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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 410/13
vom
3. Dezember 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
-2-
Der
2.
Strafsenat
des
Bundesgerichtshofs
hat
nach
Anhörung
des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 3. Dezember 2013
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 28. Februar 2013 aufgehoben, soweit sie verurteilt worden ist.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betrugs in 23 Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts
gestützte Revision der Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
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1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
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Nach Verlesung der Anklagschrift in der Hauptverhandlung am 6. Februar 2013 wurde die Angeklagte darauf hingewiesen, dass es ihr freistehe, sich zu
der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ausweislich
des Hauptverhandlungsprotokolls baten die Verteidiger der Angeklagten sodann um Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Führung eines Rechtsge-
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sprächs, dem die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft zustimmte. Die
Hauptverhandlung wurde anschließend unterbrochen.
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Nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung gab der Vorsitzende den
wesentlichen Inhalt des Rechtsgesprächs zwischen Verteidigern, der Vertreterin
der Staatsanwaltschaft und der Kammer wie folgt bekannt:
"Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert, insbesondere wurde
seitens der Verteidiger die Frage angesprochen, ob im Falle einer
geständigen Einlassung eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls darstellbar erschiene. Eine Haftverschonung wurde im Fall
einer geständigen Einlassung seitens der Kammer als nicht ausgeschlossen angesehen. Ansonsten hat eine Verständigung im
Sinne des § 257 c StPO nicht stattgefunden."
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Im Anschluss machte die Angeklagte - wie sich dem Urteil entnehmen
lässt (UA S. 37) - im Wesentlichen geständige Angaben zur Sache. Das Protokoll weist an späterer Stelle den Hinweis auf, dass eine Verständigung nicht
stattgefunden habe.
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Nach Vernehmung einzelner Zeugen wurde die Beweisaufnahme geschlossen und die Angeklagte wie dargelegt verurteilt. Zugleich wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt; die dagegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft blieb ohne Erfolg.
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2. Der Vorsitzende der Strafkammer und die beisitzende Richterin haben
im Rahmen des Revisionsverfahrens jeweils dienstliche Erklärungen abgeben.
Übereinstimmend wird darin geschildert, dass es bei dem von der Verteidigung
angeregten Rechtsgespräch im Wesentlichen um die Frage der Haftverschonung gegangen sei. Dabei habe die Kammer im Falle einer geständigen Einlas-
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sung eine Haftverschonung als nicht ausgeschlossen angesehen, weil - so der
Vorsitzende - bei einem Geständnis der Haftgrund einer etwa zu bejahenden
Verdunkelungsgefahr entfallen würde. Zu einer Verständigung darüber aber sei
es nicht gekommen, dies zeige schon der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft gegen die mit Urteilsverkündung ergangene Entscheidung über die Außervollzugsetzung des Haftbefehls sofortige Beschwerde eingelegt habe. Zudem sei die Angeklagte auch nicht umfassend geständig gewesen, weshalb
noch zahlreiche weitere Zeugen gehört worden seien und teilweise Freispruch
erfolgt sei.
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Hinsichtlich der Anforderungen an die Dokumentation und Transparenz
von Verständigungsgesprächen weist der Vorsitzende im Übrigen darauf hin,
dass zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung gegen die Angeklagte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der entsprechende Erfordernisse
aufgestellt worden seien, noch nicht ergangen gewesen sei.
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3. Die Rüge der Angeklagten, es liege eine Verletzung der mit einer Verständigung einhergehenden Mitteilungs- und Dokumentationspflichten gemäß
§ 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a StPO vor, ist zulässig und begründet.
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a) Es handelt sich nicht um eine unzulässige Protokollrüge. Denn der
Beschwerdeführer leitet einen Verfahrensfehler aus dem Umstand her, dass die
Sitzungsniederschrift den Inhalt der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung mit dem Ziel der Verständigung geführt wurden, nicht mitteilt. Eine
solche Rüge ist zulässig (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 195/12,
NJW 2013, 3046).
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b) Der von der Angeklagten in der Sache gerügte Verstoß gegen § 243
Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO liegt vor.
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aa) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung
des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung
(§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu
Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 47/13, NStZ 2013, 610). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben (vgl.
BT-Drucks. 16/12310, S. 12; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., 2013, § 243
Rn. 18c). Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der
öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich
dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein
informelles und unkontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. BGH, Beschluss
vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f.). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen nicht nur darüber informiert werden, dass solche Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher
Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen
Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl.
BVerfG, NJW 2013, 1058; BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR
287/10, StV 2011, 72 f.). Zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle ist die
Mitteilung des Vorsitzenden hierüber - sofern sie nach § 243 Abs. 4 StPO vorgeschrieben ist - gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen.
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bb) Gemessen daran enthält die Niederschrift über die Hauptverhandlung vom 6. Februar 2013 nicht alle Informationen, die zur Transparenz und
Dokumentation von Verfahrensabläufen im Zusammenhang mit möglichen Verständigungen nach § 257c StPO mitgeteilt werden müssen. Dieser Mangel der
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Protokollierung ist ein Rechtsfehler des Verständigungsverfahrens, der durch
das Protokoll der Hauptverhandlung bewiesen wird.
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Das zwischen den Verfahrensbeteiligten am 6. Februar 2013 außerhalb
der Hauptverhandlung geführte Rechtsgespräch betraf - schon auf der Grundlage der im Protokoll enthaltenen Angaben - einen zulässigen Gegenstand einer Verständigung im Sinne von § 257c Abs. 2 StPO; sie löste entsprechende
Dokumentationspflichten aus. Die Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach Urteilsverkündung ist ein zum Urteil "dazugehöriger Beschluss" (§ 268b StPO), so dass auch die Vollstreckung von Untersuchungshaft
grundsätzlich zulässiger Verständigungsinhalt sein kann (Stuckenberg, in: Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 257c, Rn. 33; Moldenhauer/Wenske, in: Karlsruher
Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 257c, Rn. 17).
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Im Protokoll zur Hauptverhandlung fehlen hinsichtlich einer möglichen
Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen die Angeklagte als (zulässigem)
Gegenstand einer Absprache - ungeachtet des Umstands, dass über die Erörterung der Haftfrage hinaus die "Sach- und Rechtslage" umfassend erörtert worden ist, was ebenfalls näher darzulegen gewesen wäre - wesentliche Informationen über den Inhalt des geführten Gesprächs. So lässt sich dem Protokoll
zwar entnehmen, dass die Frage einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls
von Seiten der Verteidiger der Angeklagten angesprochen wurde und dass die
Strafkammer eine solche Entscheidung im Falle einer geständigen Einlassung
als nicht ausgeschlossen angesehen hat. Auch wird als Ergebnis festgehalten,
dass (ansonsten) eine Verständigung nicht stattgefunden hat. Welchen Standpunkt die Staatsanwaltschaft hierzu eingenommen hat, unter welchen Bedingungen (Auflagen) etwa eine Außervollzugsetzung in Betracht gekommen wäre
und wo insoweit gegebenenfalls abweichende Standpunkte eingenommen worden sind, erwähnt das Hauptverhandlungsprotokoll aber nicht. Dies aber wäre,
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da die Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO nicht nur das Ergebnis, sondern auch
den dahin führenden Entscheidungsprozess jedenfalls in seinen Grundzügen
mitzuteilen hat, erforderlich gewesen. Dies gilt um so mehr, als die in der Niederschrift gewählte Formulierung, ansonsten habe eine Verständigung nicht
stattgefunden, sogar für die Annahme sprechen könnte, es sei insoweit doch
eine bindende Verständigung zustande gekommen.
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Soweit sich die Strafkammer in der Sache darauf beruft, sie habe diese
Anforderungen an die Dokumentation von Verständigungsgesprächen nicht erfüllen können, weil sie erst nach Durchführung der Hauptverhandlung vom
Bundesverfassungsgericht gefordert worden seien, übersieht sie schon, dass
das Bundesverfassungsgericht diese Anforderungen nicht neu aufgestellt, sondern einer Auslegung des Gesetzeswortlauts entnommen hat. Auch der Bundesgerichtshof hatte im Übrigen ähnliche Verpflichtungen formuliert (vgl. BGH,
Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f.).
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c) Ein Mangel an Transparenz und Dokumentation der Gespräche, die
mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden, führt regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler
nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR
195/12). Schon durch das Fehlen einer umfassenden Dokumentation kann
- auch im Falle einer im Ergebnis nicht zustande gekommenen Verständigung das Prozessverhalten eines Angeklagten beeinflusst worden sein. Dies gilt hier
um so mehr, als das Protokoll davon spricht "ansonsten" habe eine Verständigung nicht stattgefunden. Es lässt sich insoweit nicht ausschließen, dass die
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Angeklagte - entgegen der späteren Dokumentation im Hauptverhandlungsprotokoll - davon ausgegangen sein könnte, dass zur Haftfrage doch eine Verständigung stattgefunden hat und sich deshalb in der Folge (im Wesentlichen) geständig eingelassen hat.
Fischer
Schmitt
Ott
Krehl
Zeng