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1 year ago
  1. Bundesgerichtshof
  2. Ermittlungsrichter
  3. 1 BGs 48/2001
  4. 2 BJs 23/01-2
  5. Beschluß
  6. vom 20. April 2001
  7. im Ermittlungsverfahren gegen
  8. unbekannt
  9. wegen des Verdachts eines Verbrechens nach § 129a Abs. 1 StGB
  10. u.a. (gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr in der Nacht zum 9.
  11. März 2001 durch Mitglieder "Autonomer Gruppen)
  12. wird die Anordnung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom
  13. 15. März 2001 - 2 BJs 23/01 –
  14. bestätigt.
  15. Hausanschrift:
  16. Herrenstraße 45a
  17. 76133 Karlsruhe
  18. Postfach:
  19. 76125 Karlsruhe
  20. Telefon:
  21. (0721) 159-0
  22. Telefax:
  23. (0721) 159-829
  24. - 2 -
  25. Gründe:
  26. 1. Der Generalbundesanwalt hat auf der Grundlage von § 12 des Gesetzes über
  27. Fernmeldeanlagen (FAG) mit § 98a StPO mit Anordnung vom 15. März 2001
  28. wegen Gefahr im Verzug – ohne richterliche Gestattung – den folgenden Netzbetreibern
  29. D 1 , T-Mobil GmbH Münster,
  30. D 2, Mannesmann Mobilfunk GmbH,
  31. E plus Mobilfunk GmbH,
  32. E 2, VIAG Interkom Eschborn
  33. aufgegeben, dem Bundeskriminalamt Meckenheim Auskunft zu erteilen, über
  34. sämtliche Aufzeichnungen über Verbindungsdaten, die sich auf Fernmeldeverkehr beziehen, den in der Ortschaft
  35. H.
  36. -R.
  37. unter den
  38. Geodaten
  39. in der Zeit vom
  40. geführt worden ist.
  41. 2.
  42. Die Anträge auf richterliche Entscheidung sind zulässig. Ordnet die Staatsanwaltschaft wegen Gefahr im Verzug die Auskunft gemäß § 12 FAG an, so
  43. ist in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO die Anrufung
  44. des Gerichts möglich (vgl. Lampe in Strafrechtliche Nebengesetze, FSS
  45. (FAG), RdNr. 23). Bei § 98a StPO folgt dies aus § 98b Abs. 1 Satz 2 StPO.
  46. 3.
  47. Die Anordnung des Generalbundesanwalts ist auf der Grundlage von § 12
  48. FAG zu bestätigen.
  49. a)
  50. Der Generalbundesanwalt führt ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Mitglieder "Autonomer Gruppen" wegen des Verdachts eines
  51. Verbrechens der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
  52. nach § 129a Abs. 1 StGB.
  53. - 3 Bisher nicht ermittelte Täter verübten in der Nacht zum 9. März 2001 an drei
  54. Orten in Brandenburg und Niedersachsen Anschläge auf Anlagen der Deutschen Bahn AG, indem sie Hakenkrallen in die elektrischen Oberleitungen der
  55. Straßenbahnen einhängten. Die Eisenteile waren so konstruiert, daß die
  56. Stromabnehmer der Lokomotiven sich in den Krallen verfingen und diese mitrissen. Dadurch kam es teilweise zu erheblichen Beschädigungen an den
  57. Oberleitungen. Ein Tatort befand sich auf der Bahnstrecke W.
  58. H.
  59. -L.
  60. im Bereich der Ortschaft H.
  61. -R.
  62. . Dort wurden
  63. durch die von dem Stromabnehmer mitgerissene Hakenkralle die Oberleitung
  64. auf einer Strecke von etwa 250 Metern beschädigt. Die Täter hinterließen am
  65. Tatort ein fünfteiliges HAT-Rohr, mit dessen Hilfe die Hakenkralle offenbar
  66. eingesetzt worden war. Außerdem hinterließen sie eine Comic-Zeichnung, auf
  67. der sich der Satz befindet:
  68. "solange ihr unser Leben missachtet, missachten wir eure Gesetze".
  69. Am 12. /13. März 2001 gingen insgesamt fünf Selbstbezichtigungsschreiben
  70. zu den Anschlägen ein. Darin bekannten sich "Autonome Gruppen" zu den
  71. Anschlägen. Durch die Taten bezweckten sie nicht nur den Widerstand gegen
  72. die Castor-Transporte, sondern sie wollten auch deutlich machen, daß sie die
  73. "herrschenden Verhältnisse" insgesamt ablehnen.
  74. b)
  75. Die Ermittlungen in vorausgegangenen Anschlagsserien gleicher Art haben
  76. ergeben, daß die Täter bei Ausführung der Anschläge Mobiltelefone benutzen. Es ist anzunehmen, daß auch im vorliegenden Fall die Mitglieder der
  77. “Autonomen Gruppen” während der Tatausführung untereinander telefonisch
  78. Kontakt gehabt haben, um die zeitgleiche Ausführung der Anschläge zu gewährleisten und um eine Störung durch unbekannte Dritte möglichst auszuschließen.
  79. Nach den Vermerken des Bundeskriminalamts vom 14.03.2001 (dort unter Nr.
  80. 5) und vom 30.3.2001 ist davon auszugehen, daß im Bereich des abgelegenen Tatortes in der vorgenannten Zeit Telekommunikationsverkehr über Mobiltelefone nur in sehr geringem Umfang stattgefunden hat.
  81. - 4 Alle Teilnehmer am Mobilfunkverkehr dieses Bereichs während dieser kommunikationsarmen Zeit kommen deshalb als Tatverdächtige in Betracht. Diese
  82. Annahme ist angesichts des Gewichts des Tatvorwurfs nicht unverhältnismäßig. Da die Erforschung des Sachverhalts und die Ermittlung der Täter auf
  83. andere Weise wesentlich erschwert, wenn nicht sogar aussichtslos wäre, haben die Betreiber der unter 1. genannten Mobilfunknetze gemäß § 12 FAG
  84. Auskunft darüber zu geben, ob und gegebenenfalls mit welchem Mobiltelefon
  85. im Bereich der Ortschaft H.
  86. -R.
  87. in der mutmaßlichen Zeit der
  88. Tatausführung am
  89. zwischen
  90. Uhr Telekommunkationsverkehr stattgefunden hat.
  91. 4.
  92. Auf § 98a StPO kann die Maßnahme dagegen nicht gestützt werden. Es mag
  93. dahinstehen, ob überhaupt ein Datenabgleich im Sinne der Rasterfahndung
  94. mit “personenbezogenen Daten von Personen, die bestimmte, auf den Täter
  95. vermutlich zutreffende Prüfungsmerkmale erfüllen” vorgesehen ist. § 98a
  96. StPO berechtigt jedenfalls nicht zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis.
  97. Dieses umfaßt nicht nur den Inhalt der Telekommunikation, sondern auch deren nähere Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war, sowie Ort, Zeitpunkt und Dauer
  98. der Verbindung und Verbindungsversuche. Die Befugnis der Strafverfolgungsbehörden zur Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs
  99. sind in den §§ 100a, 100b bzw. § 12 FAG aber abschließend geregelt. Die
  100. hier gewünschte Information kann daher aufgrund anderer Eingriffsnormen
  101. nicht erlangt werden.
  102. 5.
  103. Es bestand Gefahr im Verzug (§ 98 b Abs. 1 StPO). Die angeforderten vollständigen Verbindungsdaten werden üblicherweise von den Mobilfunkbetreibern nur 72 Stunden lang gespeichert. Nach Auskunft des Netzbetreibers TMobil vom 15. März 2001 standen die geforderten Daten an diesem Tag noch
  104. zur Verfügung, sollten aber möglicherweise bereits am 16. März 2001 gelöscht werden. Um einem drohenden Verlust wichtiger Beweismittel zu begegnen, war der Generalbundesanwalt berechtigt, im Rahmen der Eilkompetenz eine Anordnung nach § 12 FAG zu treffen.
  105. Hebenstreit
  106. Richter am Bundesgerichtshof