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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. NotZ(Brfg) 13/12
  5. Verkündet am:
  6. 22. Juli 2013
  7. Holmes
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. In der verwaltungsrechtlichen Notarsache
  12. wegen vorläufiger Amtsenthebung
  13. Nachschlagewerk:
  14. ja
  15. BGHZ:
  16. nein
  17. BGHR:
  18. ja
  19. BNotO § 50 Abs. 1 Nr. 8, 2. Alt.
  20. Eine nicht nur vereinzelt nachlässige Handhabung steuerlicher Verpflichtungen stellt eine für einen Notar nicht hinnehmbare Art der Wirtschaftsführung
  21. dar, die die Amtsenthebung gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 8, 2. Alt. BNotO rechtfertigen kann.
  22. BGH, Urteil vom 22. Juli 2013 - NotZ(Brfg) 13/12 - OLG Celle
  23. - 2 -
  24. Der Senat für Notarsachen des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter
  25. Dr. Appl und Dr. Herrmann, die Notarin Dr. Doyé und den Notar Müller-Eising
  26. für Recht erkannt:
  27. Auf die Berufung des Beklagten wird das den Parteien an Verkündungs statt am 17. und 18. Oktober 2012 zugestellte Urteil des
  28. Notarsenats des Oberlandesgerichts Celle abgeändert und wie
  29. folgt neu gefasst:
  30. Die Klage wird abgewiesen.
  31. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat der Kläger zu
  32. tragen.
  33. Streitwert: 25.000 €
  34. Tatbestand:
  35. 1
  36. Der 1956 geborene Kläger wurde 1985 als Rechtsanwalt zugelassen und
  37. 1991 zum Notar mit Amtssitz in H.
  38. 2
  39. bestellt.
  40. Seit dem Jahr 2000 erhoben Gläubiger des Klägers in einer Vielzahl von
  41. Fällen wegen offener Forderungen Klagen und mussten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ergreifen. Insbesondere kam es seit Ende 2010 zur Anordnung
  42. - 3 -
  43. mehrerer Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen fünfstelliger Forderungen
  44. des Rechtsanwaltsversorgungswerks und des Steuerfiskus. Wegen der Einzelheiten wird auf die Aufstellung auf Seiten 8 bis 11 des angefochtenen Urteils
  45. verwiesen. Daraufhin enthob der Beklagte den Kläger mit Bescheid vom
  46. 10. August 2011 vorläufig seines Amts als Notar, weil dringende Gründe dafür
  47. sprächen, dass er in Vermögensverfall geraten sei beziehungsweise seine wirtschaftlichen Verhältnisse und/oder die Art seiner Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtssuchenden gefährdeten. Der Kläger habe in kurzer Zeit Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 45.000 € aufgehäuft, und Gläubiger seien gezwungen gewesen, die Zwangsvollstreckung einzuleiten.
  48. 3
  49. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben, mit
  50. der er geltend gemacht hat, die Rückstände bei dem Rechtsanwaltsversorgungswerk weitgehend beglichen zu haben. Die Steuerforderungen resultierten
  51. vor allem aus einem außerordentlichen Gewinn seiner Ehefrau im Jahr 2007.
  52. Mit dem Finanzamt sei eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen worden, deren Bedingungen er eingehalten habe.
  53. 4
  54. Wenige Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem
  55. Oberlandesgericht am 23. Juli 2012 hat der Kläger die seinerzeit noch offenen
  56. Forderungen vollständig ausgeglichen.
  57. 5
  58. Das Oberlandesgericht hat den angegriffenen Bescheid aufgehoben. Die
  59. Voraussetzungen der vom Beklagten angeführten Amtsenthebungsgründe gemäß § 54 Abs. 1, § 50 Abs. 1 Nr. 6 und 8 BNotO lägen nicht mehr vor. Zwar sei
  60. das Zahlungsverhalten des Klägers in der Vergangenheit unter dem Gesichtspunkt des § 50 Abs. 1 Nr. 8, 2. Alt. BNotO bedenklich gewesen. Auf der anderen Seite sei festzustellen, dass sich die bis 2009 eingetretenen neun Fälle von
  61. - 4 -
  62. Zahlungsrückständen über einen Zeitraum von zehn Jahren erstreckt hätten
  63. und nur einen minimalen Bruchteil der geschäftlichen Aktivitäten des Klägers
  64. ausgemacht haben dürften. Überdies habe es sich in der Regel um geringfügige Beträge gehandelt, deren rasche Befriedigung nach Klageerhebung nicht
  65. unbedingt den Schluss auf ungesicherte wirtschaftliche Verhältnisse erlaube.
  66. Die drei letzten Fälle im Jahr 2009 seien während des Wechsels des Klägers
  67. von einer Einzelkanzlei in eine Sozietät und damit in der organisatorischen Umstellungsphase eingetreten. Auch gesundheitliche Beeinträchtigungen hätten
  68. eine Rolle gespielt.
  69. 6
  70. Hinsichtlich der Forderungen des Rechtsanwaltsversorgungswerks sei zu
  71. berücksichtigen, dass der Kläger gegenüber der Beitragsforderung für das Jahr
  72. 2010 Einwendungen erhoben habe, die zwar letztlich erfolglos geblieben seien,
  73. jedoch ein nachvollziehbarer Grund dafür gewesen seien, die Zahlungen zurückzustellen. Soweit die Beträge für 2008 und 2009 betroffen seien, komme
  74. wieder der Gesichtspunkt zum Tragen, dass sich der Kläger in einer Phase der
  75. beruflichen Umorganisation befunden habe.
  76. 7
  77. In Bezug auf die Steuerrückstände sei zu berücksichtigen, dass diese
  78. durch den wirtschaftlichen Erfolg der Ehefrau des Klägers im Jahr 2007 aufgelaufen seien. Die Pflicht zur Bildung von Rücklagen für die daraus resultierende
  79. Steuerschuld habe seine Ehefrau und nicht ihn getroffen.
  80. 8
  81. Nach der zwischenzeitlichen Befriedigung sämtlicher Rückstände lasse
  82. auch die derzeitige Einkommenssituation des Klägers zukünftige Vollstreckungsmaßnahmen nicht mehr befürchten. Sein Gewinn sei im Jahr 2011 um
  83. 89 % gestiegen. Dabei werde nicht verkannt, dass dieser Gewinnzuwachs im
  84. Wesentlichen durch eine Änderung des Verteilerschlüssels der Sozietät mit sei-
  85. - 5 -
  86. ner Ehefrau und damit zulasten von deren Einkünften erfolgt sei, die sich in einer vergleichbaren Größenordnung reduziert hätten. Es sei jedoch eine isolierte
  87. Betrachtung anzustellen.
  88. 9
  89. Die vorläufige Amtsenthebung sei danach zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zwar ohne weiteres gerechtfertigt gewesen. Zum Zeitpunkt der letzten
  90. mündlichen Verhandlung habe jedoch hierfür keine Veranlassung mehr bestanden. Zerrüttete wirtschaftliche Verhältnisse (§ 50 Abs. 1 Nr. 8, 1. Alt. BNotO)
  91. seien ebenso wenig festzustellen wie Vermögensverfall (§ 50 Abs. 1 Nr. 6
  92. BNotO).
  93. 10
  94. Gegen diese Beurteilung wendet sich der Beklagte mit seiner vom Senat
  95. zugelassenen Berufung.
  96. 11
  97. Nach einer vom Senat eingeholten Auskunft des Finanzamts H.
  98. 4vom 18. Juli 2013 gab es an diesem Tag keine Steuerrückstände des Klägers
  99. mehr. Die im Zusammenhang mit der inzwischen am 25. April 2013 verfügten
  100. endgültigen Amtsenthebung angestellten Ermittlungen des Beklagten hatten
  101. jedoch ergeben, dass folgende Steuerrückstände des Klägers bestanden:
  102. 10. Dezember 2012:
  103. 7.023,00 €
  104. 10. Januar 2013:
  105. 4.570,00 €
  106. 10. Februar 2013:
  107. 10. März 2013:
  108. 10. April 2013:
  109. 0,00 €
  110. 14.500,00 €
  111. 4.644,50 €.
  112. - 6 -
  113. Entscheidungsgründe:
  114. 12
  115. Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
  116. 13
  117. Der Senat hat einen Antrag des Klägers, die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 10. August 2011
  118. anzuordnen, mit Beschluss vom 2. Januar 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Senat wie folgt ausgeführt:
  119. 14
  120. "Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts in dem angefochtenen
  121. Urteil haben Gläubiger des Klägers seit dem Jahr 2000 in einer Vielzahl von
  122. Fällen wegen offener Forderungen Klagen erheben und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ergreifen müssen. Insbesondere ist es seit Ende 2010 zur Anordnung mehrerer Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen fünfstelliger Forderungen des Rechtsanwaltsversorgungswerks und des Steuerfiskus gekommen.
  123. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Beklagten in seinem
  124. Schriftsatz vom 12. November 2012 hat der Kläger seine Schulden erst wenige
  125. Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht
  126. am 23. Juli 2012 vollständig ausgeglichen.
  127. 15
  128. Aus diesen Umständen ergeben sich die Voraussetzungen für eine
  129. Amtsenthebung gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO, so dass der Beklagte nach
  130. § 54 Abs. 1 Nr. 2 BNotO zur vorläufigen Amtsenthebung des Klägers als Notar
  131. befugt war. Neben der Zerrüttung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Notars, die regelmäßig anzunehmen ist, wenn gegen ihn Zahlungsansprüche in
  132. erheblicher Größenordnung bestehen oder gerichtlich geltend gemacht werden,
  133. - 7 -
  134. Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gegen ihn erlassen, fruchtlose Pfändungsversuche unternommen, Verfahren zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 807 ZPO eingeleitet oder Haftbefehle zur Erzwingung dieser Versicherung gegen ihn erlassen worden sind, ist bereits eine Wirtschaftsführung des Notars, die Gläubiger dazu zwingt, wegen berechtigter Forderungen Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, als solche nicht hinnehmbar. Ohne Belang ist dabei, aus welchen Gründen diese Maßnahmen erforderlich werden.
  135. Dies gilt selbst dann, wenn sie nicht auf schlechte wirtschaftliche Verhältnisse,
  136. Vermögenslosigkeit oder Überschuldung des Notars zurückzuführen sind. Unbeachtlich ist ferner, ob den Notar ein Verschulden an der Situation trifft, die ihn
  137. zu seiner Art der Wirtschaftsführung veranlasst (st. Rspr. z.B. Senat, Beschluss
  138. vom 26. Oktober 2009 - NotZ 14/08, juris Rn. 11 mwN).
  139. 16
  140. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts ergibt sich aus der Tatsache, dass der Kläger - soweit ersichtlich - die offenen Forderungen kurz vor der
  141. mündlichen Verhandlung vollständig beglichen hat, noch nicht, dass die Art seiner Wirtschaftsführung mittlerweile mit der notwendigen Aussicht auf Dauerhaftigkeit geordnet ist. Die Annahme, die Gläubiger hätten sich nur während einer
  142. vorübergehenden, inzwischen überwundenen Phase der beruflichen Tätigkeit
  143. des Klägers veranlasst gesehen, ihre Ansprüche im Zwangswege zu befriedigen, verbietet sich. Zum einen hat es der Kläger über einen zwölfjährigen Zeitraum immer wieder dazu kommen lassen, dass wegen berechtigter Ansprüche
  144. Klagen erhoben und Zwangsvollstreckungen eingeleitet werden mussten. Dies
  145. deutet darauf hin, dass der Kläger dauerhaft nicht willens oder - sei es aus
  146. Nachlässigkeit, sei es aus wirtschaftlichen Gründen - nicht in der Lage ist, fälli-
  147. - 8 -
  148. ge Forderungen mit der für einen Notar erforderlichen Zuverlässigkeit zu begleichen. Zum anderen rechtfertigt die vom Oberlandesgericht angeführte Steigerung seiner beruflich erzielten Gewinne nicht die Prognose, künftige Vollstreckungsmaßnahmen seien nicht zu befürchten. Der Beklagte hat - vom Kläger
  149. nicht bestritten - vorgetragen, die Verbesserung der Einnahmesituation beruhe
  150. allein darauf, dass die ebenfalls als Rechtsanwältin tätige Ehefrau des Klägers
  151. den mit ihm bestehenden Sozietätsvertrag zu dessen Gunsten geändert hat.
  152. Der Kläger erwirtschaftete also die gestiegenen Gewinne nicht selbst. Eine solche - während des Amtsenthebungsverfahrens eingerichtete - "Quersubvention"
  153. des Klägers durch dessen Ehefrau begründet nicht die notwendige Aussicht
  154. einer stabilen Konsolidierung seiner Einkommenssituation."
  155. 17
  156. An dieser Beurteilung hat sich im Ergebnis auch unter Berücksichtigung
  157. des Schriftsatzes des Klägers vom 27. Juni 2013 (Eingang beim Bundesgerichtshof am 16. Juli 2013) und der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung des Senats nichts geändert. Zwar kann im Hinblick auf die Ausführungen
  158. des Klägers in jenem Schriftsatz nicht mehr davon ausgegangen werden, dass
  159. es sich bei der Änderung des Gewinnverteilungsschlüssels im Sozietätsvertrag
  160. zulasten seiner Ehefrau und zu seinen Gunsten um eine bloße "Quersubventionierung" handelt, die eine Konsolidierung seiner finanziellen Situation nicht erwarten lässt. Weiterhin rechtfertigen die vom Kläger vorgelegten und im Senatstermin erörterten Umsatzzahlen sowie die danach erzielten Gewinne nicht den
  161. Schluss, dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 50 Abs. 1 Nr. 8, 1. Alt.
  162. BNotO) ungeordnet sind und die Entstehung weiterer Schulden unausweichlich
  163. ist. Gleichwohl sind die Interessen der Rechtsuchenden aufgrund der Art der
  164. - 9 -
  165. Wirtschaftsführung des Klägers gefährdet (§ 50 Abs. 1 Nr. 8, 2. Alt. BNotO).
  166. Eine nicht nur vereinzelt nachlässige Handhabung steuerlicher Verpflichtungen
  167. stellt eine für einen Notar nicht hinnehmbare Art der Wirtschaftsführung dar, die
  168. erhebliche Zweifel an seiner wirtschaftlichen Zuverlässigkeit begründet. Die
  169. vom Oberlandesgericht dem Kläger insoweit attestierte günstige Prognose hat
  170. sich inzwischen als unzutreffend herausgestellt, wie das Entstehen neuerlicher
  171. Steuerrückstände in beträchtlicher Höhe zu den Stichtagen 10. Dezember
  172. 2012, 10. Januar 2013, 10. März 2013 und 10. April 2013 belegt. Hiernach hat
  173. der Kläger auch in jüngster Zeit wiederum über längere Zeiträume fällige
  174. Steuerforderungen nicht beglichen. Soweit er in der mündlichen Verhandlung
  175. des Senats möglicherweise hat geltend machen wollen, die von der Finanzverwaltung als Steuerrückstände mitgeteilten Summen seien zum Teil Steuervorauszahlungen gewesen, ist dies unbeachtlich. Auch bei Steuervorauszahlungen
  176. handelt es sich um fällige Verpflichtungen, mit denen der Schuldner in Rückstand geraten kann.
  177. 18
  178. Auch unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die Rechte des
  179. Klägers muss es deshalb im Hinblick auf das Gewicht der hiernach gefährdeten
  180. Interessen der Rechtsuchenden bei seiner vorläufigen Amtsenthebung sein
  181. Bewenden haben. Ob der Bescheid über seine endgültige Amtsenthebung vom
  182. 25. April 2013 mit Erfolg wird angefochten werden können, wird auch davon
  183. abhängen, ob der Kläger seine wirtschaftlichen Verpflichtungen nachhaltig und
  184. mit peinlicher Zuverlässigkeit erfüllt.
  185. - 10 -
  186. 19
  187. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 111b
  188. Abs. 1 BNotO. Der Festsetzung des Streitwerts hat der Senat wegen des vorläufigen Charakters der angefochtenen Amtsenthebung die Hälfte des in § 111g
  189. Abs. 2 Satz 1 BNotO bestimmten Regelbetrags zugrunde gelegt.
  190. Galke
  191. Appl
  192. Doyé
  193. Herrmann
  194. Müller-Eising
  195. Vorinstanz:
  196. OLG Celle, Entscheidung vom 18.10.2012 - Not 18/11 -