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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- VIII ZR 206/09
- vom
- 13. April 2010
- in dem Rechtsstreit
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- Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. April 2010 durch den
- Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen Dr. Milger, Dr. Hessel und
- Dr. Fetzer sowie den Richter Dr. Bünger
- beschlossen:
- Der Senat beabsichtigt, die vom Berufungsgericht zugelassene
- Revision durch einstimmigen Beschluss nach § 552a ZPO zurückzuweisen.
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- Gründe:
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- 1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision damit begründet, der Streitfall biete
- Gelegenheit, rechtsfortbildend zu klären, ob die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens die Angemessenheit der - von ihm für den Fall einer fristlosen Kündigung nach § 569 Abs. 1 Satz 1 BGB für anwendbar erachteten Frist in § 314 Abs. 3 BGB beeinflusse. Diese Erwägung trägt jedoch weder den
- vom Berufungsgericht genannten Zulassungsgrund noch liegt einer der weiteren im Gesetz genannten Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) vor.
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- Die Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze zur Fortbildung des Rechts
- ist nur dann veranlasst, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder
- verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden
- Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt (st. Rspr.; vgl. etwa BGHZ 154, 288,
- 292 m.w.N.). Die Frage, innerhalb welchen zeitlichen Rahmens eine fristlose
- außerordentliche Kündigung wegen Gesundheitsgefährdung (§ 569 Abs. 1
- Satz 1 BGB) auszusprechen ist, hängt aber von den besonderen Umständen
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- des jeweiligen Einzelfalls ab und entzieht sich einer allgemeinen Betrachtung.
- Dies gilt unabhängig davon, ob man - mit dem Berufungsgericht - die Regelung
- des § 314 Abs. 3 BGB auch im Wohnraummietrecht für anwendbar erachtet
- (offen gelassen im Senatsurteil vom 11. März 2009 - VIII ZR 115/08, WuM
- 2009, 231, Tz. 17) oder ob man die in § 242 BGB niedergelegten Grundsätze
- (unzulässige Rechtsausübung/Verwirkung) heranzieht (vgl. hierzu Senatsurteil
- vom 29. April 2009 - VIII ZR 142/08, NJW 2009, 2297, Tz. 17 f., m.w.N.).
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- Auch ansonsten ist ein Zulassungsgrund weder geltend gemacht noch
- erkennbar. Dass auch eine fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses wegen
- Gesundheitsgefährdung grundsätzlich eine vorherige Fristsetzung voraussetzt,
- ist höchstrichterlich geklärt (Senatsurteil vom 18. April 2007 - VIII ZR 182/06,
- NJW 2007, 2177, Tz. 10 ff.). Ob eine Fristsetzung ausnahmsweise nach § 543
- Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2 BGB entbehrlich ist, ist keiner allgemein gültigen Klärung
- zugänglich, sondern vom Tatrichter unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
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- 2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht
- hat der Klägerin zu Recht einen Anspruch auf Ersatz ihrer umzugsbedingten
- Aufwendungen (§ 280 Abs. 1, § 535 Abs. 1 Satz 2, § 569 Abs. 1 Satz 1 BGB)
- mit der Begründung versagt, die Klägerin habe ihre kurz vor Abschluss des von
- ihr angestrengten selbständigen Beweisverfahrens ausgesprochene fristlose
- Kündigung nicht auf die zwischenzeitlich etwa neun Monate zurückliegende
- Fristsetzung zur Mangelbeseitigung stützen dürfen. Das Berufungsgericht hat
- rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass die Vermieterseite angesichts des laufenden Beweisverfahrens darauf vertrauen durfte, die Klägerin werde vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung nochmals eine Frist zur Mängelbeseitigung
- setzen. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2
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- BGB, unter denen eine Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich gewesen wäre, hat das Berufungsgericht ebenfalls ohne Rechtsfehler verneint.
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- a) Der Ausspruch einer fristlosen außerordentlichen Kündigung nach
- § 569 Abs. 1 Satz 1 BGB ist zwar an sich an keine Frist gebunden. Gleichwohl
- ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit langem anerkannt, dass eine
- längere Verzögerung der Kündigungserklärung nicht ohne Rechtsfolgen bleibt.
- Bei den Kündigungstatbeständen, die an eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung
- des Mietverhältnisses anknüpfen (vgl. § 543 Abs. 1 BGB), hat der Senat bei
- einer überlangen Hinauszögerung der Kündigung den Schluss für gerechtfertigt
- erachtet, die Vertragsfortsetzung sei für den Kündigenden nicht unzumutbar
- (vgl. etwa Senatsurteil vom 23. September 1987 - VIII ZR 265/86, NJW-RR
- 1988, 77, unter II 2 a, m.w.N. zu § 554a BGB aF). Für die vom Gesetzgeber
- normierten typisierten Fälle der Unzumutbarkeit (§ 543 Abs. 2 BGB) hat der
- Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass das Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls treuwidrig oder
- verwirkt sein kann (Senatsurteil vom 29. April 2009, aaO; BGH, Urteil vom
- 18. Oktober 2006 - XII ZR 33/04, NJW 2007, 147, Tz. 11 m.w.N.). Ob und in
- welchen Fällen daneben die in § 314 Abs. 3 BGB für eine Kündigung von Dauerschuldverhältnissen vorgesehene zeitliche Schranke auch im Wohnraummietrecht gilt, hat der Senat bislang offen gelassen (Senatsurteil vom 11. März
- 2009, aaO). Der XII. Zivilsenat hat dagegen im Bereich der Gewerberaummiete
- eine auf § 543 Abs. 1 BGB gestützte Kündigung an § 314 Abs. 3 BGB gemessen (Urteil vom 21. März 2007 - XII ZR 36/05, NJW-RR 2007, 886, Tz. 21). Vorliegend bedarf die Frage der Anwendbarkeit des § 314 Abs. 3 BGB keiner Klärung.
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- b) Denn die Beurteilung des Berufungsgerichts ist unabhängig davon, ob
- man das Verhalten der Klägerin allein unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB
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- bewertet oder daneben § 314 Abs. 3 BGB heranzieht, nicht zu beanstanden.
- Seine auf die besonderen Umstände des Streitfalls gestützte Einschätzung, die
- Klägerin habe selbst dann, wenn ein Mangel im Sinne des § 569 Abs. 1 BGB
- vorgelegen haben sollte, die am 20. November 2007 erklärte Kündigung nicht
- auf die nahezu neun Monate zuvor erfolgte Fristsetzung zur Mängelbeseitigung
- stützen können, sondern der Vermieterseite vor Ausspruch der Kündigung erneut eine Frist zur Behebung der aufgetretenen Feuchtigkeitsschäden setzen
- müssen, hält sich im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Würdigung und lässt
- Rechtsfehler nicht erkennen. Insbesondere wäre der Klägerin durch das Erfordernis einer erneuten Fristsetzung nicht die Ausübung eines Kündigungsrechts
- nach § 569 Abs. 1 BGB unzumutbar erschwert worden.
- 3. Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei
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- Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
- Ball
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- Dr. Milger
- Dr. Fetzer
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- Dr. Hessel
- Dr. Bünger
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- Hinweis:
- Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.
- Vorinstanzen:
- AG Duisburg-Hamborn, Entscheidung vom 17.02.2009 - 6 C 414/08 LG Duisburg, Entscheidung vom 14.07.2009 - 13 S 55/09 -
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