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2023-03-06 15:36:57 +01:00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 197/14
vom
12. März 2015
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
AufenthG § 72 Abs. 4
Nach dem rechtskräftigen Abschluss eines gegen den Ausländer gerichteten
Strafverfahrens bedarf es für die Abschiebung nicht mehr des Einvernehmens der
Staatsanwaltschaft im Sinne von § 72 Abs. 4 AufenthG; aus § 456a StPO ergibt
sich nichts anderes.
BGH, Beschluss vom 12. März 2015 - V ZB 197/14 - LG Stuttgart
AG Nürtingen
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. März 2015 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Roth, die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer
des Landgerichts Stuttgart vom 20. Oktober 2014 wird auf Kosten
des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
5.000 €.
Gründe:
I.
1
Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2009 in
die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde im Jahr 2010 unter
Androhung der Abschiebung abgelehnt. Ab dem 31. Oktober 2012 befand er
sich in Untersuchungshaft und wurde am 9. Januar 2013 rechtskräftig zu einer
Freiheitsstrafe verurteilt. Diese wurde bis zum 7. Mai 2013 vollstreckt und der
Strafrest sodann zur Bewährung ausgesetzt. Der für den 23. August 2013
geplanten Abschiebung entzog sich der Betroffene durch Flucht. Am 6. März
2014
wurde
rücküberstellt.
er
aus
Schweden
an
die
Bundesrepublik
Deutschland
-3-
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 6. März 2014
Sicherungshaft bis zum 15. April 2014 angeordnet. Die Beschwerde, die nach
der
am
9.
April
Rechtswidrigkeit
2014
der
zurückgewiesen.
erfolgten
Inhaftierung
Dagegen
Abschiebung
gerichtet
wendet
sich
auf
Feststellung
ist,
hat
das
der
Betroffene
der
Landgericht
mit
der
Rechtsbeschwerde.
II.
3
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
4
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war der Haftantrag
zulässig. Insbesondere bedurfte es keiner Ausführungen zu dem Einvernehmen
der Staatsanwaltschaft (§ 72 Abs. 4 AufenthG).
5
a) Das gegen den Betroffenen gerichtete Strafverfahren war bereits vor
der Anordnung der Abschiebungshaft mit der rechtskräftigen Verurteilung zu
einer Freiheitsstrafe beendet worden. Da § 72 Abs. 4 AufenthG auf die
Erhebung der öffentlichen Klage und die Einleitung des Ermittlungsverfahrens
Bezug nimmt, ist das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nur bis zu dem
rechtskräftigen
Abschluss
des
Strafverfahrens
erforderlich.
Dies
soll
gewährleisten, dass Strafverfahren abgeschlossen werden können, bei denen
das öffentliche Strafverfolgungsinteresse das Interesse an der sofortigen Aboder Zurückschiebung überwiegt (vgl. Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011
- V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146 Rn. 22).
-4-
6
b) Nach diesem Zeitpunkt bedarf es des Einvernehmens nicht mehr.
Allerdings kann die Staatsanwaltschaft gemäß § 456a StPO - nunmehr
allerdings als Vollstreckungsbehörde (§ 451 StPO) - von der Vollstreckung einer
Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung
und Sicherung unter anderem dann absehen, wenn der Verurteilte aus dem
Bundesgebiet ausgewiesen wird. Dies ist jedoch von dem in § 72 Abs. 4
AufenthG
geregelten
Einvernehmen
zu
unterscheiden.
Während
einer
laufenden Vollstreckung setzt die Abschiebung notwendigerweise voraus, dass
die Vollstreckungsbehörde beteiligt wird und von der weiteren Vollstreckung
absieht. Ungeachtet dessen kann Abschiebungshaft parallel zu der Strafhaft
angeordnet werden, wenn deren formelle und materielle Voraussetzungen
vorliegen (Senat, Beschluss vom 4. Dezember 2014 - V ZB 77/14 Rn. 7 f., juris,
vorgesehen zum Abdruck in BGHZ). Dass die Vollstreckungsbehörde erklärt,
von der weiteren Vollstreckung nicht abzusehen, kann der Anordnung von
Abschiebungshaft nur unter dem Gesichtspunkt der Undurchführbarkeit der
Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate entgegenstehen (vgl. § 62
Abs. 3 Satz 4 AufenthG).
7
c) Wird - wie hier - die Strafhaft im Zeitpunkt der Anordnung der
Abschiebungshaft nicht (mehr) vollstreckt, weil der Strafrest zur Bewährung
ausgesetzt worden ist, oder wird von vornherein eine Bewährungsstrafe
verhängt, muss die Vollstreckungsbehörde ohnehin nicht beteiligt werden, und
zwar auch dann nicht, wenn Gründe für einen Widerruf der Strafaussetzung zur
Bewährung vorliegen. Die gegenteilige Auffassung der Rechtsbeschwerde
findet keine Grundlage im Gesetz.
-5-
8
2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Stresemann
Roth
Weinland
Brückner
Kazele
Vorinstanzen:
AG Nürtingen, Entscheidung vom 06.03.2014 - 511 XIV 229/14 LG Stuttgart, Entscheidung vom 20.10.2014 - 19 T 114/14 -