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170 lines
10 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. X ZR 29/07
  4. vom
  5. 20. Juli 2010
  6. in der Patentnichtigkeitssache
  7. -2-
  8. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2010 durch den
  9. Vorsitzenden Richter Scharen, den Richter Keukenschrijver, die Richterin
  10. Mühlens und die Richter Gröning und Dr. Grabinski
  11. beschlossen:
  12. Die Anhörungsrüge der Beklagten wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
  13. Gründe:
  14. 1
  15. I. Mit Urteil vom 13. April 2010 hat der Senat auf die Berufung der Klägerin das am 30. November 2006 verkündete Urteil des Bundespatentgerichts
  16. abgeändert und das deutsche Patent 42 03 820 im Umfang seiner Patentansprüche 1 und 2 für nichtig erklärt. Das Urteil wurde den Beklagten am 17. Mai
  17. 2010 zugestellt.
  18. 2
  19. Mit ihrer am 27. Mai 2010 erhobenen Anhörungsrüge machen die Beklagten geltend, die Entscheidung des Senats verletze ihren Anspruch auf
  20. rechtliches Gehör, weil Elemente der Erwägungen, mit denen der Senat die von
  21. den Beklagten hilfsweise verteidigte Fassung des Streitpatents zurückgewiesen
  22. habe, überraschend gewesen seien. Sie seien in der mündlichen Verhandlung
  23. zu erörtern gewesen und zu ihnen sei den Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren gewesen. Der Senat habe die von den Beklagten hilfswei-
  24. -3-
  25. se verteidigte Fassung des Streitpatents, wonach in Patentanspruch 1 das zusätzliche Merkmal aufgenommen worden sei, dass die Schwenklager aller
  26. Stützbeine in Fahrtrichtung hinter dem Mastbock angeordnet seien, mit folgenden Erwägungen zurückgewiesen: a) dem erteilten Patentanspruch 1 sei nur
  27. ein konstruktives Detail hinzugefügt worden, dem kein eigenständiger erfinderischer Gehalt zukomme; b) dies entspreche dem eigenem Vorbringen der Beklagten; c) es sei bereits zum Anmeldezeitpunkt bei fahrbaren Betonpumpen
  28. üblich gewesen, den Mastbock hinter dem Fahrerhaus anzuordnen und d) als
  29. Beispiele für den Stand der Technik zeigten eine solche Anordnung etwa die
  30. deutsche Offenlegungsschrift 38 30 315 (Anlage 4) in Figur 2 sowie der
  31. Prospekt der Fa. Reich "Autobetonpumpen" (Anlage 13, S. 7).
  32. 3
  33. Es treffe zwar zu, dass bei fahrbaren Betonpumpen der Mastbock regelmäßig hinter dem Fahrerhaus angeordnet sei. Darin erschöpfe sich jedoch nicht
  34. die technische Bedeutung des durch den Hilfsantrag zusätzlich aufgenommenen Merkmals. Dass der Mastbock hinter dem Fahrerhaus angeordnet sei, heiße nicht, dass alle Schwenklager hinter dem Mastbock lägen. Dass der Senat
  35. zu dem Ergebnis gelange, dieses Merkmal sei immer dann erfüllt, wenn bei einer fahrbaren Betonpumpe der Mastbock hinter dem Fahrerhaus angeordnet
  36. sei, werde seinem Wortsinn nicht gerecht und sei überraschend. Der wiedergegebene Stand der Technik zeige das im Hilfsantrag zusätzlich hinzugekommene Merkmal nicht. Dies sei auch nicht erörtert worden.
  37. 4
  38. Auch der Beurteilungsgegenstand und -maßstab hätte erörtert werden
  39. müssen. Statt die Prüfung der Rechtsfrage, ob der Gegenstand einer Erfindung
  40. am Prioritätstag durch den Stand der Technik nahegelegt gewesen sei, anhand
  41. der Gesamtheit der Lösungsmerkmale der Erfindung in ihrem technischen Zusammenhang vorzunehmen, habe der Senat die Frage aufgeworfen, ob dem im
  42. Hilfsantrag zusätzlich aufgenommenen Merkmal ein eigenständiger erfinderi-
  43. -4-
  44. scher Gehalt zukomme. Dies sei als mit der bisherigen Rechtsprechung des
  45. Bundesgerichtshofs unvereinbar anzusehen.
  46. 5
  47. Die Beklagten beantragen, das Berufungsverfahren fortzuführen und
  48. über die von den Beklagten hilfsweise verteidigte Fassung des Streitpatents zu
  49. verhandeln.
  50. 6
  51. Der Klägerin ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Sie
  52. widerspricht dem Vortrag der Beklagten, das rechtliche Gehör sei hinsichtlich
  53. des mit den Parteien erörterten Hilfsantrags nicht gewahrt worden, und beantragt, die Anhörungsrüge kostenpflichtig zurückzuweisen.
  54. 7
  55. II. Die statthafte (§ 122 a PatG, § 321 a Abs. 2-5 ZPO) und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Sie könnte nur dann Erfolg haben, wenn der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden wäre. Daran fehlt es.
  56. 8
  57. 1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind
  58. die Gerichte verpflichtet, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis
  59. zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll
  60. sicherstellen, dass die von den Gerichten zu treffenden Entscheidungen frei von
  61. Verfahrensfehlern ergehen, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BVerfGE
  62. 60, 250, 252; 69, 141, 142 f.; BVerfG NJW-RR 2004, 1150, 1151).
  63. 9
  64. 2. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten ist der Hilfsantrag in der
  65. mündlichen Verhandlung gegen Ende der Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen mit den Parteien erörtert worden. Erkennbarer Sinn dieser Erörterung
  66. war - wie bei der hauptsächlichen Verteidigung des Streitpatents - die Klärung
  67. des erfinderischen Gehalts der insoweit verteidigten Merkmalskombination und
  68. -5-
  69. damit auch, ob dieser durch das hinzugefügte Merkmal ein solcher Gehalt zukommt. Einen solchen hat die Beklagte gleichwohl auch im Rahmen dieser Erörterung nicht reklamiert.
  70. 10
  71. Darüber hinaus ist das mit dem Hilfsantrag aus dem erteilten Unteranspruch 3 in den Patentanspruch 1 übernommene Merkmal, dass die Schwenklager aller Stützbeine in Fahrtrichtung hinter dem Mastbock angeordnet sind,
  72. zuvor schon Thema der Verhandlung gewesen, wie auch den Entscheidungsgründen des Urteils vom 13. April 2010 zu entnehmen ist. Bereits in seinen Eingangsausführungen hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten dieses
  73. durch den Hilfsantrag aufgegriffene zusätzliche Merkmal schon im Hinblick auf
  74. die Auslegung des Merkmals e des Patentanspruchs 1 angesprochen, wonach
  75. die Schwenklager der vorderen Stützbeine in unmittelbarer Nähe der Schwenklager für die hinteren Stützbeine angeordnet sind. Der Senat hat sich in den
  76. Entscheidungsgründen mit diesen Ausführungen wie folgt auseinandergesetzt
  77. (Urteil S. 9 Tz. 16):
  78. "Soweit die Beklagten ausgeführt haben, dass mit dem Merkmal der 'unmittelbaren Nähe' auch jene Positionierung des Mastbocks hinter dem
  79. Fahrerhaus in einem Zusammenhang stehe, wie sie von Patenanspruch 3
  80. in der erteilten Fassung des Streitpatents erfasst ist und mit dem Hilfsantrag aufgegriffen wird, ist weder aus der Streitpatentschrift ersichtlich noch
  81. von den Beklagten nachvollziehbar dargelegt worden, weshalb die vorgenannte bei Betonpumpen dem Stand der Technik entsprechende Platzierung des Mastbocks erst durch die vorgeschlagene Anordnung der
  82. Schwenklager ermöglicht wird. Wie gerade die Offenlegungsschrift
  83. 31 24 029 (Anlage 3) in Figur 2 zeigt, findet sich für einen hinter dem Fahrerhaus angeordneten Mastbock auch bei einer dort ebenfalls erfolgenden
  84. Anlenkung der vorderen Stützbeine hinreichend Platz. (…)."
  85. 11
  86. Des Weiteren hat in der Berufungsverhandlung die Anordnung der
  87. Schwenklager hinter dem Mastbock entsprechend der hilfsweisen Fassung des
  88. Patentanspruchs 1 auch im Zusammenhang mit den Entgegenhaltungen aus
  89. dem Stand der Technik bei den Mobilkranen eine Rolle gespielt, was ebenfalls
  90. -6-
  91. in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 13. April 2010 Niederschlag gefunden hat. Dort heißt es u.a. (Urteil S.18 Tz. 35):
  92. "Die Beklagten machen gegenüber einer Berücksichtigung der Stützvorrichtungen bei Mobilkrane geltend, dass bei den im Streitfall entgegengehaltenen Konstruktionen der Mastbock für den Kranausleger jeweils zentral in dem durch die vier Schwenklager gebildeten Abstützviereck liegt
  93. und sich die Schwenklager für die vorderen Stützbeine daher nicht in unmittelbarer Nähe der Schwenklager für die hinteren Stützbeine befinden.
  94. (…)."
  95. 12
  96. 3. Soweit die Beklagten meinen, dass sich aus den Entscheidungsgründen zur hilfsweise verteidigten Fassung des Patentanspruchs 1 ergebe, dass
  97. der Senat die technische Bedeutung des aus Unteranspruch 3 übernommenen
  98. Merkmals darauf reduziere, dass der Mastbock hinter dem Fahrerhaus angeordnet sei, unterliegen die Beklagten offensichtlich einem Fehlverständnis:
  99. Ausweislich der Entscheidungsgründe in Tz. 28 des Senatsurteils folgt aus den
  100. Merkmalen c und e des Patentanspruchs 1, dass die Schwenklager nah zueinander etwa in Fahrgestellmitte angelenkt sind. Diese schon durch Patentanspruch 1 vorgegebene Positionierung der Schwenklager wird durch das zusätzliche Merkmal aus Unteranspruch 3 nur um die Zuordnung des Mastbocks ergänzt, der so zu platzieren ist, dass die Schwenklager in Fahrtrichtung hinter
  101. diesem angeordnet sein sollen. Dies führt zu der mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörterten Anordnung des Mastbocks hinter dem Fahrerhaus. Eine solche Anordnung des Mastbocks ist allerdings durch das in den
  102. Entscheidungsgründen angeführte Material aus dem Stand der Technik bekannt gewesen, wie auch die Beklagten nicht in Abrede stellen.
  103. 13
  104. 4. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Senat bei der Entscheidung über den Hilfsantrag auch nicht von seiner bisherigen Rechtsprechung
  105. abgewichen, wonach die Prüfung einer erfinderischen Tätigkeit anhand der Gesamtheit der Lösungsmerkmale der Erfindung in ihrem technischen Zusammenhang vorzunehmen ist. Mit der durch die Anhörungsrüge angegriffenen
  106. -7-
  107. Formulierung, dass das im Hilfsantrag zusätzlich aufgenommene Merkmal dem
  108. erteilten Patentanspruch 1 ein konstruktives Detail hinzufügt, wird auch auf die
  109. Merkmale des Patentanspruchs 1 Bezug genommen. Dass es im Streitfall Anlass gegeben hätte, neben der negativen Einschätzung des erfinderischen Gehalts des zusätzlichen Merkmals unter Hinweis auf die Darlegungen zur hauptsächlich verteidigten Fassung noch ausdrücklich anzugeben, dass daher auch
  110. die hilfsweise Kombination nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhend angesehen werde, tragen die Beklagten selbst nicht vor. In derartigen Konstellationen
  111. hat der Senat auch schon bisher in den Entscheidungsgründen seiner Urteile
  112. die vorgenommene Prüfung eines erfinderischen Gehalts von hilfsweise verteidigten Patentansprüchen oder von Unteransprüchen als solchen durch Ausführungen zusammengefasst, die sich nur auf das zusätzlich zu der zuvor bereits
  113. bewerteten technischen Lehre hinzutretende Merkmal beschränkt haben (vgl.
  114. zuletzt etwa Urt. v. 17.11.2009 - X ZR 49/08; Urt. v. 12.01.2010 - X ZR 139/05;
  115. Urt. v. 9.2.2010 - X ZR 55/06; Urt. v. 23.03.2010 - X ZR 3/09).
  116. -8-
  117. 14
  118. III. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. Kostenverzeichnis Nr. 1700 zum GKG.
  119. Scharen
  120. Keukenschrijver
  121. Gröning
  122. Mühlens
  123. Grabinski
  124. Vorinstanz:
  125. Bundespatentgericht, Entscheidung vom 30.11.2006 - 3 Ni 42/05 -