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337 lines
20 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 533/15
  5. Verkündet am:
  6. 22. November 2016
  7. Holmes
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. StVG § 7 Abs. 1
  19. Bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine
  20. bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige
  21. Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (Festhaltung, Senatsurteil vom 21. September 2010 - VI ZR 263/09).
  22. BGH, Urteil vom 22. November 2016 - VI ZR 533/15 - OLG Hamm
  23. LG Paderborn
  24. ECLI:DE:BGH:2016:221116UVIZR533.15.0
  25. -2-
  26. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  27. vom 22. November 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter
  28. Offenloch und die Richterinnen Dr. Oehler, Dr. Roloff und Müller
  29. für Recht erkannt:
  30. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats
  31. des Oberlandesgerichts Hamm vom 7. August 2015 aufgehoben.
  32. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  33. über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tatbestand:
  36. 1
  37. Der Kläger nimmt die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung bei einer Haftungsquote von 75 %
  38. in Anspruch.
  39. 2
  40. Am 10. April 2011 fuhr der Kläger auf seiner Ducati S 2 auf der B 83 von
  41. Beverungen Richtung Werden, wobei er dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Motorrad der Beklagten zu 1 folgte. Die Beklagte zu 1 überholte
  42. unter Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn den Pkw des Zeugen B. Der Kläger wollte sowohl die Beklagte zu 1 als auch den Pkw überholen. Er fuhr weiter
  43. außen auf der Gegenfahrbahn und geriet, ohne dass es zu einer Fahrzeugbe-
  44. -3-
  45. rührung gekommen wäre, in das Bankett. Dort verlor er die Kontrolle, stürzte
  46. und verletzte sich schwer.
  47. 3
  48. Der Kläger behauptet, er habe die noch hinter dem Pkw des Zeugen B.
  49. fahrende Beklagte zu 1 fast schon überholt gehabt, als diese plötzlich ohne
  50. Schulterblick und Blinksignal nach links ausgeschert sei, und den Kläger zu einem kontinuierlichen Ausweichen nach links gezwungen habe. Die Beklagten
  51. tragen vor, die Beklagte zu 1 habe ordnungsgemäß den Pkw des Zeugen B.
  52. überholt und sei kurz vor dem Einscheren nach rechts von dem Kläger in zweiter Reihe verkehrsordnungswidrig überholt worden. Dabei sei er dem linken
  53. Fahrbahnrand zu nahe gekommen, ohne dass die Fahrweise der Beklagten
  54. zu 1 dazu Veranlassung gegeben habe.
  55. 4
  56. Das Landgericht hat durch Grund- und Teilurteil die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu 50 % festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das Urteil auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers hat es zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt
  57. der Kläger seine Ansprüche weiter.
  58. Entscheidungsgründe:
  59. I.
  60. 5
  61. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG, weil sich nicht mit
  62. hinreichender Sicherheit feststellen lasse, dass der ihm entstandene Schaden
  63. dem Betrieb des Motorrads der Beklagten zu 1 zuzurechnen sei. Ein offenes
  64. Beweisergebnis gehe hierbei zu Lasten des Klägers. Er habe nicht den Beweis
  65. -4-
  66. geführt, dass ein Sach- und Personenschaden adäquat kausal "bei dem Betrieb" des Motorrads der Beklagten zu 1 entstanden sei.
  67. 6
  68. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" zwar grundsätzlich weit auszulegen und umfasse
  69. alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Ausreichend sei, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr verwirklicht habe und das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt
  70. worden sei. Erforderlich sei aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den
  71. Ersatz verlangt werde, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handele, hinsichtlich derer der Verkehr schadlos gehalten werden müsse. Die Schadensfolge müsse in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm
  72. erlassen worden sei. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr komme es damit
  73. maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen
  74. Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten
  75. Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs stehe.
  76. 7
  77. Ausgehend von diesen Grundsätzen könne die Betriebsgefahr des Motorrads der Beklagten zu 1 nicht dem Schadensereignis zugerechnet werden.
  78. Die Zurechnung scheitere zwar nicht schon daran, dass sich die beiden Motorräder nicht berührt hätten. Es lasse sich aber nicht feststellen, dass die Fahrweise der Beklagten zu 1 in einem engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang auf die Schadensentstehung hingewirkt habe. Allein der Umstand, dass
  79. sich die Beklagte zu 1 wegen ihres eigenen Überholmanövers überhaupt auf
  80. der Gegenfahrbahn aufgehalten habe, habe keine Reaktion des Klägers im
  81. Sinne der angeführten Rechtsprechung ausgelöst.
  82. 8
  83. Der Kläger habe nicht den Beweis geführt, dass er nur deshalb auf der
  84. Gegenfahrbahn weiter zum Fahrbahnrand geraten sei, weil er dabei auf eine
  85. -5-
  86. Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung der Beklagten zu 1 reagiert
  87. und neben dem eigentlichen Überholmanöver eine zusätzliche Ausweich- oder
  88. Abwehrreaktion vorgenommen habe. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen
  89. Beweisaufnahme könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Fahrlinie des
  90. Klägers allein auf seinem aktiven Entschluss beruht habe, die bereits im Gegenverkehr befindliche Beklagte zu 1 in einem Bogen zu umfahren, womit das
  91. Motorrad der Beklagten zu 1 ebenso wie das überholte Fahrzeug des Zeugen
  92. B. einfach nur auf der Straße gewesen wären. Die erstinstanzlich vernommenen Zeugen hätten weder die Darstellung des Klägers noch diejenige der Beklagten bestätigt. Sie hätten die beiden Motorräder erst zur Kenntnis genommen, als sie bereits nebeneinander auf Höhe des Fahrzeugs des Zeugen gewesen seien. Die Einleitung des jeweiligen Überholmanövers hätten sie daher
  93. nicht beschreiben können. Der vom Kläger behauptete Unfallhergang sei auch
  94. nicht durch das eingeholte schriftliche Sachverständigengutachten bewiesen.
  95. Die zeitliche Abfolge der Fahrmanöver habe sich mangels aussagekräftiger Unfallspuren nicht näher aufklären lassen, so dass sich zwar der Unfall dargestellt
  96. haben könne wie vom Kläger geschildert, aber die ebenfalls mögliche Unfallvariante der Beklagten nicht ausgeschlossen sei.
  97. II.
  98. 9
  99. Das hält den Rügen der Revision im Ergebnis nicht stand.
  100. 10
  101. 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die
  102. Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG und die Haftung des Fahrers aus vermutetem Verschulden gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG nicht eingreifen, wenn
  103. ein in Betrieb befindliches Kraftfahrzeug lediglich an der Unfallstelle anwesend
  104. -6-
  105. ist, ohne dass es durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung)
  106. zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat.
  107. 11
  108. a) Das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" ist nach der Rechtsprechung
  109. des Bundesgerichtshofs entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der
  110. Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher
  111. alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt,
  112. dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und
  113. das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt
  114. worden ist. Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden. An diesem
  115. auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (Senatsurteil vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04, VersR 2005,
  116. 992, 993 unter II 1 a mwN).
  117. 12
  118. Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf
  119. an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Allerdings hängt die Haftung gemäß § 7
  120. StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat, und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist (Senatsurteil vom 26. April 2005, aaO
  121. mwN).
  122. 13
  123. Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals "bei dem Betrieb eines
  124. Kraftfahrzeugs" entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und
  125. findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist
  126. -7-
  127. sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kfz - erlaubterweise - eine Gefahrenquelle eröffnet wird, und will daher alle durch den KfzVerkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß
  128. bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kfz entstanden, wenn sich von einem Kfz
  129. ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (Senatsurteil vom 26. April 2005, aaO
  130. mwN).
  131. 14
  132. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen
  133. Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. Insbesondere bei
  134. einem sogenannten "Unfall ohne Berührung" ist daher Voraussetzung für die
  135. Zurechnung des Betriebs des Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis,
  136. dass über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat (Senatsurteile vom 22. Oktober 1968 - VI ZR 178/67,
  137. VersR 1969, 58; vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69, VersR 1971, 1060; vom
  138. 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71, NJW 1972, 1808 unter II 1 c), mithin, dass das
  139. Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu
  140. der Entstehung des Schadens beigetragen hat (Senatsurteile vom 19. April
  141. 1988 - VI ZR 96/87, VersR 1988, 641 unter 1 a; vom 21. September 2010
  142. - VI ZR 263/09, VersR 2010, 1614 Rn. 5; Galke, zfs 2011, 2, 5, 63; Laws/Lohmeyer/Vinke in Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR 2016, § 7 StVG Rn. 37;
  143. Schwab, DAR 2011, 11, 13; Bachmeier in Lütkes/Bachmeier/Müller/Rebler,
  144. Straßenverkehr, Stand April 2016, § 7 StVG Rn. 173; Burmann in Burmann/
  145. Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 7 Rn. 13; Eggert
  146. in Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Auflage, § 2 A
  147. Rn. 77 ff.; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 7
  148. StVG Rn. 10).
  149. -8-
  150. 15
  151. b) So liegt es - jedenfalls nach den bisher von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen - hier aber nicht. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht - anders als das Berufungsgericht in der der Senatsentscheidung
  152. vom 21. September 2010 (VI ZR 263/09, aaO) zugrundeliegenden Fallgestaltung - nicht feststellen können, dass der Unfall - auch nur mittelbar - durch die
  153. Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) des Motorrads der Beklagten
  154. zu 1 verursacht worden ist. Entgegen der Ansicht der Revision genügt dafür der
  155. Umstand, dass die Beklagte zu 1 zeitlich parallel zu dem Unfallgeschehen ein
  156. Überholmanöver vorgenommen hat und der Kläger selbst nach dem Vorbringen
  157. der Beklagten einen Bogen gefahren ist, um in zweiter Reihe zu überholen, allein nicht.
  158. 16
  159. aa) Jedes im Betrieb befindliche und an der Unfallstelle (lediglich) anwesende Fahrzeug nimmt parallel zu dem Unfallgeschehen ein - wie auch immer
  160. geartetes Fahrmanöver - vor. Aus diesem Grund kann der Unfall immer auch
  161. auf die Verkehrssituation in ihrer Gesamtheit zurückgeführt werden. Hier wäre
  162. der Unfall zwar auch nach dem Vorbringen der Beklagten ohne das Überholmanöver der Beklagten zu 1 nicht geschehen, weil die Fahrlinie des Klägers
  163. dann möglicherweise eine andere gewesen wäre. Das reicht indes für den gemäß § 7 Abs. 1 StVG erforderlichen Zurechnungszusammenhang nicht aus,
  164. weil die Zurechnung von dem Unfallgeschehen selbst nicht gelöst werden kann.
  165. 17
  166. (1) Es ist im Straßenverkehrsrecht anerkannt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für Ursächlichkeit und Zurechnungszusammenhang der Eintritt der konkreten kritischen Verkehrslage ist, die unmittelbar zum Schaden führt. Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm
  167. erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann (Senatsurteile vom 25. März 2003
  168. - VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 784; vom 1. Dezember 2009 - VI ZR 221/08,
  169. -9-
  170. VersR 2010, 642 Rn. 16, 21). Das gilt auch für die Gefährdungshaftung gemäß
  171. § 7 Abs. 1 StVG (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42.
  172. Aufl., Einleitung Rn. 101; § 7 StVG Rn. 13; § 17 Rn. 17).
  173. 18
  174. (2) Nach diesen Grundsätzen war - den Vortrag der Beklagten zugrunde
  175. gelegt - eine kritische Verkehrslage durch den von der Beklagten zu 1 vorgenommenen Überholvorgang (allein) noch nicht eingetreten. Eine kritische Verkehrslage entstand frühestens dann, als der Kläger sich gleichzeitig mit ihr auf
  176. die Gegenfahrbahn begab. Auch dieser Umstand kann der Beklagten zu 1 indes nicht zugerechnet werden. Denn es stellt keine typische Gefahr eines
  177. Überholvorgangs dar, dass rückwärtiger Verkehr diesen seinerseits zum Überholen in zweiter Reihe nutzt und dabei - ohne dass eine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung des Überholenden dazu Anlass gegeben hätte - ins
  178. Schlingern gerät. Allein der Umstand, dass die Beklagte zu 1 überholte, reicht
  179. daher nicht aus, um eine im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG relevante Ursächlichkeit ihrer Fahrweise (oder sonstigen Verkehrsbeeinflussung) für den Unfall
  180. zu bejahen.
  181. 19
  182. Wäre dies anders, würde letztlich die bloße Anwesenheit eines in Betrieb
  183. befindlichen Kraftfahrzeugs in der Nähe der Unfallstelle für eine Haftung gemäß
  184. § 7 Abs. 1 StVG genügen. Dies führte zudem zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten, weil nicht nur die das Überholmanöver vornehmende Beklagte
  185. zu 1, sondern auch der Zeuge B. mit seinem Kraftfahrzeug die Verkehrssituation gleichermaßen (mit-)geprägt hat. Auch diesem ist der Kläger - unter Zugrundelegung des Vortrags der Beklagten - durch sein Überholmanöver letztlich
  186. "ausgewichen".
  187. 20
  188. bb) Insofern liegt es hier nach den (bisherigen) Feststellungen des Berufungsgerichts anders als in den bisher von dem Senat entschiedenen Fällen, in
  189. - 10 -
  190. denen stets eine Verursachung des Unfalls durch eine wie auch immer geartete
  191. Verkehrsbeeinflussung des gegnerischen Fahrzeugs festgestellt war. So geht
  192. auf einer Bundesautobahn von einem verhältnismäßig sperrigen und langsam
  193. überholenden Fahrzeug oder auch nur einem Fahrverhalten, das als Beginn
  194. des Überholvorgangs oder seine Ankündigung aufgefasst werden kann, eine
  195. typische Gefahr für auf der Überholfahrbahn nachfolgende schnellere Verkehrsteilnehmer aus, die durch eine misslingende Abwehrreaktion zu Schaden kommen (Senatsurteil vom 29. Juni 1971, aaO). Eine typisch mit dem Betrieb eines
  196. Sattelschleppers verbundene Gefahr wirkt sich aus, wenn ein von diesem überholter Fahrer eines Motorfahrrades unsicher wird und deshalb stürzt (Senatsurteil vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71, aaO unter II 1 c). In zurechenbarer Weise
  197. durch ein Kraftfahrzeug (mit-)veranlasst ist ein Unfall bei seinem Herannahen
  198. an entgegenkommenden Fahrradverkehr, wenn der Verkehrsraum zu eng zu
  199. werden droht und einer der Fahrradfahrer bei einem Ausweichmanöver stürzt
  200. (Senatsurteil vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87, aaO unter 1 b). Selbst ein Unfall
  201. infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- und Ausweichreaktion ist dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zuzurechnen, das diese Reaktion - im Streitfall durch einen kleinen Schlenker aus seiner Fahrspur hinaus ausgelöst hat (Senatsurteil vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04, aaO unter II 1 b).
  202. Dagegen rechtfertigt die bloße Anwesenheit eines anderen im Betrieb befindlichen Fahrzeugs an der Unfallstelle für sich allein noch nicht die Annahme, dass
  203. ein in seinem Ablauf ungeklärter Unfall bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden ist (Senatsurteil vom 22. Oktober 1968 - VI ZR 178/67, VersR 1969,
  204. 58).
  205. 21
  206. 2. Zu Recht rügt aber die Revision, dass das Berufungsgericht seiner
  207. Entscheidung den von den Beklagten geschilderten Unfallhergang zugrunde
  208. gelegt hat, ohne sich mit den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen ausreichend auseinanderzusetzen, § 286 ZPO.
  209. - 11 -
  210. 22
  211. a) Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO
  212. gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., Senatsurteil vom 16. April 2013
  213. - VI ZR 44/12, NJW 2014, 71 Rn. 13 mwN).
  214. 23
  215. b) Einen solchen Fehler zeigt die Revisionsbegründung hier im Hinblick
  216. auf die Feststellungen des Berufungsgerichts auf. Das Berufungsgericht hat
  217. seiner Entscheidung den von den Beklagten geschilderten Unfallhergang zugrunde gelegt und gemeint, der insoweit darlegungs- und beweisbelastete (§ 7
  218. Abs. 1 StVG) Kläger habe den von ihm behaupteten Geschehensablauf nicht
  219. beweisen können. Es ist daher davon ausgegangen, dass das Fahrverhalten
  220. des Klägers durch die Beklagte zu 1 in keiner Weise beeinflusst worden sei.
  221. Dabei hat es indes den Prozessstoff und die Beweisergebnisse nicht ausgeschöpft.
  222. 24
  223. aa) Zwar hatte das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision
  224. keinen Anlass, die Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO erneut zu vernehmen (vgl.
  225. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2006 - IV ZR 130/05, NJW 2007, 372, 374 mwN;
  226. Voit in Musielak, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 529 Rn. 14 f.). Sowohl das Landgericht
  227. als auch das Berufungsgericht gehen davon aus, dass die Zeugenaussagen für
  228. die maßgebliche Frage, ob der Kläger aufgrund des Fahrverhaltens der Beklagten zu 1 ein Ausweichmanöver durchgeführt hatte, unergiebig sind.
  229. - 12 -
  230. 25
  231. bb) Das Berufungsgericht hat bei seiner Würdigung aber - wie die Revision zu Recht rügt - eine wesentliche Aussage des Sachverständigen unbeachtet gelassen. Der Sachverständige hat ausgeführt, die Spurenlage lasse ein
  232. Ausweichmanöver des Klägers aus dem linken Randbereich der linken Fahrbahn (Gegenfahrbahn) weiter nach links mit Einleitung einer Notbremsung erkennen. Das Landgericht hatte, ohne dies zu hinterfragen, festgestellt, der Kläger sei durch das Fahrzeug der Beklagten zu 1 zu einem Ausweichmanöver
  233. veranlasst worden.
  234. 26
  235. Vor diesem Hintergrund durfte das Berufungsgericht nicht ohne ergänzende Beweisaufnahme wie etwa einer Anhörung des Sachverständigen und
  236. gegebenenfalls einer erneuten Anhörung der Parteien in Anwesenheit des
  237. Sachverständigen davon ausgehen, dass der Überholvorgang des Klägers
  238. durch den der Beklagten zu 1 in keiner Weise beeinflusst worden sei (vgl. Senatsurteil vom 21. September 2010 - VI ZR 263/09, aaO Rn. 8). Dies gilt umso
  239. mehr, als die aus der Sicht des Berufungsgerichts entscheidungserhebliche
  240. Frage des Vorliegens eines Ausweichmanövers in erster Instanz weder für den
  241. Sachverständigen noch für das Gericht von maßgeblicher Bedeutung gewesen
  242. ist.
  243. - 13 -
  244. III.
  245. 27
  246. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben und mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563
  247. Abs. 1 Satz 1 ZPO).
  248. Galke
  249. Offenloch
  250. Roloff
  251. Oehler
  252. Müller
  253. Vorinstanzen:
  254. LG Paderborn, Entscheidung vom 08.10.2014 - 3 O 60/13 OLG Hamm, Entscheidung vom 07.08.2015 - I-11 U 186/14 -