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Bundesgerichtshof
Ermittlungsrichter
1 BGs 48/2001
2 BJs 23/01-2
Beschluß
vom 20. April 2001
im Ermittlungsverfahren gegen
unbekannt
wegen des Verdachts eines Verbrechens nach § 129a Abs. 1 StGB
u.a. (gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr in der Nacht zum 9.
März 2001 durch Mitglieder "Autonomer Gruppen)
wird die Anordnung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom
15. März 2001 - 2 BJs 23/01 –
bestätigt.
Hausanschrift:
Herrenstraße 45a
76133 Karlsruhe
Postfach:
76125 Karlsruhe
Telefon:
(0721) 159-0
Telefax:
(0721) 159-829
- 2 -
Gründe:
1. Der Generalbundesanwalt hat auf der Grundlage von § 12 des Gesetzes über
Fernmeldeanlagen (FAG) mit § 98a StPO mit Anordnung vom 15. März 2001
wegen Gefahr im Verzug – ohne richterliche Gestattung – den folgenden Netzbetreibern
D 1 , T-Mobil GmbH Münster,
D 2, Mannesmann Mobilfunk GmbH,
E plus Mobilfunk GmbH,
E 2, VIAG Interkom Eschborn
aufgegeben, dem Bundeskriminalamt Meckenheim Auskunft zu erteilen, über
sämtliche Aufzeichnungen über Verbindungsdaten, die sich auf Fernmeldeverkehr beziehen, den in der Ortschaft
H.
-R.
unter den
Geodaten
in der Zeit vom
geführt worden ist.
2.
Die Anträge auf richterliche Entscheidung sind zulässig. Ordnet die Staatsanwaltschaft wegen Gefahr im Verzug die Auskunft gemäß § 12 FAG an, so
ist in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO die Anrufung
des Gerichts möglich (vgl. Lampe in Strafrechtliche Nebengesetze, FSS
(FAG), RdNr. 23). Bei § 98a StPO folgt dies aus § 98b Abs. 1 Satz 2 StPO.
3.
Die Anordnung des Generalbundesanwalts ist auf der Grundlage von § 12
FAG zu bestätigen.
a)
Der Generalbundesanwalt führt ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Mitglieder "Autonomer Gruppen" wegen des Verdachts eines
Verbrechens der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
nach § 129a Abs. 1 StGB.
- 3 Bisher nicht ermittelte Täter verübten in der Nacht zum 9. März 2001 an drei
Orten in Brandenburg und Niedersachsen Anschläge auf Anlagen der Deutschen Bahn AG, indem sie Hakenkrallen in die elektrischen Oberleitungen der
Straßenbahnen einhängten. Die Eisenteile waren so konstruiert, daß die
Stromabnehmer der Lokomotiven sich in den Krallen verfingen und diese mitrissen. Dadurch kam es teilweise zu erheblichen Beschädigungen an den
Oberleitungen. Ein Tatort befand sich auf der Bahnstrecke W.
H.
-L.
im Bereich der Ortschaft H.
-R.
. Dort wurden
durch die von dem Stromabnehmer mitgerissene Hakenkralle die Oberleitung
auf einer Strecke von etwa 250 Metern beschädigt. Die Täter hinterließen am
Tatort ein fünfteiliges HAT-Rohr, mit dessen Hilfe die Hakenkralle offenbar
eingesetzt worden war. Außerdem hinterließen sie eine Comic-Zeichnung, auf
der sich der Satz befindet:
"solange ihr unser Leben missachtet, missachten wir eure Gesetze".
Am 12. /13. März 2001 gingen insgesamt fünf Selbstbezichtigungsschreiben
zu den Anschlägen ein. Darin bekannten sich "Autonome Gruppen" zu den
Anschlägen. Durch die Taten bezweckten sie nicht nur den Widerstand gegen
die Castor-Transporte, sondern sie wollten auch deutlich machen, daß sie die
"herrschenden Verhältnisse" insgesamt ablehnen.
b)
Die Ermittlungen in vorausgegangenen Anschlagsserien gleicher Art haben
ergeben, daß die Täter bei Ausführung der Anschläge Mobiltelefone benutzen. Es ist anzunehmen, daß auch im vorliegenden Fall die Mitglieder der
“Autonomen Gruppen” während der Tatausführung untereinander telefonisch
Kontakt gehabt haben, um die zeitgleiche Ausführung der Anschläge zu gewährleisten und um eine Störung durch unbekannte Dritte möglichst auszuschließen.
Nach den Vermerken des Bundeskriminalamts vom 14.03.2001 (dort unter Nr.
5) und vom 30.3.2001 ist davon auszugehen, daß im Bereich des abgelegenen Tatortes in der vorgenannten Zeit Telekommunikationsverkehr über Mobiltelefone nur in sehr geringem Umfang stattgefunden hat.
- 4 Alle Teilnehmer am Mobilfunkverkehr dieses Bereichs während dieser kommunikationsarmen Zeit kommen deshalb als Tatverdächtige in Betracht. Diese
Annahme ist angesichts des Gewichts des Tatvorwurfs nicht unverhältnismäßig. Da die Erforschung des Sachverhalts und die Ermittlung der Täter auf
andere Weise wesentlich erschwert, wenn nicht sogar aussichtslos wäre, haben die Betreiber der unter 1. genannten Mobilfunknetze gemäß § 12 FAG
Auskunft darüber zu geben, ob und gegebenenfalls mit welchem Mobiltelefon
im Bereich der Ortschaft H.
-R.
in der mutmaßlichen Zeit der
Tatausführung am
zwischen
Uhr Telekommunkationsverkehr stattgefunden hat.
4.
Auf § 98a StPO kann die Maßnahme dagegen nicht gestützt werden. Es mag
dahinstehen, ob überhaupt ein Datenabgleich im Sinne der Rasterfahndung
mit “personenbezogenen Daten von Personen, die bestimmte, auf den Täter
vermutlich zutreffende Prüfungsmerkmale erfüllen” vorgesehen ist. § 98a
StPO berechtigt jedenfalls nicht zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis.
Dieses umfaßt nicht nur den Inhalt der Telekommunikation, sondern auch deren nähere Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war, sowie Ort, Zeitpunkt und Dauer
der Verbindung und Verbindungsversuche. Die Befugnis der Strafverfolgungsbehörden zur Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs
sind in den §§ 100a, 100b bzw. § 12 FAG aber abschließend geregelt. Die
hier gewünschte Information kann daher aufgrund anderer Eingriffsnormen
nicht erlangt werden.
5.
Es bestand Gefahr im Verzug (§ 98 b Abs. 1 StPO). Die angeforderten vollständigen Verbindungsdaten werden üblicherweise von den Mobilfunkbetreibern nur 72 Stunden lang gespeichert. Nach Auskunft des Netzbetreibers TMobil vom 15. März 2001 standen die geforderten Daten an diesem Tag noch
zur Verfügung, sollten aber möglicherweise bereits am 16. März 2001 gelöscht werden. Um einem drohenden Verlust wichtiger Beweismittel zu begegnen, war der Generalbundesanwalt berechtigt, im Rahmen der Eilkompetenz eine Anordnung nach § 12 FAG zu treffen.
Hebenstreit
Richter am Bundesgerichtshof