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  1. 5 StR 256/10
  2. BUNDESGERICHTSHOF
  3. BESCHLUSS
  4. vom 22. Juli 2010
  5. in der Strafsache
  6. gegen
  7. wegen Nachstellung u. a.
  8. -2-
  9. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juli 2010
  10. beschlossen:
  11. 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  12. Landgerichts Flensburg vom 17. Februar 2010 gemäß
  13. § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen
  14. aufgehoben
  15. a) im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen Nachstellung mit dem Hervorrufen einer schweren Gesundheitsstörung (Fall II. 1 der Urteilsgründe) verurteilt
  16. wurde;
  17. b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch.
  18. 2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO
  19. als unbegründet verworfen.
  20. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  21. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  22. G r ü n d e
  23. 1
  24. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Nachstellung mit dem
  25. Hervorrufen einer schweren Gesundheitsstörung, wegen Nötigung, Beleidigung und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Monaten“ (Einzelstrafen von acht Monaten und zwei Monaten Freiheitsstrafe,
  26. 30 Tagessätzen zu je 10 € und weiteren acht Monaten Freiheitsstrafe) verur-
  27. -3-
  28. teilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der allgemeinen Sachrüge den
  29. aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
  30. 2
  31. 1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und
  32. Wertungen getroffen:
  33. 3
  34. a) Der nicht vorbestrafte, zu den Tatzeiten 59 Jahre alte Angeklagte
  35. neigt aufgrund seiner psychischen Erkrankung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf eine hirnorganische Komponente – beruhend auf jahrelangem Alkoholkonsum und einem 1987 erlittenen Schädel-Hirntrauma – zurückzuführen ist, etwa seit 2007 dazu, ohne erkennbaren Anlass einige
  36. Nachbarn massiv zu bedrohen, sie zu beleidigen und ihnen nachzustellen
  37. (UA S. 3, 6). Bei ihm liegt eine kombinierte Persönlichkeitsstörung vor, die
  38. durch emotionale Instabilität mit Neigung zu impulsivem Agieren, durch paranoide Akzentuierung sowie narzisstische Anteile geprägt ist. Diese erfüllt
  39. das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im
  40. Sinne des § 20 StGB; die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war zu den
  41. Tatzeitpunkten zwar nicht aufgehoben, jedoch erheblich eingeschränkt gemäß § 21 StGB.
  42. 4
  43. b) Der Angeklagte hat in diesem Zustand, nachdem ihm durch eine
  44. einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Flensburg unter anderem untersagt
  45. worden war, den Nebenklägern nachzustellen und sie zu beobachten, am
  46. 25. Juni 2009 auf einem Maisfeld, das sich hinter seinem Grundstück und
  47. dem Grundstück der Nebenkläger befindet, Gras gemäht, sich den Nebenklägern, die in ihrem Garten saßen, auf 20 Meter genähert und sie beobachtet. Am 5. Juli 2009 versteckte er sich auf der gemeinsamen Grundstücksauffahrt hinter einem Busch und betrachtete die Nebenkläger beim Fernsehen.
  48. Am 22. Juli 2009 brüllte er die Nebenkläger von seinem Grundstück aus mit
  49. den Worten „komm’ da rüber“ an. Am 23. Juli 2009 schrie er die gerade ihre
  50. -4-
  51. Wohnung verlassende Nebenklägerin an, sie solle verschwinden, sonst bekäme sie den „Arsch voll“. Er ergriff hierbei einen Knüppel, schwang diesen
  52. mehrfach in Richtung der Nebenklägerin und schrie, sie solle „abhauen“, er
  53. komme jetzt, worauf diese flüchtete. Am 24. Juli 2009 lauerte der Angeklagte
  54. der Nebenklägerin auf und brüllte sie mit den Worten an, „Ich mach’ dir Beine, hau ab, du blondes Miststück, los hau’ ab, dich sollen sie mitnehmen
  55. nach Schleswig, du hast ab jetzt keine ruhige Nacht mehr“. Als er der Nebenklägerin näher kam, lief diese weg. Die Nebenklägerin wurde durch die
  56. Handlungsweise des Angeklagten ebenso wie ihr Ehemann psychisch stark
  57. beeinträchtigt. Sie hatte massive Angst, von dem Angeklagten geschlagen
  58. oder gar umgebracht zu werden. Der Nebenkläger befürchtete in hohem Maße, dass seiner Ehefrau etwas geschieht. Die Nebenklägerin erlitt psychosomatische Zusammenbrüche mit intensiven schweren Magenkrämpfen und
  59. eine posttraumatische Belastungsstörung. Sie verlor zehn Kilogramm an
  60. Gewicht. Beide Nebenkläger waren nach eigenem Bekunden „eigentlich nicht
  61. mehr in der Lage“ (UA S. 4), ihrer freiberuflichen Tätigkeit nachzugehen
  62. (Tat 1).
  63. 5
  64. c) Am 22. Juli 2009 brüllte der Angeklagte einen anderen Nachbarn
  65. nach einem Wortwechsel an: „Hau ab, sonst schlag’ ich dich in die Fresse,
  66. dass dir alle Zähne auf einmal rausfliegen“ (UA S. 4). Einem weiteren Nachbarn rief er zu, dass das auch für ihn gelte, wenn er nicht gleich wegfahre.
  67. Zur Vermeidung einer Eskalation fuhren die Geschädigten weg (Tat 2).
  68. 6
  69. Während einer Haftvorführung beleidigte der Angeklagte am 24. Juli 2009 zwei Polizeibeamte mit den Worten „die Idioten haben auch eine
  70. Menge Mist aufgeschrieben“ (Tat 3).
  71. 7
  72. In einer Hauptverhandlung des Amtsgerichts Flensburg trat der Angeklagte am 23. September 2009 der Nebenklägerin mit dem Fuß gegen das
  73. Bein, wodurch diese ein handflächengroßes Hämatom im Bereich des
  74. Sprunggelenks und des Spanns erlitt (Tat 4).
  75. -5-
  76. 8
  77. Das Landgericht geht – sachverständig beraten – davon aus, dass von
  78. dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten
  79. zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die
  80. Anordnung der Unterbringung sei auch nicht unverhältnismäßig. Bis auf die
  81. „vielleicht als Bagatelldelikt anzusehende Beleidigung“ seien die übrigen Delikte „schon von einigem Gewicht“ und die zu erwartenden Taten „bei dem
  82. Aggressionspotenzial des Angeklagten auch nicht unerheblich“ (UA S. 8 f.).
  83. 9
  84. 2. Der Schuldspruch wegen des qualifizierenden Tatbestandes der
  85. Nachstellung gemäß § 238 Abs. 2 StGB hält sachlichrechtlicher Überprüfung
  86. nicht stand.
  87. 10
  88. Die Vorschrift setzt voraus, dass das Opfer oder eine andere dem Opfer nahe stehende Person durch die Nachstellung in die Gefahr des Todes
  89. oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird. Solche Tatfolgen hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Die psychosomatischen Beschwerden einhergehend mit depressiven Erschöpfungszuständen sind nicht
  90. hinreichend belegt. Dies gilt umso mehr, als die Strafkammer sich bei der
  91. Feststellung der Tatfolgen nicht erkennbar hat sachverständig beraten lassen. Die von den Nebenklägern lediglich empfundene Beeinträchtigung ihrer
  92. Arbeitsfähigkeit reicht ersichtlich nicht aus.
  93. 11
  94. 3. Die Aufhebung des Schuldspruchs hinsichtlich Tat 1 führt zum Wegfall der hierfür verhängten Einzelstrafe von acht Monaten. Der Senat kann
  95. nicht ausschließen, dass die Höhe der übrigen Einzelstrafen von der Höhe
  96. dieser Einsatzstrafe beeinflusst worden sind, und hebt deshalb den gesamten Strafausspruch auf, zumal das Landgericht für die Strafe bezüglich Tat 1
  97. – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat – eine
  98. unzutreffende Strafrahmenuntergrenze zugrunde gelegt hat. Darüber hinaus
  99. hat es die Strafkammer hinsichtlich Tat 2 unterlassen, die Voraussetzungen
  100. des § 47 Abs. 1 StGB zu erörtern. Angesichts der Unbestraftheit des Angeklagten und der festgestellten Taten versteht es sich nicht von selbst, dass
  101. -6-
  102. die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten zur Einwirkung auf
  103. ihn oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist.
  104. 12
  105. 4. Auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen
  106. Krankenhaus (§ 63 StGB) hat keinen Bestand.
  107. 13
  108. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel liegen hier nicht
  109. vor. Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit
  110. Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) kann die
  111. Anordnung der Maßregel nur bei gravierenden Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen,
  112. gerechtfertigt sein (BGHSt 27, 246, 248; BGH NStZ 2008, 210, 212; BGHR
  113. StGB § 63 Gefährlichkeit 29; § 62 Verhältnismäßigkeit 2). Die festgestellten
  114. Anlasstaten belegen eine solche Schwere nicht.
  115. 14
  116. Schließlich hat das Landgericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Notwendigkeit einer Unterbringung auch nicht beachtet, dass
  117. der Angeklagte nicht schuldunfähig, sondern nur eingeschränkt schuldfähig
  118. ist, so dass gegen ihn als Mittel der Einwirkung auch die Verhängung von
  119. Strafe zur Verfügung steht (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 8).
  120. Brause
  121. Raum
  122. König
  123. Schneider
  124. Bellay