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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XI ZB 6/04
vom
9. November 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
_____________________
ZPO (1.1.2002) § 520 Abs. 2 Satz 2
Die Einwilligung des Berufungsbeklagten in die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bedarf nicht der Schriftform, sondern kann vom Prozeßbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt und gegenüber dem Gericht anwaltlich versichert werden.
BGH, Beschluß vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04 - KG Berlin
LG Berlin
-2-
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Nobbe, den Richter Dr. Joeres, die Richterin Mayen sowie die
Richter Dr. Appl und Dr. Ellenberger
am 9. November 2004
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 14. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 2. Dezember 2003 aufgehoben.
Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur
Begründung
der
Berufung
gegen
das Urteil
der
9. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 26. Juni
2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
Der Gegenstandswert beträgt 6.000 €.
Gründe:
I.
Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat gegen das die Klage
abweisende Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Auf
seinen Antrag hat der Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats des
Kammergerichts
die
Begründungsfrist
um
einen
Monat
bis
zum
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16. Oktober 2003 verlängert. Zugleich hat er darauf hingewiesen, daß
eine weitere Verlängerung nur mit Einwilligung des Gegners, die dem
Gericht vor Fristablauf schriftsätzlich vorliegen müsse, bewilligt werden
dürfe. Am 16. Oktober 2003 hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin
wegen
Arbeitsüberlastung eine
weitere
Fristverlängerung
bis zum
23. Oktober 2003 beantragt und mitgeteilt, der gegnerische Prozeßbevollmächtigte habe dieser Verlängerung zugestimmt. Nach einem gerichtlichen Hinweis vom 17. Oktober 2003, daß die Frist ohne Vorlage der
schriftsätzlichen Zustimmung der Gegenseite nicht verlängert werden
könne, hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten dem Gericht am
20. Oktober 2003 schriftlich mitgeteilt, daß er einer Fristverlängerung bis
zum 23. Oktober 2003 zustimme. Am 23. Oktober 2003 ist die Berufungsbegründung bei Gericht eingegangen.
Nachdem
der
Vorsitzende
des
zuständigen
Zivilsenats
am
24. Oktober 2003 darauf hingewiesen hatte, daß die Begründungsfrist
nicht verlängert werden könne, weil die schriftsätzliche Zustimmung der
Gegenseite erst nach Ablauf der bisherigen Frist eingegangen sei, hat
der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin am 29. Oktober 2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, daß der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten der beantragten Fristverlängerung am
16. Oktober 2003 telefonisch zugestimmt habe. Die Vorlage der schriftlichen Zustimmung vor Fristablauf sei nicht erforderlich und vom Kammergericht in vergleichbaren früheren Fällen auch nie verlangt worden.
Das Kammergericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbe-
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schwerde erstrebt die Klägerin die Aufhebung dieses Beschlusses und
die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V. mit § 522 Abs. 1
Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Die Voraussetzungen des
§ 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen
die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß gewahrt sein müssen (BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22; Senat, Beschluß
vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, NJW 2004, 2222, 2223), sind erfüllt. Die
Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Die Frage, ob die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO in schriftlicher Form erklärt und dem Gericht vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zugehen muß, ist, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend
macht, für eine Vielzahl von Verfahren bedeutsam und bedarf grundsätzlicher Klärung.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
a) Das Kammergericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
wesentlichen ausgeführt, die Begründungsfrist habe nicht über den
16. Oktober 2003 hinaus verlängert werden können, weil die hierfür gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderliche Einwilligung der Beklagten
erst nach Ablauf der verlängerten Begründungsfrist bei Gericht einge-
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gangen sei. Die Einwilligung sei gemäß § 183 Satz 1 BGB eine vorherige
Zustimmung und müsse dem Gericht vor Ablauf der Begründungsfrist in
schriftlicher Form zugehen. Da hierauf bereits bei der Fristverlängerung
bis zum 16. Oktober 2003 hingewiesen worden sei, könne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.
b) Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
aa) Die Klägerin war ohne ihr Verschulden und das ihres Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) gehindert, die Frist zur Begründung
der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Ihr Prozeßbevollmächtigter durfte
darauf vertrauen, daß seinem Verlängerungsantrag vom 16. Oktober
2003 stattgegeben würde. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsanwalt erwarten kann, daß nach einer bereits bewilligten Fristverlängerung auch einem zweiten Antrag auf Fristverlängerung
entsprochen wird, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend entschieden (vgl. Senat, Beschluß vom 6. November 2001 - XI ZB 14/01, BGHR
ZPO § 233 Fristverlängerung 22; BGH, Beschluß vom 21. Februar 2000
- II ZB 16/99, NJW-RR 2000, 947, 948). Sie bedarf auch hier keiner generellen Klärung, weil das Vertrauen des Prozeßbevollmächtigten der
Klägerin auf die Bewilligung der beantragten Fristverlängerung jedenfalls
aufgrund der konkreten Umstände des Falles gerechtfertigt war. Der
Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats des Kammergerichts hatte ihm
gleichzeitig mit der ersten Fristverlängerung mitgeteilt, daß eine weitere
Verlängerung die Einwilligung des Gegners voraussetze. Dies durfte der
Prozeßbevollmächtigte so verstehen, daß der Vorsitzende bei der Ausübung seines Ermessens gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Falle der
Einwilligung des Gegners keine besonderen Anforderungen an den zwei-
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ten Verlängerungsantrag stellen werde, wenn der Berufungskläger einen
erheblichen Grund im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für eine Fristverlängerung darlege. Das ist hier geschehen; der Berufungskläger hat
mit Arbeitsüberlastung seines Prozeßbevollmächtigten einen erheblichen
Grund für eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vorgetragen
(vgl. Musielak/Ball, ZPO 4. Aufl. § 520 Rdn. 8).
bb) Daß der Vorsitzende bei der ersten Fristverlängerung die
Rechtsauffassung vertreten hatte, die Einwilligung des Gegners müsse
dem Gericht vor Fristablauf schriftsätzlich vorliegen, rechtfertigt keine
andere Beurteilung. Da diese Ansicht unzutreffend war, durfte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin gleichwohl erwarten, daß seinem Verlängerungsantrag entsprochen würde.
Die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO bedarf nicht der
Schriftform, sondern kann - wie im vorliegenden Fall geschehen - vom
Prozeßbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt und gegenüber
dem Gericht anwaltlich versichert werden (Gerken, in: Wieczorek/
Schütze, ZPO 3. Aufl. § 520 Rdn. 37, 41; a.A.: Rimmelspacher, in:
MK/ZPO 2. Aufl. Aktualisierungsband § 520 Rdn. 11; Albers, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 62. Aufl. § 520 Rdn. 11). Dies
ergibt sich aus dem Wortlaut des § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO, der, anders
als § 566 Abs. 2 Satz 4 ZPO für die Einwilligung in die Sprungrevision,
keine Schriftform verlangt. Die Schriftformbedürftigkeit des Verlängerungsantrages (BGHZ 93, 300, 303 f.) ist auf die Einwilligung nicht übertragbar. Der rechtzeitige Eingang eines Verlängerungsantrages oder einer Begründungsschrift hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft.
Damit hierüber im Interesse der Rechtssicherheit Klarheit besteht, bedarf
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der Verlängerungsantrag der Schriftform (BGHZ 93, 300, 303). Die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO hat keine vergleichbare Bedeutung für den Eintritt der formellen Rechtskraft. Eine bewilligte Fristverlängerung ist auch dann wirksam, wenn die erforderliche Einwilligung
nicht vorliegt (BGH, Beschluß vom 18. November 2003 - VIII ZB 37/03,
NJW 2004, 1460, 1461). Hinzu kommt, daß das durch das Zivilprozeßreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 2001, S. 1887) eingeführte Einwilligungserfordernis die Voraussetzungen einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gegenüber der früheren Rechtslage ohnehin verschärft hat und die entsprechende Regelung für die Verlängerung der
Revisionsbegründungsfrist (§ 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 ZPO) durch das
1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I 2004,
S. 2198) bereits wieder gelockert worden ist. Vor diesem Hintergrund
besteht kein Anlaß, an die Einwilligung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO
erhöhte Anforderungen zu stellen und sie als schriftformbedürftig anzusehen.
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c) Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben (§ 577
Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis
erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO)
und gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren.
Nobbe
Joeres
Appl
Mayen
Ellenberger