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23 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XI ZR 13/13
  5. Verkündet am:
  6. 5. November 2013
  7. Herrwerth,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. EAEG § 1 Abs. 4
  19. Handelsverluste, die im Rahmen der vertragsgemäßen Anlage von Kundengeldern entstanden sind, sind nicht entschädigungsfähig ("Phoenix").
  20. BGH, Urteil vom 5. November 2013 - XI ZR 13/13 - KG Berlin
  21. LG Berlin
  22. -2-
  23. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  24. vom 5. November 2013 durch den Vorsitzenden Richter Wiechers, die Richter
  25. Dr. Joeres, Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterin Dr. Menges
  26. für Recht erkannt:
  27. Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des 9. Zivilsenats
  28. des Kammergerichts in Berlin vom 23. November 2012 wird zurückgewiesen.
  29. Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Klägerin zu 1) zu
  30. 70% und die Klägerin zu 2) zu 30%.
  31. Von Rechts wegen
  32. Tatbestand:
  33. 1
  34. Die Klägerinnen nehmen die beklagte Entschädigungseinrichtung der
  35. Wertpapierhandelsunternehmen auf Entschädigung nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (im Folgenden: EAEG) in Anspruch.
  36. Zwischen den Parteien steht nur noch im Streit, ob die Beklagte von ihr berechnete Handelsverluste in Abzug bringen durfte.
  37. 2
  38. Die Klägerin zu 1) beteiligte sich im Juli 1995 und August 2004 mit einem
  39. Anlagebetrag von insgesamt 8.590,82 € einschließlich Agio an dem Phoenix
  40. Managed Account (im Folgenden: PMA), einer von der Phoenix Kapitaldienst
  41. GmbH (im Folgenden: P. GmbH) im eigenen Namen und für gemeinsame
  42. -3-
  43. Rechnung der Anleger verwalteten Kollektivanlage, deren Gegenstand nach
  44. Nummer 1.4 der in den Geschäftsbesorgungsvertrag einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Anlage der Kundengelder in "Termingeschäften
  45. (Futures und Optionen) für gemeinsame Rechnung zu Spekulationszwecken
  46. mit Vorrang von Stillhaltergeschäften" war. Das Konto erhielt die Kundennummer D …5.
  47. 3
  48. Im August 1995 beteiligten sich ferner beide Klägerinnen gemeinschaftlich mit einem Anlagebetrag von 5.470,82 € einschließlich Agio an dem PMA
  49. (Kundennummer D …1).
  50. 4
  51. Die P. GmbH war bis Ende 1997 auf dem sogenannten Grauen Kapitalmarkt tätig. Ab dem 1. Januar 1998 wurde sie als Wertpapierhandelsbank eingestuft und der Aufsicht des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel
  52. unterstellt. Bereits ab Mitte 1993 hatte die P. GmbH begonnen, die für den PMA
  53. eingegangenen Verpflichtungen aus den Termingeschäften nicht mehr mit dem
  54. aktuellen Marktwert, sondern mit "Null" zu bewerten, um eingetretene Verluste
  55. zu verschleiern. Ab 1997 legte die P. GmbH nur noch einen geringen Teil der
  56. von ihren Kunden vereinnahmten Gelder vertragsgemäß in Termingeschäften
  57. an. Ein Großteil der Gelder wurde im Wege eines "Schneeballsystems" für Zahlungen an Altanleger und für die laufenden Geschäfts- und Betriebskosten verwendet. Auf diese Weise erhielt auch die Klägerin zu 1) zu dem Konto D …5
  58. Auszahlungen über insgesamt 5.090,34 €. Den Anlegern wurden monatliche
  59. Kontoauszüge übermittelt, die den tatsächlichen Handelsverlauf nicht widerspiegelten.
  60. 5
  61. Im März 2005 untersagte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht der P. GmbH den weiteren Geschäftsbetrieb und stellte am 15. März
  62. -4-
  63. 2005 den Entschädigungsfall fest. Am 1. Juli 2005 wurde über das Vermögen
  64. der P. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.
  65. 6
  66. Die Beklagte ermittelte auf der Grundlage der von ihr überprüften Berechnungen des Insolvenzverwalters ausgehend vom rekonstruierten, tatsächlichen Handelsverlauf des PMA für jeden Anleger den Verlauf und Endstand seiner Anlage. Für die Konten der Klägerinnen ergaben sich so unter Abzug der
  67. Handelsverluste jeweils zum 31. März 2005 für das Konto D …5 ein Endbetrag von 815,27 € und für das Konto D …1 ein Endbetrag von 1.924,83 €.
  68. 7
  69. Mit der Klage verlangen die Klägerinnen von der Beklagten die Zahlung
  70. von 90% ihrer jeweiligen Anlagesumme ohne Agio nebst Rechtshängigkeitszinsen, d.h. die Klägerin zu 1) unter Berücksichtigung der Auszahlungen
  71. 5.021,14 € und die Klägerin zu 2) 2.300,82 €. Sie meinen, dass die Handelsverluste nicht hätten abgezogen werden dürfen.
  72. 8
  73. Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die
  74. Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage der Klägerin zu 1)
  75. nur in Höhe von 1.599,92 € nebst Zinsen und die Klage der Klägerin zu 2) nur in
  76. Höhe von 866,17 € nebst Zinsen für begründet erachtet und sie im Übrigen abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehren die
  77. Klägerinnen die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
  78. Entscheidungsgründe:
  79. 9
  80. Die Revision ist unbegründet.
  81. -5-
  82. I.
  83. 10
  84. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit
  85. für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
  86. 11
  87. Den Klägerinnen stehe gegen die Beklagte ein Entschädigungsanspruch
  88. aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EAEG nur in der zuerkannten Höhe zu. Dieser bemesse sich im Ausgangspunkt zwar nach der Höhe des gegen die P. GmbH
  89. bestehenden Anspruchs aus § 675 Abs. 1, § 667 BGB auf Rückzahlung aller für
  90. den PMA eingezahlten Gelder ohne Agio sowie aller tatsächlich erzielten Gewinne; Verluste aus der Anlage seien aber abzuziehen, soweit diese nicht durch
  91. Unterschlagung oder Veruntreuung entstanden seien. Der Herausgabeanspruch umfasse nicht die Mittel, die in Ausführung des Auftrags - hier: zur Investition in Termingeschäfte - verbraucht worden und nicht mehr vorhanden
  92. seien. Diese Sichtweise stimme mit dem Schutzzweck des Einlagensicherungsund Anlegerentschädigungsgesetzes überein. Danach würden nur solche Ansprüche geschützt, die sich unmittelbar auf die Verschaffung von Rechten, Besitz oder Eigentum an Geldern oder Wertpapieren richteten, wozu auch Ansprüche wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten gehörten, durch die - wie
  93. etwa im Fall der Unterschlagung oder Untreue - die Ansprüche des Kunden auf
  94. die Verschaffung von Rechten, Besitz oder Eigentum an Geldern oder Wertpapieren vereitelt würden. Seien die Kundengelder dagegen vertragsgemäß verwendet worden, könnten derartige Ansprüche nicht beeinträchtigt worden sein,
  95. auch wenn die Anlage zu Verlusten geführt habe.
  96. 12
  97. Danach ergebe sich auf der Grundlage der Berechnung der Beklagten
  98. für die Klägerin zu 1) ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 1.599,92 €,
  99. nämlich jeweils unter Berücksichtigung des 10%-igen Selbstbehalts 733,74 €
  100. aus dem Konto D …5 und 866,18 € aus dem Konto D …1, und für die Klä-
  101. -6-
  102. gerin zu 2) ein solcher in Höhe von 866,17 €. Soweit die Klägerseite die Berechnung der Beklagten in Frage stelle, sei dies unbeachtlich. Die Klägerseite
  103. trage die Darlegungs- und Beweislast für Höhe und Umfang des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs. Hierzu genüge nicht die bloße Darlegung
  104. der einzelnen Ein- und Auszahlungen. Vielmehr müsste sie im Falle des Bestreitens durch die Beklagte die Entwicklung der Anlage mit allen Gewinnen und
  105. Verlusten darlegen und beweisen. Bei der Bestimmung der Handelsverluste
  106. gehe es um die Bestimmung der Höhe der dem Anleger gegenüber dem Institut
  107. zustehenden Forderung und nicht etwa um eine Aufrechnungsforderung des
  108. Instituts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 EAEG, hinsichtlich derer die Beklagte
  109. darlegungs- und beweispflichtig wäre. Etwas anderes ergebe sich auch nicht
  110. aus § 667 BGB, wonach der Auftragnehmer die Darlegungs- und Beweislast für
  111. die Verwendung der erhaltenen Einlagen tragen würde. Diese Beweislastgrundsätze seien auf den Entschädigungsanspruch nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1
  112. EAEG nicht anwendbar, weil es sich dabei um einen selbständigen gesetzlichen Anspruch handele, dessen Voraussetzungen und Umfang eigenständig
  113. geregelt seien. Des Weiteren komme auch eine Beweislastumkehr nicht in Betracht, weil die Beklagte dem Beweis der tatsächlichen Handelsverläufe nicht
  114. näher stehe als die Klägerseite. Die Beklagte treffe allenfalls eine sekundäre
  115. Darlegungslast, der sie vorliegend mit ihren konkreten Berechnungen nachgekommen sei. Diesem Vorbringen sei die Klägerseite nicht genügend entgegengetreten. Dies gelte insbesondere, soweit die Klägerseite in Abrede stelle, dass Handelsverluste durch eine vereinbarungsgemäße Handelstätigkeit der
  116. P. GmbH mit den Mitteln des PMA überhaupt entstanden seien. Substantiierten
  117. Vortrag dazu sei die Klägerseite schuldig geblieben. Im Übrigen beschränke sie
  118. sich auf die Rechtsmeinung, Handelsverluste seien nicht zu berücksichtigen.
  119. Soweit die Klägerseite vorbringe, der Beklagten hätten nicht alle Kontoauszüge
  120. -7-
  121. und Daten vorgelegen, sei dies mangels Benennung konkreter Unterlagen unsubstantiiert.
  122. II.
  123. 13
  124. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Prüfung stand, so dass die
  125. Revision zurückzuweisen ist. Das Berufungsgericht hat bei der Bemessung des
  126. Entschädigungsanspruchs der Klägerinnen aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EAEG zu
  127. Recht die von der Beklagten berechneten Handelsverluste anspruchsmindernd
  128. berücksichtigt.
  129. 14
  130. 1. Die P. GmbH, ein unter anderem mit Finanzkommissionsgeschäften
  131. befasstes Kreditinstitut (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG), war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein der beklagten Entschädigungseinrichtung
  132. zugeordnetes Institut (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EAEG). Den Eintritt des Entschädigungsfalles hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gemäß § 1 Abs. 5, § 5 Abs. 1 EAEG festgestellt.
  133. 15
  134. 2. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei eine Verbindlichkeit der
  135. P. GmbH gegenüber der Klägerseite aus Wertpapiergeschäften bejaht.
  136. 16
  137. a) Zwischen der Klägerseite und der P. GmbH ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten (hier: Derivate, § 1 Abs. 11 Sätze 1 und 4 KWG) im eigenen Namen für
  138. fremde Rechnung geschlossen worden. Dabei handelt es sich - wie der Senat
  139. mit Urteil vom 20. September 2011 (XI ZR 434/10, BGHZ 191, 95 Rn. 15 ff.) im
  140. Einzelnen begründet hat - um Finanzkommissionsgeschäfte im Sinne des § 1
  141. Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG und somit um Wertpapiergeschäfte nach § 1 Abs. 3
  142. EAEG.
  143. -8-
  144. 17
  145. b) Es bestand auch eine Verbindlichkeit der P. GmbH gegenüber der
  146. Klägerseite aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag.
  147. 18
  148. Gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 EAEG in der hier maßgeblichen Fassung des
  149. Gesetzes vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2010; vgl. hierzu Senatsurteil vom
  150. 23. November 2010 - XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327 Rn. 15) sind Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften Verpflichtungen eines Instituts zur Rückzahlung
  151. von Geldern, die Anlegern aus Wertpapiergeschäften geschuldet werden oder
  152. gehören und die für deren Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften gehalten werden. Wie der Senat mit Urteil vom 23. November 2010
  153. (XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327 Rn. 14 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, wird von dieser Vorschrift auch der von der Klägerseite gegen die
  154. P. GmbH geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung der von ihr eingezahlten Gelder, der seine Grundlage in § 675 Abs. 1, § 667 Fall 1 BGB hat, erfasst.
  155. Denn bei den vertragswidrig verwendeten Anlagegeldern handelt es sich um
  156. Gelder, die dem Anleger gehören und für dessen Rechnung im Zusammenhang
  157. mit Wertpapiergeschäften gehalten werden. Das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz bezweckt gerade auch den Schutz des Anlegers
  158. vor solchen Vertragsverletzungen eines Instituts, die den Anspruch des Kunden
  159. auf Rückzahlung der eingezahlten, aber vertragswidrig verwendeten Gelder
  160. vereiteln (Senatsurteil vom 23. November 2010, aaO, Rn. 28).
  161. 19
  162. 3. Entgegen der Auffassung der Revision umfasst der Entschädigungsanspruch - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - nicht die
  163. von der Beklagten berechneten, tatsächlichen Handelsverluste.
  164. 20
  165. Gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 EAEG sind Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften, wie bereits erwähnt, Verpflichtungen eines Instituts auf Rückzahlung von Geldern, die Anlegern aus Wertpapiergeschäften geschuldet werden
  166. -9-
  167. oder gehören und die für deren Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften gehalten werden. Handelsverluste, die aufgrund einer vertragsgemäßen Anlage der Gelder entstanden sind, werden davon nicht erfasst.
  168. 21
  169. a) Dies ergibt sich allerdings, anders als das Berufungsgericht meint,
  170. nicht bereits unmittelbar aus dem - dem Entschädigungsanspruch aus § 3
  171. Abs. 1, § 4 Abs. 1 EAEG zugrundeliegenden - Herausgabeanspruch des einzelnen Anlegers gegen die P. GmbH aus § 675 Abs. 1, § 667 Fall 1 BGB. Danach wird der Beauftragte oder Geschäftsbesorger zwar grundsätzlich von der
  172. Verpflichtung, zur Auftragsausführung erhaltene Gelder wieder zurückzuzahlen,
  173. frei, wenn er diese auftragsgemäß weitergeleitet oder bestimmungsgemäß verbraucht hat (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 1996 - III ZR 205/95, NJW 1997,
  174. 47, 49, vom 4. Oktober 2001 - III ZR 290/00, BGHReport 2002, 71 und vom
  175. 30. Oktober 2003 - III ZR 344/02, WM 2003, 2382, 2383). Dies ist hier aber
  176. nach der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs ausnahmsweise nicht der Fall, weil die Anleger der P. GmbH bzw. dem Insolvenzverwalter über deren Vermögen entgegenhalten können, dass wegen des Vorgehens der P. GmbH, in betrügerischer Weise neue Anleger zu werben und
  177. ihre vertraglichen Verpflichtungen entsprechend ihrer vorgefassten Absicht grob
  178. zu verletzen, ihr Anspruch auf Rückzahlung der Einlage nach dem Grundsatz
  179. von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht um die Verluste aus den wenigen
  180. noch getätigten Anlagegeschäften vermindert werden darf (vgl. BGH, Urteile
  181. vom 9. Dezember 2010 - IX ZR 60/10, WM 2011, 364 Rn. 15, vom 10. Februar
  182. 2011 - IX ZR 18/10, WM 2011, 659 Rn. 14 und vom 22. September 2011
  183. - IX ZR 209/10, WM 2011, 2237 Rn. 19). Dieser Einwand steht der Klägerseite
  184. indes gegenüber der Beklagten - entgegen der Auffassung der Revision - im
  185. Rahmen des Entschädigungsanspruchs aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EAEG nicht
  186. zu.
  187. - 10 -
  188. 22
  189. b) Nach dem Schutzzweck des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes sind im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung
  190. der Anlegergelder tatsächlich angefallene Handelsverluste bei der Bemessung
  191. des Entschädigungsanspruchs aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EAEG zu berücksichtigen.
  192. 23
  193. Nach der Gesetzesbegründung zur bis zum 30. Juni 2002 geltenden
  194. Fassung des § 1 Abs. 4 EAEG sollen in den Schutzbereich der Norm nur solche
  195. Verpflichtungen aus Wertpapiergeschäften fallen, die zu den vertraglichen
  196. Hauptleistungspflichten gehören, nicht dagegen beispielsweise Schadensersatzansprüche aus Beratungsfehlern (BT-Drucks. 13/10188, S. 16). Mit der
  197. Neufassung des § 1 Abs. 4 EAEG durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2010) sollten nach dem Willen des Gesetzgebers im Wesentlichen redaktionelle Unklarheiten des Normtextes beseitigt
  198. werden (vgl. BT-Drucks. 14/8017, S. 69 f.), die den Schutzbereich der Vorschrift
  199. unberührt gelassen, insbesondere nicht erweitert haben. Wenngleich die Unterscheidung zwischen Hauptleistungspflichten und Schadensersatzansprüchen
  200. aus Beratungsfehlern im Hinblick darauf zweifelhaft ist, dass auch die Beratungsleistung eine vertragliche Hauptleistungspflicht darstellen kann, ist das
  201. vom Gesetzgeber verfolgte Ziel klar. Geschützt werden nur solche Ansprüche
  202. des Anlegers, die sich unmittelbar auf die Verschaffung von Rechten, Besitz
  203. oder Eigentum an Geldern oder Wertpapieren richten. Dazu gehören auch Ansprüche wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten, durch die - wie etwa im
  204. Falle der Unterschlagung oder Untreue - die Ansprüche des Kunden auf die
  205. Verschaffung von Rechten, Besitz oder Eigentum an Geldern oder Wertpapieren vereitelt werden (vgl. BGH, Urteile vom 23. November 2010 - XI ZR 26/10,
  206. BGHZ 187, 327 Rn. 24 mwN und vom 25. Oktober 2011 - XI ZR 67/11, WM
  207. 2011, 2219 Rn. 27). Der Ersatz (tatsächlich) entgangenen Gewinns oder der
  208. Ausgleich von Verlusten, die aufgrund einer fehlerhaften Anlagestrategie
  209. - 11 -
  210. entstanden sind, unterfallen daher nicht dem Schutz des Einlagensicherungsund Anlegerentschädigungsgesetzes (Senatsurteil vom 23. November 2010
  211. - XI ZR 26/10, aaO).
  212. 24
  213. Eine solche Eingrenzung des Schutzbereichs ist auch europarechtskonform. § 1 Abs. 4 Satz 1 EAEG beruht auf Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 97/9/EG
  214. des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme
  215. für die Entschädigung der Anleger (ABl. EG 1997 Nr. L 84 S. 22). Dieser bestimmt, dass dem Anleger Gelder zurückzuzahlen sind, die ihm geschuldet
  216. werden oder gehören und für seine Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften gehalten werden. Weiterhin gewährleistet diese Norm, dass
  217. dem Anleger die Finanzinstrumente zurückgegeben werden, die diesem gehören und für seine Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften gehalten, verwahrt oder verwaltet werden. Einen Anspruch des Anlegers auf Ausgleich von Handelsverlusten, die im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung der Anlegergelder entstanden sind, will die Richtlinie - was auch ihr
  218. Erwägungsgrund 8 unterstreicht - nicht gewähren.
  219. 25
  220. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem auch nicht
  221. die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs entgegen, der
  222. im Rahmen eines auf § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO gestützten Rückgewähranspruchs des Insolvenzverwalters über das Vermögen der P. GmbH gegen einen Anleger wegen der an diesen von der P. GmbH geleisteten Auszahlungen Handelsverluste nicht berücksichtigt (vgl. Urteile vom 9. Dezember 2010
  223. - IX ZR 60/10, WM 2011, 364 Rn. 15, vom 10. Februar 2011 - IX ZR 18/10, WM
  224. 2011, 659 Rn. 14 und vom 22. September 2011 - IX ZR 209/10, WM 2011,
  225. 2237 Rn. 19). Insoweit kommt es nämlich darauf an, ob die P. GmbH die Geltendmachung etwaiger Gegenpositionen verwirkt hat, weil der Insolvenzverwalter im Grundsatz voll in die - zivilrechtlich geprägte - Rechtsposition des
  226. - 12 -
  227. Schuldners einrückt. Dies ist dagegen in dem Verhältnis zwischen Entschädigungseinrichtung und Anleger bei der Bestimmung des Umfangs des Entschädigungsanspruchs aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EAEG nicht der Fall. Dieser richtet
  228. sich nach dem - oben umrissenen - Schutzzweck der Anlegerentschädigung,
  229. der eine Entschädigung für tatsächlich erlittene Handels- oder Kursverluste
  230. nicht vorsieht.
  231. 26
  232. c) Das Berufungsgericht hat schließlich - entgegen der Auffassung der
  233. Revision - für die Bemessung der Handelsverluste auch zu Recht die Berechnung der Beklagten zugrundegelegt und das diesbezügliche (einfache) Bestreiten der Klägerseite für nicht ausreichend erachtet.
  234. 27
  235. aa) Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EAEG richtet sich der Entschädigungsanspruch des Anlegers nach Höhe und Umfang der ihm gegenüber bestehenden
  236. Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften unter Berücksichtigung etwaiger
  237. Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechte des Instituts. Die Bemessung des
  238. Entschädigungsanspruchs erfolgt danach in zwei Schritten. Zunächst sind Höhe
  239. und Umfang der Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften festzustellen. Diese umfassen nach § 1 Abs. 4 Satz 1 EAEG die Verpflichtungen des Instituts auf
  240. Rückzahlung von Geldern, die Anlegern aus Wertpapiergeschäften geschuldet
  241. werden oder gehören und die für deren Rechnung im Zusammenhang mit
  242. Wertpapiergeschäften gehalten werden. Sodann sind etwaige Aufrechnungsund Zurückbehaltungsrechte des Instituts zu klären und gegebenenfalls nach
  243. allgemeinen Grundsätzen dem Entschädigungsanspruch gegenüberzustellen.
  244. 28
  245. Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Darlegungs- und Beweislast hat
  246. der Anleger die Höhe des von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruchs darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, während die Entschädigungseinrichtung zu etwaigen Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechten des
  247. - 13 -
  248. Instituts vortragen muss (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 23. November 2010
  249. - XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327 Rn. 32 und vom 25. Oktober 2011 - XI ZR 67/11,
  250. WM 2011, 2219 Rn. 22). Dabei kann sich der Anleger zunächst auf die Darstellung der von ihm erbrachten Einzahlungen (ohne Agio) und der an ihn geleisteten Auszahlungen beschränken. Verlangt er darüber hinaus die Auszahlung
  251. tatsächlich erzielter Gewinne, muss er auch diese darlegen. Dagegen muss er
  252. zu etwaigen Verlusten - soweit deren Entstehung ihm wie hier verschwiegen
  253. worden ist - keinen Vortrag halten. Dies ist dann Sache der Entschädigungseinrichtung, zu deren Aufgaben es nach § 5 Abs. 4 Satz 1 EAEG gehört, die angemeldeten Ansprüche zu prüfen; zu diesem Zweck stehen ihr die in § 5 Abs. 2,
  254. § 9 Abs. 2 EAEG genannten Ermittlungsbefugnisse zu (vgl. hierzu BGH, Urteil
  255. vom 20. September 2011 - XI ZR 434/10, BGHZ 191, 95 Rn. 55 ff.). Hat die
  256. Entschädigungseinrichtung unter Ausschöpfung der ihr zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten die dem einzelnen Anleger zustehende Entschädigungssumme detailliert und nachvollziehbar berechnet, ist es dem Anleger
  257. zwar unbenommen, diese Berechnung anzugreifen. Ihm kommt insoweit aber
  258. gemäß § 138 Abs. 2 ZPO eine gesteigerte Darlegungslast zu, so dass ein bloß
  259. einfaches oder nur pauschal auf das gesamte Rechenwerk bezogenes Bestreiten unbeachtlich ist. Denn die Entschädigungseinrichtung steht gleichermaßen
  260. wie der Anleger außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs und hat zu
  261. Beginn des Entschädigungsverfahrens keine nähere Kenntnis von den maßgebenden Tatsachen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 1989 - XI ZR 59/88, juris
  262. Rn. 23 f. mwN, in WM 1990, 343 nicht abgedruckt). Für eine Zurechnung der
  263. Kenntnis des Instituts fehlt es an einer Rechtsgrundlage; die Entschädigungseinrichtung steht - aus Sicht der Anleger - auch nicht "in dessen Lager". Bei
  264. dieser Sachlage muss der Anleger den nachprüfungsfähigen Vortrag der Entschädigungseinrichtung zur Höhe der Handelsverluste substantiiert bestreiten,
  265. wenn er ihm entgegentreten will.
  266. - 14 -
  267. 29
  268. bb) Nach diesen Maßgaben hat das Berufungsgericht das Bestreiten der
  269. Klägerseite zu Recht als unerheblich angesehen und deshalb der Ermittlung der
  270. Entschädigungshöhe die Berechnung der Beklagten zugrundegelegt.
  271. 30
  272. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat
  273. die Beklagte die gesamte Handelstätigkeit der P. GmbH im Zusammenhang mit
  274. dem PMA aufgeklärt und im Einzelnen nachvollzogen. Hierzu hat sie die Unterlagen des Insolvenzverwalters ausgewertet und sachlich wie rechnerisch überprüft. Auf diese Weise hat die Beklagte Gewinne und Verluste des PMA in den
  275. einzelnen Handelsperioden ermittelt und auf dieser Grundlage die Kontenverläufe der einzelnen Anleger nachgezeichnet. Diese konkreten Berechnungen
  276. hat die Klägerseite nicht substantiiert bestritten. Sie hat insbesondere nicht aufgezeigt, welche konkreten Positionen in den Berechnungen fehlerhaft sein sollen. Im Übrigen hat sich das Berufungsgericht mit den Einwendungen der Klägerseite auseinandergesetzt, ohne dass die Revision insoweit einen Rechtsoder Verfahrensfehler dartut oder ein solcher aus anderen Gründen erkennbar
  277. - 15 -
  278. ist. Die Revision stellt lediglich noch in Frage, dass die vereinnahmten Gelder
  279. vertragsgemäß in Termingeschäfte angelegt worden seien; dieser nur pauschale Vortrag genügt indes den Anforderungen an die der Klägerseite obliegende
  280. gesteigerte Darlegungslast nicht.
  281. Wiechers
  282. Joeres
  283. Maihold
  284. Grüneberg
  285. Menges
  286. Vorinstanzen:
  287. LG Berlin, Entscheidung vom 04.11.2011 - 35 O 106/11 KG Berlin, Entscheidung vom 23.11.2012 - 9 U 118/11 -