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296 lines
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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 3 StR 65/15
  5. vom
  6. 28. Mai 2015
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen schwerer Vergewaltigung
  10. -2-
  11. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Mai 2015,
  12. an der teilgenommen haben:
  13. Richter am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Schäfer
  15. als Vorsitzender,
  16. die Richter am Bundesgerichtshof
  17. Hubert,
  18. Mayer,
  19. Gericke,
  20. Richterin am Bundesgerichtshof
  21. Dr. Spaniol
  22. als beisitzende Richter,
  23. Staatsanwalt
  24. - in der Verhandlung - ,
  25. Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  26. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  27. Rechtsanwalt
  28. und
  29. Rechtsanwalt
  30. , beide aus
  31. als Verteidiger,
  32. Rechtsanwalt
  33. als Vertreter des Nebenklägers,
  34. Justizamtsinspektor
  35. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
  36. für Recht erkannt:
  37. - bei der Verkündung -
  38. -3-
  39. 1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom
  40. 28. August 2014 werden verworfen.
  41. 2. Die Beschwerdeführer tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.
  42. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und der Nebenkläger je zur
  43. Hälfte. Die dem Angeklagten durch die Revisionen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
  44. Von Rechts wegen
  45. Gründe:
  46. 1
  47. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der schweren Vergewaltigung freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Revisionen der
  48. Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers jeweils mit der Sachrüge; die
  49. Staatsanwaltschaft beanstandet zudem das Verfahren. Beide Rechtsmittel
  50. bleiben ohne Erfolg.
  51. I.
  52. 2
  53. 1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legt dem
  54. Angeklagten zur Last, während seines Dienstes als Polizist den Nebenkläger in
  55. einer Polizeiwache anlässlich einer Anzeige wegen Fahrraddiebstahls durch
  56. (konkludente) Drohungen sowie unter Ausnutzung einer Lage, in der der Ne-
  57. -4-
  58. benkläger seiner Einwirkung schutzlos ausgesetzt gewesen sei (§ 177 Abs. 1
  59. Nr. 2 und 3 StGB), genötigt zu haben, bei ihm den Oralverkehr auszuführen
  60. sowie zu dulden, dass der Angeklagte ihn danach über der Hose an dessen
  61. Penis gestreichelt hat. Bei dieser Tat habe der Angeklagte seine geladene
  62. Dienstwaffe am Hosenbund getragen.
  63. 3
  64. 2. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
  65. 4
  66. Der Angeklagte hatte am 13. April 2013 ab 14:00 Uhr Dienst in einer
  67. "Ein-Mann-Wache". Nach der Wachablösung begab er sich in die erste Etage
  68. zu den Umkleideräumen und zog seine Dienstuniform an. Entgegen seiner
  69. sonstigen Übung vergaß er an diesem Tag, seine Dienstwaffe anzulegen.
  70. 5
  71. Der Nebenkläger begab sich zwischen 16:15 Uhr und 16:30 Uhr zu der
  72. allein mit dem Angeklagten besetzten Polizeiwache, um den Diebstahl seines
  73. Fahrrads anzuzeigen. Der Angeklagte bat den Nebenkläger unter anderem um
  74. die Vorlage seines Personalausweises und forderte ihn auf, an einem Schreibtisch Platz zu nehmen. Der Angeklagte rief im weiteren Verlauf das Computerprogramm zur Erstellung von Anzeigen auf und legte den Vorgang an. Kurz
  75. danach gab er den Namen des Nebenklägers mit Geburtsdatum ein. Einige Zeit
  76. später druckte der Angeklagte die Strafanzeige aus und überreichte sie dem
  77. Nebenkläger zur Durchsicht und Unterschrift. Dann begab er sich in die Toilettenräume der Wache. Der Nebenkläger folgte ihm und sah, dass der Angeklagte nach dem Urinieren seinen Penis durch den geöffneten Hosenschlitz in der
  78. Hand hielt. Der Nebenkläger kniete sich vor den ihm den Penis entgegenhaltenden Angeklagten, nahm dessen Glied in den Mund und bewegte sich mit
  79. geschlossenen Augen zweimal hin und her. Da der Nebenkläger sich ekelte
  80. und auch würgen musste, brach er den Verkehr ab, ohne dass es zum Samen-
  81. -5-
  82. erguss gekommen war. Diesen Abbruch nahm der Angeklagte hin und verschloss seine Hose. Anschließend rauchten beide vor der Wache gemeinsam
  83. Zigaretten.
  84. 6
  85. 3. Die Strafkammer hat den Angeklagten, der den Anklagevorwurf sowie
  86. jeglichen sexualbezogenen Kontakt mit dem Nebenkläger bestritten hat, aus
  87. tatsächlichen Gründen freigesprochen; sie hat die Einlassung des Angeklagten,
  88. es sei zu einem "sexualbezogenen Körperkontakt" nicht gekommen, zwar als
  89. widerlegt angesehen, hat sich aber nicht davon zu überzeugen vermocht, dass
  90. der festgestellte Oralverkehr hinsichtlich der Art seiner Durchführung, insbesondere im Hinblick auf die Aspekte "Unfreiwilligkeit, Zwang, Druck und Bedrohungscharakter" wie vom Nebenkläger geschildert abgelaufen ist.
  91. II.
  92. 7
  93. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers zeigen einen durchgreifenden Rechtsfehler nicht auf und bleiben ohne Erfolg.
  94. 8
  95. Revision der Staatsanwaltschaft
  96. 9
  97. 1. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwaltes dargelegten Gründen nicht durch (§ 349 Abs. 2 StPO).
  98. 10
  99. 2. Die auf die erhobene Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung
  100. des Urteils hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler erbracht. Entgegen der
  101. Ansicht der Beschwerdeführerin ist insbesondere die Beweiswürdigung des
  102. Landgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden.
  103. -6-
  104. 11
  105. a) Die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261
  106. StPO). Es obliegt daher allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der
  107. Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu
  108. bilden. Seine beweisrechtlichen Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu
  109. sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das
  110. ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten
  111. überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das
  112. Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher
  113. liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Juni 2014 - 3 StR
  114. 154/14, NStZ 2014, 507, 508 mwN).
  115. 12
  116. b) An diesen revisionsrechtlichen Maßstäben und Grundsätzen gemessen, zeigt die Revision der Staatsanwaltschaft keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist im Ergebnis weder
  117. lückenhaft noch widersprüchlich. Sie lässt insgesamt gesehen auch nicht besorgen, dass das Landgericht an seine Überzeugungsbildung überspannte Anforderungen gestellt hat.
  118. 13
  119. Mit Blick auf die Revisionsbegründung gilt:
  120. 14
  121. Soweit die Revision der Staatsanwaltschaft als lückenhaft beanstandet,
  122. das Landgericht habe sich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass
  123. der Angeklagte jeglichen sexuellen Kontakt mit dem Nebenkläger nicht einge-
  124. -7-
  125. räumt, sondern bis zuletzt vehement bestritten hat, geht diese Rüge fehl. Nach
  126. den Urteilsgründen hat das Landgericht umfassend erörtert, dass diese Einlassung des Angeklagten zwar widerlegt ist, allerdings allein damit eine dem Angeklagten ungünstige Sachverhaltsfeststellung oder der Beweis seiner Täterschaft nicht begründet werden kann, weil auch ein Unschuldiger vor Gericht
  127. "Zuflucht zur Lüge nehmen kann". Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu
  128. erinnern.
  129. 15
  130. Die Rüge, das Landgericht habe sich nicht mit der sich aufdrängenden
  131. Frage befasst, weshalb der Nebenkläger sich ohne den Einsatz von Nötigungsmitteln darauf eingelassen haben sollte, den Oralverkehr an dem Angeklagten zu vollziehen, verkennt den Inhalt der Urteilsgründe: Durch welches
  132. konkrete Verhalten des Angeklagten das (sexualbezogene) Verhalten des
  133. Nebenklägers tatsächlich verursacht wurde, hat das Landgericht zwar nicht
  134. feststellen können. Insoweit hat es jedoch erwogen, es sei auch denkbar,
  135. dass der Angeklagte den Nebenkläger zwar durch sein Auftreten, seine Stimme und die Uniform sowie seine Stellung als Polizist und seine Einmischung
  136. in das Privatleben des Nebenklägers verunsichert haben, nicht aber durch
  137. eine strafbare Handlung unter Druck gesetzt haben könnte und dieser sich
  138. aufgrund dessen dazu habe verleiten lassen, die sexuelle Handlung an dem
  139. Angeklagten vorzunehmen. Diese Erwägungen und Schlüsse sind noch möglich und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
  140. 16
  141. Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft ist auch die Beweiswürdigung zu der vom Nebenkläger geschilderten Durchsuchung und Entkleidung
  142. ohne durchgreifende Rechtsfehler; sie ist insbesondere nicht lückenhaft. Anders als die Beschwerdeführerin meint, hat sich das Landgericht eingehend mit
  143. den Angaben des Nebenklägers hierzu befasst und auch berücksichtigt, dass
  144. -8-
  145. an der Unterhose des Nebenklägers DNA-Spuren festgestellt worden sind, die
  146. auf einen Kontakt des Angeklagten mit diesem Kleidungsstück hindeuten und
  147. damit die Angaben des Angeklagten zu einer Durchsuchung stützen. Dass das
  148. Landgericht sich von einer Durchsuchung des Nebenklägers - jedenfalls wie
  149. von diesem beschrieben - aufgrund von mehreren, gegen die Richtigkeit der
  150. Darstellung dieses Geschehens sprechenden Umständen - keine DNA an der
  151. Oberbekleidung des Nebenklägers, unzureichende Konstanz der Angaben des
  152. Nebenklägers zur Ablage ausgezogener Kleidungsstücke und das Fehlen von
  153. Fingerspuren des Nebenklägers in dem Raum, in dem die Durchsuchung stattgefunden haben soll - nicht zu überzeugen vermocht hat, kann nach den zuvor
  154. dargestellten rechtlichen Maßstäben einen durchgreifenden Rechtsfehler nicht
  155. begründen, da die Beschwerdeführerin letztlich lediglich ihre eigene Bewertung
  156. und Gewichtung der Beweisumstände an die Stelle der Würdigung des Landgerichts setzt. Entsprechendes gilt für die Wertung der Beschwerdeführerin, es
  157. sei "nach aussagepsychologischen Erkenntnissen fernliegend", dass der Nebenkläger bei Anlastung einer Vergewaltigung "seine Geschichte" mit einer
  158. derartigen Komplikation wie einer Durchsuchung belaste.
  159. 17
  160. Auch die Beanstandung, die Beweiswürdigung des Landgerichts zu dem
  161. vom Nebenkläger beschriebenen Spreizen seiner Gesäßbacken sei widersprüchlich, da es fälschlicherweise davon ausgegangen sei, der Nebenkläger
  162. habe dies im Rahmen seiner ersten Schilderung nicht erwähnt, greift nicht
  163. durch. Nach den Urteilsfeststellungen besteht insoweit kein Widerspruch. Vielmehr hat der Nebenkläger danach - im Anschluss an seine von sich aus gemachten Angaben bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung - ein solches
  164. Geschehen (erst) "auf spätere Nachfrage" ergänzend angegeben.
  165. -9-
  166. 18
  167. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf Angaben von Zeugen bezieht,
  168. etwa auf die der Zeuginnen K.
  169. , Kr.
  170. und S.
  171. , begründet sie ihre Be-
  172. anstandungen mit urteilsfremdem Vorbringen, mit dem sie ihr Rechtsmittel im
  173. Rahmen der Sachrüge nicht erfolgreich begründen kann. Gleiches gilt für die
  174. weiteren Beanstandungen, die von der Revision mit eigenen Schlussfolgerungen begründet werden, die sie an die Stelle der vom Landgericht gezogenen
  175. Schlüssen setzt. Auch dies kann dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen.
  176. 19
  177. Schließlich lässt die Beweiswürdigung auch nicht durchgreifend besorgen, das Landgericht habe an seine Überzeugungsbildung hinsichtlich der
  178. Schuld des Angeklagten insgesamt zu hohe, letztlich überspannte Anforderungen gestellt. Soweit die Beschwerdeführerin insoweit beanstandet, das Landgericht sei zu Unrecht von einer sogenannten Aussage-gegen-AussageKonstellation ausgegangen, liegt ein durchgreifender Rechtsfehler nicht vor;
  179. denn zumindest hinsichtlich des Kerngeschehens der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat ist diese Annahme zutreffend. Im Übrigen ist sich das Landgericht
  180. ersichtlich der neben den Angaben des Angeklagten und den Bekundungen
  181. des Nebenklägers vorhandenen Beweismittel und Beweisanzeichen bewusst
  182. gewesen. Dass es sich gleichwohl nicht von der Schuld des Angeklagten zu
  183. überzeugen vermocht hat, ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
  184. 20
  185. Auch im Übrigen hat die umfassende Überprüfung des Urteils, auch unter Berücksichtigung der weiteren Revisionsrechtfertigung, keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten erbracht.
  186. 21
  187. Revision des Nebenklägers
  188. 22
  189. Auch die Revision des Nebenklägers ist unbegründet.
  190. - 10 -
  191. 23
  192. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers war das Landgericht aus
  193. Rechtsgründen nicht gehalten, den Inhalt der Aussage der sachverständigen
  194. Zeugin K.
  195. näher darzustellen. Die Beweiswürdigung dient nicht der Doku-
  196. mentation der Beweisaufnahme. Aus den Angaben von Zeugen ist nur das für
  197. die Sache Wesentliche darzustellen und zu würdigen. Für Sachverständigengutachten gilt grundsätzlich nichts anderes. Daran gemessen wäre die Beweiswürdigung des Landgerichts auch dann nicht zu beanstanden, wenn die Zeugin
  198. K.
  199. 24
  200. (auch) als Sachverständige gehört worden sein sollte.
  201. Auch im Übrigen hat die auf die Sachbeschwerde des Nebenklägers
  202. veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils keinen durchgreifenden
  203. Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten erbracht.
  204. Schäfer
  205. Hubert
  206. Gericke
  207. Mayer
  208. Spaniol