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14 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 268/00
  5. Verkündet am:
  6. 22. Mai 2001
  7. Holmes,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. ZPO §§ 411 Abs. 4 Satz 2, 296 Abs. 1, 286 B, 402, 397
  16. a) Das Gericht muß die Frist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO wegen der damit verbundenen einschneidenden Folgen für die Partei in unmißverständlicher Form
  17. setzen.
  18. b) Einem Antrag der Partei, den gerichtlichen Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens zu laden, muß das Gericht stattgeben, es sei denn
  19. der Antrag ist verspätet oder rechtsmißbräuchlich gestellt worden.
  20. BGH, Urteil vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00 - OLG Zweibrücken
  21. LG Landau in der Pfalz
  22. -2-
  23. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  24. vom 22. Mai 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, die Richter Dr.
  25. Dressler und Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen sowie den Richter Pauge
  26. für Recht erkannt:
  27. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats
  28. des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 13. Juni
  29. 2000 aufgehoben.
  30. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
  31. auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  32. Von Rechts wegen
  33. Tatbestand:
  34. Die Klägerin beansprucht Schadensersatz für die Folgen eines nach einer Operation durch den Beklagten erlittenen Schlaganfalles.
  35. Im Frühjahr 1995 stellte der Beklagte bei der Klägerin durch einen Abstrich eine Präkanzerose an der Gebärmutter fest. Am 21. April 1995 fand deshalb in der Praxis des Beklagten ein Gespräch zwischen den Parteien in Anwesenheit des Ehemannes der Klägerin statt. Der Beklagte entfernte die Gebärmutter der Klägerin am 3. Mai 1995 mittels eines Bauchschnittes. Nach
  36. postoperativen Komplikationen wurde die Klägerin am Morgen des 5. Mai 1995
  37. -3-
  38. gegen 5 Uhr in ihrem Bett in der Pflegeabteilung des Städtischen Krankenhauses in L., in dem der Beklagte Belegarzt war, mit einem Schlaganfall aufgefunden. Sie ist seitdem rechtsseitig gelähmt und auf die Betreuung durch ihren
  39. Ehemann angewiesen. Durch die spätere histologische Untersuchung bestätigte sich der Krebsverdacht nicht.
  40. Die Klägerin behauptet, eine Gebärmutterentfernung mittels eines
  41. Bauchschnittes sei nicht indiziert gewesen. Es hätte eine Konisation ausgereicht, um eine Gewebeprobe für eine histologische Untersuchung zu entnehmen. Bei einem solchen Eingriff mit wesentlich leichterer Narkose hätte sie
  42. höchstwahrscheinlich keinen Schlaganfall erlitten. Sie macht geltend, der Beklagte habe sie unzureichend über die Alternative zur Operation sowie über
  43. deren Risiken aufgeklärt. Sie verlangt Ersatz materiellen und immateriellen
  44. Schadens sowie die Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten für zukünftige Schäden, die aufgrund der ärztlichen Behandlung im Zusammenhang
  45. mit der Operation am 3. Mai 1995 noch entstehen werden.
  46. Die Klage blieb in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg.
  47. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageansprüche weiter.
  48. Entscheidungsgründe:
  49. I.
  50. Das Berufungsgericht ist aufgrund der Vernehmung des Ehemannes der
  51. Klägerin als Zeugen und des Beklagten als Partei der Auffassung, daß die Klä-
  52. -4-
  53. gerin ordnungsgemäß und ausreichend aufgeklärt worden sei. Der Beklagte
  54. habe bei dem Gespräch am 21. April 1995 zur Verdeutlichung seiner Ausführungen eine Skizze erstellt und auf der Patientenkarteikarte "Besprechung des
  55. Befundes, der Vorgehensweise, Konisation oder abd. He; OP 3.5.1995; ..."
  56. eingetragen. Daraus sei zu folgern, daß er über die Konisation als Alternative
  57. zur Operation mit der Klägerin gesprochen habe. Auf Grund des schriftlichen
  58. Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. B. könne auch nicht
  59. von einer fehlenden Indikation für die Bauchoperation vor der Abklärung des
  60. Abstrichbefundes durch eine Gewebeuntersuchung ausgegangen werden. Einer mündlichen Anhörung des Gutachters habe es trotz des Antrages der Klägerin nicht bedurft. In erster Instanz sei dieser zu Recht als verspätet zurückgewiesen worden, weil die Frist zur Antragstellung nicht beachtet worden und
  61. die Anhörung erst zwei Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung
  62. verlangt worden sei. Diese habe im Termin nicht mehr durchgeführt werden
  63. können. Gemäß § 528 Abs. 3 ZPO bleibe die Klägerin deshalb in der Berufungsinstanz mit ihrem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen ausgeschlossen. Eine solche sei auch nicht von Amts wegen geboten. Sowohl die
  64. Beweisfrage als auch der Widerspruch zur abweichenden Auffassung des Gutachters der Schlichtungsstelle Dr. S. seien auf Grund des schriftlichen Gutachtens zur Überzeugung des Gerichts geklärt.
  65. II.
  66. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen sind teilweise begründet und führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
  67. -5-
  68. 1. a) Ohne Erfolg beanstandet die Revision allerdings, daß das Berufungsgericht zum Inhalt des Aufklärungsgespräches mit der Klägerin den Beklagten als Partei von Amts wegen vernommen hat, obwohl Anhaltspunkte für
  69. ein durch die Parteivernehmung zu erwartendes Beweisergebnis gefehlt hätten.
  70. Die Vernehmung der Partei darf zwar nur angeordnet werden, wenn aufgrund einer vorangegangenen Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende
  71. Tatsache spricht. Das hierbei dem Tatrichter eingeräumte Ermessen ist vom
  72. Revisionsgericht darauf überprüfbar, ob es rechtsfehlerhaft ausgeübt worden
  73. ist oder die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung verkannt worden
  74. sind (st.Rspr., BGH Urteile vom 5. Juli 1989 - VIII ZR 334/88 - NJW 1989, 3222
  75. und vom 16. Juli 1998 - I ZR 32/96 - NJW 1999, 363 m.w.N.). Ein Ermessensfehlgebrauch durch das Berufungsgericht ist aber nicht gegeben.
  76. Einen Anhaltspunkt für eine hinreichende Aufklärung hat das Berufungsgericht nämlich mit Recht darin gesehen, daß die Klägerin ein Merkblatt
  77. zum Aufklärungsgespräch unterzeichnet hat (vgl. zur Indizwirkung der formularmäßigen,
  78. schriftlichen
  79. Einwilligungserklärung
  80. Senatsurteile
  81. vom
  82. 29. September 1998 - VI ZR 268/97 - VersR 1999, 190 und vom 8. Januar 1985
  83. - VI ZR 15/83 - VersR 1985, 361). Ein weiteres Indiz wurde berechtigt mit der
  84. vom Zeugen B. bestätigten Dauer des Aufklärungsgespräches von 15 bis 30
  85. Minuten angenommen. Zwar konnte sich der Zeuge B. nicht daran erinnern,
  86. daß dabei über Risiken oder Alternativen der Behandlung gesprochen worden
  87. sei, er bekundete aber, daß ihm der Beklagte auf Nachfrage mögliche Komplikationen erläutert habe. Mit Recht hat sich das Berufungsgericht hierzu ergänzend auf die Einträge des Beklagten auf dem Karteiblatt für die Klägerin und
  88. -6-
  89. die anläßlich des Gespräches am 21. April 1995 gefertigte Skizze gestützt.
  90. Aufgrund dieser Indizien konnte erwartet werden, daß der Beweis durch die
  91. Parteivernehmung des Beklagten geführt werden würde.
  92. Die Anordnung der Vernehmung des Beklagten von Amts wegen war
  93. unter dem weiteren Gesichtspunkt der Chancengleichheit für die Prozeßparteien gerechtfertigt. Für den Inhalt des Aufklärungsgespräches stand der Klägerin
  94. ihr dabei anwesender Ehemann als Zeuge zur Seite. Hingegen war der Beklagte, obwohl beweispflichtig, beweislos (vgl. Senatsurteil vom 14. Januar
  95. 1997 - VI ZR 30/96 - VersR 1997, 451). Diese Einseitigkeit der Beweismöglichkeiten ist im Rahmen des Ermessensgebrauchs nach § 448 ZPO ebenfalls zu
  96. berücksichtigen (vgl. BGH Urteil vom 16. Juli 1998 - I ZR 32/96 - VersR 1999,
  97. 994, 995 m.w.N.).
  98. b) Das Berufungsgericht hat auch die Aussage des Beklagten in unangreifbarer Weise gewürdigt. Es hat sein Beweisergebnis aufgrund einer umfassenden Abwägung der Bekundungen des Zeugen B., des Beklagten, des Aussagegehaltes der Eintragungen in der Patientenkartei und der angefertigten
  99. Skizze gefunden. Ein Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze ist
  100. ersichtlich nicht gegeben und wird von der Revision auch nicht behauptet.
  101. 2. Die Revision rügt jedoch zu Recht, daß das schriftliche Gutachten des
  102. gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. B., auf das sich das Landgericht gestützt hat, keine ausreichende Grundlage für die richterliche Überzeugungsbildung biete, sondern den Anträgen der Klägerin auf mündliche Erläuterung
  103. hätte stattgegeben werden müssen.
  104. a) Das Berufungsgericht durfte die Zurückweisung des Antrages der
  105. Klägerin auf mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen durch
  106. -7-
  107. das Landgericht nicht nach § 296 Abs. 1 i.V.m. § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO für
  108. gerechtfertigt halten, nachdem das Landgericht diese auf § 296 Abs. 2 ZPO
  109. gestützt hatte. Der Ausschluß von Angriffs- und Verteidigungsmitteln, die bereits im ersten Rechtszug vorgebracht worden sind, kommt im zweiten Rechtszug nur unter den Voraussetzungen des § 528 Abs. 3 ZPO in Betracht. Danach
  110. ist erforderlich, daß die in erster Instanz erfolgte Ausschließung rechtmäßig
  111. war. Die Befugnis des Berufungsgerichts beschränkt sich insoweit darauf, die
  112. Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu überprüfen. Dagegen ist
  113. es ihm verwehrt, die Zurückweisung auf einen anderen als den vom erstinstanzlichen Gericht angegebenen Grund zu stützen. Das im Rechtszug übergeordnete Gericht darf weder eine von der Vorinstanz unterlassene Zurückweisung nachholen noch die Zurückweisung auf eine andere als die von der Vorinstanz angewandte Vorschrift stützen (st.Rspr., BGH Urteile vom 9. März
  114. 1981 - VIII ZR 38/80 - NJW 1981, 2255 ff.; vom 13. Dezember 1989 - VIII ZR
  115. 204/82 - NJW 1990, 1302 ff.; vom 27. Juni 1991 - IX ZR 222/90 - NJW 1991,
  116. 2774).
  117. b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlte im übrigen
  118. auch für eine Zurückweisung des Antrages der Klägerin gemäß § 296 Abs. 1
  119. ZPO eine wirksame Fristsetzung zur Antragsstellung nach § 411 Abs. 4 Satz 2
  120. ZPO.
  121. Präklusionsvorschriften haben strengen Ausnahmecharakter, weil sie
  122. das Grundrecht auf rechtliches Gehör einschränken und sich zwangsläufig
  123. nachteilig auf das Bemühen um eine materiell richtige Entscheidung auswirken.
  124. Sie ziehen damit einschneidende Folgen für die säumige Partei nach sich. Ihre
  125. Anwendung steht unter dem besonderen Gebot der Rechtssicherheit und
  126. Rechtsklarheit. Deshalb muß das Gericht - nicht der Vorsitzende (vgl. Mu-
  127. -8-
  128. sielak, ZPO, 2. Aufl. § 411 Rdn. 7) - den Inhalt seiner Verfügung, mit der es
  129. eine Frist im Sinne des § 296 Abs. 1 ZPO setzt, klar und eindeutig abfassen,
  130. so daß bei der betroffenen Partei von Anfang an vernünftigerweise keine Fehlvorstellungen über die gravierenden Folgen der mit der Nichtbeachtung der
  131. Frist verbundenen Rechtsfolgen aufkommen können (vgl. BGH Urteil vom
  132. 5. März 1990 - II ZR 109/89 - NJW 1990, 2389 ff. und vom 27. Juni 1991
  133. - IX ZR 222/90 - aaO). Diesen Voraussetzungen genügte die Verfügung vom
  134. 2. Juli 1999 nicht. Mit ihr hat lediglich der Kammervorsitzende angeordnet, daß
  135. den Parteien bis 5. August 1999 Gelegenheit gegeben wird, zum Gutachten
  136. Stellung zu nehmen. Offensichtlich handelte es sich dabei nur um eine Verfügung, mit der nach Eingang des schriftlichen Gutachtens der Dialog zwischen
  137. den Parteien über dessen Inhalt eröffnet, aber auch zeitlich begrenzt und der
  138. nächste Termin für die mündliche Verhandlung vorbereitet werden sollte. Eine
  139. darüber hinausgehende Bedeutung durfte das Berufungsgericht dieser Verfügung nicht beimessen. Der Antrag der Klägerin im Schriftsatz vom
  140. 28. September 1999 war deshalb in der Berufungsinstanz nicht nach § 528
  141. Abs. 3 ZPO ausgeschlossen.
  142. c) Das Berufungsgericht hat, indem es davon abgesehen hat, den gerichtlichen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden, den
  143. prozessualen Anspruch der Klägerin auf mündliche Befragung des Sachverständigen verletzt, §§ 397, 402 ZPO. Auch wenn das Berufungsgericht aufgrund des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. B. die Frage der fehlenden Indikation für die Hysterektomie selbst für ausreichend geklärt erachtet hat, konnte die Klägerin verlangen, daß dem Sachverständigen
  144. die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hielt, zur mündlichen Beantwortung vorgelegt werden (st.Rspr., vgl. Senatsurteile vom
  145. -9-
  146. 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96 - VersR 1998, 342 und vom 17. Dezember
  147. 1996 - VI ZR 50/96 - VersR 1997, 509 ff. m.w.N.).
  148. Die
  149. Klägerin
  150. hat
  151. in
  152. den
  153. Schriftsätzen
  154. vom
  155. 5. August
  156. 1999,
  157. 28. September 1999, 17. Februar 2000 und 11. Mai 2000 auf den Widerspruch
  158. zwischen der Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. B. und
  159. der Auffassung des Gutachters im Schlichtungsverfahren Dr. S. hingewiesen.
  160. Prof. Dr. B. hatte entgegen dem medizinischen Standard eine primäre Hysterektomie ohne vorherige Konisation bei der Klägerin für vertretbar gehalten, da
  161. diese keinen Kinderwunsch mehr gehabt habe und aufgrund ihres Übergewichts als Risikopatientin für die Narkose einzustufen gewesen sei. Hiergegen
  162. hatte Dr. S. ausgeführt, daß es nach dem üblichen medizinischen Standard
  163. erforderlich gewesen sei, den Befund durch eine Konisation abzuklären und
  164. möglicherweise die Portio zu sanieren, gerade weil es sich bei der Klägerin
  165. wegen ihrer starken Übergewichtigkeit um eine Risikopatientin gehandelt habe.
  166. Bei richtiger Vorgehensweise wäre der Schaden höchstwahrscheinlich nicht
  167. eingetreten, weil sich nämlich bei einer Konisation oder einer Biopsie die gesamte operative Belastung und Narkosezeit auf ein Minimum beschränkt hätte.
  168. Unter diesen Umständen hätte das Berufungsgericht den Anträgen der
  169. Klägerin auf Ladung des gerichtlichen Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens und gleichzeitige Anhörung des Dr. S. stattgeben
  170. müssen.
  171. Dr. Müller
  172. Dr. Dressler
  173. Diederichsen
  174. Dr. Greiner
  175. Pauge