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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 410/13
  4. vom
  5. 3. Dezember 2013
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Betruges
  9. -2-
  10. Der
  11. 2.
  12. Strafsenat
  13. des
  14. Bundesgerichtshofs
  15. hat
  16. nach
  17. Anhörung
  18. des
  19. Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 3. Dezember 2013
  20. gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
  21. 1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 28. Februar 2013 aufgehoben, soweit sie verurteilt worden ist.
  22. 2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  23. Gründe:
  24. 1
  25. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betrugs in 23 Fällen zu einer
  26. Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts
  27. gestützte Revision der Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
  28. 2
  29. 1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
  30. 3
  31. Nach Verlesung der Anklagschrift in der Hauptverhandlung am 6. Februar 2013 wurde die Angeklagte darauf hingewiesen, dass es ihr freistehe, sich zu
  32. der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ausweislich
  33. des Hauptverhandlungsprotokolls baten die Verteidiger der Angeklagten sodann um Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Führung eines Rechtsge-
  34. -3-
  35. sprächs, dem die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft zustimmte. Die
  36. Hauptverhandlung wurde anschließend unterbrochen.
  37. 4
  38. Nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung gab der Vorsitzende den
  39. wesentlichen Inhalt des Rechtsgesprächs zwischen Verteidigern, der Vertreterin
  40. der Staatsanwaltschaft und der Kammer wie folgt bekannt:
  41. "Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert, insbesondere wurde
  42. seitens der Verteidiger die Frage angesprochen, ob im Falle einer
  43. geständigen Einlassung eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls darstellbar erschiene. Eine Haftverschonung wurde im Fall
  44. einer geständigen Einlassung seitens der Kammer als nicht ausgeschlossen angesehen. Ansonsten hat eine Verständigung im
  45. Sinne des § 257 c StPO nicht stattgefunden."
  46. 5
  47. Im Anschluss machte die Angeklagte - wie sich dem Urteil entnehmen
  48. lässt (UA S. 37) - im Wesentlichen geständige Angaben zur Sache. Das Protokoll weist an späterer Stelle den Hinweis auf, dass eine Verständigung nicht
  49. stattgefunden habe.
  50. 6
  51. Nach Vernehmung einzelner Zeugen wurde die Beweisaufnahme geschlossen und die Angeklagte wie dargelegt verurteilt. Zugleich wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt; die dagegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft blieb ohne Erfolg.
  52. 7
  53. 2. Der Vorsitzende der Strafkammer und die beisitzende Richterin haben
  54. im Rahmen des Revisionsverfahrens jeweils dienstliche Erklärungen abgeben.
  55. Übereinstimmend wird darin geschildert, dass es bei dem von der Verteidigung
  56. angeregten Rechtsgespräch im Wesentlichen um die Frage der Haftverschonung gegangen sei. Dabei habe die Kammer im Falle einer geständigen Einlas-
  57. -4-
  58. sung eine Haftverschonung als nicht ausgeschlossen angesehen, weil - so der
  59. Vorsitzende - bei einem Geständnis der Haftgrund einer etwa zu bejahenden
  60. Verdunkelungsgefahr entfallen würde. Zu einer Verständigung darüber aber sei
  61. es nicht gekommen, dies zeige schon der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft gegen die mit Urteilsverkündung ergangene Entscheidung über die Außervollzugsetzung des Haftbefehls sofortige Beschwerde eingelegt habe. Zudem sei die Angeklagte auch nicht umfassend geständig gewesen, weshalb
  62. noch zahlreiche weitere Zeugen gehört worden seien und teilweise Freispruch
  63. erfolgt sei.
  64. 8
  65. Hinsichtlich der Anforderungen an die Dokumentation und Transparenz
  66. von Verständigungsgesprächen weist der Vorsitzende im Übrigen darauf hin,
  67. dass zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung gegen die Angeklagte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der entsprechende Erfordernisse
  68. aufgestellt worden seien, noch nicht ergangen gewesen sei.
  69. 9
  70. 3. Die Rüge der Angeklagten, es liege eine Verletzung der mit einer Verständigung einhergehenden Mitteilungs- und Dokumentationspflichten gemäß
  71. § 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a StPO vor, ist zulässig und begründet.
  72. 10
  73. a) Es handelt sich nicht um eine unzulässige Protokollrüge. Denn der
  74. Beschwerdeführer leitet einen Verfahrensfehler aus dem Umstand her, dass die
  75. Sitzungsniederschrift den Inhalt der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung mit dem Ziel der Verständigung geführt wurden, nicht mitteilt. Eine
  76. solche Rüge ist zulässig (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 195/12,
  77. NJW 2013, 3046).
  78. 11
  79. b) Der von der Angeklagten in der Sache gerügte Verstoß gegen § 243
  80. Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO liegt vor.
  81. -5-
  82. 12
  83. aa) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung
  84. des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung
  85. (§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu
  86. Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR 47/13, NStZ 2013, 610). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben (vgl.
  87. BT-Drucks. 16/12310, S. 12; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., 2013, § 243
  88. Rn. 18c). Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der
  89. öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich
  90. dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein
  91. informelles und unkontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. BGH, Beschluss
  92. vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f.). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen nicht nur darüber informiert werden, dass solche Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher
  93. Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen
  94. Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl.
  95. BVerfG, NJW 2013, 1058; BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR
  96. 287/10, StV 2011, 72 f.). Zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle ist die
  97. Mitteilung des Vorsitzenden hierüber - sofern sie nach § 243 Abs. 4 StPO vorgeschrieben ist - gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen.
  98. 13
  99. bb) Gemessen daran enthält die Niederschrift über die Hauptverhandlung vom 6. Februar 2013 nicht alle Informationen, die zur Transparenz und
  100. Dokumentation von Verfahrensabläufen im Zusammenhang mit möglichen Verständigungen nach § 257c StPO mitgeteilt werden müssen. Dieser Mangel der
  101. -6-
  102. Protokollierung ist ein Rechtsfehler des Verständigungsverfahrens, der durch
  103. das Protokoll der Hauptverhandlung bewiesen wird.
  104. 14
  105. Das zwischen den Verfahrensbeteiligten am 6. Februar 2013 außerhalb
  106. der Hauptverhandlung geführte Rechtsgespräch betraf - schon auf der Grundlage der im Protokoll enthaltenen Angaben - einen zulässigen Gegenstand einer Verständigung im Sinne von § 257c Abs. 2 StPO; sie löste entsprechende
  107. Dokumentationspflichten aus. Die Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach Urteilsverkündung ist ein zum Urteil "dazugehöriger Beschluss" (§ 268b StPO), so dass auch die Vollstreckung von Untersuchungshaft
  108. grundsätzlich zulässiger Verständigungsinhalt sein kann (Stuckenberg, in: Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 257c, Rn. 33; Moldenhauer/Wenske, in: Karlsruher
  109. Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 257c, Rn. 17).
  110. 15
  111. Im Protokoll zur Hauptverhandlung fehlen hinsichtlich einer möglichen
  112. Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen die Angeklagte als (zulässigem)
  113. Gegenstand einer Absprache - ungeachtet des Umstands, dass über die Erörterung der Haftfrage hinaus die "Sach- und Rechtslage" umfassend erörtert worden ist, was ebenfalls näher darzulegen gewesen wäre - wesentliche Informationen über den Inhalt des geführten Gesprächs. So lässt sich dem Protokoll
  114. zwar entnehmen, dass die Frage einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls
  115. von Seiten der Verteidiger der Angeklagten angesprochen wurde und dass die
  116. Strafkammer eine solche Entscheidung im Falle einer geständigen Einlassung
  117. als nicht ausgeschlossen angesehen hat. Auch wird als Ergebnis festgehalten,
  118. dass (ansonsten) eine Verständigung nicht stattgefunden hat. Welchen Standpunkt die Staatsanwaltschaft hierzu eingenommen hat, unter welchen Bedingungen (Auflagen) etwa eine Außervollzugsetzung in Betracht gekommen wäre
  119. und wo insoweit gegebenenfalls abweichende Standpunkte eingenommen worden sind, erwähnt das Hauptverhandlungsprotokoll aber nicht. Dies aber wäre,
  120. -7-
  121. da die Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO nicht nur das Ergebnis, sondern auch
  122. den dahin führenden Entscheidungsprozess jedenfalls in seinen Grundzügen
  123. mitzuteilen hat, erforderlich gewesen. Dies gilt um so mehr, als die in der Niederschrift gewählte Formulierung, ansonsten habe eine Verständigung nicht
  124. stattgefunden, sogar für die Annahme sprechen könnte, es sei insoweit doch
  125. eine bindende Verständigung zustande gekommen.
  126. 16
  127. Soweit sich die Strafkammer in der Sache darauf beruft, sie habe diese
  128. Anforderungen an die Dokumentation von Verständigungsgesprächen nicht erfüllen können, weil sie erst nach Durchführung der Hauptverhandlung vom
  129. Bundesverfassungsgericht gefordert worden seien, übersieht sie schon, dass
  130. das Bundesverfassungsgericht diese Anforderungen nicht neu aufgestellt, sondern einer Auslegung des Gesetzeswortlauts entnommen hat. Auch der Bundesgerichtshof hatte im Übrigen ähnliche Verpflichtungen formuliert (vgl. BGH,
  131. Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f.).
  132. 17
  133. c) Ein Mangel an Transparenz und Dokumentation der Gespräche, die
  134. mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden, führt regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler
  135. nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 - 2 StR
  136. 195/12). Schon durch das Fehlen einer umfassenden Dokumentation kann
  137. - auch im Falle einer im Ergebnis nicht zustande gekommenen Verständigung das Prozessverhalten eines Angeklagten beeinflusst worden sein. Dies gilt hier
  138. um so mehr, als das Protokoll davon spricht "ansonsten" habe eine Verständigung nicht stattgefunden. Es lässt sich insoweit nicht ausschließen, dass die
  139. -8-
  140. Angeklagte - entgegen der späteren Dokumentation im Hauptverhandlungsprotokoll - davon ausgegangen sein könnte, dass zur Haftfrage doch eine Verständigung stattgefunden hat und sich deshalb in der Folge (im Wesentlichen) geständig eingelassen hat.
  141. Fischer
  142. Schmitt
  143. Ott
  144. Krehl
  145. Zeng