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253 lines
9.8 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 4/17
  4. vom
  5. 20. September 2018
  6. in der Abschiebungshaftsache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. FamFG § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4
  14. In einem Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft ist eine nähere Erläuterung
  15. des für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erforderlichen Zeitaufwandes in aller Regel dann nicht geboten, wenn sich die Behörde auf eine
  16. Auskunft der zuständigen Stelle beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs
  17. Wochen beträgt. Ist ein längerer Zeitraum für die Organisation der Rückführung
  18. des Betroffenen erforderlich, bedarf es einer auf den konkreten Fall bezogenen
  19. Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt.
  20. BGH, Beschluss vom 20. September 2018 - V ZB 4/17 - LG Aachen
  21. AG Aachen
  22. ECLI:DE:BGH:2018:200918BVZB4.17.0
  23. -2-
  24. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. September 2018 durch die
  25. Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch,
  26. den Richter Dr. Kazele, die Richterin Haberkamp und den Richter Dr. Hamdorf
  27. beschlossen:
  28. Auf
  29. die
  30. Rechtsbeschwerde
  31. 15. Zivilkammer
  32. des
  33. wird
  34. der
  35. Landgerichts
  36. Beschluss
  37. Aachen
  38. der
  39. vom
  40. 30. November 2016 aufgehoben.
  41. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Aachen
  42. vom 18. Januar 2016 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt
  43. hat.
  44. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
  45. zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
  46. des Betroffenen in allen Instanzen werden der Städteregion
  47. Aachen auferlegt.
  48. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  49. 5.000 €.
  50. Gründe:
  51. I.
  52. 1
  53. Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste am
  54. 16. Juni 2012 ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik Deutschland
  55. ein und stellte am 26. Juni 2012 einen Asylantrag, der mit bestandskräftigem
  56. -3-
  57. Bescheid vom 15. Februar 2013 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Zugleich wurde dem Betroffenen die Abschiebung angedroht. Das Aufenthalts- und Einreiseverbot wurde mit Bescheid vom 23. Dezember 2015 auf drei
  58. Jahre befristet.
  59. 2
  60. Auf
  61. Antrag
  62. der
  63. beteiligten
  64. Behörde
  65. hat
  66. das
  67. Amtsgericht
  68. am
  69. 18. Januar 2016 Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen bis zum
  70. 21. März 2016 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Betroffene nach seiner Abschiebung mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft fortgeführt. Das Landgericht hat mit Beschluss vom
  71. 30. November 2016 unter Aufhebung der Haftanordnung des Amtsgerichts die
  72. Erledigung der Sache festgestellt und den Feststellungsantrag zurückgewiesen.
  73. Mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt, verfolgt er den Feststellungsantrag weiter.
  74. II.
  75. 3
  76. Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung
  77. der Sicherungshaft hätten vorgelegen. Insbesondere habe der Haftanordnung
  78. ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Die beantragte Haftdauer von
  79. zehn Wochen ergebe sich unproblematisch aus dem Umstand, dass die Zentralstelle für Flugabschiebungen in Bielefeld die Vorbereitungsdauer von acht
  80. Wochen für die Organisation eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung als Mindestfrist bezeichnet habe und insoweit ein gewisser, hier auch noch vertretbarer
  81. Zuschlag von zwei Wochen erforderlich gewesen sei.
  82. -4-
  83. III.
  84. 4
  85. Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag
  86. nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige
  87. Rechtsbeschwerde ist begründet.
  88. 5
  89. 1. Es fehlt an einem zulässigen Haftantrag.
  90. 6
  91. a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des
  92. Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist
  93. der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der
  94. zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der
  95. Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der
  96. notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen
  97. die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie
  98. müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet
  99. werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17,
  100. juris Rn. 6 mwN).
  101. 7
  102. b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht.
  103. 8
  104. aa) Zur Dauer der beantragten Haft führt die beteiligte Behörde in ihrem
  105. Antrag aus, dass die Passersatzpapierbeschaffung und Abschiebung des Betroffenen nach Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde Köln innerhalb von
  106. zwei Wochen möglich sei. Die Flugbuchung und Organisation der Sicherheitsbegleitung als solche bedürfe jedoch einer Bearbeitungszeit von acht Wochen.
  107. Dies habe die telefonische Auskunft der Zentralstelle für Flugabschiebungen in
  108. Bielefeld ergeben.
  109. -5-
  110. 9
  111. bb) Zwar ist der angesetzte Zeitraum von zwei Wochen für die Abstimmung mit den marokkanischen Behörden auch unter Berücksichtigung von
  112. Art. 3 Abs. 5 Satz 2 des deutsch-marokkanischen Protokolls über die Identifizierung und Ausstellung von Heimreisedokumenten vom 6. Mai 1998 (BGBl. II
  113. 1998, 1148) nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift haben die marokkanischen Behörden bei Vorhandensein eines abgelaufenen Heimreisedokuments
  114. „baldmöglichst und ohne weitere Formalitäten“ ein gültiges neues Dokument
  115. auszustellen. Die Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde ist dahingehend zu
  116. verstehen, dass der hierfür benötigte Zeitraum üblicherweise mit zwei Wochen
  117. zu bemessen ist.
  118. 10
  119. cc) Nur pauschaler Natur ist aber der Hinweis darauf, dass die Organisation des Fluges und der Sicherungsbegleitung einen Zeitraum von acht Wochen
  120. benötigt.
  121. 11
  122. (1) In einem Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft ist allerdings eine
  123. nähere Erläuterung des für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung
  124. erforderlichen Zeitaufwandes in aller Regel dann nicht geboten, wenn sich die
  125. Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt. In diesen Fällen erschließt sich grundsätzlich ohne weiteres, dass der organisatorische Aufwand eine solche Zeit in Anspruch nimmt, da erst die für die Begleitung in Betracht kommenden Personen
  126. ermittelt und innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitfenster die Flüge für
  127. den Betroffenen und die Begleitpersonen gebucht werden müssen. Im Hinblick
  128. auf die beschränkten Personalressourcen wird zwangsläufig ein zeitlicher Vorlauf benötigt, der bis zu sechs Wochen in Anspruch nehmen und als angemessen angesehen werden kann, sofern nicht besondere Umstände eine andere
  129. Beurteilung rechtfertigen. Ist ein längerer Zeitraum für die Organisation der
  130. Rückführung des Betroffenen erforderlich, bedarf es einer auf den konkreten
  131. -6-
  132. Fall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt (etwa Art des Fluges, Buchungslage der in Betracht kommenden Fluggesellschaften, Anzahl der
  133. Begleitpersonen, Personalsituation).
  134. 12
  135. (2) Daran fehlt es hier. Abgesehen davon, dass der für die Organisation
  136. der Sicherungsbegleitung und Flugbuchung erforderliche Zeitraum entgegen
  137. den Ausführungen des Beschwerdegerichts in dem Haftantrag nicht als Mindestfrist bezeichnet worden ist - die entsprechende Ergänzung hat die beteiligte
  138. Behörde vielmehr erst mit ihrem Schriftsatz vom 16. März 2016 vorgenommen -, handelt es sich lediglich um allgemein gehaltene Ausführungen, denen
  139. eine Begründung für die benötigte Zeitdauer von acht Wochen im konkreten
  140. Fall nicht entnommen werden kann. Im Hinblick darauf, dass die Haft auf die
  141. kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG;
  142. näher Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225
  143. Rn. 10; vgl. auch Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 67/13, juris Rn. 9),
  144. sind die Ausführungen im Haftantrag insoweit unzureichend (vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 9 mwN).
  145. 13
  146. 2. Dieser Fehler ist nicht geheilt worden.
  147. 14
  148. a) Mängel des Haftantrages können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und
  149. dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter
  150. selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung
  151. des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR
  152. 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzung für eine Heilung ist in
  153. einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persön-
  154. -7-
  155. lich angehört wird (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018
  156. - V ZB 201/17, juris Rn. 8).
  157. 15
  158. b) Vorliegend hat die beteiligte Behörde zwar im Beschwerdeverfahren
  159. ergänzend vorgetragen, dass die Abschiebung für den 15. März 2016 vorgesehen und für diesen Tag ein Flug gebucht sei. Diese Angaben waren auch
  160. grundsätzlich ausreichend, um die Erforderlichkeit der verbleibenden Haftzeit zu
  161. belegen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. November 2016 - V ZB 90/16, juris
  162. Rn. 9; Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 12). Der Betroffene wurde hierzu aber durch das Beschwerdegericht nicht persönlich angehört.
  163. 16
  164. 3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1
  165. FamFG). Da die angeordnete Haftzeit bereits abgelaufen ist, hätte eine Nachholung der unterlassenen Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht auf die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung keine Auswirkung. Denn eine
  166. Heilung könnte nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen.
  167. -8-
  168. 17
  169. 4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
  170. Stresemann
  171. Schmidt-Räntsch
  172. Haberkamp
  173. Kazele
  174. Hamdorf
  175. Vorinstanzen:
  176. AG Aachen, Entscheidung vom 18.01.2016 - 621 a XIV(B) 7/16 LG Aachen, Entscheidung vom 30.11.2016 - 15 T 2/16 -