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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 23/12
Verkündet am:
24. April 2013
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
AVB Rechtsschutzversicherung, hier § 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004
a) Begehrt der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung Deckungsschutz
für die Verfolgung eigener Ansprüche ("Aktivprozess"), richtet sich die Festlegung
des verstoßabhängigen Rechtsschutzfalles i.S. von § 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB
2004 allein nach der von ihm behaupteten Pflichtverletzung seines Anspruchsgegners, auf die er seinen Anspruch stützt (Fortführung der Senatsurteile vom 19. November 2008 - IV ZR 305/07, VersR 2009, 109 Rn. 20-22; vom 28. September 2005 IV ZR 106/04, VersR 2005, 1684 unter I 2 und 3; des Senatsbeschlusses vom
17. Oktober 2007 - IV ZR 37/07, VersR 2008, 113 Rn. 3 und 4 sowie des Senatsurteils vom 19. März 2003 - IV ZR 139/01, VersR 2003, 638 unter 1).
b) Macht der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung geltend, er könne
dem Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages infolge unzureichender Vertragsinformationen noch Jahre später widersprechen und daraus Ansprüche gegen
seinen Lebensversicherer herleiten, liegt dessen maßgeblicher Verstoß im Sinne von
§ 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004 in der Weigerung, das Widerspruchsrecht anzuerkennen, und nicht in der behaupteten mangelnden Information bei Vertragsschluss.
BGH, Urteil vom 24. April 2013 - IV ZR 23/12 - LG Stuttgart
AG Stuttgart
-2-
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat im schriftlichen Verfahren
nach § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 28. März 2013 durch
die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, Lehmann
und die Richterin Dr. Brockmöller
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 4. Z ivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 23. Dezember 2011 aufgehoben und die Berufung der Beklagten
gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 5. Juli
2011 zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Streitwert: 1.676,91 €
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt die Feststellung, der beklagte Rechtsschut zversicherer müsse ihm für eine Auseinandersetzung mit seinem früheren
Lebensversicherer um die Rückzahlung von Versicherungsprämien D eckungsschutz gewähren.
-3-
2
Er unterhielt bei der Beklagten in der Zeit vom 4. August 2005 bis
zum 31. Dezember 2010 eine Rechtsschutzversicherung, welcher die
Allgemeinen Rechtsschutzversicherungsbedingungen 2004 (ARB 2004)
zugrunde lagen. Darin heißt es unter anderem:
"§ 4 Voraussetzung für den Anspruch auf Rechtsschutz
(1) Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt eines
Rechtsschutzfalles
a) im Schadenersatz-Rechtsschutz gemäß § 2 a) …
b) im Beratungs-Rechtsschutz für Familien-, Lebenspartnerschafts- und Erbrecht gemäß § 2 k) …
c) in allen anderen Fällen von dem Zeitpunkt an, in dem
der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften b egangen hat oder begangen haben soll.
Die Voraussetzungen nach a) bis c) müssen nach Beginn des Versicherungsschutzes gemäß § 7 und vor
dessen Beendigung eingetreten sein. …
(2) Erstreckt sich der Rechtsschutzfall über einen Zeitraum,
ist dessen Beginn maßgeblich. Sind für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen mehrere Rechtsschutzfälle
ursächlich, ist der erste entscheidend, wobei jedoch jeder Rechtsschutzfall außer Betracht bleibt, der länger
als ein Jahr vor Beginn des Versicherungsschutzes für
den betroffenen Gegenstand der Versicherung eingetreten oder, soweit sich der Rechtsschutzfall über einen
Zeitraum erstreckt, beendet ist.
-4-
(3) Es besteht kein Rechtsschutz, wenn
a) eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor
Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den Verstoß nach Absatz 1 c) ausgelöst hat; …"
3
Beginnend am 1. Dezember 1995 hatte der Kläger eine Leben sversicherung abgeschlossen, für die er nachfolgend Prämienzahlunge n
in Höhe von insgesamt 2.815,61 € leistete, ehe er das Versicherung sverhältnis durch Kündigung zum 1. September 2006 beendete und vom
Lebensversicherer einen Rückkaufswert in Höhe von 1.747,16 € ausg ezahlt bekam. Mit anwaltlichem Schreiben vom 2. August 2 010 widersprach der Kläger seiner Erklärung über den Abschluss des bereits abgewickelten Lebensversicherungsvertrages und forderte vom Lebensve rsicherer die Rückerstattung sämtlicher Prämienzahlungen.
4
Zeitgleich wandte er sich an die Beklagte mit dem Begehren nach
Deckungsschutz für die - gegebenenfalls auch klageweise - Geltendmachung dieses Rückzahlungsverlangens. Bei Abschluss des Lebensversicherungsvertrages hätten ihm nicht alle für seine Willensbildung maßgeblichen Informationen, insbesondere die Vertragsbedingungen, zur
Verfügung gestanden. Das stelle einen Verstoß gegen Art. 35 Abs. 1, 36
Abs. 1 i.V.m. Anhang III. A. a. 13 der Lebensversicherungsrichtlinie sowie gegen Art. 5 S. 1 und Anhang Nr. 1 lit. i der Klausel-Richtlinie dar mit
der Folge, dass ihm das Widerspruchsrecht unbefristet zustehe (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Senats an den Europäischen Gerichtshof
vom 28. März 2012 - IV ZR 76/11, VersR 2012, 608). Erst durch seine
Ausübung des Widerspruchsrechts habe er den Rechtsschutzfall a usgelöst.
-5-
5
Mit Schreiben vom 10. August 2010 verweigerte der Lebensvers icherer die begehrte Prämienrückzahlung.
6
Die Beklagte hält sich für leistungsfrei, weil der dem Lebensversicherer angelastete Verstoß gegen Rechtspflichten schon bei Abschluss
des Lebensversicherungsvertrages im Jahre 1995 - und mithin vor Beginn des Versicherungsschutzes in der Rechtsschutzversicherung ("vorvertraglich") - geschehen sei und im Übrigen der Lebensversicherer die
Widerspruchsberechtigung des Klägers im Zeitpunkt der Deckungsanfrage noch nicht bestritten gehabt habe.
7
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landgericht hat
sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urtei ls.
Entscheidungsgründe:
8
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
9
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der geltend gemachte Rechtsschutzfall bereits vor Beginn des Versicherungsschutzes eing etreten. Den nach § 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004 für den Eintritt des
Versicherungsfalls maßgeblichen Pflichtenverstoß des Lebensversicherers habe der Kläger im Tatsächlichen auf eine Verletzung europarechtlicher Vorgaben bei Abschluss des Lebensversicherungsvertrages im Ja hre 1995 gestützt. Darin liege die zentrale Begründung seines Rückzahlungsbegehrens und nicht lediglich tatbestandliches Beiwerk ("Kolorit").
-6-
Schon damit sei der Keim für die spätere rechtliche Auseinandersetzung
gelegt worden. Der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung könne nicht beliebig bestimmen, worin der Versicherungsfall liege.
Entscheidend sei hier, dass die nach dem Klägervorbringen bereits 1995
begangene Pflichtverletzung des Lebensversicherers als Tatsachenkern
fortwirke, wie sich daran zeige, dass der Kläger daraus sein fortbestehendes Widerspruchsrecht folgern wolle.
10
Zum Zeitpunkt der Deckungsanfrage des Klägers habe der Lebensversicherer noch nicht erklärt gehabt, dass er die Prämienrückzahlung verweigere. Insoweit scheide die Annahme eines neuen, eigenstä ndigen Rechtsschutzfalles aus. Die inzwischen erklärte Ablehnung des
Lebensversicherers stehe in engem Zusammenhang mit dem vom Kläger
schon bei seiner Deckungsanfrage erhobenen Begehren und stelle de shalb ebenfalls keinen neuen Versicherungsfall dar.
11
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beklagte ist
nach den §§ 1, 2 Buchst. d), 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004 vertraglich verpflichtet, dem Kläger den begehrten Deckungsschutz zu gewähren.
12
1. Anders als das Berufungsgericht angenommen hat, greift der
Vorvertragseinwand der Beklagten nicht durch. Wie der Senat im Urteil
vom 28. September 2005 (IV ZR 106/04, VersR 2005, 1684 unter I 2 und
3) und dem Hinweisbeschluss vom 17. Oktober 2007 (IV ZR 37/07,
VersR 2008, 113 Rn. 3 und 4) dargelegt hat, ist für die Festlegung der
dem Vertragspartner des Versicherungsnehmers vorgeworfenen Pflichtverletzung der Tatsachenvortrag entscheidend, mit dem der Versiche-
-7-
rungsnehmer den Verstoß begründet. Als frühestmöglicher Zeitpunkt
kommt dabei das dem Anspruchsgegner vorgeworfene pflichtwidrige
Verhalten in Betracht, aus dem der Versicherungsnehmer seinen Anspruch herleitet (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Oktober 2007 aaO; Senatsurteil vom 19. März 2003 - IV ZR 139/01, VersR 2003, 638 unter 1
a).
13
2. Das ist hier die Weigerung des Lebensversicherers, das Widerspruchsrecht des Klägers anzuerkennen und ihm die verlangte Differenz
aus Prämienzahlung und Rückkaufswert zurückzuzahlen. Zwar hat der
Kläger - worauf die Revisionserwiderung hinweist - in seinem an die Beklagte gerichteten Deckungsverlangen geltend gemacht, er selbst habe
den Versicherungsfall mit der Ausübung des Widerspruchsrechts gegen
den bereits abgewickelten Lebensversicherungsvertrag ausgelöst; das ist
aber schon deshalb nicht richtig, weil der Kläger seinen Anspruch auf
Prämienrückzahlung nicht auf eigenes pflichtwidriges Verhalten im Sinne
von § 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004, sondern eine Pflichtverletzung
des Lebensversicherers stützen kann (vgl. dazu auch Senatsurteil vom
19. März 2003 aaO).
14
In Wahrheit hat der Kläger sein Begehren nach Rechtsschutz von
vornherein mit dem Vorwurf begründet, der Lebensversicherer bestreite
vertrags- und insbesondere europarechtswidrig seine Berechtigung, dem
Abschluss des Lebensversicherungsvertrages noch zu widersprechen.
Zwar ist diese Weigerung vom Lebensversicherer erst mit dessen
Schreiben vom 10. August 2010 konkret erklärt worden und lag mithin im
Zeitpunkt des an die Beklagte gerichteten ersten Verlangens nach Vers icherungsschutz noch nicht vor. Der Kläger hatte aber - wie sich seinem
Leistungsverlangen entnehmen lässt - mit einer solchen Ablehnung des
-8-
Lebensversicherers fest gerechnet, weil Lebensversicherer häufig so
entschieden, und sie deshalb bereits vorausgesetzt.
15
3. Dieser dem Lebensversicherer angelastete Verstoß liegt in versicherter Zeit.
16
Der Rechtskonflikt war bei Abschluss des Lebensversicherungsvertrages im Jahre 1995 noch nicht im Sinne der vorgenannten Senatsrechtsprechung und des Senatsurteils vom 19. November 2008 (IV ZR
305/07, BGHZ 178, 346 Rn. 20 ff.) vorprogrammiert. Der Kläger verfolgt
einen Bereicherungsanspruch, der erst mit Ausübung seines Wide rspruchsrechts aus § 5a Abs. 1 VVG a.F. entstanden sein kann. Dass der
Lebensversicherer bei Vertragsschluss europarechtliche Vorgaben missachtet und bei Übersendung der Versicherungspolice nicht ordnungsg emäß über das Widerspruchsrecht belehrt hatte, wirft der Kläger ihm nicht
als Pflichtenverstöße vor, die - ähnlich einer Schadensersatzleistung durch eine Ersatzleistung des Versicherers kompensiert werden müssten. Dem Kläger geht es auch nicht darum, nachträglich die Übergabe
der bei Vertragsschluss vermissten Verbraucherinformationen durchz usetzen, er möchte vielmehr den Versicherungsvertrag rückabwickeln (vgl.
dazu Wendt, r+s 2008, 221, 226) und dazu geltend machen, ihm sei das
- wegen Vertragsabschlusses nach dem Policenmodell - gemäß § 5a
Abs. 1 VVG a.F. eröffnete Gestaltungsrecht (Widerspruchsrecht) erhalten
geblieben. Unter Zugrundelegung dieses Vortrages liegt der dem Lebensversicherer angelastete Pflichtenverstoß erst im Bestreiten der
Fortgeltung dieses Widerspruchsrechtes.
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4. Aus den vorgenannten Gründen haben die Umstände des Ve rtragsschlusses im Jahre 1995 den für den Versicherungsfall maßgebl i-
-9-
chen Pflichtenverstoß auch nicht in dem Sinne "ausgelöst", dass bereits
die erste Stufe der Verwirklichung der Gefahr einer rechtlichen Ause inandersetzung erreicht gewesen wäre. Die Beklagte ist deshalb auch
nicht aufgrund des in § 4 (3) Buchst. a) ARB 2004 geregelten Haftungsausschlusses, der keine zusätzliche Definition des Rechtsschutzfalles
enthält (vgl. dazu Senatsurteil vom 28. September 2005 - IV ZR 106/04,
VersR 2005, 1684 unter I 3 e), leistungsfrei (vgl. dazu Senatsbeschluss
vom 17. Oktober 2007 - IV ZR 37/07, VersR 2008, 113 Rn. 4).
Mayen
Wendt
Lehmann
Felsch
Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Stuttgart, Entscheidung vom 05.07.2011 - 11 C 1016/11 LG Stuttgart, Entscheidung vom 23.12.2011 - 4 S 210/11 -