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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IV ZR 504/14
  5. Verkündet am:
  6. 22. April 2015
  7. Schick
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
  14. Richterin
  15. Mayen,
  16. die
  17. Richterin
  18. Harsdorf-Gebhardt,
  19. die
  20. Richter
  21. Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
  22. 27. März 2015
  23. für Recht erkannt:
  24. Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
  25. 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
  26. vom 5. Oktober 2012 aufgehoben und die Sache zur
  27. neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die
  28. Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  29. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
  30. 6.185,47 € festgesetzt.
  31. Von Rechts wegen
  32. Tatbestand:
  33. 1
  34. Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN)
  35. begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
  36. Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung.
  37. -3-
  38. 2
  39. Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
  40. 1. November 2003 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG
  41. in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
  42. abgeschlossen. Im März 2010 kündigte d. VN den Vertrag und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 25. Mai 2011
  43. erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.
  44. 3
  45. Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts (insgesamt 6.185,47 €).
  46. 4
  47. Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
  48. zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.
  49. 5
  50. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
  51. die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.
  52. Entscheidungsgründe:
  53. 6
  54. Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z urückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  55. -4-
  56. 7
  57. I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht
  58. ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Der Vertrag sei
  59. aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden. Hinzu komme,
  60. dass d.VN auf sein Widerspruchsrecht verzichtet habe, weil er mit dem
  61. Vollzug des Vertrages begonnen und ein Jahr lang weder die Verbra ucherinformation noch die Versicherungsbedingungen angefordert und
  62. dem Vertragsschluss auch nicht widersprochen habe.
  63. 8
  64. II. Die Revision ist begründet.
  65. 9
  66. 1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
  67. Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrü ndung nicht versagt werden.
  68. 10
  69. a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
  70. schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
  71. Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide rspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
  72. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
  73. 11
  74. aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Revisionserwiderung - nicht
  75. ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht, weil in dem Policenbegleitschreiben vom 24. Oktober 2003
  76. -5-
  77. die Widerspruchsfrist mit "14" ohne Angabe der Zeiteinheit "Tage" angegeben war. Eine gegebenenfalls ordnungsgemäße Widerspruchsbele hrung im Antrag kann die Belehrung im Zusammenhang mit der Übersendung der Police nicht ersetzten (Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - IV
  78. ZR 58/03, VersR 2004, 497 unter 3 b; vgl. auch BGH, Urteil vom 23. Juni
  79. 2009 - XI ZR 156/08, NJW 2009, 3020 Rn. 24).
  80. 12
  81. Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
  82. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
  83. Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf
  84. der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
  85. 13
  86. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
  87. Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
  88. 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
  89. BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
  90. Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
  91. werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
  92. Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e rfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
  93. zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
  94. wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
  95. die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat (im Einzelnen dazu
  96. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 22-34).
  97. 14
  98. bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
  99. Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
  100. -6-
  101. Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
  102. vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
  103. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
  104. 15
  105. cc) Soweit das Berufungsgericht einen Verzicht d. VN auf das W iderspruchsrecht angenommen hat, hält das rechtlicher Nachprüfung
  106. nicht stand. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
  107. sind an die Feststellung eines Verzichtwillens strenge Anforde rungen zu
  108. stellen (BGH, Urteil vom 7. März 2006 - VI ZR 54/05, VersR 2006, 659
  109. Rn. 10 m.w.N.). Das Verhalten d. VN hätte mit ausreichender Deutlichkeit erkennen lassen müssen, dass auf das Widerspruchsrecht verzichtet
  110. werden sollte, wobei das Gebot einer interessengerechten Auslegung zu
  111. beachten und den der Erklärung zugrundeliegenden Umständen beso ndere Bedeutung beizumessen ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. September
  112. 2012 - II ZR 178/10, WM 2012, 2231 Rn. 22 m.w.N). Diese Grundsätze
  113. hat das Berufungsgericht angesichts des Fehlens einer ordnungsgem äßen Widerspruchsbelehrung nicht ausreichend beachtet.
  114. 16
  115. b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
  116. ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e ine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
  117. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
  118. 17
  119. 2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
  120. Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
  121. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
  122. -7-
  123. kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
  124. bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
  125. 18
  126. Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
  127. Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve rweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
  128. geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
  129. Mayen
  130. Harsdorf-Gebhardt
  131. Lehmann
  132. Dr. Karczewski
  133. Dr. Brockmöller
  134. Vorinstanzen:
  135. LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 15.05.2012 - 2-23 O 395/11 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 05.10.2012 - 7 U 160/12 -