr. Appl,
  21. Prof. Dr. Schmitt,
  22. Staatsanwalt
  23. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  24. Rechtsanwalt
  25. als Verteidiger,
  26. Justizangestellte
  27. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  28. für Recht erkannt:
  29. -3-
  30. 1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
  31. Landgerichts Hanau vom 13. November 2008 wird verworfen.
  32. 2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Verurteilten dadurch
  33. entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
  34. Von Rechts wegen
  35. Gründe:
  36. 1
  37. Das Landgericht hat es abgelehnt, gegen den Verurteilten gemäß § 66 b
  38. StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen.
  39. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge.
  40. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
  41. I.
  42. 2
  43. Dem Urteil des Landgerichts liegt Folgendes zugrunde:
  44. 3
  45. 1. Der heute 38-jährige Verurteilte hat im Alter von 14 Jahren bei einem
  46. Verkehrsunfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma sowie Verletzungen an der
  47. Harnröhre erlitten. Infolge dieser Schädigungen und der deshalb erforderlich
  48. gewordenen zahlreichen Operationen ist er nicht in der Lage, vaginalen Geschlechtsverkehr auszuführen. Es gelingt ihm allerdings, eine angemessene
  49. Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse durch manuelle Stimulation bzw. mit
  50. oralen Handlungen weiblicher Partner zu erreichen. Zuletzt lebte er ausschließlich von finanziellen Zuwendungen seiner Eltern und verbrachte viel Zeit damit,
  51. mit einem Motorrad oder mit verschiedenen Pkw ziellos in der Gegend herum-
  52. -4-
  53. zufahren. Anlässlich dieser Fahrten sprach er immer wieder Frauen an. Diesen
  54. gegenüber gab er sich wahrheitswidrig als selbstständiger Fotograf aus. Dabei
  55. machte er ihnen Komplimente und schlug ihnen vor, sich von ihm für Werbekataloge fotografieren zu lassen. Fand sich eine der Angesprochenen hierzu bereit, versuchte er sie zunächst zu Nacktaufnahmen, anschließend zur Vornahme sexueller Handlungen zu überreden, was ihm in einigen Fällen auch gelang.
  56. Wenn die Frauen seine Annäherungsversuche zurückwiesen, nahm er dies zunächst ohne Weiteres hin und verfolgte sein allein angestrebtes Ziel – die Erlangung von Sexualkontakten – nicht mehr weiter.
  57. 4
  58. 2. Am 23. November 1994 wurde der Verurteilte, der bis dahin mehrfach
  59. u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Straßenverkehrsdelikten mit
  60. Geldstrafen belegt worden war, durch das Amtsgericht Hanau wegen sexueller
  61. Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung (Tatzeit: 15. April 1993) zu einer
  62. Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung
  63. ausgesetzt wurde. Diese Strafe wurde im Urteil des Landgerichts Hanau vom
  64. 14. Januar 1998 mit einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Tatzeit: Sommer 1994) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zusammengefasst, die wiederum zur Bewährung ausgesetzt wurde.
  65. 5
  66. Letztmalig wurde der Verurteilte durch das Landgericht Hanau am
  67. 25. Februar 1999 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom
  68. 09. Mai 2000 wurde unter Auflösung dieser Gesamtfreiheitsstrafe aus den
  69. zugrunde liegenden Einzelstrafen und der Geldstrafe aus einem Strafbefehl
  70. (40 Tagessätze zu je 30 DM) eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren
  71. und sieben Monaten gebildet. Diese Strafe verbüßte der Verurteilte bis zum
  72. -5-
  73. 11. Dezember 2008. Dem Urteil vom 25. Februar 1999 lagen folgende Geschehen zu Grunde:
  74. 6
  75. a) Über eine Partnerschaftsanzeige gelangte der Verurteilte im August
  76. 1998 in Kontakt zu der damals 18 Jahre alten M.
  77. M.
  78. . Diese konfrontier-
  79. te er zunächst anlässlich mehrerer Telefonate mit sexualbezogenen Erkundungen und Handlungsaufforderungen. Die geistig retardierte, intellektuell nicht altersgemäß entwickelte junge Frau kam diesen nach, als ihr der Verurteilte damit
  80. drohte, sie ansonsten zu Hause aufzusuchen und ihr „die Fresse zu polieren“.
  81. Anlässlich ihres ersten unmittelbaren Zusammentreffens am 29. August 1998
  82. veranlasste der Verurteilte M.
  83. M.
  84. , zu ihm in seinen PKW zu steigen. An-
  85. schließend verbrachte er sie zu einem abgelegenen Wiesenstück. Nachdem
  86. diese sich dort auf sein Verlangen hin entkleidet hatte, führte er ihr u.a. den
  87. Stiel eines Klappspatens in Vagina und After ein und bewegte diesen dort jeweils eine geraume Zeit hin und her. Als M.
  88. M.
  89. während des gegen ih-
  90. ren Willen durchgeführten und für sie äußerst schmerzhaften Geschehens seinen Anweisungen nicht schnell genug nachkam, versetzte er ihr einen heftigen
  91. Schlag gegen die Brust. Anschließend urinierte der Verurteilte in den Mundraum der jungen Frau und zwang sie, den Urin zu schlucken. Danach musste
  92. sie ihn oral befriedigen und das Ejakulat herunter schlucken.
  93. 7
  94. b) Anlässlich seiner üblichen „Erkundungsfahrten“ sprach der Verurteilte
  95. Mitte September 1998 die damals 29 Jahre alte A.
  96. S.
  97. an. Er erklärte
  98. ihr, er sei freischaffender Fotograf für eine Agentur, die für Werbeaufnahmen
  99. weibliche Modelle suche. Die Zeugin zeigte sich interessiert und suchte den
  100. Verurteilten am 24. September 1998 in dessen Wohnung auf, nachdem dieser
  101. ihr zugesagt hatte, es ginge „keinesfalls auch um Nacktfotos“. Dort bedrohte der
  102. Verurteilte sie mit einem Messer und bedeutete ihr, sie müsse machen was er
  103. wolle, ansonsten käme sie „hier gar nicht mehr raus“. Nachdem sich die Ge-
  104. -6-
  105. schädigte auf sein Geheiß bis auf die Unterwäsche entkleidet hatte, fertigte der
  106. Verurteilte mehrere Fotoaufnahmen. Anschließend warf er A.
  107. S.
  108. un-
  109. vermittelt auf eine Bettcouch, wo er sie nunmehr vollständig entkleidete und zu
  110. küssen versuchte. Als sie sich dem widersetzte, schlug er ihr mehrfach mit der
  111. Hand ins Gesicht, drohte, er werde ihr „die Nase kaputt“ schlagen und steckte
  112. ihr seinen Finger mehrfach in die Scheide. Im weiteren Verlauf des Geschehens
  113. führte er der Geschädigten einen Analdildo mit gekrümmter Endung in die
  114. Scheide ein, was dieser Schmerzen bereitete. Danach befriedigte er sich selbst,
  115. wobei er in den geöffneten Mund der Geschädigten ejakulierte und diese veranlasste, das Ejakulat zu schlucken.
  116. 8
  117. c) Das Landgericht war im Urteil vom 25. Februar 1999 auf Grundlage
  118. der von ihm für überzeugend gehaltenen Ausführungen des psychiatrischen
  119. Sachverständigen Dr. S.
  120. zu der Feststellung gelangt, dass der Verurteilte
  121. bei der Begehung dieser Taten in seinem Steuerungsvermögen nicht erheblich
  122. eingeschränkt war. Als Folge des im Jahr 1985 erlittenen Schädel-HirnTraumas sei lediglich ein leichtes Psychosyndrom verbunden mit einer leichten
  123. Distanzschwäche und geringen Kritikschwäche zurückgeblieben. Die hirnorganischen Beeinträchtigungen seien bei zusammenfassender Betrachtung nicht
  124. so gravierend, dass diese eine erhebliche Verminderung seines Steuerungsvermögens bewirkt haben könnten; ergänzende Zusatzuntersuchungen, wie
  125. etwa die Erstellung eines aktuellen Computertomogramms oder eines Elektroenzophalogramms hielt der Sachverständige nicht für veranlasst.
  126. 9
  127. 3. Der Verurteilte hat während des Vollzugs jegliche Mitarbeit und Teilnahme an einer Behandlung verweigert. Vielmehr drehte sich sein gesamtes
  128. Leben in der JVA um sexuelle Inhalte. So verbrachte er nahezu den gesamten
  129. Tag damit, sexuell betonte Briefkontakte mit jungen Frauen zu unterhalten. Des
  130. Weiteren onanierte er dermaßen exzessiv, dass sich Mitgefangene weigerten,
  131. -7-
  132. mit ihm die Zelle zu teilen. Auch fiel er dadurch auf, dass er weiblichen Bediensteten nachstellte.
  133. 10
  134. 4. Mit Verfügung vom 02. Mai 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft
  135. bei dem Landgericht Hanau, die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung nachträglich anzuordnen. Dies hat das Landgericht nach Anhörung zweier psychiatrischer Sachverständiger abgelehnt, weil während des
  136. Vollzugs keine neuen Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB
  137. erkennbar geworden seien.
  138. II.
  139. 11
  140. Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
  141. 12
  142. Mit rechtsfehlerfreier Begründung hat das Landgericht den Antrag auf
  143. nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zurückgewiesen.
  144. 13
  145. 1. Zutreffend stellt die Strafkammer auf § 66 b Abs. 2 StGB ab, dessen
  146. formelle Voraussetzungen vorliegen. Der Verurteilte wurde im Anlassverfahren
  147. wegen zweier Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Vergewaltigung) - also ausschließlich wegen Katalogtaten (vgl. BGH StV 2008, 76) - zu
  148. einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt.
  149. 14
  150. Nach umfassender Würdigung seiner Persönlichkeit, seiner Taten und
  151. ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ist das Landgericht in
  152. Übereinstimmung mit den Sachverständigen auch zutreffend zu dem Ergebnis
  153. gelangt, dass von dem Verurteilten eine erhebliche Gefahr ausgeht und er nach
  154. einer Entlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut erhebliche und für die
  155. Allgemeinheit gefährliche Straftaten begehen wird. Die organisch bedingte Wesensveränderung zeigt das Bild einer Pseudopsychopathie mit Empathiedefizit,
  156. -8-
  157. Distanzminderung, Verschiebung des Wertesystems sowie Ablehnung der
  158. Übernahme jeglicher Verantwortung, was ein hohes Risiko im Hinblick auf sexuelle Gewalthandlungen bedingt. Die nach dem Unfall entstandene Wesensveränderung lässt auf der Basis ihrer langjährigen Konsistenz keine Änderung
  159. mehr erwarten und ist bei - wie hier - fehlender Behandlungswilligkeit zudem
  160. nicht therapierbar.
  161. 15
  162. 2. Das Vorliegen prognoserelevanter „neuer“ Tatsachen im Sinne des
  163. § 66 b Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StGB hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint.
  164. 16
  165. a) Zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass als „neu“ in
  166. diesem Sinne nur solche Tatsachen gelten können, die dem im Ausgangsverfahren zuständigen früheren Tatrichter auch bei Wahrnehmung seiner Aufklärungspflicht nicht hätten bekannt werden können. Umstände, die für den ersten
  167. Tatrichter hingegen erkennbar waren, die er aber nicht erkannt hat, scheiden
  168. demgegenüber als neue Tatsachen in diesem Sinne aus (BGHSt 50, 180, 187;
  169. 50, 284, 296; 51, 185, 187; 52, 31, 33; BGH NJW 2006, 3154, 3155; StV 2008,
  170. 636, 637). Auch psychiatrische Befundtatsachen können im Einzelfall „neue“
  171. Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB darstellen. Dies setzt allerdings voraus,
  172. dass die zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen für den früheren Tatrichter
  173. nicht erkennbar waren und damit als „neu“ im Sinne des § 66 b StGB zu bewerten sind (BGH NStZ-RR 2006, 302). Eine bloße Um- bzw. Neubewertung bereits im Ausgangsverfahren erkannter und gewürdigter Tatsachen und eine
  174. hierauf gestützte bloße Änderung der psychiatrischen Bewertung genügen hingegen nicht (BGHSt 50, 275, 278; BGHR StGB § 66 b – Neue Tatsachen 3;
  175. Rissing-van Saan/Peglau in LK-StGB 12. Aufl. § 66b Rdn. 89). Ebenso wenig
  176. können Tatsachen, die zwar nach der Anlassverurteilung auftreten, durch die
  177. sich ein im Ausgangsverfahren bekannter bzw. erkennbarer Zustand aber lediglich bestätigt, als „neu“ gelten (BGH StV 2007, 29, 30). Vielmehr ist Vorausset-
  178. -9-
  179. zung für die Einordnung der Anknüpfungstatsachen als „neue“ Tatsachen im
  180. Sinne des § 66 b Abs. 1 StGB, dass sie die Gefährlichkeit des Betroffenen höher bzw. in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lassen (BGH StV
  181. 2008, 636, 638), etwa wenn sie belegen, dass sich eine bekannte Störung des
  182. Verurteilten in nicht vorhersehbarer Weise vertieft oder verändert hat (BGH StV
  183. 2007, 29, 30). Soweit nach der zu § 66 b Abs. 3 StGB ergangenen Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 07. Oktober 2008 (NStZ 2009,
  184. 141) die nachträgliche Verhängung von Sicherungsverwahrung nicht davon abhängt, ob die Tatsachen, welche die Gefährlichkeit des Verurteilten ausmachen,
  185. zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung erkennbar gewesen waren, ist dies auf
  186. Fälle des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB nicht übertragbar.
  187. 17
  188. b) Vor diesem Hintergrund hat die Strafkammer zu Recht entscheidend
  189. darauf abgestellt, dass die von ihr im Rahmen der Gefährlichkeitsbewertung
  190. herangezogenen Anknüpfungstatsachen bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung
  191. im Jahr 1999 vorgelegen hatten, für den damaligen Tatrichter auch erkennbar
  192. waren und mithin nicht „neu“ sind. Weiter ist nicht zu beanstanden, dass die
  193. Strafkammer von einer weiteren Aufklärung der Frage abgesehen hat, ob unter
  194. Berücksichtigung der Ausführungen der nunmehr gehörten Sachverständigen
  195. die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Anlasstaten neu
  196. und abweichend von der Wertung des früheren Tatrichters beurteilt werden
  197. muss. Denn nach den übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen
  198. waren die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen bereits zum Zeitpunkt der
  199. Verurteilung im Jahr 1999 gegeben (UA S. 28/29). Der die Prognose bestimmende Befund einer seit dem 15. Lebensjahr des Verurteilten unverändert bestehenden, organisch bedingten Persönlichkeitsstörung mit Frontalhirnsyndrom
  200. war schon von der im Anlassverfahren entscheidenden Strafkammer erkannt
  201. und im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung - wenn auch möglicherweise mit
  202. einem anderen Ergebnis - gewürdigt worden. Zudem waren maßgebliche Risi-
  203. - 10 -
  204. kofaktoren, wie der ungünstige soziale Empfangsraum sowie fehlende Krankheitseinsicht und Therapiemöglichkeiten, bereits zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung bekannt. Eine Intensivierung oder Veränderung des gesundheitlichen
  205. Zustandes des Verurteilten im Verlaufe der Haft hat nach Einschätzung der
  206. Sachverständigen nicht stattgefunden. Dies steht im Einklang mit dem noch
  207. während des Strafvollzugs eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten des Prof. Dr. K.
  208. vom 14. Januar 2008, wonach der heutige psychopa-
  209. thologische Befund nahezu identisch bereits im Jahr 1999 gegeben war. Auch
  210. hatte sich der im Anlassverfahren gehörte Sachverständige Dr. S.
  211. in seinem
  212. vorbereitend erstellten schriftlichen Gutachten bereits ausführlich mit Art und
  213. Ausmaß des Störungsbildes befasst und eine ungünstige Kriminalprognose gestellt. So hatte er ausgeführt, dass der „etwas distanz- und kritikschwache“ Verurteilte hirnorganisch gefördert zu einer „thematisch polytopen Kriminalität“ neige, weshalb von einer ungünstigen Kriminalprognose auszugehen sei. Der Proband gebe sich „seinen aggressiven und seinen sexuellen Impulsen gerne bedenkenfrei“ hin. Es sei „nicht zu erkennen, dass er dauerhaft in dieser Grundhaltung beeinflusst und gehemmt werden könnte, wenn solches Verhalten ihn in
  214. Triebspannungen bringen würde“. Weiter liege es nahe, dass er auch in Zukunft
  215. „Taten wie Körperverletzungen“ begehen werde.
  216. 18
  217. c) Entgegen den Ausführungen der Revision hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, dass erst unter den Bedingungen des Vollzugs das
  218. volle Ausmaß und die Folgen der hirnorganischen Erkrankung des Verurteilten
  219. erkennbar geworden sind. Nach den Ausführungen aller angehörter Sachverständigen sind die gezeigten Verhaltensauffälligkeiten im Vollzug sämtlich Ausfluss des bereits vom früheren Gutachter zutreffend diagnostizierten Störungsbilds. Sie stellen lediglich die an die Bedingungen der Haft angepasste Fortsetzung des Verhaltens dar, welches der Verurteilte bereits vor seiner Inhaftierung
  220. gezeigt hatte. Sie führen nicht dazu, dass die Gefährlichkeit höher oder gravie-
  221. - 11 -
  222. render einzustufen wäre, als zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung. Dies gilt
  223. namentlich für die vom Verurteilten aufgenommenen Briefkontakte zu Frauen,
  224. denen nahezu die gleiche Intention und der gleiche Inhalt zugrunde liegen, wie
  225. den früheren persönlichen Kontaktaufnahmen. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, vom früheren Gutachter festgestellte „Kontrollfähigkeiten des Verurteilten“ seien „nicht mehr gegeben“, dieser habe vielmehr (erst) im Verlaufe der
  226. Haft „sein sexuelles Suchverhalten auf Opfer erheblich“ ausgeweitet, findet in
  227. den Urteilsgründen keine Grundlage. Der Verurteilte hatte bereits spätestens im
  228. Jahre 1994 damit begonnen, „in verstärktem Maße“ Frauen anzusprechen und
  229. diese zur Vornahme von Nacktaufnahmen zu überreden, was ihm „in ca. 100
  230. bis 120 Fällen“ auch gelungen war. Gleiches gilt im Ergebnis für die Feststellung der Strafkammer, dass sich das gesamte Leben des Verurteilten in der
  231. JVA um sexuelle Inhalte drehte. Denn auch in Freiheit hatte der Verurteilte bereits einen Großteil seiner Zeit für die Anbahnung von Sexualkontakten aufgewendet. Den von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 10.10.2006 - 1 StR 475/06
  232. (NStZ 2007, 30) und vom 12.09.2007 – 1 StR 391/07 lagen insoweit nicht vergleichbare Fallgestaltungen zugrunde.
  233. 19
  234. Zu Recht hat es die Strafkammer auch nicht für ausreichend erachtet,
  235. dass der Verurteilte jegliche Behandlungsmaßnahmen im Vollzug abgelehnt
  236. und sich jeglicher Mitarbeit verweigert hat. Eine Therapieverweigerung kann
  237. regelmäßig nur dann als berücksichtigungsfähige „neue“ Tatsache angesehen
  238. werden, wenn – wofür hier nichts zu erkennen ist – das Ursprungsgericht zum
  239. Zeitpunkt seiner Verurteilung begründet annehmen durfte, der Verurteilte werde
  240. sich erfolgversprechenden therapeutischen Maßnahmen unterziehen (BVerfG
  241. NJW 2006, 3483, 3485; BGHSt 50, 275, 281; BGH NJW 2008, 3010, 3011; Beschluss vom 17.03.2009 – 1 StR 34/09).
  242. - 12 -
  243. 20
  244. d) Schließlich führt der Umstand, dass der Tatrichter im Ausgangsverfahren offenkundig nicht in einen die Frage der Sicherungsverwahrung betreffenden Erkenntnisprozess eingetreten war, obwohl bereits zum damaligen Zeitpunkt die formellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorlagen und nach den Feststellungen die Kriminalprognose des Verurteilten negativ
  245. zu beurteilen war, nicht dazu, die bereits bekannten Tatsachen als „rechtlich
  246. neu erkennbar“ zu bewerten (BGH StV 2007, 29, 30). Denn das Verfahren nach
  247. § 66 b StGB dient nicht der nachträglichen Korrektur früherer Entscheidungen,
  248. in denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung - von der Staatsanwaltschaft unbeanstandet - rechtsfehlerhaft unterblieben ist (vgl. BGHSt 50, 121,
  249. 126; 180, 188; 275, 278; 284, 297; NJW 2006, 3154; StV 2008, 636, 637).
  250. Rissing-van Saan
  251. Rothfuß
  252. RiinBGH Roggenbuck
  253. ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert.
  254. Rissing-van Saan
  255. Appl
  256. Schmitt