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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 StR 256/04
  4. vom
  5. 5. Oktober 2004
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Vergewaltigung u. a.
  9. -2-
  10. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. Oktober 2004 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
  11. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 14. April 2004 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
  12. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
  13. und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und
  14. die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  15. Gründe:
  16. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und wegen
  17. sexueller Nötigung in zwei Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus
  18. einem anderen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.
  19. Wegen des Vorwurfs von sechs weiteren Taten hat es das Verfahren gemäß
  20. § 260 Abs. 3 StPO eingestellt.
  21. Die Revision des Angeklagten erhebt die allgemeine Sachrüge. Sie führt
  22. zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
  23. Der Generalbundesanwalt hat zur Begründung seines Aufhebungsantrages ausgeführt:
  24. -3-
  25. "1. Nach den Urteilsfeststellungen missbrauchte der Angeklagte seine
  26. am 19. März 1968 geborene leibliche Tochter
  27. Z.
  28. seit ihrem
  29. 7. oder 8. Lebensjahr. Hinsichtlich der sechs bis zum Jahr 1982/1983 begangenen Taten ist das Landgericht vom Eintritt der Strafverfolgungsverjährung
  30. ausgegangen. Der Verurteilung liegen drei Taten aus der Zeit von 1994 bis
  31. 1996 zugrunde. Danach führte der Angeklagte an einem nicht mehr genau
  32. feststellbaren Tag im Juni 1994 gegen den erkennbaren Widerstand von
  33. Z.
  34. , die ihm wiederholt zu erkennen gegeben hatte, seiner sexuellen
  35. Übergriffe überdrüssig zu sein, aus Angst vor Schlägen ihres Vaters aber keinen Widerstand mehr leistete, den ungeschützten Geschlechtsverkehr durch.
  36. An einem nicht mehr feststellbaren Abend im Jahr 1995 oder 1996 forderte der
  37. Angeklagte seine Tochter auf, sich ohne Slip mit gespreizten Beinen auf die
  38. Couch des sogenannten Zweiten Wohnzimmers zu setzen, wo er mit seiner
  39. Hand in die Scheide seiner Tochter eindrang. Dabei ignorierte er deren verbale
  40. Ablehnung. Erst als der Angeklagte von seiner Tochter abgelassen hatte, erkannte diese, dass der Angeklagte einen kleinen feinmechanischen Schraubendreher, den er zur Reparatur von Fernsehgeräten nutzte, in ihre Scheide
  41. eingeführt und damit darin manipuliert hatte, wodurch ein erheblicher zusätzlicher Schmerz verursacht worden war. Der Angeklagte wollte auf diese Weise
  42. den Gebärmutterhals seiner Tochter ausweiten, damit sie, um 'einen Erben zu
  43. zeugen', von ihm schwanger werden könne. An einem nicht mehr feststellbaren
  44. Tag im selben Zeitraum führte der Angeklagte einen Brillenbügel in die Scheide seiner Tochter ein, die mit diesem Vorgehen nicht einverstanden war, sich
  45. zu aktivem Widerstand aus Angst vor ihrem Vater aber nicht aufraffen konnte.
  46. 2. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung (UA S. 41) ist das Landgericht
  47. davon ausgegangen, der Angeklagte habe
  48. Z.
  49. durch Drohung mit
  50. gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zum außerehelichen Beischlaf und
  51. -4-
  52. zur Duldung der sexuellen Handlungen genötigt. Zuvor habe der Angeklagte
  53. keine konkreten Drohungen bei der Vornahme der sexuellen Handlungen gegenüber seiner Tochter geäußert, jedoch habe
  54. Z.
  55. noch unter
  56. dem Eindruck der früheren und fortdauernden Misshandlungen ihrer Mutter
  57. durch den Angeklagten und der Erfahrung, dass auch sie mit den Gewalttätigkeiten ihres Vaters rechnen musste, wenn sie sich seinen Forderungen nicht
  58. beugte, gestanden. Insoweit hätten die früheren Drohungen fortgewirkt (UA
  59. S. 41).
  60. Damit sind weder die objektiven noch die subjektiven Voraussetzungen einer
  61. Vergewaltigung und einer sexuellen Nötigung hinreichend dargetan. Diese lassen sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht in ausreichendem Maße entnehmen.
  62. a) Vergewaltigung und sexuelle Nötigung im Sinne der §§ 177, 178
  63. StGB a.F. setzen voraus, dass der Geschlechtsverkehr oder eine sexuelle
  64. Handlung mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib
  65. oder Leben erzwungen worden sind. Das angewendete Nötigungsmittel muss
  66. nach dem Willen des Täters der Herbeiführung der sexuellen Handlungen und
  67. ihrer Durchführung tatsächlich dienen, also 'final verknüpft' sein (BGH NStZ
  68. 1995, 230; BGH StV 1999, 369). Dabei kann eine frühere Gewaltanwendung
  69. fortwirken, wenn nicht zwischen der Gewaltanwendung und der sexuellen
  70. Handlung ein längerer Zeitraum liegt (BGHSt 42, 111). Ein Fortwirken früherer
  71. Gewalt kommt auch bei einem Andauern der körperlichen Zwangswirkung oder
  72. Einschüchterungswirkung in Betracht. Insoweit reicht aber eine allgemeine, auf
  73. frühere Misshandlungen gegründete Furcht des Opfers nicht aus (Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. § 177 Rn. 16).
  74. -5-
  75. b) Nach diesen Maßgaben reichen die getroffenen Feststellungen nicht
  76. aus, eine gewaltsame Erzwingung der sexuellen Handlungen durch den Angeklagten zu begründen. Soweit sich die Zeugin
  77. Z.
  78. dem Ange-
  79. klagten fügte, weil sie - das Beispiel ihrer Mutter vor Augen, die durch Schläge
  80. und Einsperren in einen Raum des Hauses vom Angeklagten laufend misshandelt wurde (UA S. 9) - der Gefahr entgehen wollte, den Gewalttätigkeiten des
  81. Angeklagten ausgesetzt zu sein, lässt sich den Urteilsfeststellungen ein unmittelbarer Handlungszusammenhang (Tröndle/Fischer aaO Rn. 12) mit den sexuellen Handlungen nicht entnehmen. An einer finalen Verknüpfung von Gewaltanwendung gegenüber der Zeugin
  82. Z.
  83. selbst fehlt es, soweit
  84. den Urteilsgründen Schläge des Angeklagten gegenüber seiner Tochter zu
  85. entnehmen sind (UA S. 9, 15), weil nicht erkennbar ist, dass die Schläge wegen vermeintlichen Fehlverhaltens der Zeugin in einem zeitlichen und zweckgerichteten Zusammenhang mit der Vornahme der sexuellen Handlungen standen. Gewaltanwendung in Bezug auf die konkreten Taten zur Überwindung
  86. eines erwarteten oder geleisteten Widerstands ergibt sich aus den Urteilsfeststellungen nicht. Die bloße Vornahme der sexuellen Handlungen gegen den
  87. erkennbaren Willen der Zeugin
  88. Z.
  89. reicht für die Annahme einer
  90. gewaltsamen Erzwingung der sexuellen Handlungen nicht aus (Tröndle/Fischer
  91. aaO Rn. 8).
  92. c) Die Feststellungen des Urteils tragen auch nicht die Annahme einer
  93. Drohung im Sinne der §§ 177 Abs. 1, 178 Abs. 1 StGB a.F. Frühere Gewaltanwendungen können zwar als (konkludente) Drohung gegenüber dem Opfer zu
  94. beurteilen sein, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls das
  95. weitere Vorgehen des Täters auf Widerstand stoßen sollte; so kann
  96. vorausgegangene Gewalt in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse
  97. -6-
  98. aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern
  99. der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet (BGH StV 1984,
  100. 330; BGH NStZ 1986, 409; BGH NStZ-RR 2003, 42). Die Ausnutzung eines
  101. vom Täter durch vorangehende Tätlichkeiten oder Drohungen geschaffenen
  102. Klimas der Gewalt (BGH NStZ-RR 1998, 105) kann daher ausreichen, das Tatbestandsmerkmal der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben
  103. anzunehmen.
  104. Zwar hat der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen seine Tochter in völliger Abhängigkeit gehalten. Sie durfte das Grundstück nur unter seiner Aufsicht
  105. verlassen, hatte keinen Umgang mit Altersgenossen und keine Schule besucht.
  106. Dem Urteil nicht hinreichend zu entnehmen ist, inwieweit die zeitlich nicht eingeordneten Misshandlungen von
  107. Z.
  108. in einem finalen Zusammen-
  109. hang mit den sexuellen Handlungen - auch den früheren verjährten - standen.
  110. Insoweit liegt der Fall anders, als der der Entscheidung BGHR StGB § 177
  111. Abs. 1 Drohung 5 zugrunde liegende Sachverhalt. Vor allem aber lässt sich
  112. dem Urteil nicht entnehmen, ob die Aufrechterhaltung des Gewaltklimas in der
  113. Familie durch ausdrückliche oder schlüssige Drohungen bei der Vornahme der
  114. sexuellen Handlungen zum Ausdruck gekommen ist, weil insoweit weder Äußerungen noch ein entsprechendes non-verbales Verhalten des Angeklagten
  115. (Tröndle/Fischer, aaO Rn. 21; BGH NStZ 2003, 424; BGHR StGB § 177 Abs. 1
  116. Drohung 2, 6, 12) festgestellt ist. Die bloße Angst der Geschädigten besagt
  117. über eine konkludente Drohung des Angeklagten und eine finale Verknüpfung
  118. einer solchen Drohung mit den sexuellen Handlungen noch nichts. Zur Begründung des finalen Zusammenhangs zwischen den früheren Misshandlungen
  119. und Drohungen des Angeklagten mit der Vornahme der sexuellen Handlungen
  120. hätte es deshalb näherer Darlegungen im Urteil bedurft."
  121. -7-
  122. Dem tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend:
  123. a) Nach den bisherigen Feststellungen war der Angeklagte "besessen
  124. von der Idee", mit seiner Tochter einen Erben zu zeugen. Nach vergeblichen
  125. Versuchen, sie zu schwängern, hatte er ihr erklärt, den Gebärmutterhals weiten
  126. zu müssen, und dazu mit einem Schraubendreher und einem Brillenbügel in
  127. ihrer Scheide manipuliert. Bei diesen besonderen Begleitumständen kann nicht
  128. ohne weiteres von sexuellen Handlungen ausgegangen werden. Vielmehr liegen ambivalente Handlungen vor, bei denen es darauf ankommt, ob der Angeklagte dabei zumindest auch von sexuellen Absichten geleitet war (vgl. BGH
  129. NStZ 2002, 431; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 184 f Rdn. 4). Dazu wird der
  130. neue Tatrichter noch weitere Feststellungen zu treffen und angesichts der abstrusen Vorstellungen des Angeklagten auch zu prüfen haben, ob diese nicht
  131. auf eine Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit hinweisen.
  132. b) Bei einer neuerlichen Gesamtstrafenbildung wird Gelegenheit sein,
  133. die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1991, 558) und des
  134. Senats (NStZ 1991, 330) zur Einbeziehung von Strafen, bei denen Straferlaß in
  135. Betracht kommt, zu berücksichtigen sowie ggf. den Widerspruch zwischen dem
  136. mitgeteilten Schuldspruch des Urteils des Schöffengerichts Leer vom 5. April
  137. 2000 (Diebstahl in 84 Fällen sowie versuchter Diebstahl in neun Fällen) und
  138. der Darstellung dieser Taten (geschildert sind nur 84 Taten) auszuräumen.
  139. Winkler
  140. Pfister
  141. Becker
  142. von Lienen
  143. Hubert