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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZR 77/10
vom
17. Mai 2011
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Treppenlift
ZPO § 531 Abs. 2
a) Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ist grundsätzlich
zu verneinen, wenn ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel erst nach
Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung entstanden ist.
b) Stützt der Beklagte eine Einwendung gegen den Klageanspruch auf eine
Rechtsposition, die er im Wege der Abtretung erworben hat, so ist das entsprechende Verteidigungsmittel erst mit dem Erwerb der Rechtsposition entstanden.
BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011 - X ZR 77/10 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
-2-
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Mai 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier Beck, die Richter Gröning, Dr. Bacher und
Hoffmann sowie die Richterin Schuster
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das am
15. April
2010
verkündete
Urteil
des
2. Zivilsenats
des
Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 425.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
1
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Patentverletzung in An-
spruch.
2
Die Klägerin ist Inhaberin einer ausschließlichen Lizenz an dem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patent
1 700 812 (Klagepatent), das einen Treppenlift mit einer Stabilisierungsvorrichtung betrifft. Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet:
-3-
"1.
Treppenlift mit einer Stabilisierungsvorrichtung, mit einem verzahnten Teil
(2), das sich auf einer Buchse (11) befindet, durch die die Achse (14) eines
Rotors geführt wird, auf der sich Rollen (15, 16, 17, 18) befinden, die auf
einem unteren Rohr (19) der Fahrbahn rollen, wobei die Buchse sich zwischen zwei Hebeln (12, 13) befindet und es dem verzahnten Teil (2) erlaubt,
in einen auf einer Grundplatte (6) befindlichen Zahnkranz zu greifen, wobei
sich im Inneren der Platte (6) die Welle des Motorgetriebes (4) dreht, das
mechanisch mittels einer Zugstange (3) mit dem verzahnten Teil (2) verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass für jeden Abstand zwischen den
Achsen des unteren und eines oberen Fahrbahnrohres im waagerechten
Bereich von 200 - 500 mm und den geneigten Bereichen der Fahrbahn von
0 - 90 Grad, der Konversionsfaktor (r) zwischen dem Abstand der Rohrachsen in Millimeter und dem Neigungswinkel der Fahrbahn gegenüber der
Waagerechten einen Wert von 1,2 - 5 mm/Grad hat und die Übersetzung
bzw. der Übertragungsfaktor zwischen dem verzahnten Teil (2) und dem
Zahnkranz (21) 1,97 - 5 beträgt."
3
Die Beklagte zu 1, deren frühere Geschäftsführerin und nunmehrige Liquidatorin die Beklagte zu 2 ist, hat unter der Modellbezeichnung "A.
" Treppen-
lifte vertrieben, bei denen nach Auffassung der Klägerin alle Merkmale von Patentanspruch 1 wortsinngemäß verwirklicht sind. Die Beklagten haben bestritten, solche Lifte nach der Veröffentlichung der Anmeldung des Klagepatents
vertrieben zu haben.
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Das Landgericht hat die Beklagten nach Beweisaufnahme antragsgemäß
verurteilt. In der Berufungsinstanz haben die Beklagten zusätzlich den Einwand
der widerrechtlichen Entnahme erhoben. Diesen Einwand haben sie auf Rechte
am Gegenstand des Klagepatents gestützt, die der Ehemann der Beklagten
zu 2, der mit 10% am Stammkapital der Beklagten zu 1 beteiligt ist und deren
Geschäfte faktisch geführt hat, nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils an die
Beklagte zu 2 abgetreten hat.
-4-
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Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Nichtzulassungsbeschwerde, der
die Klägerin entgegentritt.
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II.
Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Zu Recht
rügen die Beklagten eine entscheidungserhebliche Verletzung ihres Anspruchs
auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
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1.
Das Berufungsgericht hat seine die erstinstanzliche Verurteilung be-
stätigende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Nach den Feststellungen des Landgerichts habe die Beklagte zwei Tage
nach Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Klagepatents einen
Treppenlift geliefert, bei dem alle Merkmale von Patentanspruch 1 wortsinngemäß verwirklicht seien. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen begründeten, lägen nicht vor.
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Die Beklagten könnten nicht mit der Behauptung gehört werden, sie seien
aufgrund der im Laufe des Berufungsverfahrens erfolgten Abtretung Inhaber der
materiellen Erfinderrechte. Diese Behauptung stelle ein neues Verteidigungsvorbringen dar, das streitig sei und nicht zugelassen werden könne, weil die
Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht vorlägen. Zwar habe der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit Streitigkeiten aus Werkverträgen entschieden, dass eine nach Abschluss der ersten Instanz erstellte neue Schlussrechnung nicht aufgrund von § 529 Abs. 1 und § 531 Abs. 1 ZPO unberücksichtigt
bleiben dürfe. Die dafür maßgeblichen Erwägungen träfen auf den Fall einer
erst in zweiter Instanz erfolgten Abtretung jedoch nicht zu. Auf daraus abgeleitete Rechte seien die Präklusionsvorschriften anwendbar. Im Streitfall sei das
Verhalten der Beklagten zu 2 mit der Prozessförderungspflicht nach § 138
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Abs. 1 ZPO nicht vereinbar und zudem als nachlässig zu beurteilen. Es sei weder ersichtlich noch von den Beklagten erläutert, weshalb es dem Ehemann der
Beklagten zu 2 nicht möglich gewesen sei, die Informationen zur angeblichen
widerrechtlichen Entnahme schon in erster Instanz zu verschaffen und seine
Rechte an die Beklagte zu 2 abzutreten.
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2.
Diese Beurteilung hält dem Angriff der Nichtzulassungsbeschwerde
in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Beklagten zu einer widerrechtlichen Entnahme zu Unrecht gemäß
§ 531 ZPO unberücksichtigt gelassen und damit dem Anspruch der Beklagten
auf rechtliches Gehör verletzt.
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a)
Die erstmalige Geltendmachung des Einwandes der widerrechtlichen
Entnahme beruht nicht auf Nachlässigkeit der Beklagten. Nachlässigkeit kann in
der Regel nicht angenommen werden, wenn eine Partei erst aufgrund einer
während des Berufungsverfahrens erfolgten Abtretung in der Lage war, ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Aussicht auf Erfolg geltend zu machen.
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Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ist grundsätzlich zu verneinen, wenn ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel erst nach
Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung entstanden ist (BTDrucks. 14/4722, S. 101; MünchKommZPO/Rimmelspacher, 3. Auflage, § 531
Rn. 24; Musielak/Ball, ZPO, 8. Auflage, § 531 Rn. 19; Prütting/Oberheim, ZPO,
§ 531 Rn. 11; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Auflage, § 531 Rn. 30). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Beklagten waren erst aufgrund der in zweiter
Instanz erfolgten Abtretung rechtlich in der Lage, aus der von ihnen behaupteten widerrechtlichen Entnahme Einwendungen gegen die Klageansprüche abzuleiten.
-6-
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Allerdings spricht viel dafür, von diesem Grundsatz eine Ausnahme zu
machen, wenn ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel auf einen abgeschlossenen Lebenssachverhalt gestützt wird und die Möglichkeit, es mit Aussicht auf
Erfolg geltend zu machen, nur noch davon abhängt, dass die Partei ein ihr zustehendes materielles Gestaltungsrecht ausübt (vgl. dazu BAG, Urteil vom
9. November 1983 - 5 AZR 355/81, NZA 1985, 130, 131 sowie Stein/Jonas/
Leipold, ZPO, 22. Auflage, § 296 Rn. 44). Wenn der Eintritt einer bestimmten
Rechtsfolge nur noch vom Willen des Schuldners abhängt, erschiene es verfehlt, die Rechtzeitigkeit eines auf den Eintritt dieser Rechtsfolge gestützten
Angriffs- oder Verteidigungsmittels anhand des Zeitpunktes zu bestimmen, zu
dem die Partei von dem ihr zustehenden Gestaltungsrecht Gebrauch gemacht
hat. Aus demselben Grund ist es einem Schuldner, der nach dem Schluss der
mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen die Aufrechnung erklärt
hat, verwehrt, ein rechtskräftiges Urteil mit der Vollstreckungsgegenklage anzugreifen, wenn schon vor dem genannten Zeitpunkt eine Aufrechnungslage bestanden hat (BGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - VII ZR 351/03, BGHZ 163, 339, 342
mwN). Entsprechendes gilt für eine Anfechtung (BGH, Urteil vom 19. November
2003 - VIII ZR 60/03, NJW 2004, 1252, 1253 mwN) und für eine Kündigungserklärung (BGH, Urteil vom 16. November 2005 - VIII ZR 218/04, NJW-RR 2006,
229 Rn. 14). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es gerade zum Zweck des Gestaltungsrechts gehört, dem Berechtigten die Entscheidung zu überlassen, zu
welchem Zeitpunkt er von seinem Recht Gebrauch macht. Der Beklagte ist
deshalb nicht gehalten, vorzeitig von einem ihm für einen bestimmten Zeitraum
eingeräumten Optionsrecht Gebrauch zu machen (BGH, Urteil vom 25. Februar
1985 - VIII ZR 116/84, BGHZ 94, 29, 35) oder ein Leistungsverweigerungsrecht
aufzugeben, um eine Aufrechnungslage herbeizuführen (BGHZ 163, 339, 343).
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Ob bei Gestaltungsrechten auf den Zeitpunkt ihrer Entstehung abzustellen
ist, kann im vorliegenden Zusammenhang jedoch dahingestellt bleiben (ebenfalls offen gelassen in BGH, Beschluss vom 30. Juni 2010 - IV ZR 229/07, r+s
2010, 420 Rn. 10; obiter bejaht in BGH, Urteil vom 10. März 2011
- IX ZR 82/10, MDR 2011, 754 Rn. 18). Im Streitfall hing die Möglichkeit zur
Geltendmachung des Einwandes nicht allein vom Willen der Beklagten ab. Zur
Abtretung der geltend gemachten Rechte am Gegenstand des Klagepatents
bedurfte es vielmehr der Mitwirkung des Ehemannes der Beklagten zu 2. In
derartigen Konstellationen erschiene es verfehlt, Nachlässigkeit schon deshalb
zu bejahen, weil sich eine Partei nicht rechtzeitig um den Erwerb einer bestimmten Rechtsposition im Wege der Abtretung bemüht hat (vgl. dazu
Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Auflage, § 296 Rn. 45). Der Umstand, dass die
prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften nicht den Zweck verfolgen, auf eine
beschleunigte Schaffung der materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen
hinzuwirken (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2005 - VII ZR 229/03, NJW-RR 2005,
1687; ebenso Musielak/Ball, 8. Auflage, § 531 ZPO Rn. 19; Zöller/Heßler, ZPO,
28. Auflage, § 531 Rn. 30), mag zwar nicht ausschließen, die Ausübung eines
der Partei bereits zustehenden materiellrechtlichem Gestaltungsrechts im
Rechtsstreit der Pflicht zur Prozessförderung zu unterwerfen. Eine darüber hinausgehende Pflicht zur beschleunigten Schaffung materiellrechtlicher Voraussetzungen kann den prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften jedoch nicht
entnommen werden. Folgerichtig hat der Bundesgerichtshof die Präklusion eines Verteidigungsmittels abgelehnt, das der Beklagte erst aufgrund eines von
ihm
während
des
Rechtsstreits
erwirkten
Pfändungs-
und
Über-
weisungsbeschlusses geltend machen konnte (BGH, Urteil vom 10. März 2011
- IX ZR 82/10; MDR 2011, 754 Rn. 18). Für einen Rechtserwerb im Wege der
Abtretung kann nichts anderes gelten. Angesichts dessen kann es grundsätzlich nicht als nachlässig im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO angese-
-8-
hen werden, wenn eine Partei von der Möglichkeit, eine zur erfolgversprechenden Geltendmachung eines Angriffs- oder Verteidigungsmittels erforderliche
Rechtsposition durch Abtretung zu erwerben, nicht unverzüglich Gebrauch gemacht hat.
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b)
Ob das Berufungsgericht das in Rede stehende Vorbringen aus
einem anderen Grund hätte unberücksichtigt lassen dürfen, bedarf keiner Entscheidung.
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Nach ständiger Rechtsprechung darf eine fehlerhafte Begründung für die
Zurückweisung verspäteten Vorbringens vom Rechtsmittelgericht nicht durch
eine andere Begründung ersetzt werden (BGH, Beschluss vom 22. April 2010
- I ZR 17/09, GRUR-RR 2010, 400 Rn. 5 - Simply the Best!).
17
c)
In der fehlerhaften Zurückweisung des Vorbringens liegt zugleich
eine entscheidungsrelevante Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG.
18
Zwar führt nicht jede fehlerhafte Anwendung von Präklusionsvorschriften
zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Art. 103 Abs. 1 GG
ist aber verletzt, wenn eine Zurückweisung von Vorbringen als verspätet im
Prozessrecht keine Stütze findet (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2007
- IV ZR 25/06, NJW-RR 2007, 1033 Rn. 3 mwN).
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Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Das Berufungsgericht hat
die Frage, ob den Beklagten Nachlässigkeit vorzuwerfen ist, nicht nur in einem
Einzelfall unzutreffend beurteilt. Es hat vielmehr angenommen, dass die § 531
ZPO zu Grunde liegende Pflicht zur Prozessförderung die Parteien auch dazu
anhalten soll, zügig dafür zu sorgen, dass materiellrechtliche Voraussetzungen
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für die Geltendmachung eines Angriffs- oder Verteidigungsmittels eintreten.
Diese Auffassung findet im Gesetz keine Stütze.
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3.
Der Senat hat im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von der in
§ 544 Abs. 7 ZPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Aufhebung
des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht im Beschlusswege auszusprechen.
Meier-Beck
Gröning
Hoffmann
Bacher
Schuster
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 18.12.2008 - 4a O 216/07 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 15.04.2010 - I-2 U 15/09 -