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23 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 46/05
  5. Verkündet am:
  6. 28. März 2006
  7. Blum,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 823 Abs. 2 (Bf); GSG § 3 Abs. 1
  19. Der Importeur eines in großer Stückzahl aus China importierten technischen Arbeitsmittels (hier: Tapetenkleistermaschine) ist verpflichtet, das Gerät zu Beginn des
  20. Inverkehrbringens und sodann stichprobenartig darauf zu untersuchen, ob die Beschaffenheit den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. Eine Verletzung dieser Pflicht kann zur Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB führen, wenn es bei der
  21. bestimmungsgemäßen Verwendung des Geräts (hier: Reinigung) zu einem Körperschaden des Verwenders kommt.
  22. -2ZPO §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 Nr. 1, 546
  23. Auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu
  24. überprüfen, ob sie überzeugt. Es darf sich nicht darauf beschränken, die Ermessensausübung der Vorinstanz auf Rechtsfehler zu überprüfen.
  25. BGH, Urteil vom 28. März 2006 - VI ZR 46/05 - LG Bonn
  26. AG Bonn
  27. -3-
  28. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  29. vom 28. März 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll
  30. für Recht erkannt:
  31. Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 10. Februar 2005 wird auf Kosten der Beklagten
  32. zurückgewiesen.
  33. Von Rechts wegen
  34. Tatbestand:
  35. 1
  36. Der Kläger begehrt Ersatz materiellen Schadens und Schmerzensgeld
  37. wegen Schnittverletzungen an der linken Hand, die er sich nach seiner Behauptung beim Reinigen der Kleisterwanne einer bei der Supermarktkette A. S. erworbenen Tapetenkleistermaschine im Mai 2001 zugezogen habe. Die Beklagte
  38. importiert diese Maschinen aus China und vertreibt sie in Deutschland unter der
  39. Marke "K. C.".
  40. 2
  41. Das Amtsgericht hat der Klage hinsichtlich des materiellen Schadens
  42. teilweise stattgegeben und dem Kläger ein Schmerzensgeld von 4.000 € zuerkannt. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die
  43. -4-
  44. Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
  45. Entscheidungsgründe:
  46. I.
  47. 3
  48. Das Berufungsgericht bejaht einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB
  49. i.V.m. § 6 ProdSG. Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Die nach Durchführung
  50. einer Beweisaufnahme vom Amtsgericht getroffene Feststellung, der Kläger
  51. habe sich beim Reinigen der Tapetenkleistermaschine verletzt, sei nicht zu beanstanden. Die Beklagte sei als Quasi-Herstellerin verantwortlich nach § 3
  52. Abs. 1 Satz 2 ProdSG. Sie vertreibe unter der Marke "K. C." die Tapetenkleistermaschine zum Weiterverkauf unter anderem an A. S.. Einen Hinweis auf den
  53. chinesischen Hersteller wiesen die Tapetenkleistermaschine und deren Verpackung nicht auf. Darüber hinaus sei die Herstellerdefinition in § 3 Abs. 1 Satz 3
  54. ProdSG zu berücksichtigen. Danach gelte hilfsweise der Importeur als Hersteller. Der Hersteller verletze ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB,
  55. wenn er gemäß § 4 Abs. 2 ProdSG ein nicht im Sinne des § 6 Abs. 1 ProdSG
  56. sicheres Produkt in den Verkehr gebracht habe. Nach dem Gutachten des
  57. Sachverständigen H. seien die Gratkanten der Kleisterwanne, die nach innen
  58. ragten, messerscharf. Eine Reinigung entsprechend der auf dem Karton aufgedruckten Anleitung alleine durch Ausspülen sei nach den Ausführungen des
  59. Sachverständigen nicht möglich. Rechtswidrigkeit und Verschulden seien zu
  60. bejahen. Der Beklagten sei vorzuwerfen, dass sie sich nicht durch eine eingehende Überprüfung der frei zugänglichen Kanten der Kleisterwanne Gewissheit
  61. über die Sicherheit der Geräte verschafft habe. Auch habe sie es unterlassen,
  62. zusammen mit der Reinigungsanleitung der Kleisterwanne auf der Verpackung
  63. einen Warnhinweis auf die Möglichkeit der Verletzung beim Hineingreifen anzu-
  64. -5-
  65. bringen. Die erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Behauptung der Beklagten, bei der Tapetenkleistermaschine handele es sich um einen "Ausreißer", sei aus prozessualen Gründen unbeachtlich.
  66. II.
  67. 4
  68. Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
  69. 5
  70. 1. Zu Recht weist die Revision allerdings darauf hin, dass für die Beurteilung des Streitfalls nicht das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), sondern das
  71. Gerätesicherheitsgesetz (GSG) einschlägig ist. Das neue Geräte- und Produktsicherheitsgesetz vom 6. Januar 2004 (GPSG), welches die vorgenannten Gesetze außer Kraft gesetzt hat, findet auf den Vorfall aus 2001 noch keine Anwendung. Gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 g ProdSG findet der zweite Abschnitt des
  72. Produktsicherheitsgesetzes über Produktsicherheit - mit Ausnahme der im
  73. Streitfall nicht relevanten Bestimmungen über Warnungen und Rückruf - keine
  74. Anwendung auf Produkte, deren sicherheitsrelevante Beschaffenheit im Gerätesicherheitsgesetz geregelt ist.
  75. 6
  76. So liegt es hier. Das Gerätesicherheitsgesetz gilt für das Inverkehrbringen technischer Arbeitsmittel (§ 1 Abs. 1 GSG). Technische Arbeitsmittel sind
  77. unter anderem verwendungsfertige Arbeitseinrichtungen, vor allem Werkzeuge
  78. und Arbeitsgeräte (§ 2 Abs. 1 GSG). Es muss sich um Einrichtungen handeln,
  79. die zu dem Zweck benutzt werden, Arbeit zu verrichten (vgl. Jeiter/Klindt, Gerätesicherheitsgesetz, 3. Aufl., § 2 Rn. 5 f.). Jedes für die Erzielung eines Arbeitserfolgs einsetzbare und nicht vollkommen ungefährliche Gerät ist ein technisches Arbeitsmittel im Sinne des Gerätesicherheitsgesetzes (Peine, Gerätesicherheitsgesetz, 3. Aufl., §§ 1, 1a, 2 Rn. 14; zur weiteren Eingrenzung derselbe
  80. Rn. 17 ff.; vgl. die Beispiele bei Kullmann in Kullmann/Pfister, Produzentenhaf-
  81. -6-
  82. tung, VI/97, 2450 S. 10). Nach der Absicht des Gesetzgebers sollen alle technischen Geräte erfasst werden, unabhängig davon, wo sie zum Einsatz gelangen:
  83. sei es im Betrieb, im Haushalt oder in einer Dienststelle (Peine, aaO, §§ 1, 1a, 2
  84. Rn. 12).
  85. 7
  86. Dazu zählt auch die von der Beklagten importierte und vertriebene Tapetenkleistermaschine. Eine Ausnahme vom Anwendungsbereich nach § 1 Abs. 2
  87. Nr. 3 GSG liegt nicht vor. Spezialvorschriften für Tapetenkleistermaschinen sind
  88. nicht ersichtlich (vgl. etwa die Beispiele bei Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO,
  89. S. 16 f.).
  90. 8
  91. 2. Das Urteil erweist sich jedoch im Ergebnis als richtig (§ 561 ZPO), da
  92. die Beklagte dem Kläger, der sich nach den verfahrensfehlerfrei getroffenen
  93. Feststellungen bei der Reinigung der Tapetenkleistermaschine verletzt hat, für
  94. die Verletzungsfolgen nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG,
  95. § 847 Abs. 1 BGB a.F. haftet.
  96. 9
  97. a) § 3 Abs. 1 und 3 GSG ist Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2
  98. BGB (Senat, Urteile vom 11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - VersR 1980,
  99. 380, 382 m.w.N. und vom 18. Januar 1983 - VI ZR 270/80 - VersR 1983, 346,
  100. 347; Beschlüsse vom 17. Januar 1984 - VI ZR 35/83 - VersR 1984, 270 und
  101. vom 28. April 1987 - VI ZR 247/86 - VersR 1988, 635, 636; vgl. auch OLG Düsseldorf, VersR 1989, 1158 mit Nichtannahmebeschluss des Senats vom
  102. 7. März 1989 - VI ZR 257/88 -; OLG Bremen, VersR 2004, 207, 208 mit Nichtzulassungsbeschluss des Senats vom 15. Juli 2003 - VI ZR 11/03 -; Kullmann
  103. in Kullmann/Pfister, aaO, S. 3).
  104. 10
  105. b) Die Beklagte hat den äußeren Tatbestand des § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG
  106. erfüllt, weil sie ein technisches Arbeitsmittel in den Verkehr gebracht hat, das
  107. nicht der von der Norm geforderten Beschaffenheit entsprach.
  108. -7-
  109. 11
  110. aa) Die Tapetenkleistermaschine fällt nicht in den Regelungsbereich einer in § 3 Abs. 1 Satz 1 GSG angesprochenen Rechtsverordnung. Die insoweit
  111. in Betracht kommende Neunte Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz
  112. (9. GSGV = Maschinenverordnung; vgl. dort § 1 Abs. 2) gilt nicht für Maschinen,
  113. deren einzige Kraftquelle die unmittelbar angewandte menschliche Arbeitskraft
  114. ist (§ 1 Abs. 5 Nr. 1 der 9. GSGV; vgl. Jeiter/Klindt, aaO, § 3 Rn. 32 f.). Es gilt
  115. also § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG. Danach dürfen technische Arbeitsmittel nur in den
  116. Verkehr gebracht werden, wenn sie nach den allgemein anerkannten Regeln
  117. der Technik sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften so beschaffen sind, dass Benutzer oder Dritte bei ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung gegen Gefahren aller Art für Leben oder Gesundheit soweit geschützt
  118. sind, wie es die Art der bestimmungsgemäßen Verwendung gestattet (vgl. Senat, Urteil vom 11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - aaO).
  119. 12
  120. bb) Die Tapetenkleistermaschine war nicht dementsprechend beschaffen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts sind die nach innen ragenden Gratkanten der Kleisterwanne
  121. messerscharf. Sämtliche Blechkanten sind nicht abgerundet, so dass eine erhöhte Verletzungsgefahr für den Benutzer besteht. Dieser Zustand entspricht
  122. nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik, denn die Blechkanten
  123. sind nach den auf sachverständiger Beratung beruhenden Feststellungen des
  124. Amtsgerichts, die sich das Berufungsgericht zu Eigen macht, bei der Produktion
  125. nach dem Abschneiden der Bleche zu entgraten. Bei dieser Sachlage liegt auch
  126. unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen, die der erkennende Senat
  127. insoweit stellt (vgl. etwa Senat, Urteil vom 11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 aaO; Beschluss vom 17. Januar 1984 - VI ZR 35/83 - aaO; Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 27 f.; Peine, aaO, § 3 Rn. 24 ff.), ein Verstoß gegen die
  128. allgemein anerkannten Regeln der Technik ersichtlich vor.
  129. -8-
  130. 13
  131. cc) Entgegen der Auffassung der Revision scheidet eine Haftung der Beklagten nicht deshalb aus, weil § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG anders als § 6 Abs. 1
  132. ProdSG dem Wortlaut nach nur die bestimmungsgemäße Verwendung erfasst.
  133. 14
  134. (1) Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG ist der gesetzlich gebotene Schutz bei
  135. "bestimmungsgemäßer Verwendung" zu gewährleisten. Bestimmungsgemäße
  136. Verwendung in diesem Sinne ist nach § 2 Abs. 5 GSG die Verwendung, für die
  137. die technischen Arbeitsmittel nach den Angaben derjenigen, die sie in den Verkehr bringen, insbesondere nach ihren Angaben zum Zwecke der Werbung,
  138. geeignet sind (Nr. 1) oder die übliche Verwendung, die sich aus der Bauart und
  139. Ausführung der technischen Arbeitsmittel ergibt (Nr. 2). Demgegenüber stellt
  140. das Produktsicherheitsgesetz nicht allein auf die bestimmungsgemäße Verwendung, sondern in § 6 Abs. 1 ProdSG daneben auf die zu erwartende Verwendung ab. Es wird nicht einheitlich beurteilt, ob es sich hierbei um mehr als
  141. einen sprachlichen Unterschied handelt (vgl. Jeiter/Klindt, aaO, § 3 Rn. 51),
  142. oder ob nicht der Schutzbereich des Gerätesicherheitsgesetzes, auch ohne
  143. dies ausdrücklich zu benennen, eine nahe liegende Fehlanwendung, einen üblichen Fehlgebrauch (Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 7 m.w.N.) oder eine
  144. für den Hersteller vorhersehbare Verwendung erfasst (Jeiter/Klindt, aaO, § 3
  145. Rn. 55 im Hinblick auf EG-Produktsicherheitsrichtlinie 92/59/EWG vgl. aaO § 2
  146. Rn. 53 und § 3 Rn. 47, 49, 52; Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 7; Peine,
  147. aaO, § 3 Rn. 82 [für Spielzeug]).
  148. 15
  149. (2) Diese Frage bedarf im Streitfall keiner Beantwortung. Denn der Unfall
  150. hat sich bei bestimmungsgemäßer Verwendung ereignet. Der Kläger hat die
  151. Maschine entsprechend ihrer Bestimmung zum Einkleistern von Tapeten verwendet. Das Reinigen der Kleisterwanne nach dem Gebrauch ist zur Sicherstellung wiederholter Nutzung unerlässlich und gehört ebenso zum Verwendungsvorgang wie das Einfüllen des Kleisters davor (vgl. auch OLG Frankfurt, VersR
  152. 1977, 1133). Durch den Begriff der bestimmungsgemäßen Verwendung sollen
  153. -9-
  154. die Nutzung zu anderen Zwecken, wie etwa die eines Rasenmähers zum Heckenschneiden, oder offensichtlicher Fehlgebrauch ausgeschlossen werden
  155. (vgl. Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 7; LG Frankfurt, NJW-RR 1986, 658,
  156. 659), nicht aber notwendige Nach- und Vorbereitungshandlungen an technischen Arbeitsmitteln. Diese sind Teil des einheitlichen Verwendungsbegriffs im
  157. Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG.
  158. 16
  159. Auch die auf der Verpackung abgedruckte Reinigungsanleitung nimmt
  160. das Hineingreifen in die Wanne zum Zweck der Reinigung bereits dem Wortsinn nach nicht aus dem Verwendungsbegriff heraus. Sie lautet: "Kleisterreste
  161. ausgießen und die Wanne unter fließendem Wasser reinigen. Kleistermaschine
  162. an der Luft trocknen lassen und im Originalkarton aufbewahren". Eine Beschränkung der Reinigung auf bloßes Ausspülen ohne manuelle Unterstützung
  163. ist hieraus nicht zu entnehmen.
  164. 17
  165. dd) Die Beklagte hat die Tapetenkleistermaschine dadurch in den Verkehr gebracht, dass sie diese aus China importierte und an die Handelskette
  166. A. S. weiterverkaufte, wo sie der Kläger erwarb (§ 3 Abs. 1 Satz 2 GSG). Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 GSG ist Inverkehrbringen jedes Überlassen technischer
  167. Arbeitsmittel an andere. Hierunter fällt die Lieferung des inländischen Importeurs an den inländischen Händler oder Verbraucher (vgl. Senat, Urteil vom
  168. 11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - aaO; BGH, Urteil vom 13. Mai 1981
  169. - VIII ZR 113/80 - NJW 1981, 2640, 2641; Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO,
  170. S. 19 und 23; ders., Produkthaftungsrecht, 5. Aufl., Rn. 318).
  171. 18
  172. ee) Das Berufungsgericht stellt verfahrensfehlerfrei fest, dass sich der
  173. Kläger beim Reinigen der Kleisterwanne verletzt hat. Die Kausalität der Schutzgesetzverletzung für den beim Kläger eingetretenen Körperschaden wird von
  174. der Revision nicht in Frage gestellt.
  175. 19
  176. c) Die Beklagte handelte auch schuldhaft.
  177. - 10 -
  178. 20
  179. aa) Ein Verstoß gegen den objektiven bzw. äußeren Tatbestand des § 3
  180. Abs. 1 Satz 2 GSG begründet in einem Schadensfall noch keine Haftung. Eine
  181. Schadensersatzpflicht besteht für den Produktverantwortlichen nur, wenn ihn
  182. ein Verschulden an dem Gesetzesverstoß trifft (vgl. Senat, Urteil vom
  183. 11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - aaO; Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO,
  184. S. 33; ders., aaO, Rn. 280 f.; Peine, aaO, § 3 Rn. 157). Bei dieser Prüfung ist
  185. zu beachten, dass § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG dem Importeur nicht dieselben Pflichten wie einem Hersteller auferlegt. Jedem Produktverantwortlichen kann nur der
  186. Standard
  187. seines
  188. Berufskreises
  189. abverlangt
  190. werden
  191. (Senat,
  192. Urteil
  193. vom
  194. 11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - aaO; Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO,
  195. S. 34, 35; ders., aaO, Rn. 325, 330; Peine, aaO, § 3 Rn. 159; BT-Drucks.
  196. 12/2693 S. 17, 21).
  197. 21
  198. bb) Die Beklagte, die das von ihr aus China importierte Produkt in hoher
  199. Stückzahl vertreibt, wäre jedenfalls verpflichtet gewesen, die Tapetenkleistermaschinen zu Beginn des Inverkehrbringens und sodann stichprobenartig darauf zu untersuchen, ob die Beschaffenheit den allgemein anerkannten Regeln
  200. der Technik entspricht. Eine dahingehende Überprüfungspflicht des Importeurs
  201. hat der erkennende Senat bereits bejaht (Senat, Urteil vom 11. Dezember 1979
  202. - VI ZR 141/78 - aaO). Sie ist auch in der Literatur anerkannt (Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 35 f.; ders., aaO, Rn. 330 f.; Peine, aaO, § 3 Rn. 159;
  203. Köhler, BB 1985, Beilage 4, 10, 12; Schmidt-Salzer, BB 1980, 445, 446; vgl.
  204. auch BT-Drucks. 12/2693 S. 17, 21). Der Fehler wäre bei pflichtgemäßer Untersuchung ohne weiteres entdeckt worden (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 11. Dezember 1979 - VI ZR 141/78 - aaO).
  205. 22
  206. cc) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht hinsichtlich
  207. der Überprüfungspflicht der Beklagten keine näheren Feststellungen getroffen
  208. hat. Da die Beklagte § 3 Abs. 1 Satz 2 GSG objektiv verletzt hat, spricht eine
  209. Vermutung dafür, dass diese Verletzung des Schutzgesetzes auch schuldhaft
  210. - 11 -
  211. erfolgt ist. Es lag an der Beklagten, Umstände darzulegen und zu beweisen, die
  212. geeignet sind, die Annahme zumindest fahrlässigen Verhaltens auszuräumen
  213. (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Januar 1984 - VI ZR 35/83 - aaO, 271; OLG
  214. München, VersR 1975, 605, 606; Schmidt-Salzer, BB 1980, 445, 446; alle zu
  215. § 3 Abs. 1 GSG; OLG Stuttgart, NJW-RR 1992, 670, 671; Kullmann, aaO,
  216. Rn. 286 zu § 3 Abs. 3 Satz 2 GSG).
  217. 23
  218. dd) Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht davon aus, die Beklagte sei insoweit ihrer Darlegungspflicht nicht nachgekommen.
  219. 24
  220. Welche Prüfungen der Importeur anstellen und in welchem Umfang er
  221. die importierten Geräte untersuchen oder untersuchen lassen muss, ist eine
  222. Frage des Einzelfalls (Kullmann in Kullmann/Pfister, aaO, S. 36; Kullmann,
  223. aaO, Rn. 331; Schmidt-Salzer, BB 1980, 445, 446). Die Häufigkeit der notwendigen Stichproben hängt unter anderem davon ab, ob die importierten Maschinen aus einem Fertigungsvorgang stammen oder nicht. Im letztgenannten Fall
  224. sind häufigere Stichproben erforderlich, um die Entdeckung von Fehlern wahrscheinlich zu machen. Ferner kann den Importeur bei Importen aus dem außereuropäischen Bereich eine besondere Verantwortung treffen (Kollmer, NJW
  225. 1997, 2015, 2017; Schmidt-Salzer, BB 1980, 445, 446).
  226. 25
  227. Die Revision legt nicht dar, dass die Beklagte insoweit erstinstanzlich in
  228. dem erforderlichen Maße vorgetragen habe. Das Berufungsgericht hat insoweit
  229. entgegen der Annahme der Revision auch nicht verfahrensfehlerhaft die Beklagte entlastenden zweitinstanzlichen Sachvortrag übergangen. Es hat ausgeführt, die erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Behauptung der Beklagten, bei der Tapetenkleistermaschine handele es sich um einen "Ausreißer", sei
  230. neu und unsubstantiiert. Es werde nicht vorgetragen, wie viele Stichproben in
  231. Anbetracht der nach Behauptung der Beklagten mehr als zehntausendfach ver-
  232. - 12 -
  233. triebenen Maschinen die Beklagte selbst durchgeführt habe oder habe durchführen lassen.
  234. 26
  235. Das Berufungsgericht hat den zweitinstanzlichen Vortrag der Beklagten
  236. entgegen der Auffassung der Revision zu Recht als neu angesehen und deshalb unberücksichtigt gelassen. Er war sowohl in tatsächlicher Hinsicht als auch
  237. aus rechtlichen Gründen neu im Sinne der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2
  238. ZPO. Die Beklagte hatte im Schriftsatz vom 29. Juli 2004 an das Amtsgericht
  239. lediglich dargelegt, dass die Tapetenkleistermaschine zehntausendfach im EGRaum vertrieben werde. Die Frage eines Ausreißers wird in diesem Zusammenhang nur spekulativ behandelt. Zudem handelte es sich um Vorbringen in
  240. einem nicht nachgelassenen Schriftsatz. Dieses ist in zweiter Instanz neu
  241. (BGH, Urteil vom 2. April 2004 - V ZR 107/03 - NJW 2004, 2382; vgl. Musielak/Huber, ZPO, 4. Aufl., § 296 a Rn. 5 m.w.N.; Musielak/Ball, aaO, § 531
  242. Rn. 14; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 296 a Rn. 3). Die Revision zeigt keine
  243. Gründe auf, die das Amtsgericht hätten veranlassen müssen, die mündliche
  244. Verhandlung wiederzueröffnen. Die Erheblichkeit eines erstmals in einem nicht
  245. nachgelassenen Schriftsatz enthaltenen Vorbringens allein wäre nicht ausreichend (vgl. Musielak/Stadler, aaO, § 156 Rn. 4; Zöller/Greger, aaO, § 156
  246. Rn. 4). Das Amtsgericht war auch nicht verpflichtet, die Beklagte auf zuvor in
  247. ihrem Vortrag nicht andeutungsweise enthaltenes entlastendes Vorbringen hinzuweisen (vgl. BGHZ 156, 269, 270 f.; BGH, Urteil vom 23. November 2005
  248. - VIII ZR 43/05 - NJW 2006, 434, 435; Musielak/Stadler, aaO, § 139 Rn. 5, 7, 9;
  249. Zöller/Greger, aaO, § 139 Rn. 3, 17), so dass auch insoweit kein zwingender
  250. Grund zur Wiedereröffnung bestand (hierzu Zöller/Greger, aaO, § 156 Rn. 3;
  251. § 283 Rn. 5).
  252. 27
  253. Dass die Berücksichtigung der neuen Tatsachen durch das Berufungsgericht hier ausnahmsweise zulässig gewesen sein könnte (§§ 529 Abs. 1 Nr. 2,
  254. 531 Abs. 2 ZPO), legt die Revision nicht dar. Auf ihre im Zusammenhang mit
  255. - 13 -
  256. der vom Berufungsgericht angenommenen fehlenden Substantiierung des Vorbringens erhobenen Rügen kommt es danach nicht mehr an.
  257. 28
  258. 3. Die Revision macht auch ohne Erfolg geltend, das Berufungsgericht
  259. habe sich hinsichtlich der Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes darauf
  260. beschränkt zu prüfen, ob eine Ermessensüberschreitung des Amtsgerichts vorliege. Zwar wäre es fehlerhaft gewesen, wenn sich das Berufungsgericht auf
  261. eine bloße Überprüfung der Ermessensausübung des Amtsgerichts beschränkt
  262. hätte. So sind seine Ausführungen indes nicht zu verstehen.
  263. 29
  264. a) Die Frage, inwieweit das Berufungsgericht nach der Neuregelung des
  265. Rechtsmittelrechts die Bemessung des Schmerzensgeldes durch die Vorinstanz überprüfen kann, wird nicht einheitlich beurteilt. Einerseits wird vertreten,
  266. eine Überprüfung sei auf Rechtsfehler beschränkt. Lägen solche nicht vor, dürfe
  267. die Berufungsinstanz nicht eigenes Ermessen an die Stelle der Bestimmung
  268. durch die Vorinstanz setzen (OLG Braunschweig, VersR 2004, 924, 925; OLG
  269. Karlsruhe, OLGR 2004, 398, 399; OLG Hamm, VersR 2006, 134, 135; vgl. auch
  270. OLG Hamm, VersR 2004, 757; OLG München, NJW 2004, 959). Nach der Gegenmeinung darf und muss das Berufungsgericht ohne Bindung an die Ermessensausübung des erstinstanzlichen Gerichts, allerdings im Rahmen seiner
  271. Bindung an die Tatsachenfeststellungen gemäß § 529 Abs. 1 ZPO, selbst über
  272. die Bemessung des im Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldes befinden
  273. (OLG Brandenburg, VersR 2005, 953, 954).
  274. 30
  275. b) Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Eine Beschränkung der Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts - entsprechend der des Revisionsgerichts - hat der Bundesgerichtshof bereits für den Bereich der Vertragsauslegung abgelehnt (BGHZ 160, 83 ff.) und darauf hingewiesen, dass im Bereich
  276. der rechtlichen Bewertung festgestellter Tatsachen eine Bindung des Berufungsgerichts an eine lediglich mögliche, aber nicht überzeugende Wertung der
  277. - 14 -
  278. Vorinstanz nicht besteht (BGHZ 160, 83, 92). Die insoweit angestellten Erwägungen gelten für die Überprüfung der Schmerzensgeldbemessung in gleicher
  279. Weise (vgl. OLG Brandenburg, aaO; Geisler, jurisPR-BGHZivilR 33/2004 Anm.
  280. 6). Auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts hat das Berufungsgericht die
  281. erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529
  282. ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Hält das Berufungsgericht sie für
  283. zwar vertretbar, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht
  284. für sachlich überzeugend, so darf und muss es nach eigenem Ermessen einen
  285. eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag finden. Das Berufungsgericht darf es nicht dabei belassen zu prüfen, ob die Bemessung
  286. Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen maßgeblichen
  287. Umständen ausreichend auseinandergesetzt und um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (vgl.
  288. Senat BGHZ 138, 388, 391 m.w.N.).
  289. 31
  290. d) Hier hat das Berufungsgericht ausgeführt, das zuerkannte Schmerzensgeld von 4.000 € bewege sich an der oberen Grenze des zuzubilligenden
  291. Rahmens. Eine Abänderung sei jedoch nicht gerechtfertigt, da das Amtsgericht
  292. das ihm eingeräumte Ermessen nicht überschritten habe. Auch wenn dieser
  293. Satz missverständlich sein könnte, lassen die nachfolgenden Ausführungen
  294. erkennen, dass das Berufungsgericht sich selbst mit den für die Schmerzensgeldbemessung maßgebenden Faktoren auseinandergesetzt hat und das vom
  295. Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld als angemessenen Ausgleich für den
  296. immateriellen Schaden des Klägers ansieht. Es heißt nämlich, 4.000 € seien
  297. angesichts der Art der Verletzung, der Dauer der Arbeitsunfähigkeit und des
  298. Dauerschadens vertretbar. Die Sehnen des linken Handgelenks seien ebenso
  299. teilweise durchtrennt gewesen, wie Nerven der Hand. An der Daumenwurzel
  300. des Klägers seien eine sichtbare Narbe sowie Gefühlsminderungen geblieben.
  301. - 15 -
  302. Der Kläger sei vom 19. Mai 2001 bis zum 10. Juni 2001 zu 100 % arbeitsunfähig gewesen.
  303. 32
  304. Diese Ausführungen sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
  305. Müller
  306. Greiner
  307. Pauge
  308. Diederichsen
  309. Zoll
  310. Vorinstanzen:
  311. AG Bonn, Entscheidung vom 19.08.2004 - 3 C 55/04 LG Bonn, Entscheidung vom 10.02.2005 - 6 S 242/04 -