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174 lines
7.9 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 79/18
  4. vom
  5. 6. Dezember 2018
  6. in der Zurückweisungshaftsache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. FamFG § 420 Abs. 1 Satz 1, § 10 Abs. 2
  14. Bestimmt der Haftrichter für den Folgetag einen Termin zur persönlichen
  15. Anhörung des Betroffenen und beantragt dessen Verfahrensbevollmächtigter wegen Terminkollision eine Terminverlegung, ist dem Verlegungsantrag
  16. auch dann zu entsprechen, wenn bereits organisatorische Vorbereitungen
  17. zur Bereitstellung des Betroffenen und zur Ladung des Dolmetschers getroffen worden sind.
  18. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2018 - V ZB 79/18 - LG Ingolstadt
  19. AG Ingolstadt
  20. ECLI:DE:BGH:2018:061218BVZB79.18.0
  21. -2-
  22. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Dezember 2018 durch die
  23. Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
  24. und Weinland, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
  25. beschlossen:
  26. Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss
  27. des Amtsgerichts Ingolstadt vom 7. März 2018 und der Beschluss
  28. des Landgerichts Ingolstadt - 3. Zivilkammer - vom 30. April 2018
  29. den Betroffenen für den Zeitraum vom 7. März bis 29. April 2018
  30. und vom 12. bis 15. Mai 2018 in seinen Rechten verletzt haben.
  31. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
  32. zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
  33. des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik
  34. Deutschland auferlegt.
  35. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  36. 5.000 €.
  37. Gründe:
  38. I.
  39. 1
  40. Der Betroffene ist pakistanischer Staatsangehöriger. Am 23. Februar
  41. 2018 versuchte er in einem grenzüberschreitend verkehrenden Fernbus nach
  42. Deutschland einzureisen. Da er keine Identitäts- oder aufenthaltslegitimieren-
  43. -3-
  44. den Dokumente mit sich führte, wurde ihm die Einreise mit schriftlichem Bescheid der Bundespolizei verweigert. Der Betroffene hatte sich bereits 2015 in
  45. Deutschland aufgehalten und erfolglos die Gewährung von Asyl beantragt.
  46. Nachdem das Amtsgericht zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung vom
  47. 24. Februar 2018 Sicherungshaft bis zum 9. März 2018 angeordnet hatte, hat
  48. es mit Beschluss vom 7. März 2018 Haft bis zum 22. Mai 2018 zur Sicherung
  49. der Zurückweisung des Betroffenen nach Pakistan angeordnet. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde mit der Maßgabe zurückgewiesen,
  50. dass die Haft spätestens am 15. Mai 2018 endet. Mit der Rechtsbeschwerde
  51. beantragt der Betroffene die Feststellung, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts ihn für den Zeitraum vom 7. März bis 29. April 2018
  52. und vom 12. bis 15. Mai 2018 in seinen Rechten verletzt haben.
  53. II.
  54. 2
  55. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Anordnung von Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5 AufenthG rechtmäßig. Dass das Amtsgericht dem
  56. Antrag des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen auf Verlegung des Anhörungstermins nicht nachgekommen sei, begegne angesichts des bereits erfolgten organisatorischen Aufwandes für die notwendigen Ladungen keinen
  57. rechtlichen Bedenken.
  58. III.
  59. 3
  60. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
  61. -4-
  62. 4
  63. 1. Das Amtsgericht hat gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, weil es dem Antrag des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen
  64. auf Verlegung des Anhörungstermins nicht nachgekommen ist.
  65. 5
  66. a) Einem Verfahrensbevollmächtigten muss die Möglichkeit eingeräumt
  67. werden, an dem Termin zur Anhörung des Betroffenen teilzunehmen. Der
  68. Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zur
  69. Rechtswidrigkeit der Haft. Es kommt nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft
  70. auf dem Fehler beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2017
  71. - V ZB 167/16, juris Rn. 7).
  72. 6
  73. b) Danach hätte das Amtsgericht dem Terminverlegungsantrag des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen entsprechen müssen. Es hat, nachdem der Antrag der Behörde am 6. März 2018 bei Gericht eingegangen war, für
  74. den Folgetag am 7. März 2018 um 13.30 Uhr einen Termin zur Anhörung des
  75. Betroffenen bestimmt. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen, der sich
  76. am Nachmittag des 6. März 2018 bei dem Amtsgericht für den Betroffenen angezeigt hatte, wurde von dem Termin am 7. März 2018 benachrichtigt. Er stellte
  77. sogleich im Hinblick auf einen von ihm am selben Tag vor dem Verwaltungsgericht Berlin wahrzunehmenden Termin einen Verlegungsantrag. Vor diesem
  78. Hintergrund, insbesondere angesichts der sehr kurzfristigen Ladung, hätte das
  79. Amtsgericht eine Terminverlegung vornehmen müssen, damit die Anhörung des
  80. Betroffenen in Anwesenheit seines Verfahrensbevollmächtigten erfolgen konnte.
  81. -5-
  82. 7
  83. Einer Terminverlegung stand nicht entgegen, dass im Zeitpunkt des Eingangs des Verlegungsantrags am 7. März 2018 um 12.35 Uhr schon organisatorische Maßnahmen für den um 13.30 Uhr anberaumten Termin erfolgt waren.
  84. Bestimmt der Haftrichter für den Folgetag einen Termin zur persönlichen Anhörung des Betroffenen und beantragt dessen Verfahrensbevollmächtigter wegen
  85. Terminkollision eine Terminverlegung, ist dem Verlegungsantrag auch dann zu
  86. entsprechen, wenn bereits organisatorische Vorbereitungen zur Bereitstellung
  87. des Betroffenen und zur Ladung des Dolmetschers getroffen worden sind. Danach hätte der Haftrichter angesichts des Umstandes, dass er am 6. März 2018
  88. für den darauffolgenden Tag den Anhörungstermin anberaumt hatte, von dem
  89. der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen nur einige Stunden vorher
  90. Kenntnis erhalten und damit keine Möglichkeit mehr hatte, zeitliche Dispositionen zu treffen, zur Wahrung der Rechte des Betroffenen den Anhörungstermin
  91. verlegen müssen. Die von dem Amtsgericht getroffenen Terminvorbereitungen
  92. können die Beschneidung elementarer Rechte des Betroffenen nicht rechtfertigen. Eine Terminverlegung war zeitlich auch möglich, weil sich der Betroffene
  93. aufgrund der vorläufigen Haftanordnung noch bis zum 9. März 2018 in Zurückweisungshaft befand. Zudem bestand die Möglichkeit, die Haft bis zur Anhörung
  94. des Betroffenen in Anwesenheit seines Verfahrensbevollmächtigten im Wege
  95. der einstweiligen Anordnung zu verlängern.
  96. 8
  97. c) Der Verfahrensfehler des Amtsgerichts ist - mit Wirkung für die Zukunft
  98. (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - V ZB 167/16, juris Rn. 9) - in der
  99. Beschwerdeinstanz geheilt worden. Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen am 26. April 2018 in Anwesenheit seines Verfahrensbevollmächtigten
  100. nochmals angehört und am 30. April 2018 über die Fortdauer der Haft entschieden. Damit ist am 30. April 2018 Heilung des Verfahrensfehlers eingetre-
  101. -6-
  102. ten (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018,
  103. 136 Rn. 6).
  104. 9
  105. 2. Darüber hinaus rechtfertigt der Haftantrag der beteiligten Behörde nur
  106. eine Haftdauer bis zum 11. Mai 2018, nicht - wie das Beschwerdegericht meint bis zum 15. Mai 2018. Nach den Angaben der Behörde wurden die Passbeschaffungsdokumente am 28. Februar 2018 bei der Botschaft eingereicht. Nach
  107. ihren weiteren Angaben benötigten die pakistanischen Behörden für die Bearbeitung der Passersatzausstellung ohne Sachbeweis acht Wochen. Die anschließende Organisation einer unbegleiteten Rückführung und Flugbuchung
  108. nehme zwei Wochen in Anspruch. Schließlich wurde ein weiterer Tag für etwa
  109. auftretende Hindernisse angesetzt. Unter Zugrundelegung dieser Darstellung
  110. war nur eine Haftanordnung bis zum 11. Mai 2018 gerechtfertigt.
  111. -7-
  112. IV.
  113. 10
  114. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des
  115. Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 3 GNotKG.
  116. Stresemann
  117. Schmidt-Räntsch
  118. Göbel
  119. Weinland
  120. Haberkamp
  121. Vorinstanzen:
  122. AG Ingolstadt, Entscheidung vom 07.03.2018 - 4 XIV 97/18 LG Ingolstadt, Entscheidung vom 30.04.2018 - 33 T 513/18 -