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456 lines
16 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. URTEIL
  3. IM NAMEN DES VOLKES
  4. V ZR 97/11
  5. Verkündet am:
  6. 29. Juni 2012
  7. Mayer
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 909
  19. a) Der Abbruch eines oberirdischen Bauwerks (hier: Mauer), der dazu
  20. führt, dass das angrenzende Grundstück seinen Halt verliert, kann einer
  21. Vertiefung des Grundstücks nicht gleichgesetzt werden.
  22. b) Aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis kann nur die
  23. Pflicht zu einer Ankündigung derartiger Abrissarbeiten hergeleitet
  24. werden, die so rechtzeitig erfolgen muss, dass sie den
  25. Grundstücksnachbarn in die Lage versetzt, vorher eigene
  26. Stützungsmaßnahmen zu treffen.
  27. BGH, Urteil vom 29. Juni 2012 - V ZR 97/11 - KG
  28. LG Berlin
  29. -2-
  30. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  31. vom 29. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die
  32. Richterin Dr. Stresemann, die Richter Dr. Czub und Dr. Roth und die Richterin
  33. Weinland
  34. für Recht erkannt:
  35. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats
  36. des Kammergerichts in Berlin vom 8. April 2011 aufgehoben.
  37. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  38. über
  39. die
  40. Kosten
  41. des
  42. Revisionsverfahrens,
  43. an
  44. das
  45. Berufungsgericht zurückverwiesen.
  46. Von Rechts wegen
  47. Tatbestand:
  48. 1
  49. Die
  50. Parteien
  51. sind
  52. Eigentümer
  53. angrenzender
  54. Grundstücke.
  55. Das
  56. Grundstück der Klägerin liegt höher als das des Beklagten, den Angaben der
  57. Klägerin zufolge im Mittel 1,60 m. Es wird durch eine lange alte Mauer
  58. abgestützt, die auf dem Grundstück des Beklagten steht. Wann und wie es zu
  59. dem Höhenunterschied der Grundstücke gekommen ist, ob durch eine
  60. Aufschüttung des einen oder Abgrabungen auf dem anderen Grundstück, ist
  61. streitig. Der Beklagte möchte die Mauer beseitigen. Dagegen wendet sich die
  62. 3
  63. Klägerin mit ihrer Unterlassungsklage. Mit der Widerklage will der Beklagte
  64. seinerseits feststellen lassen, dass er zu dem Abriss berechtigt ist, ohne auf
  65. den Geländeunterschied bezogene Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen.
  66. Ferner beantragt er, die Klägerin zu verurteilen, eine Stützmauer auf ihrem
  67. Grundstück entlang der gemeinsamen Grenze zu errichten, und festzustellen,
  68. dass sie die Kosten für die Errichtung und Unterhaltung dieser Mauer sowie die
  69. ihm seit Juli 2006 für die Sicherung der Grenze entstandenen Aufwendungen
  70. zu tragen hat.
  71. 2
  72. Das Landgericht hat durch Teilurteil nur über die Klage entschieden und
  73. den Beklagten antragsgemäß verurteilt, den Abriss der Mauer zu unterlassen,
  74. ohne diese durch eine Einrichtung zu ersetzen, welche das Grundstück der
  75. Klägerin in vergleichbarer Weise stützt. Die dagegen gerichtete Berufung des
  76. Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen
  77. Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, will er die Abweisung
  78. der Klage erreichen.
  79. Entscheidungsgründe:
  80. I.
  81. 3
  82. Das Berufungsgericht meint, das Landgericht habe kein unzulässiges
  83. Teilurteil erlassen. Während die Klage die Berechtigung des Beklagten zu
  84. einem sofortigen Abriss der Mauer zum Gegenstand habe, gehe es bei der
  85. Widerklage darum, wer letztendlich für die bodenphysikalische Stütze des
  86. Grundstücks der Klägerin verantwortlich sei. Der Unterlassungsanspruch sei
  87. begründet. Er lasse sich möglicherweise aus einer analogen Anwendung von
  88. 4
  89. § 909 BGB herleiten, weil durch die ersatzlose Beseitigung der Mauer eine der
  90. Vertiefung ähnliche Situation geschaffen werde. Jedenfalls ergebe er sich aus
  91. dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis. Die Pflicht des Beklagten zur
  92. Rücksichtnahme auf die Interessen der Klägerin, deren Grundstück vor einem
  93. Wegbrechen gesichert werden müsse, verbiete es ihm, die Mauer ersatzlos zu
  94. beseitigen, und zwar unabhängig davon, wer für den Geländeunterschied der
  95. beiden Grundstücke und damit für die Abstützung des Grundstücks der Klägerin
  96. verantwortlich sei. Diese Frage werde im Rahmen der noch bei dem
  97. Landgericht anhängigen Widerklage des Beklagten zu entscheiden sein. Selbst
  98. wenn die Widerklage Erfolg habe und die Klägerin eine neue Mauer errichten
  99. müsse, habe der Beklagte die alte Mauer bis zu der vollständigen Errichtung
  100. der neuen Mauer stehen zu lassen oder provisorisch für eine anderweitige
  101. Stütze zu sorgen.
  102. II.
  103. 4
  104. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht
  105. stand, weil das Landgericht der Klage - wie die Revision zu Recht rügt - durch
  106. ein unzulässiges Teilurteil stattgegeben hat.
  107. 5
  108. 1. Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass
  109. ein Teilurteil gemäß § 301 ZPO nur dann ergehen darf, wenn keine Gefahr
  110. widersprüchlicher Entscheidungen besteht, weil der weitere Verlauf des
  111. Prozesses die Entscheidung unter keinen Umständen mehr berühren kann.
  112. Wird durch das Teilurteil eine Frage beantwortet, die sich im weiteren Verfahren
  113. über die anderen Ansprüche noch einmal stellt, ist es nach ständiger
  114. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässig; dabei ist die Möglichkeit
  115. einer abweichenden Entscheidung im Instanzenzug zu berücksichtigen (vgl. nur
  116. BGH, Urteil vom 16. August 2007 - IX ZR 63/06, BGHZ 173, 328 Rn. 18 ff., 26;
  117. 5
  118. Urteil
  119. vom
  120. 26. April
  121. 1989
  122. - IVb
  123. ZR
  124. 48/88,
  125. BGHZ
  126. 107,
  127. 236,
  128. 242;
  129. Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 301 Rn. 7 jeweils mwN).
  130. 6
  131. 2. Danach durfte das Landgericht nicht durch Teilurteil über die Klage
  132. entscheiden.
  133. 7
  134. a) Das ergibt sich allerdings nicht schon aus dem ersten Antrag der
  135. Widerklage, mit dem der Beklagte seine Berechtigung zu der ersatzlosen
  136. Entfernung der Mauer feststellen lassen will. Dieser Antrag ist gemäß § 261
  137. Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig. Er betrifft das kontradiktorische Gegenteil der
  138. Klage und damit denselben Streitgegenstand (vgl. Zöller/Vollkommer, aaO, vor
  139. § 322 Rn. 21). Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen
  140. begründet das Teilurteil insoweit nicht, weil dem Gericht die sachliche Prüfung
  141. eines unzulässigen Antrags ohnehin verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom
  142. 16. August 2007 - IX ZR 63/06, BGHZ 173, 328 Rn. 26).
  143. 8
  144. b) Das Teilurteil ist aber im Hinblick auf die weiteren Anträge des
  145. Beklagten unzulässig. Im Falle einer abweichenden rechtlichen Beurteilung
  146. durch
  147. die
  148. Rechtsmittelgerichte
  149. könnte
  150. es
  151. nämlich
  152. divergierende
  153. Entscheidungen hervorrufen, und zwar hinsichtlich der Frage, ob der Beklagte
  154. als Störer anzusehen ist. Das Landgericht hat zwar die Rechtsansicht vertreten,
  155. für die Entscheidung über die Klage komme es - im Gegensatz zu der
  156. Widerklage - nicht darauf an, ob der Beklagte den Höhenunterschied verursacht
  157. habe, weil er unabhängig davon verpflichtet sei, die Beseitigung der Mauer bis
  158. zu der Errichtung einer neuen Abstützung zu unterlassen. Dabei musste es
  159. aber die Möglichkeit einbeziehen, dass Gerichte höherer Instanz diese
  160. Auffassung nicht teilen und die Verursachung des Höhenunterschieds auch für
  161. die Entscheidung über den Unterlassungsantrag als erheblich ansehen würden.
  162. 6
  163. III.
  164. 9
  165. Die
  166. Sache
  167. Berufungsgericht
  168. ist
  169. daher
  170. unter
  171. zurückzuverweisen;
  172. Aufhebung
  173. eine
  174. des
  175. Urteils
  176. an
  177. das
  178. Zurückverweisung
  179. an
  180. das
  181. Landgericht (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 2002 - II ZR 287/01, BGHR
  182. 2003, 284 f.) kommt nicht in Betracht, weil das Landgericht am 25. Januar 2011
  183. ein Grund- und Teilurteil über die Widerklage erlassen hat.
  184. 10
  185. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
  186. 11
  187. 1. Zu prüfen ist ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1
  188. BGB in Verbindung mit den nachbarrechtlichen Sondervorschriften. Der
  189. Eigentümer darf mit seinem Grundstück nach Belieben verfahren, auch wenn
  190. dies nachteilige Auswirkungen auf das Nachbargrundstück hat, solange ihm
  191. das Nachbarrecht seine Handlung nicht verbietet (Senat, Urteil vom
  192. 12. November 1999 - V ZR 229/98, NJW-RR 2000, 537; Dehner, Nachbarrecht,
  193. 7. Aufl., B § 20 I 1, insbes. Fn. 2). Ein solches Verbot kann sich nur aus § 909
  194. BGB ergeben.
  195. 12
  196. Ob die Voraussetzungen dieser Norm vorliegen, lässt sich - wie auch das
  197. Berufungsgericht erkennt - auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen
  198. nicht beurteilen, weil nicht feststeht, ob der Beklagte den Höhenunterschied
  199. verursacht hat. Gemäß § 909 BGB darf ein Grundstück nicht in der Weise
  200. vertieft werden, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche
  201. Stütze verliert, es sei denn, dass für eine genügende anderweitige Befestigung
  202. gesorgt ist; der Anspruch auf Unterlassung einer verbotswidrigen Vertiefung
  203. richtet sich unter anderem gegen den Eigentümer als Störer (vgl. Senat, Urteil
  204. vom 25. Mai 1984 – V ZR 199/82, BGHZ 91, 282, 285). Die Entfernung der
  205. Stützmauer selbst stellt keine Vertiefung im Sinne von § 909 BGB dar; denn
  206. eine solche setzt - bezogen auf das Grundstück des Beklagten - eine Senkung
  207. des Bodenniveaus voraus und umfasst nicht die Entfernung oberirdischer
  208. 7
  209. Gebäudeteile (vgl. Senat, Urteil vom 19. September 1979 - V ZR 22/78, NJW
  210. 1980, 224 f.; BGH, Urteil vom 27. März 1962 - VI ZR 137/61, VersR 1962, 572,
  211. 573; RGZ 70, 200, 206; Staudinger/Roth, BGB [2009] § 909 Rn. 8).
  212. 13
  213. Sollten die Rechtsvorgänger des Beklagten die Mauer - wie es die
  214. Klägerin behauptet - nach einer von ihnen vorgenommenen Vertiefung ihres
  215. Grundstücks zum Zwecke der Befestigung errichtet haben, müsste der Beklagte
  216. das Grundstück der Klägerin gemäß § 909 BGB auch weiterhin abstützen und
  217. hätte den ersatzlosen Abriss zu unterlassen. Hat dagegen die Klägerin - dem
  218. Vortrag des Beklagten entsprechend - ihr Grundstück aufgeschüttet, oder ist
  219. nicht feststellbar, worauf der Höhenunterschied beruht, scheidet der Anspruch
  220. aus.
  221. 14
  222. 2. Ein Unterlassungsanspruch lässt sich auch nicht aus einer analogen
  223. Anwendung von § 909 BGB herleiten. Die Entfernung der Mauer ist nicht - wie
  224. es das Berufungsgericht erwägt - einer Vertiefung gleichzusetzen.
  225. 15
  226. a) Allerdings wird mit Blick auf die als erwünscht angesehene
  227. Einbeziehung von Grundstückserhöhungen in den Schutzbereich des § 909
  228. BGB vertreten, die Norm sei nicht nur auf Vertiefungen anwendbar. Vielmehr
  229. genüge auch ohne Senkung des Bodenniveaus jede Einwirkung auf ein
  230. Grundstück, die zur Folge habe, dass der Boden des Nachbargrundstücks in
  231. der Senkrechten den Halt verliere oder dass dort die Festigkeit der unteren
  232. Bodenschichten in ihrem waagerechten Verlauf beeinträchtigt werde. Die ratio
  233. legis der Norm sei in dem Stützverlust des Nachbargrundstücks begründet und
  234. nicht in der Senkung der Erdoberfläche des Baugrundstücks (MünchKommBGB/Säcker, 5. Aufl., § 909 Rn. 7 u. 10).
  235. 16
  236. b) Dem kann nicht gefolgt werden. § 909 BGB regelt einen klar
  237. umschriebenen Sonderfall. Ohnehin besteht für Erhöhungen eine planwidrige
  238. Regelungslücke schon dann nicht, wenn – wie hier (§ 20 Berliner
  239. 8
  240. Nachbarrechtsgesetz) - in den Nachbargesetzen der Länder Regelungen dazu
  241. enthalten sind (BGH, Urteil vom 20. Mai 1976 - III ZR 103/74, NJW 1976, 1840,
  242. 1841; Urteil vom 11. Oktober 1973 - III ZR 159/71, NJW 1974, 53, 54; RGZ 155,
  243. 154, 160; Staudinger/Roth [2009] § 909 Rn. 10; Soergel/Baur, 13. Aufl., § 909
  244. Rn. 5; RGRK/Augustin, BGB, 12. Aufl., § 909 Rn. 24; Dehner, NZM 2005, 172,
  245. 173). Im Übrigen fehlt jeder Anlass für eine Ausdehnung von § 909 BGB, die
  246. allgemein auf eine Senkung des Bodenniveaus verzichtete und die Vorschrift
  247. damit ihrer Konturen beraubte.
  248. 17
  249. Insbesondere die Einbeziehung des Abbruchs von oberirdischen
  250. Bauwerken ist nicht sachgerecht. Ein Grundstückseigentümer muss es nämlich
  251. nicht hinnehmen, dass eine auf seinem Grundstück stehende Mauer von dem
  252. Nachbarn
  253. als
  254. Abstützung
  255. für
  256. dessen
  257. Grundstücksaufschüttung
  258. zweckentfremdet wird (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 1976 - III ZR 103/74, NJW
  259. 1976, 1840, 1841); er darf die Mauer auch dann abreißen, wenn das
  260. angrenzende Grundstück dadurch seinen Halt verliert. Es ist Sache des
  261. Aufschüttenden, die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Die
  262. Nachbarrechtsgesetze der Länder sehen dies zum Teil ausdrücklich vor.
  263. Gemäß § 20 des Berliner Nachbarrechtsgesetzes darf der Boden über die
  264. Oberfläche des Nachbargrundstücks hinaus nur erhöht werden, wenn solche
  265. Vorkehrungen getroffen und unterhalten werden, dass eine Schädigung des
  266. Nachbargrundstücks insbesondere durch Absturz, Abschwemmung oder
  267. Pressung des Bodens ausgeschlossen ist. Zu derartigen Schutzmaßnahmen
  268. zählen typischerweise Stützmauern, die der Aufschüttende auf seinem eigenen
  269. Grundstück zu errichten hat (BGH Urteil vom 20. Mai 1976 - III ZR 103/74, NJW
  270. 1976, 1840, 1841; Dehner, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 20 Fn. 78a).
  271. 18
  272. An einer planwidrigen Regelungslücke fehlt es auch dann, wenn die
  273. Verantwortlichkeit für die Höhenunterschiede nicht feststellbar ist. Aus § 909
  274. BGB ergibt sich nicht, dass der Eigentümer eines tieferliegenden Grundstücks
  275. 9
  276. das angrenzende höherliegende Grundstück abzustützen hat; richtig ist das
  277. Gegenteil. Die Abstützung ist Sache des jeweiligen Grundstückseigentümers,
  278. wenn der Nachbar den Stützverlust nicht durch eine Vertiefung verursacht hat.
  279. 19
  280. 3. Schließlich lässt sich der Unterlassungsanspruch nicht - wie es das
  281. Berufungsgericht meint - aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis
  282. herleiten.
  283. 20
  284. a) Die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn haben nach
  285. ständiger Rechtsprechung des Senats insbesondere durch die Vorschriften der
  286. §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder
  287. eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Zwar ist auch auf sie der
  288. allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) anzuwenden; daraus
  289. folgt für die Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren
  290. Auswirkungen auf den konkreten Fall unter dem Begriff des nachbarlichen
  291. Gemeinschaftsverhältnisses zusammengefasst werden. Eine daraus folgende
  292. selbständige Verpflichtung ist aber mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen
  293. Sonderregelungen eine Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung
  294. kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger
  295. Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Nur
  296. unter diesen Voraussetzungen kann die Ausübung gewisser aus dem Eigentum
  297. fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig werden. Das Rechtsinstitut
  298. darf insbesondere nicht dazu dienen, die nachbarrechtlichen Regelungen in ihr
  299. Gegenteil zu verkehren (siehe nur Senatsurteile vom 21. Oktober 1983 - V ZR
  300. 166/82, BGHZ 88, 344, 351 f. und vom 31. Januar 2003 - V ZR 143/02, NJW
  301. 2003, 1392 mwN).
  302. 21
  303. b) Ein Ausnahmefall, der eine Unterlassungsverpflichtung rechtfertigen
  304. könnte, wird allein durch die „faktische Stützungsfunktion“ der Mauer nicht
  305. begründet. Das Berufungsgericht hat sich von der Vorstellung leiten lassen, die
  306. 10
  307. Klage betreffe - einem Ersuchen um einstweiligen Rechtsschutz vergleichbar nur die Berechtigung des Beklagten zu einem sofortigen ersatzlosen Abriss,
  308. während die Entscheidung über die endgültige Verpflichtung zu der Errichtung
  309. und Unterhaltung einer Abstützung im Rahmen der Widerklage zu erfolgen
  310. habe. Dabei hat es offenbar nicht bedacht, dass es dem Beklagten eine zeitlich
  311. unbeschränkte und verursacherunabhängige Pflicht zur Absicherung des
  312. Grundstücks der Klägerin auferlegt, deren Beendigung davon abhängig ist,
  313. dass er das Verfahren der Widerklage weiter betreibt; er soll sogar noch
  314. während der Vollstreckung eines obsiegenden Urteils über die Widerklage
  315. darauf achten müssen, dass der Abriss seiner Mauer erst nach der Errichtung
  316. der neuen Abstützung erfolgt. Das verkehrt die gesetzliche Zuordnung von
  317. nachbarlichen Rechten und Pflichten in ihr Gegenteil.
  318. 22
  319. c) Aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis kann nur die
  320. Pflicht zu einer Ankündigung derartiger Abrissarbeiten hergeleitet werden, die
  321. so rechtzeitig erfolgen muss, dass sie den Grundstücksnachbarn in die Lage
  322. 11
  323. versetzt, vorher eigene Stützungsmaßnahmen zu treffen; nur in diesem
  324. eingeschränkten Rahmen kann sich eine Unterlassungspflicht ergeben.
  325. Krüger
  326. Stresemann
  327. Roth
  328. Czub
  329. Weinland
  330. Vorinstanzen:
  331. LG Berlin, Entscheidung vom 03.12.2008 - 2 O 477/07 KG Berlin, Entscheidung vom 08.04.2011 - 18 U 9/09 -