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8.4 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VII ZR 216/08
  4. vom
  5. 23. März 2011
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. VOB/B § 2 Nr. 3; BGB § 313
  14. a) Ein Rückgriff auf die gesetzlichen Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt grundsätzlich nicht in Betracht, soweit eine vertragliche Regelung
  15. wie § 2 Nr. 3 VOB/B (jetzt: § 2 Abs. 3 VOB/B) vorliegt.
  16. b) Die Anwendung der gesetzlichen Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage ist jedoch möglich, wenn die Parteien einer Einheitspreisvereinbarung ausnahmsweise eine bestimmte Menge zugrundegelegt haben und diese Menge
  17. überschritten wird.
  18. BGH, Beschluss vom 23. März 2011 - VII ZR 216/08 - OLG Schleswig
  19. LG Kiel
  20. -2-
  21. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. März 2011 durch den
  22. Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Bauner, Dr. Eick,
  23. Halfmeier und Prof. Leupertz
  24. beschlossen:
  25. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
  26. Revision in dem Urteil des 17. Zivilsenats des SchleswigHolsteinischen
  27. Oberlandesgerichts
  28. in
  29. Schleswig
  30. vom
  31. 10. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
  32. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
  33. (§ 97 Abs. 1 ZPO).
  34. Gegenstandswert: 588.415,05 €
  35. Gründe:
  36. 1
  37. 1. Die Beklagte beauftragte die Klägerin im Zusammenhang mit der Erneuerung einer Bundesautobahn mit Bauleistungen. Unter anderem war eine
  38. Menge von fünf Tonnen zu entsorgender Abfälle (Abfall, Busch, Hecken- und
  39. Schnittgut) ausgeschrieben. Die Klägerin hatte nach ihrer Behauptung auf der
  40. Grundlage eines Nachunternehmerangebots einen Einheitspreis von 2.413 €/t
  41. angeboten und den Zuschlag erhalten. Sie beauftragte einen Nachunternehmer
  42. mit dieser Leistung zu einem Einheitspreis von 62,10 €/t. Die Klägerin macht
  43. geltend, die tatsächliche Menge sei ca. 610 t. Nachdem ihr gekündigt worden
  44. -3-
  45. war, verlangt sie in diesem Prozess für eine geleistete Menge von 265,14 t einen
  46. Einheitspreis von 2.413,25 € unter Abzug von eingesparten Kosten von
  47. 116,82 €/t für 259,64 t. In einem weiteren Prozess verlangt sie mit der Behauptung, die Kündigung sei zu Unrecht erfolgt und es wären weitere 345 t zu entsorgen gewesen, Zahlung von 768.404,13 €.
  48. 2
  49. Das Berufungsgericht hat für 5,5 t den Einheitspreis von 2.413 €/t und für
  50. weitere 9,5 t einen unter Berücksichtigung der Vergütungsregelung des § 2 Nr. 3
  51. VOB/B errechneten Einheitspreis von 2.296,43 € zuerkannt.
  52. 3
  53. Für die restliche Menge von 250,14 t hat es wegen schwerwiegender Störung der Geschäftsgrundlage nach Maßgabe der Regelung des § 313 BGB unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben einen Preis von
  54. 275,35 €/t festgesetzt. Bei Abgabe des Angebots und Erteilung des Zuschlags
  55. seien die Parteien ersichtlich davon ausgegangen, dass zum einen der ausgeschriebene Vordersatz von fünf Tonnen jedenfalls annähernd den zu erwartenden Massen entsprochen habe und zum anderen der angebotene Einheitspreis
  56. von 2.413,25 €/t auf einem realistisch kalkulierten Angebot beruht habe. Keine
  57. Partei habe zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit einer derart weitgehenden und
  58. in ihrem Ausmaß schwerwiegenden Abweichung von Massen und Nachunternehmerpreis vorausgesehen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
  59. 4
  60. 2. Die Beschwerde ist unbegründet.
  61. 5
  62. a) Zu Unrecht sieht die Beschwerde in der Entscheidung des Berufungsgerichts eine Abweichung von der Rechtsprechung des Senats (BGH, Urteil vom
  63. 20. März 1969 - VII ZR 29/67, WM 1969, 1019; Urteil vom 18. Dezember 2008
  64. - VII ZR 201/06, BGHZ 179, 213), von Entscheidungen des Kammergerichts
  65. (BauR 2001, 1591) und des Oberlandesgerichts Naumburg (BauR 2006, 1305)
  66. und der herrschenden Literaturmeinung.
  67. -4-
  68. 6
  69. aa) Nach der Rechtsprechung des Senats enthält § 2 Nr. 3 VOB/B (jetzt
  70. § 2 Abs. 3) bei einem VOB-Vertrag eine abschließende Regelung für die Überschreitung der Massenansätze über 10 % hinaus. Die Regelung ist nicht auf eine bestimmte prozentuale Überschreitung beschränkt. Auf die Grundsätze über
  71. den Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, kann daneben nicht zurückgegriffen werden. Denn die Frage der Preisgestaltung bei Massenüberschreitungen ist vertraglich geregelt (BGH, Urteil vom 20. März 1969 - VII ZR 29/67,
  72. WM 1969, 1019; Urteil vom 18. Dezember 2008 - VII ZR 201/06, BGHZ 179, 213
  73. Rn. 36).
  74. 7
  75. bb) Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich nicht, dass eine Veränderung
  76. des Einheitspreises nicht stattfinden kann, wenn eine bestimmte Menge zur Geschäftsgrundlage des Vertrages erhoben worden ist und wegen der Überschreitung dieser Menge ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegt. Es ist möglich,
  77. dass Geschäftsgrundlage einer Einheitspreisvereinbarung ist, dass eine bestimmte Menge nicht überschritten wird. Allerdings ist dem Einheitspreis die
  78. Möglichkeit einer Mengenänderung immanent, so dass grundsätzlich kein Grund
  79. für die Annahme besteht, eine bestimmte Menge sei zur Geschäftsgrundlage
  80. des Vertrages geworden. Bei einer außergewöhnlichen Preisbildung, wie sie hier
  81. vorliegt, ist dies jedoch denkbar, weil die darin angelegte Störung des Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sich bei erheblichen Mengenänderungen in viel stärkerem Maße auswirkt. Einen solchen Fall hat das Berufungsgericht angenommen.
  82. 8
  83. Dieser Fall ist von der von der Nichtzulassungsbeschwerde erwähnten
  84. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht erfasst. Diese zieht vielmehr den
  85. allgemein gültigen Grundsatz heran, dass ein Rückgriff auf die gesetzlichen Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht kommt, soweit
  86. eine vertragliche Regelung vorliegt. Insoweit kommt es auf die prozentuale
  87. Mengenüberschreitung nicht an und sind die Vergütungsregelungen des
  88. -5-
  89. § 2 Nr. 3 VOB/B abschließend, so dass die Anwendung des § 313 BGB nicht
  90. möglich ist. Mit ihr ist nicht der gesetzlich nunmehr niedergelegte Grundsatz in
  91. Frage gestellt, dass einer Preisvereinbarung eine Geschäftsgrundlage zugrunde
  92. liegen kann, bei deren Wegfall der Vertrag unter bestimmten Voraussetzungen
  93. anzupassen ist, § 313 BGB. Dementsprechend ging es in der von der Nichtzulassungsbeschwerde erwähnten Entscheidung des Senats vom 20. März 1969
  94. (VII ZR 29/67, WM 1969, 1019) nicht um einen Fall, in dem ein Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen einer Überschreitung des nach dem Vertrag vorausgesetzten Mengenrahmens angenommen wurde, sondern um die Frage, ob die
  95. Umlage der Gemeinkosten ausschließlich nach der Regelung des § 2 Nr. 3
  96. Abs. 2 VOB/B zu erfolgen hat.
  97. cc) Dass die Anwendung des § 313 BGB auf diejenigen Fälle, in denen
  98. 9
  99. die Mengenänderung das von den Parteien gemeinsam vorausgesetzte Maß
  100. überschreitet, nicht ausgeschlossen ist, wird im Übrigen auch in der Literatur so
  101. gesehen (Kapellmann/Schiffers, Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen
  102. beim Bauvertrag, Band 1, 5. Aufl., Rn. 605 ff., 1041 ff.; Nicklisch/Weick, VOB
  103. Teil B,
  104. 3. Aufl.,
  105. §2
  106. Rn. 52;
  107. Leinemann,
  108. VOB/B,
  109. 3. Aufl,
  110. §2
  111. Rn. 76;
  112. Kleine-Möller/Merl, Handbuch des privaten Baurechts, 3. Aufl., § 10 Rn. 422 ff.,
  113. 429; Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 3. Aufl., § 2 VOB/B Rn. 166; Kandel in
  114. BeckOK VOB/B § 2 Nr. 3 [Stand: 2. Mai 2010] Rn. 23b).
  115. 10
  116. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde herangezogenen Entscheidungen des Kammergerichts (BauR 2001, 1591) und des Oberlandesgerichts
  117. Naumburg (BauR 2006, 1305) besagen dazu nichts.
  118. 11
  119. b) Die Feststellung, ob eine bestimmte Menge zur Geschäftsgrundlage
  120. der Preis- und Leistungsvereinbarung erhoben worden und diese weggefallen
  121. ist, die Prüfung der weiteren Voraussetzungen des § 313 BGB und die Anpassung des Vertrages sind Sache des Tatrichters im Einzelfall. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde sich gegen diese Beurteilung richtet, besteht kein Grund
  122. -6-
  123. die Revision zuzulassen, weil die von der Beschwerde dargelegten Zulassungsgründe nicht gegeben sind, § 543 Abs. 2 ZPO.
  124. 12
  125. Die Ablehnung der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf den vorliegenden Sachverhalt (vgl. das Urteil des Senats vom 18. Dezember 2008
  126. - VII ZR 201/06, BGHZ 179, 213) durch das Berufungsgericht beschwert die
  127. Klägerin nicht.
  128. 13
  129. c) Von einer Begründung im Übrigen wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine
  130. Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
  131. Kniffka
  132. Bauner
  133. Halfmeier
  134. Eick
  135. Leupertz
  136. Vorinstanzen:
  137. LG Kiel, Entscheidung vom 08.02.2008 - 9 O 333/05 OLG Schleswig, Entscheidung vom 10.10.2008 - 17 U 6/08 -