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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 1 StR 547/11
  4. vom
  5. 20. Dezember 2011
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen versuchten Totschlags u.a.
  9. -2-
  10. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Dezember 2011 beschlossen:
  11. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
  12. München I vom 6. Juni 2011 wird als unbegründet verworfen, da
  13. die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben
  14. hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
  15. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und die
  16. dem Nebenkläger S.
  17. Ü.
  18. im Revisionsverfahren entstande-
  19. nen notwendigen Auslagen zu tragen.
  20. Ergänzend bemerkt der Senat:
  21. 1. Die Rüge einer Verletzung des § 252 StPO ist unbegründet.
  22. a) Dieser Rüge liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:
  23. Der Angeklagten liegt zur Last, ihrem Ehemann mit einem Butterflymesser
  24. zwei Stichverletzungen in den linken Oberkörperbereich versetzt zu haben,
  25. nachdem dieser sich schützend vor seine neue Partnerin gestellt hatte, der
  26. die Angeklagte als Nebenbuhlerin das Gesicht zerschneiden wollte. Der Geschädigte - als Ehemann der Angeklagten gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO zur
  27. Verweigerung des Zeugnisses berechtigt - hatte zunächst die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. In der Hauptverhandlung
  28. machten dann sowohl der Geschädigte (gemäß § 52 StPO, UA S. 28) als
  29. -3-
  30. auch die behandelnden Ärzte (gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO, UA
  31. S. 38), gegenüber denen der Geschädigte mittlerweile die Entbindung von
  32. der Schweigepflicht widerrufen hatte, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht
  33. Gebrauch. Das Landgericht hat deshalb die Angaben des behandelnden
  34. Arztes Dr. S.
  35. über die Verletzungen des Geschädigten dadurch in die
  36. Hauptverhandlung eingeführt, dass es die polizeiliche Vernehmungsbeamtin
  37. K.
  38. zu den von diesem im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung ge-
  39. machten Angaben vernommen hat (UA S. 39 ff.). Zum Zeitpunkt seiner polizeilichen Vernehmung waren die behandelnden Ärzte vom Geschädigten
  40. von der Schweigepflicht entbunden gewesen (UA S. 40). Das Landgericht
  41. hat die auf diese Weise in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des
  42. Arztes Dr. S.
  43. über die Verletzungen des Geschädigten dem Urteil
  44. auch zugrunde gelegt (UA S. 41).
  45. b) Entgegen der Annahme der Revision stand der Verwertung dieser Angaben
  46. kein sich aus § 252 StPO ergebendes Verwertungsverbot entgegen.
  47. aa) Zwar ist die Vorschrift des § 252 StPO grundsätzlich auch auf Berufsgeheimnisträger i.S.v. § 53 StPO anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom
  48. 20. November 1962 - 5 StR 462/62, BGHSt 18, 146; Beschluss vom
  49. 24. September 1996 - 5 StR 441/96, StV 1997, 233). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, an der der Senat festhält, darf aber der
  50. Ermittlungsrichter über den Inhalt der Aussage eines gemäß § 53 Abs. 1
  51. Nr. 3 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Arztes vernommen werden, die dieser vor dem Ermittlungsrichter gemacht hat, wenn der
  52. Arzt bei dieser Aussage gemäß § 53 Abs. 2 StPO von der Verpflichtung zur
  53. Verschwiegenheit entbunden war; § 252 StPO ist dann nicht anwendbar
  54. (BGHSt 18, 146; BGH StV 1997, 233; glA Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl.,
  55. -4-
  56. § 53 Rn. 49 und § 252 Rn. 3; Diemer in KK-StPO, 6. Aufl., § 252 Rn. 6;
  57. Ignor/Bertheau in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 53 Rn. 83; Neubeck in
  58. KMR-StPO § 53 Rn. 41; Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl.,
  59. § 252 Rn. 4; aA OLG Hamburg, NJW 1962, 689, 691; Geppert, Jura 1988,
  60. 305, 311 f.; Eb. Schmidt JR 1963, 267).
  61. Grund hierfür ist, dass in einem solchen Fall der Pflichtenwiderstreit, auf
  62. den das Verwertungsverbot des § 252 StPO Rücksicht nimmt, nicht auftreten kann (zutr. Diemer aaO). Denn durch das Zeugnisverweigerungsrecht
  63. des § 53 StPO wird der Berufsgeheimnisträger geschützt und nicht diejenige Person, die ihn von der Schweigepflicht entbinden kann. Ihr Recht beschränkt sich darauf, darüber zu entscheiden, ob sie den Berufsgeheimnisträger von der Schweigepflicht entbindet oder nicht. Sie hat indes keinen
  64. Anspruch darauf, dass der Berufsgeheimnisträger die Aussage verweigert
  65. und das Gericht nicht verwertet, was er gleichwohl ausgesagt hat (BGHSt
  66. 18, 146, 147). War der Berufsgeheimnisträger zum Zeitpunkt seiner Aussage vor dem Ermittlungsrichter von der Schweigepflicht befreit, befand er
  67. sich nicht in einem Pflichtenwiderstreit zwischen Wahrheitspflicht und
  68. Schweigepflicht.
  69. bb) Für die hier vorliegende Fallkonstellation, dass der zunächst von der
  70. Schweigepflicht entbundene Berufsgeheimnisträger im Ermittlungsverfahren seine Angaben nicht vor einem Ermittlungsrichter, sondern im Rahmen
  71. einer polizeilichen Vernehmung gemacht hat, führt ebenfalls nicht zum Vorliegen eines Verwertungsverbots gemäß § 252 StPO. Denn die Verwertbarkeit der Angaben der Vernehmungsperson ergibt sich im Fall der Vernehmung einer jedenfalls zu diesem Zeitpunkt von der Schweigepflicht entbundenen Person nicht erst aus der besonderen Bedeutung der richterlichen
  72. -5-
  73. gegenüber einer sonstigen Vernehmung (vgl. dazu BGHSt 49, 72, 77;
  74. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 252 Rn. 14 mwN), sondern bereits daraus, dass die Vorschrift des § 252 StPO mangels der von ihr vorausgesetzten Pflichtenkollision des bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren
  75. von seiner Schweigepflicht entbundenen Berufsgeheimnisträgers von vornherein nicht anwendbar ist (vgl. BGH StV 1997, 233). Die vom Zeugen
  76. Dr. S.
  77. nach Entbindung von seiner ärztlichen Schweigepflicht im
  78. Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben durften daher auch nach Widerruf der Entbindungserklärung seitens des Geschädigten durch Vernehmung der polizeilichen Vernehmungsbeamtin in die
  79. Hauptverhandlung eingeführt und im Urteil verwertet werden.
  80. 2. Die Rüge einer Verletzung des sich aus Art. 6 I Satz 1 und 6 III Buchst. d
  81. MRK ergebenden Konfrontationsrechts, weil dem behandelnden Arzt des
  82. Geschädigten, dem Zeugen Dr. S.
  83. , keine "dem kontradiktorischen
  84. Verfahren entsprechenden Fragen" hätten gestellt werden können, ist bereits
  85. unzulässig.
  86. Zum einen ist die Rüge nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des
  87. § 345 StPO erhoben worden, sondern erst in der Gegenerklärung auf die
  88. Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Zum anderen genügt die Rüge
  89. nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil sie sich lediglich auf die Behauptung einer Verletzung des Konfrontationsrechts beschränkt und weder Angaben zum Inhalt der Vernehmung noch dazu enthält,
  90. ob die Angeklagte oder die Verteidigung von dem Vernehmungstermin unterrichtet waren, wann sie vom Inhalt der Vernehmung Kenntnis erlangt haben
  91. und ob sie zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens die Gelegenheit hatten,
  92. den Zeugen Dr. S.
  93. zu befragen oder befragen zu lassen (vgl. dazu
  94. -6-
  95. BGHSt 51, 150, 154 ff. sowie Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., Art. 6 MRK
  96. Rn. 22a mwN). Es wird nicht einmal mitgeteilt, ob sie einen derartigen Versuch unternommen haben. Schließlich teilt die Revision auch nicht mit, welche über die von den vernehmenden Polizeibeamten gestellten hinausgehenden weiteren Fragen aus ihrer Sicht dem Zeugen hätten gestellt werden
  97. sollen.
  98. Wahl
  99. Rothfuß
  100. Graf
  101. Elf
  102. Jäger