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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 170/11
vom
28. April 2011
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
BGHZ:
BGHR:
ja
nein
ja
Brüssel IIa-VO Art. 3, 8, 10, 21, 28; IntFamRVG §§ 1, 27, 31, 32;
HKÜ Art. 3 Satz 1 lit. a, 16
a) Art. 16 des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler
Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (BGBl. 1990 II S. 206 - HKÜ) steht einer
Entscheidung im Verfahren auf Nichtanerkennung einer ausländischen Sorgerechtsentscheidung gemäß Art. 21 Abs. 3 der Verordnung EG Nr. 2201/2003 des
Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung EG Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-VO) nicht
entgegen.
b) Hat das Oberlandesgericht einen Antrag auf Nichtanerkennung zurückgewiesen,
bedarf es keiner Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung gemäß
§ 27 Abs. 2 des Gesetzes zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts vom 26. Januar 2005
(BGBl. I S. 162, zuletzt geändert durch Art. 26 des Gesetzes vom 8. Dezember
2010 BGBl. I S. 1864 - IntFamRVG).
Hat das Oberlandesgericht dennoch die sofortige Wirksamkeit angeordnet, geht
seine Anordnung ins Leere. Deshalb fehlt es dem hiervon Betroffenen an einem
Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Aufhebung dieser Anordnung gemäß
§ 31 IntFamRVG.
BGH, Beschluss vom 28. April 2011 - XII ZB 170/11 - OLG Bamberg
AG Bamberg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. April 2011 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke, Schilling, Dr.
Günter und Dr. Nedden-Boeger
beschlossen:
Der Antrag des Antragstellers, die im Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg - 2. Zivilsenat - Familiensenat vom 21. März
2011 ausgesprochene Anordnung der sofortigen Wirksamkeit aufzuheben, wird als unzulässig zurückgewiesen.
Gründe:
I.
1
Der Antragsteller begehrt die Nichtanerkennung einer ungarischen Sorgerechtsentscheidung.
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Aus der Beziehung des Antragstellers mit der Antragsgegnerin ist das
Kind A.
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, geboren am 6. August 2006, hervorgegangen.
Mit Beschluss vom 15. November 2010 übertrug das Gerichts des II. und
III. Stadtbezirks in Budapest (im Folgenden: Stadtbezirksgericht) unter Abänderung der vorangegangenen Regelungen im Wege der einstweiligen Anordnung
die Betreuung und die Erziehung des Kindes der Antragsgegnerin. Der mit dem
Kind in Deutschland lebende Antragsteller wurde verpflichtet, das Kind innerhalb von drei Tagen nach Ungarn zu verbringen und an die Kindesmutter zu
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übergeben sowie Kindesunterhalt zu zahlen. Des Weiteren wurde das Umgangsrecht des Kindesvaters vorläufig geregelt.
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Das Amtsgericht Bamberg hat dem Antrag des Antragstellers, die vorgenannte Entscheidung nicht anzuerkennen, mit Beschluss vom 12. Januar 2011
stattgegeben. Auf die hierauf von der Antragsgegnerin eingelegte Beschwerde
hat das Oberlandesgericht Bamberg mit Beschluss vom 21. März 2011 die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben, den Antrag des Antragstellers zurückgewiesen und unter anderem die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses
angeordnet.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner bereits eingelegten,
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aber noch nicht begründeten Rechtsbeschwerde. Zudem beantragt er gemäß
§ 31 des Gesetzes zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente
auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts vom 26. Januar 2005
(BGBl. I S. 162, zuletzt geändert durch Art. 26 des Gesetzes vom 8. Dezember
2010 BGBl. I S. 1864 - im Folgenden: IntFamRVG), die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit aufzuheben.
II.
Der Antrag auf Aufhebung der sofortigen Wirksamkeit ist mangels
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Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig und war daher zurückzuweisen.
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1. Der Antrag ist allerdings gemäß § 31 IntFamRVG statthaft.
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Das Beschwerdegericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen,
dass
auf
das
vorliegende
Verfahren
die
Art. 21 ff.
der
Verordnung
EG Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und
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Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend
die
elterliche
Verantwortung
und
zur
Aufhebung
der
Verordnung
EG Nr. 1347/2000 (im Folgenden: Brüssel IIa-VO) anzuwenden sind und damit
für das Verfahren gemäß § 1 Nr. 1 IntFamRVG die §§ 32, 16 bis 31 IntFamRVG
entsprechend gelten (s. hierzu Rauscher Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR/EuIPR [Bearb. 2010] Art. 21 Brüssel IIa-VO Rn. 42; s. auch
Geimer/Schütze/Dilger Internationaler Rechtsverkehr Nr. 545 [EL 29] Einl. B
vor I Rn. 32 ff.).
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a) Erlässt ein nach Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO in der Hauptsache zuständiges Gericht eine einstweilige Maßnahme, richtet sich die Anerkennung und
Vollstreckung dieser Maßnahme in anderen Mitgliedsstaaten nach Art. 21 ff.
Brüssel IIa-VO (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 182/08 FamRZ 2011, 542 Rn. 16 unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 15. Juli
2010 - Rs. C-256/09 - FamRZ 2010, 1521). Dabei ist für die Anwendung der
Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO darauf abzustellen, ob das Ursprungsgericht seine
Zuständigkeit auf Art. 8 ff. Brüssel IIa-VO gestützt hat (vgl. Senatsbeschluss
vom 9. Februar 2011 - XII ZB 182/08 - FamRZ 2011, 542 Rn. 22). Ist zweifelhaft, worauf das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit gestützt hat, ist anhand
der in der Entscheidung des Ursprungsgerichts enthaltenen Ausführungen zu
prüfen, ob dieses seine Zuständigkeit auf eine Vorschrift der Brüssel IIa-VO
stützen wollte (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 182/08 - FamRZ
2011, 542 Rn. 23).
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b) Danach sind die Art. 21 ff. Brüssel IIa-VO vorliegend anwendbar. Zwar
hat das Stadtbezirksgericht in seinem Beschluss vom 15. November 2010 nicht
ausdrücklich auf die Zuständigkeitsnormen der Brüssel IIa-VO Bezug genommen. Jedoch ergibt sich aus der Begründung des Beschlusses, dass der Antragsteller den Aufenthaltsort des Kindes nach Auffassung des Stadtbezirksge-
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richts durch den Umzug nach Deutschland willkürlich verändert und damit gegen die Regelung des elterlichen Sorgerechts verstoßen hat. Dem lässt sich
entnehmen, dass das Stadtbezirksgericht von dem Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 10 der Brüssel IIa-VO ausgegangen ist, wonach bei widerrechtlichem Verbringen eines Kindes die Gerichte des Mitgliedsstaats, in dem das
Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hatte, grundsätzlich zuständig bleiben, wenn nicht die - hier nicht
einschlägigen - weiteren Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat das Gericht in seinem Beschluss auch Bezug genommen auf das Urteil vom
12. Februar 2010 (vgl. S. 3 des Beschlusses vom 15. November 2010), in dem
das Gericht - freilich zu einem Zeitpunkt, als das Kind noch in Ungarn lebte ausdrücklich von seiner Zuständigkeit gemäß Art. 8 der Brüssel IIa-VO ausgegangen war. Nach alledem ergibt sich die Hauptsachezuständigkeit ersichtlich
aus der erlassenen Entscheidung (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 9. Februar
2011 - XII ZB 182/08 - FamRZ 2011, 542 Rn. 24).
c) Findet somit das IntFamRVG Anwendung, so ist der Antrag des An-
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tragstellers gemäß § 31 IntFamRVG statthaft, weil das Beschwerdegericht nach
§ 27 Abs. 2 IntFamRVG die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses angeordnet
hat.
2. Einer Entscheidung im Verfahren auf Nichtanerkennung der genann-
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ten Entscheidung steht auch Art. 16 des Übereinkommens über die zivilrechtlichen
Aspekte
internationaler
Kindesentführung
vom
25. Oktober
1980
(BGBl. 1990 II S. 206 im Folgenden HKÜ) nicht entgegen.
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Zwar ergibt sich aus dem von dem Antragsteller in Bezug genommenen
Schreiben des Bundesamtes für Justiz vom 5. April 2011, dass das Rückführungsverfahren nach dem Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte
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internationaler Kindesentführung betrieben wird. Demgemäß kommt Art. 16
HKÜ zur Anwendung, wonach die Gerichte des Vertragsstaates, in den das
Kind verbracht wurde, eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst treffen
dürfen, wenn entschieden ist, dass das Kind aufgrund dieses Übereinkommens
nicht zurückzugeben sei, oder wenn innerhalb angemessener Frist nach der
Mitteilung kein Antrag nach dem Übereinkommen gestellt werde. Mithin dürfen
sie keine in die elterliche Verantwortung eingreifenden Maßnahmen treffen (Senatsbeschluss vom 22. Juni 2005 - XII ZB 186/03 - FamRZ 2005, 1540, 1544).
Im hier anhängigen Verfahren ist jedoch keine Sachentscheidung über
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das Sorgerecht zu treffen. Vielmehr geht es lediglich um die Nichtanerkennung
einer bereits erlassenen Sorgerechtsentscheidung und bezogen auf den hier zu
bescheidenden Antrag nach § 31 IntFamRVG lediglich um die Frage, ob die
Entscheidung über die Ablehnung des Antrages auf Nichtanerkennung ihre sofortige Wirksamkeit behält. Für das HKÜ-Verfahren ist jedoch nicht die Frage
der Anerkennung maßgeblich, sondern gemäß Art. 3 Satz 1 lit. a HKÜ das Sorgerecht, das einer Person nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das
Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hatte.
3. Jedoch fehlt dem Antrag des Antragstellers das Rechtsschutzbedürf-
15
nis.
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Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn der Rechtsschutzsuchende kein
schutzwürdiges Interesse an der begehrten Entscheidung haben kann (vgl.
Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. vor § 253 Rn. 18).
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Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Anordnung der sofortigen
Wirksamkeit durch das Beschwerdegericht war unnötig, so dass ihre Aufhebung
die Rechtsposition des Antragstellers nicht zu verbessern vermag.
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18
a) Die §§ 16 bis 31 IntFamRVG gelten für das Verfahren auf Zulassung
der Zwangsvollstreckung. Demgemäß ermöglicht es die Regelung des § 27
Abs. 2 IntFamRVG, also die dort vorgesehene Anordnung der sofortigen Wirksamkeit, "die Entscheidung in der Hauptsache, das heißt die Zulassung der
Zwangsvollstreckung, praktisch vorwegzunehmen" (so ausdrücklich die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 15/3981 S. 26).
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Dagegen sind die vorgenannten Normen auf das Verfahren der Anerkennungsfeststellung gemäß § 32 IntFamRVG nur entsprechend bzw. "sinngemäß" anzuwenden (Rauscher Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht
EuZPR/EuIPR [Bearb. 2010] Art. 21 Brüssel IIa-VO Rn. 42).
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Weil die Entscheidung über die Zurückweisung des Antrages auf Nichtanerkennung nach Art. 21 Abs. 3 Brüssel IIa-VO bzw. § 32 IntFamRVG schon
ihrem Inhalt nach keine Veränderung der durch Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO
vorgegebenen Rechtslage bewirkt, geht der Verweis des § 32 IntFamRVG auf
§§ 27 Abs. 2, 31 IntFamRVG hier ins Leere.
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b) Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung über die
Zurückweisung des Antrages auf Nichtanerkennung der ungarischen Sorgerechtsentscheidung hat auch keine Auswirkungen auf ein parallel betriebenes
Verfahren auf Vollstreckbarerklärung hinsichtlich der Herausgabeanordnung.
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Unbeschadet des Umstandes, ob die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung des Beschwerdegerichts angeordnet bleibt, ist das Gericht, das in
einem weiteren Verfahren gemäß Art. 28 ff. Brüssel IIa-VO zu prüfen hat, ob die
mit der Sorgerechtsentscheidung verbundene Herausgabeanordnung für vollstreckbar zu erklären ist, nicht an die - nicht rechtskräftige - Entscheidung des
Beschwerdegerichts in diesem Verfahren gebunden. Sofern seiner Auffassung
nach keine Ablehnungsgründe im Sinne der Art. 22 bis 24 Brüssel IIa-VO gege-
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ben sind (vgl. Art. 31 Abs. 2 Brüssel IIa-VO) und die übrigen Voraussetzungen
vorliegen, hat es dem Antrag stattzugeben.
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Dabei kann dahinstehen, ob die angegriffene Entscheidung, also die Zurückweisung des Antrages auf Nichtanerkennung, eine positive Bindungswirkung insoweit erzeugen kann, als die Vollstreckbarerklärung nicht an der Anerkennungsfähigkeit der Sorgerechtsentscheidung scheitern darf. Eine solche
Bindungswirkung träte nämlich allenfalls mit Rechtskraft der Entscheidung des
Beschwerdegerichts ein (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 28. Aufl. § 322 Rn. 11,
wonach die Rechtskraftwirkung der aus Sachgründen abgewiesenen negativen
Feststellungsklage derjenigen eines Urteils entspricht, das einer umgekehrten
positiven Feststellungsklage des Beklagten stattgegeben hätte). Durch die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit wird jedoch keine Rechtskraft erzeugt.
Vielmehr wird die Wirksamkeit einer Entscheidung, die gemäß § 27 Abs. 1
Satz 1 IntFamRVG an sich erst mit der Rechtskraft der Entscheidung eintritt,
durch die Anordnung nach § 27 Abs. 2 IntFamRVG vorverlagert.
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c) Schließlich bleibt es dem Antragsteller unbenommen, bei einer etwai-
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gen Vollstreckbarerklärung der in der Sorgerechtsentscheidung angeordneten
Herausgabe und einer entsprechenden Anordnung der sofortigen Wirksamkeit
einen Antrag nach § 31 IntFamRVG zu stellen.
Hahne
Dr. Günter ist wegen
eines Arztbesuchs an der
Unterschriftsleistung verhindert.
Weber-Monecke
Schilling
Nedden-Boeger
Hahne
Vorinstanzen:
AG Bamberg, Entscheidung vom 12.01.2011 - 211 F 1651/10 OLG Bamberg, Entscheidung vom 21.03.2011 - 2 UF 59/11 -