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BUNDESGERICHTSHOF
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BESCHLUSS
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1 StR 64/12
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vom
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20. März 2012
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in der Strafsache
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gegen
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wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. März 2012 gemäß § 349
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Abs. 4 StPO beschlossen:
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 17. November 2011 im gesamten Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
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Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
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und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
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eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
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Landgerichts zurückverwiesen.
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Gründe:
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1
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
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Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung in
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zwei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
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von fünf Jahren verurteilt. Es hat weiter die Unterbringung des Angeklagten in
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einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung angeordnet und
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zum einen bestimmt, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt vor der
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Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu vollziehen ist, und zum anderen, dass vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt drei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vorweg zu vollziehen sind.
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Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und die er auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt wissen will.
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Sein Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Der gesamte Maßregelausspruch war aufzuheben.
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1. Die Beschränkung auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung
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(§ 66 StGB) ist hier unwirksam. Die Anfechtung erstreckt sich auch auf die zugleich angeordnete Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Beide
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Anordnungen sind - wie sich auch aus den Urteilsgründen ergibt (UA S. 42 ff.) untrennbar verknüpft. Sie können nicht losgelöst voneinander geprüft und beurteilt werden (vgl. auch § 72 StGB).
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2. Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66
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StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es kann dahinstehen, ob die
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vom Landgericht gegebene Begründung der neueren Rechtsprechung des
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Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09
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u.a., NJW 2011, 1931) und des Bundesgerichtshofs (vgl. u.a. BGH, Urteil vom
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8. Februar 2012 - 2 StR 346/11; BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 4 StR
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594/11) gerecht wird. Die Maßregelanordnung war schon deshalb aufzuheben,
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weil die Strafkammer bei der Prüfung des Hangs und im Rahmen der Gefahrenprognose zulässiges Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu dessen
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Nachteil verwertet hat (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011
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- 5 StR 267/11; BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 5 StR 189/11 und
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BGH, Beschluss vom 5. April 2011 - 3 StR 12/11 jeweils mwN). Der Angeklagte
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bestreitet die Taten im Wesentlichen (UA S. 20 bis 22). Die Strafkammer stellt
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gleichwohl bei Bejahung der materiellen Voraussetzungen des § 66 StGB u.a.
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darauf ab, dass der Angeklagte zu seinen Taten nicht steht, diese im Wesentlichen bestreitet, sein Verhalten bagatellisiert und die Opferzeugin der Lüge bezichtigt (UA S. 40/41). Dieses Verhalten durfte ihm im Zuge der Maßregelanordnung nicht angelastet werden. Anderenfalls wäre der Angeklagte gezwungen, seine Verteidigungsstrategie aufzugeben, will er hinsichtlich der Siche-
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rungsverwahrung einer ihm ungünstigen Entscheidung entgegenwirken (vgl.
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BGH aaO).
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Die Aufhebung der Anordnung der Sicherungsverwahrung zieht die Aufhebung der Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach sich,
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da beide hier untrennbar miteinander verknüpft sind.
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Es kommt deshalb nicht darauf an, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft die Zeit der erlittenen Untersuchungshaft von der Dauer des Vorwegvollzugs der Unterbringung gemäß § 64 StGB abgezogen hat (vgl. hierzu u.a.
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BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 - 5 StR 423/11 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 28. September 2011 - 2 StR 376/11; BGH, Beschluss vom
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28. Juni 2011 - 4 StR 17/11 jeweils mwN; auch Fischer, StGB, 59. Aufl., Rn. 9a
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zu § 67 StGB).
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Es kann auch dahinstehen, ob im vorliegenden Fall zu erörtern gewesen
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wäre, dass sich an die Unterbringung in die Entziehungsanstalt erst die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anschließt, der Angeklagte also nicht
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ohne Weiteres im Anschluss an die Therapie in Freiheit kommt (vgl. hierzu
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BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 14 = BGH, Beschluss vom
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9. Oktober 1998 - 2 StR 423/98 zu § 67 Abs. 2 StGB aF).
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Nack
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Rothfuß
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Jäger
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Elf
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Sander
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