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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 StR 108/07
  4. vom
  5. 11. April 2007
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen schwerer Vergewaltigung u. a.
  9. -2-
  10. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 11. April
  11. 2007 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
  12. 1. Auf die Revision des Angeklagten S.
  13. wird das Urteil des
  14. Landgerichts Hannover vom 8. Mai 2006, soweit es ihn betrifft,
  15. mit den Feststellungen aufgehoben,
  16. a) im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und
  17. Freiheitsberaubung (Fall II. 3. der Urteilsgründe) verurteilt
  18. worden ist;
  19. b) im gesamten Strafausspruch.
  20. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels
  21. und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen
  22. Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Hildesheim
  23. zurückverwiesen.
  24. 2. Das weitergehende Rechtsmittel wird verworfen.
  25. Gründe:
  26. 1
  27. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung, wegen
  28. schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die hiergegen
  29. -3-
  30. gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und
  31. materiellen Rechts beanstandet, hat mit einer Verfahrensrüge einen Teilerfolg.
  32. 1. Der Schuldspruch wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher
  33. 2
  34. Körperverletzung (Fall II. 3. der Urteilsgründe) kann keinen Bestand haben; wie
  35. der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, ist die Überzeugungsbildung
  36. des Landgerichts insoweit teilweise auf Beweisstoff gestützt, der nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden ist (§ 261 StPO).
  37. 3
  38. a) Dem liegt Folgendes zu Grunde:
  39. 4
  40. Der Angeklagte hatte diese Tat zunächst in Abrede gestellt und behauptet, das Tatopfer - der Nebenkläger - sei nach Zahlung von 100 € damit einverstanden gewesen, dass er - der Angeklagte - und der (nicht revidierende) frühere Mitangeklagte F.
  41. sexuelle Handlungen an ihm vornehmen. "Nach er-
  42. folgter Beweisaufnahme" (vgl. UA S. 22) kam es auf Wunsch der Verteidiger
  43. gegen Ende des dritten Sitzungstages zu einem außerhalb der Hauptverhandlung geführten "informellen Gespräch" zwischen diesen, den Richtern und der
  44. Sitzungsstaatsanwältin. Dessen Ablauf schildern die Staatsanwältin und die
  45. beiden Berufsrichter in dienstlichen Stellungnahmen wie folgt: Die Verteidiger
  46. hätten danach gefragt, welches Strafmaß im Falle von Geständnissen zu erwarten sei. Der Verteidiger des Angeklagten S.
  47. habe hierbei erklärt, er stelle
  48. sich eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren vor. Demgegenüber habe die
  49. Staatsanwältin geäußert, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne aus
  50. ihrer Sicht "eine Gesamtfreiheitsstrafe von unter 4 Jahren nicht in Betracht
  51. kommen". Nach interner Beratung der Kammer habe diese mitgeteilt, dass sie
  52. die Auffassung der Staatsanwältin teile. Der Verteidiger des Angeklagten
  53. S.
  54. habe daraufhin um Bedenkzeit bis zum nächsten Sitzungstag gebeten,
  55. um die Sache mit seinem Mandanten erörtern zu können.
  56. -4-
  57. 5
  58. Im nächsten Hauptverhandlungstermin hat der Verteidiger für den Angeklagten zu Protokoll "das Tatgeschehen … eingeräumt"; der Angeklagte hat die
  59. Angaben seines Verteidigers "als zutreffend anerkannt" (UA S. 15). Das Landgericht hält die durch den Verteidiger abgegebene, vom Angeklagten bestätigte
  60. Erklärung bezüglich sämtlicher Tatvorwürfe für glaubhaft. Sie liefere für die dritte Tat (Fall II. 3. der Urteilsgründe) "zumindest für die Durchführung der körperlichen Misshandlungen" ein glaubhaftes Motiv; der Angeklagte habe wegen des
  61. Drogenkonsums des Nebenklägers - seines Schwagers - erzieherisch tätig
  62. werden wollen, da er sich für ihn verantwortlich gefühlt habe. Damit habe er
  63. seine frühere Einlassung überzeugend korrigiert. Dieser stünden im Übrigen
  64. auch die Angaben des Tatopfers und das Geständnis des Mitangeklagten entgegen.
  65. 6
  66. b) Mit Recht rügt der Beschwerdeführer, dass das Landgericht damit seine Überzeugung teilweise nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft hat. Denn der Mitangeklagte hat sich dort zur Sache nicht erklärt. Dies
  67. wird durch die Sitzungsniederschrift bewiesen. Danach hat er zu Beginn der
  68. Hauptverhandlung über seinen Verteidiger mitgeteilt, er werde sich nicht zur
  69. Sache einlassen. Dass er sich später dennoch zu dem gegen ihn erhobenen
  70. Tatvorwurf geäußert hätte, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen (zur Protokollierungspflicht s. BGH NStZ 1995, 560 f.). Dieses weist lediglich aus, dass er im
  71. Rahmen des letzten Wortes äußerte, es tue ihm leid und er nehme die Strafe so
  72. hin, wie sie komme. Ein Geständnis des Mitangeklagten, das geeignet sein
  73. könnte, die frühere Einlassung des Angeklagten zu widerlegen, ist damit nicht
  74. zum Gegenstand der Hauptverhandlung geworden.
  75. 7
  76. Zwar ist der Richter am Landgericht Sp.
  77. , der in der Hauptverhand-
  78. lung den Vorsitz führte, in seiner dienstlichen Erklärung insoweit von dem Inhalt
  79. -5-
  80. des von ihm mitzuverantwortenden Hauptverhandlungsprotokolls abgerückt.
  81. Der Mitangeklagte F.
  82. habe "im Rahmen der Hauptverhandlung" gestan-
  83. den. Allerdings sei ihm nicht mehr erinnerlich, "wann und in welcher Verhandlungssituation dies der Fall war". Das Geständnis habe aber "von Anfang an
  84. außer Frage gestanden". Diese Erklärung ist indes nicht geeignet, die Beweiskraft der Sitzungsniederschrift (§ 274 Satz 1 StPO) zu erschüttern. Dabei kann
  85. dahinstehen, ob eine entsprechende Protokollberichtigung durch den Vorsitzenden und die Protokollführerin der Rüge des Beschwerdeführers den Boden
  86. hätte entziehen können (vgl. den Vorlagebeschluss des 1. Strafsenats des
  87. Bundesgerichtshofs vom 23. August 2006 (NJW 2006, 3582 m. Anm. Widmaier); denn eine solche ist nicht vorgenommen worden. Lediglich die einseitige
  88. Erklärung einer der Urkundspersonen beseitigt die Beweiskraft des Protokolls
  89. dagegen nicht, wenn damit die tatsächliche Grundlage für eine Verfahrensrüge
  90. des Angeklagten entfällt (vgl. BGH NStZ 2005, 46). Hier kommt hinzu, dass die
  91. dienstliche Erklärung derart vage gehalten ist, dass es zweifelhaft erscheint, ob
  92. der den Vorsitz führende Richter im Zeitpunkt ihrer Abgabe noch eine aktuelle
  93. Erinnerung an den Ablauf der Hauptverhandlung hatte. Zu den Umständen und
  94. dem Inhalt des "informellen Gesprächs" hat er selbst eingeräumt, dass erst die
  95. Lektüre der Stellungnahme der Sitzungsstaatsanwältin seine undeutliche Erinnerung aufgefrischt habe. Der Inhalt der dienstlichen Erklärungen der Staatsanwältin und des beisitzenden Richters zur Abgabe eines Geständnisses des
  96. Mitangeklagten in der Hauptverhandlung sind ebenfalls ohne Bedeutung; denn
  97. da die Beweiskraft des Protokolls insoweit nicht erschüttert ist, findet eine freibeweisliche Feststellung des Ablaufs der Hauptverhandlung hierzu nicht statt
  98. (s. demgegenüber unten c).
  99. 8
  100. c) Auf dem dargestellten Verfahrensmangel beruht der Schuldspruch
  101. zum Fall II. 3. der Urteilsgründe. Der Senat kann angesichts der Besonderhei-
  102. -6-
  103. ten der hier gegebenen Beweiskonstellation nicht ausschließen, dass das
  104. Landgericht ohne Berücksichtigung der nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gewordenen Sacheinlassung des Mitangeklagten dem "Geständnis"
  105. des Angeklagten zu dieser Tat nicht geglaubt hätte.
  106. 9
  107. Der Erklärung des Verteidigers und deren Bestätigung durch den Angeklagten lag eine Verfahrensabsprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft
  108. und Verteidiger zu Grunde. Dies hat der Senat aufgrund der erwähnten dienstlichen Erklärungen freibeweislich festgestellt. Dem stand nicht entgegen, dass
  109. die Absprache nicht - wie geboten (BGHSt 43, 195, 205; 50, 40, 47) - in der
  110. Hauptverhandlung offen gelegt und in das Sitzungsprotokoll aufgenommen
  111. wurde. Durch das Schweigen des Protokolls wird hier nicht bewiesen, dass eine
  112. derartige Absprache (außerhalb der Hauptverhandlung) nicht stattfand. Dabei
  113. kann dahinstehen, ob dies schon deswegen der Fall ist, weil sich die negative
  114. Beweiskraft des Protokolls hierauf von vornherein nicht erstreckt (s. BGHSt 45,
  115. 227, 228; vgl. aber auch BVerfG StV 2000, 3; BGH NStZ 2004, 342 m. w. N.);
  116. denn jedenfalls hat die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden, der den entsprechenden Revisionsvortrag zugunsten des Beschwerdeführers bestätigt hat,
  117. dem Protokoll in diesem Punkt die Beweiskraft entzogen (BGH NStZ 1988, 85).
  118. 10
  119. Da das Geständnis Ergebnis einer Verfahrensabsprache war, musste es
  120. vom Landgericht in besonderer Weise auf seine Zuverlässigkeit überprüft werden (BGHSt 50, 40, 49). Dies hat das Landgericht im Ansatz auch nicht verkannt; denn es setzt sich in den Urteilsgründen durchaus mit der Frage der
  121. Glaubwürdigkeit des in Form einer bestätigten Verteidigererklärung abgegebenen "Geständnisses" auseinander. Aus den entsprechenden Ausführungen ergibt sich aber, dass dieses zu Fall II. 3. der Urteilsgründe im Wesentlichen formeller Natur war und lediglich für die Körperverletzungshandlung ein Motiv dar-
  122. -7-
  123. zutun versuchte. Vor diesem Hintergrund kam der Erwägung des Landgerichts,
  124. dass die frühere abweichende Einlassung des Angeklagten auch durch die Angaben des Nebenklägers und das Geständnis des Mitangeklagten widerlegt sei,
  125. durchaus tragende Bedeutung zu. Die Aussage des Nebenklägers war hierbei
  126. aber offenbar für sich allein nicht geeignet, die Überzeugung des Landgerichts
  127. in jede Richtung abzusichern. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass es
  128. trotz der aus seiner Sicht abgeschlossenen Beweisaufnahme überhaupt Anlass
  129. sah, noch in "informelle Gespräche" über ein einverständliches Verfahrensergebnis einzutreten und dem Angeklagten für die Abgabe eines Geständnisses
  130. Strafmilderung zuzusagen. Wenn es bei dieser Sachlage seine Beweiswürdigung auch auf ein Geständnis des Mitangeklagten stützt, das nicht Gegenstand
  131. der Hauptverhandlung war, so ist nicht auszuschließen, dass es ohne dessen
  132. Verwertung zu einer abweichenden Überzeugung gelangt wäre.
  133. 11
  134. d) Der Schuldspruch in den Fällen II. 1. und 2. der Urteilsgründe hat dagegen Bestand. Für diese Fälle ist der dargestellte Verfahrensfehler ohne Bedeutung. Einen Sachmangel in der Beweiswürdigung sieht der Senat insoweit
  135. nicht. Er kann aber auch ausschließen, dass sich eine abweichende Würdigung
  136. des Landgerichts zu Fall II. 3. auf seine Überzeugungsbildung zu den beiden
  137. anderen Tatvorwürfen ausgewirkt hätte.
  138. 12
  139. 2. Der Strafausspruch ist insgesamt aufzuheben. Die Einzelstrafen für
  140. die Fälle II. 1. und 2. können schon deshalb keinen Bestand haben, weil es sich
  141. bei der für Fall II. 3. verhängten und durch die Teilaufhebung des Schuldspruchs weggefallenen Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten um die
  142. Einsatzstrafe handelte und der Senat nicht auszuschließen vermag, dass die
  143. Bemessung der übrigen Einzelstrafen durch die Höhe der Einsatzstrafe beeinflusst worden ist.
  144. -8-
  145. 13
  146. Die Einzelstrafen für die beiden weiteren Taten könnten aber auch deswegen nicht bestehen bleiben, weil sie im Hinblick auf eine unzulässig als
  147. Punktstrafe zugesagte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren festgelegt worden
  148. sind. Nach den dienstlichen Erklärungen soll Ergebnis der Absprache gewesen
  149. sein, dass gegen den Angeklagten im Falle eines Geständnisses eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht unter vier Jahren verhängt wird. Danach hätte das Gericht nicht - wie im Rahmen einer Verfahrensabsprache geboten (BGHSt 43,
  150. 195, 207 ff.) - eine Strafobergrenze, sondern eine Mindeststrafe zugesagt. Dass
  151. dies im wörtlichen Sinne tatsächlich so gemeint gewesen sein sollte, glaubt der
  152. Senat nicht. Es ist völlig lebensfremd, dass sich ein Angeklagter auf eine solche
  153. "Zusage" einlässt. Mit Blick auf die Interessen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft kann die erzielte Verständigung daher nur dahin verstanden werden, dass - gegebenenfalls verklausuliert durch die Bezeichnung als "Mindeststrafe" - alle an der Absprache Beteiligten darüber einig waren, es solle eine
  154. Gesamtfreiheitsstrafe von genau vier Jahren verhängt werden. Es wurde demgemäß eine nicht zulässige Punktstrafe versprochen und verhängt; entgegen
  155. dem durch die Urteilsgründe erweckten Anschein fand daher weder zu der Gesamtstrafe noch zu den ihr zugrunde liegenden Einzelstrafen eine an den Maßstäben des § 46 StGB ausgerichtete Strafzumessung statt. Dies muss nachgeholt werden. Für ein Vorgehen nach § 354 Abs. 1 a StPO (vgl. BGH NJW 2006,
  156. 3362) sah der Senat hier keinen Anlass.
  157. -9-
  158. 14
  159. 3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2
  160. StPO Gebrauch.
  161. Tolksdorf
  162. RiBGH Miebach und RiBGH Pfister sind urlaubsbedingt an der Unterzeichnung gehindert.
  163. Tolksdorf
  164. Becker
  165. Hubert