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- 5 StR 517/11
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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- vom 10. Januar 2012
- in der Strafsache
- gegen
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- wegen versuchten Totschlags u.a.
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- Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2012
- beschlossen:
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- 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
- Landgerichts Bremen vom 7. Juni 2011 gemäß § 349
- Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen
- Feststellungen aufgehoben.
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- 2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2
- StPO als unbegründet verworfen.
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- 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
- Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer
- des Landgerichts zurückverwiesen.
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- G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
- Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei
- Jahren verurteilt, wobei es sechs Monate zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt erklärt hat. Die auf Verfahrensrügen
- und die näher ausgeführte Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4
- StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Gegen den Schuldspruch ist aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts revisionsgerichtlich nichts zu erinnern.
- Insbesondere hat das Landgericht eine alkoholbedingt aufgehobene Steue-
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- rungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 20 StGB rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
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- 2. Hingegen begegnet die Begründung der Strafkammer, mit der sie auch
- eine erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB ausgeschlossen hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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- a) Das Landgericht hat eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des
- Angeklagten verneint, obgleich dieser die Taten in stark alkoholisiertem Zustand begangen hatte (maximale Blutalkoholkonzentration 2,75 ‰, wahrscheinliche Blutalkoholkonzentration von 2,33 ‰, UA S. 30). Zur Begründung führt es
- im Anschluss an ein mündlich erstattetes Gutachten der Sachverständigen aus,
- dass „der Grad der Alkoholisierung wenig aussagekräftig sei, da der Angeklagte
- zum Tatzeitpunkt alkoholgewöhnt gewesen sei. Der Angeklagte habe angegeben, dass er sich angetrunken, aber nicht schwer betrunken gefühlt habe. Sein
- Erinnerungsvermögen habe sich nicht wesentlich eingeschränkt gezeigt, er habe betont, gewusst zu haben, was er tat.“ Überdies spreche für eine genaue
- Planung der Tat, dass „der Angeklagte über einen längeren Zeitraum geplant
- Personen zur Verteidigung um sich geschart habe und den Angreifern letztlich
- gezielt im Erdgeschoss zuvorgekommen sei.“ Schließlich spreche sein „gezieltes Rückzugsverhalten“, in dem er sich freiwillig gestellt und auf Notwehr berufen hat, gegen „eine relevante Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit“ (UA S. 30 f.).
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- b) Diese Begründung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
- Bei einem Täter, der zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration zwischen 2,3 und
- 2,7 ‰ aufwies, ist die Annahme einer erheblichen Herabsetzung seiner Hemmungsfähigkeit regelmäßig in einem hohen Grad wahrscheinlich (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 31; Beschluss vom
- 31. Mai 1988 – 3 StR 203/88, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 13;
- vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 20 Rn. 21 mwN). Eine erheblich verminderte
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- Hemmungsfähigkeit lässt sich bei einer solchen beträchtlichen Alkoholisierung
- nur ausschließen, wenn gewichtige Anzeichen für den Erhalt einer Hemmungsfähigkeit sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95,
- BGHSt 43, 66, 68 ff.; Beschluss vom 26. November 1997 – 2 StR 553/97,
- NStZ-RR 1998, 107; hierzu ferner Fischer, aaO, Rn. 22 ff.).
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- Es erscheint bereits durchgreifend zweifelhaft, ob die von der Strafkammer
- festgestellten nicht überaus aussagekräftigen Umstände namentlich mit Blick
- auf die Höhe der – sogar mittels einer verhältnismäßig tatzeitnah entnommenen
- Blutprobe – ermittelten Alkoholintoxikation hinreichend tragfähig gewesen wären. Zudem ist die tatrichterliche Bewertung mit weiteren Fehlern behaftet. So
- lässt das Landgericht, das ersichtlich dem Sachverständigengutachten folgt,
- unerörtert, dass unauffälligem Verhalten sowie zielstrebigem und planvollem
- Vorgehen trotz Alkoholgewöhnung und ungetrübtem Erinnerungsvermögen nur
- ein beschränkter Beweiswert zukommt, weil gerade erfahrene und alkoholgewöhnte Trinker sich häufig im Rausch noch motorisch kontrollieren und sich
- äußerlich geordnet verhalten können, obwohl ihr Hemmungsvermögen möglicherweise schon erheblich beeinträchtigt ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom
- 9. August 1988 – 1 StR 231/88, BGHSt 35, 308, 311). Weiter berücksichtigt das
- Landgericht nicht erkennbar, dass auch situationsgerechtes Verhalten nach der
- Tat nur eingeschränkten Beweiswert aufweist, da der Täter durch die Tat oder
- die Gefahr der Entdeckung „ernüchtert“ sein kann (BGH aaO).
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- 3. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass ein neues Tatgericht im
- Falle einer Anwendung des § 21 StGB auf eine noch mildere Freiheitsstrafe
- erkennen könnte (§ 337 StPO), wenngleich sich dies mit Blick auf das Tatbild
- nicht aufdrängt.
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- Basdorf
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- Brause
- Schneider
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- Schaal
- König
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