Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

142 lines
6.8 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VII ZR 59/12
  4. vom
  5. 31. Juli 2013
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Juli 2013 durch den
  9. Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, die Richterin Safari Chabestari, die
  10. Richter Halfmeier, Dr. Kartzke und Prof. Dr. Jurgeleit
  11. beschlossen:
  12. Der Beschwerde der Beklagten zu 2 wird stattgegeben.
  13. Das Urteil des 9. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in
  14. Jena vom 23. Januar 2012 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten zu 2 erkannt ist.
  15. Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens
  16. der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  17. Gegenstandswert der Nichtzulassungsbeschwerde: 69.272,66 €
  18. Gründe:
  19. I.
  20. 1
  21. Die Klägerin ließ in den Jahren 2004 bis 2006 den Autobahnzubringer
  22. S.-Zentrum planen und ausführen. Die Klägerin beauftragte die Beklagte zu 1
  23. mit der Ausführungsplanung und der Vorbereitung der Vergabe nach § 55
  24. Abs. 1 Nr. 5 und 6 HOAI für Ver- und Entsorgungsmedien. Des Weiteren beauf-
  25. -3-
  26. tragte die Klägerin die Beklagte zu 2 bezüglich der Verkehrsanlagen "Autobahnzubringer L. - städtischer Teil" mit der Ausführungsplanung und Vergabevorbereitung nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 und 6 HOAI.
  27. 2
  28. Im Verlauf der Ausführung des Werks stellte sich heraus, dass der Heizleitungskanal 6 cm über die Straßenoberfläche herausragte. Er musste deshalb
  29. tiefergelegt werden, weshalb die Klägerin die Beklagten als Gesamtschuldner
  30. auf Zahlung von 69.272,66 € in Anspruch nimmt.
  31. 3
  32. Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Gegen dieses Urteil haben beide Beklagte Berufung eingelegt. Die Beklagte zu 1 hat beantragt, ihre Verpflichtung zum Schadensersatz um einen mit
  33. 20 % angesetzten Mitverschuldensanteil der Klägerin zu reduzieren. Die Beklagte zu 2 hat vollständige Klageabweisung begehrt.
  34. 4
  35. Das Berufungsgericht hat beide Berufungen zurückgewiesen und die
  36. Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beklagte zu 2 mit der
  37. Nichtzulassungsbeschwerde. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist
  38. allein die Frage, ob die Klägerin sich ein Mitverschulden zurechnen lassen
  39. muss.
  40. II.
  41. 5
  42. Soweit zum Nachteil der Beklagten zu 2 entschieden worden ist, ist das
  43. Berufungsurteil aufzuheben, weil es auf einer Verletzung des Anspruchs auf
  44. rechtliches Gehör beruht.
  45. 6
  46. 1. Das Berufungsgericht hat zu einem Mitverschulden der Klägerin ausgeführt:
  47. -4-
  48. 7
  49. Ein Mitverschulden der Klägerin wäre denkbar, wenn sie eine ihr gegenüber den Beklagten bestehende Obliegenheit zur Koordinierung der mit der
  50. Planung des Bauwerks verbundenen Gewerke verletzt hätte. Dass eine solche
  51. Koordinierungsobliegenheit des Bauherrn grundsätzlich bestehe, sei unstreitig.
  52. Das Berufungsgericht sei jedoch der Auffassung, dass die Klägerin ihre Koordinierungsobliegenheit im hinreichenden Umfang wahrgenommen habe. Ein anspruchskürzendes Mitverschulden der Klägerin käme in Betracht, wenn die Klägerin das Schreiben der Beklagten zu 2 vom 8. Juli 2005 an die Beklagte zu 1,
  53. in welchem auf fehlende Planungsunterlagen hingewiesen worden sei, missachtet habe. Es stehe jedoch nicht fest, dass die Klägerin dieses Schreiben vor
  54. der Durchführung der Bauarbeiten zur Kenntnis erhalten habe.
  55. 8
  56. Allerdings habe die Klägerin erst in zweiter Instanz bestritten, dass ihr
  57. das an die Beklagte zu 1 gerichtete Schreiben vom 8. Juli 2005 zugegangen
  58. sei. Dieses Bestreiten sei jedoch prozessual nicht als verspätet anzusehen, da
  59. es für das Landgericht auf die Frage des Zugangs dieses Schreibens offensichtlich nicht angekommen sei.
  60. 9
  61. Soweit die Beklagte zu 2 in ihrem zweitinstanzlichen Schriftsatz vom
  62. 5. Dezember 2011 behaupte, der Inhalt des Schreibens vom 8. Juli 2005 sei
  63. bereits im Vorfeld dieses Schreibens in mehreren Baubesprechungen mit Vertretern der Klägerin erörtert worden, könne sie mit diesem unter Beweis gestellten Vorbringen nicht gehört werden. Abgesehen davon, dass der Vortrag so
  64. allgemein und unpräzise gehalten sei, dass er einer Beweisaufnahme nicht zugänglich gemacht werden könne, sei er jedenfalls gemäß § 531 Abs. 2 ZPO im
  65. Berufungsverfahren nicht mehr zuzulassen. Es handele sich um neues Vorbringen. Es sei auch nicht ersichtlich, warum die Beklagte zu 2 diesen Vortrag nicht
  66. bereits in erster Instanz hätte halten können. Da bereits erstinstanzlich die Frage des Mitverschuldens der Klägerin bei der Entstehung des Schadens thema-
  67. -5-
  68. tisiert worden sei, wäre die Beklagte zu 2 gehalten gewesen, bereits vor dem
  69. Landgericht sämtliche Aspekte in den Prozess einzuführen.
  70. 10
  71. 2. Das Berufungsgericht hat gegen den Anspruch der Beklagten zu 2 auf
  72. Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, verstoßen. Die Übergehung des Vortrags und der Beweisangebote der Beklagten zu 2 im Schriftsatz
  73. vom 5. Dezember 2011 findet im Prozessrecht keine Stütze (vgl. BVerfG, NJW
  74. 2005, 1487; BGH, Beschluss vom 15. Februar 2011 - VI ZR 190/10, VersR
  75. 2011, 817).
  76. 11
  77. a) Der Vortrag der Beklagten zu 2 im Schriftsatz vom 5. Dezember 2011
  78. ist nicht unsubstantiiert. Eine Partei genügt ihrer Darlegungslast bereits, wenn
  79. sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind,
  80. das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen, so kann der Vortrag
  81. weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (BGH, Beschluss vom
  82. 2. Juni 2008 - II ZR 121/07, NJW-RR 2008, 1311). Der Vortrag der Beklagten
  83. zu 2, in Baubesprechungen vor dem 8. Juli 2005 sei die nicht funktionierende
  84. Zusammenarbeit Gegenstand der Gespräche gewesen, genügt, eine Verletzung der Obliegenheit der Klägerin anzunehmen, für die Koordinierung der verschiedenen Planer Sorge zu tragen.
  85. 12
  86. b) Der Vortrag im Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 konnte nicht nach
  87. § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen werden. Wenn das Berufungsgericht davon
  88. ausgeht, dass die Klägerin noch in zweiter Instanz den Zugang einer Kopie des
  89. Schreibens vom 8. Juli 2005 bestreiten durfte, weil es dem Landgericht auf diesem Gesichtspunkt nicht ankam (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), so kann für
  90. die Beklagte zu 2 nichts anderes gelten. Zudem liegen die Voraussetzungen
  91. des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO vor. Die Beklagte zu 2 musste in erster In-
  92. -6-
  93. stanz Näheres nicht vortragen, da ihr Vortrag, die Klägerin habe eine Kopie des
  94. Schreibens vom 8. Juli 2005 erhalten, unstreitig geblieben war.
  95. 13
  96. c) Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach einer Beweisaufnahme zu
  97. dem Ergebnis gelangt, die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden zurechnen
  98. lassen.
  99. Kniffka
  100. Safari Chabestari
  101. Kartzke
  102. Halfmeier
  103. Jurgeleit
  104. Vorinstanzen:
  105. LG Meiningen, Entscheidung vom 02.12.2010 - 1 O 115/10 OLG Jena, Entscheidung vom 23.01.2012 - 9 U 18/11 -