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432 lines
25 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 88/98
  5. Verkündet am:
  6. 6. Juli 2000
  7. Bürk
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. BGHZ:
  14. ja
  15. nein
  16. ------------------------------------
  17. BNotO § 19 Abs. 1
  18. BNotO § 24 Abs. 1
  19. Zur notariellen Betreuung der Vorwegnahme einer Erbfolge.
  20. BGH, Urteil vom 6. Juli 2000 - IX ZR 88/98 - OLG Jena
  21. LG Erfurt
  22. -2-
  23. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  24. vom 4. Mai 2000 durch die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Dr. Zugehör,
  25. Dr. Ganter und Prof. Dr. Wagenitz
  26. für Recht erkannt:
  27. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats
  28. des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 10. Februar 1998
  29. aufgehoben.
  30. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
  31. auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 3. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
  32. Von Rechts wegen
  33. Tatbestand:
  34. Der Kläger verlangt vom beklagten Notar Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzungen.
  35. Am 1. März 1992 kamen die Mutter des Klägers und deren sieben Kinder in Gegenwart des Beklagten überein, das Vermögen der Mutter, bestehend
  36. aus zwei bebauten Grundstücken, Ackerland und Bargeld, zur Vorwegnahme
  37. der Erbfolge den Kindern zu gleichen Teilen zu übertragen; zumindest die bei-
  38. -3-
  39. den Kinder, die die bebauten Grundstücke erwarben, sollten Ausgleichszahlungen erbringen.
  40. Am 15. April 1992 beurkundete der Beklagte eine "Vollmacht" der Mutter
  41. des Klägers, die u.a. lautet:
  42. "Ich erteile hiermit für mich und meine Erben meinem Sohn Christian
  43. Peter ...
  44. Vollmacht
  45. den nachstehenden Grundbesitz ...
  46. zu erwerben, zu verkaufen und aufzulassen sowie alle Erklärungen vor
  47. Notar, Gericht und Behörden abzugeben, die zur Umschreibung des
  48. Kaufgegenstandes auf den Erwerber erforderlich sind, insbesondere
  49. auch an Dritte, Geschwister und sonstige Personen zu übertragen.
  50. Der Bevollmächtigte ist berechtigt, Untervollmacht zu erteilen.
  51. Zur schenkungsweisen Veräußerung berechtigt die Vollmacht nicht.
  52. Der Bevollmächtigte wird von den einschränkenden Bestimmungen aus
  53. § 181 BGB befreit."
  54. Am 13. August 1992 beurkundete der Beklagte einen "Schenkungsvertrag", in dem die Mutter des Klägers, vertreten durch dessen Bruder, aufgrund
  55. der Vollmacht vom 15. April 1992 dem Kläger - ebenfalls vertreten durch diesen Bruder - ihr Ackerland schenkweise zu Eigentum übertrug. In diesem Vertrag heißt es u.a.:
  56. "Der Notar wird beauftragt, alle zu diesem Vertrag erforderlichen Genehmigungen einzuholen und diese Urkunde durchzuführen."
  57. -4-
  58. Der Kläger genehmigte diesen Vertrag am 19. Oktober 1992.
  59. Die Mutter des Klägers (fortan auch: Erblasserin oder Witwe) verstarb
  60. am 23. Januar 1993. Sie wurde durch ihre sieben Kinder zu gleichen Teilen
  61. beerbt.
  62. Die Genehmigung des Vertrages vom 13. August 1992 nach der Grundstücksverkehrsordnung wurde am 28. Juli 1994 erteilt. Im August 1994 teilte
  63. das Grundbuchamt dem Beklagten mit, der Grundbucheintragung des Klägers
  64. gemäß diesem Vertrage stehe entgegen, daß die von der Erblasserin erteilte
  65. Vollmacht nicht zur schenkweisen Veräußerung berechtige. Davon unterrichtete der Beklagte mit Schreiben vom 2. September 1994 den Bruder des Klägers, der diesen bei Vertragsschluß vertreten hatte. Zwei Miterben verweigerten die Genehmigung des Vertrages.
  66. Die Klage auf Schadensersatz in Höhe von 67.510 DM nebst Zinsen
  67. hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger
  68. seinen Klageanspruch weiter.
  69. Entscheidungsgründe:
  70. Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§§ 564, 565 Abs. 1
  71. Satz 1 ZPO); von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO wird Gebrauch
  72. gemacht.
  73. -5-
  74. Der Amtshaftungsanspruch gegen den beklagten Notar ist entgegen der
  75. Ansicht des Berufungsgerichts nicht gemäß § 839 BGB, sondern nach § 18
  76. Abs. 1 VONot i.V.m. § 19 BNotO zu beurteilen (vgl. BGH, Urt. v. 15. Januar
  77. 1998 - IX ZR 4/97, WM 1998, 783, 784).
  78. I.
  79. 1. Das Berufungsgericht hat eine Amtspflichtverletzung des beklagten
  80. Notars unterstellt, die sich nach dem Zusammenhang des Berufungsurteils auf
  81. - vom Kläger in den Vorinstanzen geltend gemachte - Fehler des Beklagten
  82. anläßlich der Beurkundung des Schenkungsvertrages vom 13. August 1992
  83. bezieht. Nach dem Klagevortrag, von dem im Revisionsverfahren mangels
  84. tatrichterlicher Feststellungen auszugehen ist, hat der Beklagte eine ihm gegenüber dem Kläger obliegende Amtspflicht fahrlässig verletzt (§ 19 Abs. 1
  85. Satz 1 BNotO). Der Beklagte hat die Vollmacht der Mutter des Klägers vom
  86. 15. April 1992 mit der Einschränkung beurkundet, daß sie nicht zur schenkweisen Veräußerung von Grundeigentum berechtigt, obwohl nach der Behauptung
  87. des Klägers am 1. März 1992 auf Anregung des Beklagten die unentgeltliche
  88. Übertragung des Ackerlandes an den Kläger vereinbart worden war (§ 17 BeurkG). Außerdem hat der Beklagte den Schenkungsvertrag vom 13. August
  89. 1992 nicht durch die Mutter des Klägers genehmigen lassen, obwohl der Beklagte das nach dem - durch die Urkunde gestützten - Klagevortrag übernommen hatte.
  90. -6-
  91. 2. Die Revision rügt mit Erfolg die Annahme des Berufungsgerichts, es
  92. fehle an der haftungsausfüllenden Kausalität, denn der Kläger habe "einen
  93. eventuellen Anspruch dem Grunde nach, auf jeden Fall der Höhe nach nicht
  94. schlüssig dargetan". Da der Kläger Miterbe zu 1/7-Anteil geworden sei, habe er
  95. für einen Schaden den Umfang des gesamten Nachlasses darlegen müssen;
  96. dies habe er versäumt. Eine Vereinbarung der Miterben über die Auseinandersetzung des Nachlasses habe den Kausalverlauf unterbrochen.
  97. Für den haftungsausfüllenden Ursachenzusammenhang zwischen einer
  98. Amtspflichtverletzung des Beklagten und dem geltend gemachten Schaden ist
  99. festzustellen, was geschehen wäre, wenn der Beklagte sich pflichtgerecht verhalten hätte, und wie die Vermögenslage des Klägers dann wäre; dies hat der
  100. Kläger für seinen Schadensersatzanspruch darzulegen und gemäß § 287 ZPO
  101. zu beweisen (vgl. BGH, Urt. v. 19. Oktober 1995 - IX ZR 104/94, WM 1996, 30,
  102. 31; v. 21. November 1996 - IX ZR 220/95, WM 1997, 325, 326).
  103. a) Gemäß den Regeln des Beweises des ersten Anscheins (vgl. dazu
  104. BGH, Urt. v. 27. Mai 1993 - IX ZR 66/92, WM 1993, 1513, 1516) ist nach der
  105. Lebenserfahrung davon auszugehen, daß - die Richtigkeit des Klagevortrags
  106. unterstellt - die Erblasserin zur Verwirklichung ihrer Absicht, im Einvernehmen
  107. mit ihren Kindern dem Kläger die beiden Grundstücke ohne Ausgleichszahlung
  108. zu übertragen, nach entsprechender Belehrung durch den Beklagten die Vollmachtsurkunde auch auf eine Schenkung erstreckt und den Schenkungsvertrag auf Anfrage des Beklagten genehmigt hätte. Dann wäre der Kläger als Eigentümer der Grundstücke im Grundbuch eingetragen worden, nachdem dieser
  109. dem Vertrag am 19. Oktober 1992 zugestimmt hatte und die Genehmigung
  110. nach der Grundstücksverkehrsordnung erteilt worden war. Die Miterben hätten
  111. -7-
  112. den Vertrag nach dem Tode der Erblasserin erfüllen müssen (§§ 1967,
  113. 2058 BGB).
  114. b) Der Kläger hat entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schlüssig
  115. dargelegt, daß er infolge der geltend gemachten Amtspflichtverletzungen des
  116. Beklagten im Zusammenhang mit dem Schenkungsvertrag einen erstattungsfähigen Schaden erlitten hat.
  117. Ein Geschädigter soll im Wege des Schadensersatzes nicht mehr erhalten als dasjenige, was er nach der materiellen Rechtslage hätte verlangen
  118. können; der Verlust einer tatsächlichen oder rechtlichen Position, auf die er
  119. keinen Anspruch hat, ist grundsätzlich kein ersatzfähiger Nachteil (BGHZ 124,
  120. 86, 95 m.w.N.).
  121. aa) Der Wirksamkeit lebzeitiger Verfügungen der Erblasserin über ihr
  122. Vermögen stand das gemeinschaftliche Testament der Erblasserin und ihres
  123. - am 8. April 1980 verstorbenen - Ehemannes vom 28. November 1974 nicht
  124. entgegen.
  125. Das Berufungsgericht hat das Testament ohne Begründung dahin gewertet, daß die Erblasserin Vorerbin und ihre Kinder Nacherben sein sollten.
  126. Die fehlende Auslegung kann der Senat nachholen. Das gemeinschaftliche
  127. Testament ist dahin auszulegen, daß der Überlebende Erbe des Verstorbenen
  128. und die gemeinsamen Kinder Schlußerben mit gleichen Anteilen werden sollten. Die Eheleute haben in ihrer letztwilligen Verfügung das beiderseitige Vermögen als Einheit angesehen; dieses sollte grundsätzlich mit dem Tode des
  129. -8-
  130. Längerlebenden als Gesamtnachlaß auf die Kinder übergehen (vgl. RGZ 113,
  131. 234, 240; BGHZ 22, 364, 366; BayObLGZ 66, 49, 61 u. 408, 417).
  132. Die testamentarische Wiederverheiratungsklausel ist gegenstandslos
  133. geblieben und beeinträchtigte deswegen die Rechtsstellung der Witwe nicht
  134. (vgl. BGHZ 96, 198, 204). Je nachdem, ob das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches oder das des am 1. Januar 1976 in Kraft getretenen Zivilgesetzbuches (ZGB) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik anzuwenden
  135. ist (vgl. § 2 Abs. 2, § 8 EGZGB; Art. 235 §§ 1, 2 EGBGB; BGHZ 124, 270,
  136. 271 ff; 128, 302, 303; 131, 22, 26; Palandt/Edenhofer, BGB 59. Aufl. Einl. 5 vor
  137. § 1922; Art. 235 §§ 1, 2 EGBGB jeweils Rdnr. 1 ff; Leipold, in: MünchKommBGB, 3. Aufl. Bd. 9 Erbrecht Einleitung Rdnr. 227 ff; 262 ff; Bd. 11 Art. 235
  138. Rdnr. 13 ff), war die Witwe in unterschiedlicher Weise an die wechselbezüglichen Verfügungen im Sinne des § 2270 Abs. 1, 2 BGB nach dem Tode ihres
  139. Ehemannes gebunden. Nach § 390 Abs. 2 ZGB konnte sie über den Nachlaß
  140. durch Rechtsgeschäft unter Lebenden frei verfügen. Bei Anwendung des Bürgerlichen Gesetzbuches stand ihr - wie einem durch Erbvertrag gebundenen
  141. Erblasser (§ 2286 BGB) - grundsätzlich ebenfalls ein freies Verfügungsrecht
  142. unter Lebenden zu, doch konnte bei einem Mißbrauch dieses Verfügungsrechts ein betroffener Schlußerbe einen Ausgleichsanspruch in entsprechender
  143. Anwendung des § 2287 BGB erlangen (BGHZ 82, 274, 276 ff.; vgl. BGH, Urt. v.
  144. 12. Oktober 1988 - IVa ZR 166/87, FamRZ 1989, 175; v. 21. Juni 1989
  145. - IVa ZR 302/87, NJW 1989, 2389, 2390 f; Schubert JR 1982, 155; Kuchinke
  146. JuS 1988, 853; Musielak FamRZ 1989, 176). Da die Voraussetzungen eines
  147. solchen Mißbrauchs im Streitfall nicht dargetan sind, kann die Frage, welches
  148. Recht Anwendung findet, im gegenwärtigen Zeitpunkt auf sich beruhen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die sieben Kinder, die nicht gegen die
  149. -9-
  150. Pflichtteilsstrafklausel des Testaments verstoßen haben, nach beiden Rechtsordnungen als Schlußerben das von ihrer Mutter hinterlassene Vermögen zu
  151. gleichen Anteilen erwarben (§ 1922 BGB; § 363 Abs. 1 ZGB).
  152. bb) Der Kläger ist nach seinem Vorbringen durch die behaupteten Beurkundungsfehler des Beklagten geschädigt worden. Die Grundstücke, die dem
  153. Kläger schenkweise übereignet werden sollten, hatten nach seiner Behauptung
  154. einen Wert von insgesamt 111.475 DM. Demgegenüber hat der Kläger nach
  155. seinem Vortrag bei der Auseinandersetzung des Nachlasses nur einen Anteil
  156. von 1/5 an diesen Grundstücken, der bei dem behaupteten Grundstückswert
  157. 22.295 DM entspricht, sowie 41.670 DM erhalten. Danach ergibt sich aus einem Beurkundungsfehler des Beklagten ein Vermögensverlust des Klägers in
  158. Höhe von 47.510 DM.
  159. Daran ändert nichts, daß die Vereinbarung der Witwe und ihrer Kinder
  160. vom 1. März 1992 über eine Vorwegnahme der Erbfolge (vgl. dazu BGHZ 113,
  161. 310; BGH, Urt. v. 1. Februar 1995 - IV ZR 36/94, NJW 1995, 1349, 1350; Palandt/Edenhofer, aaO Einleitung 7 zu § 1922) bei ihrer Wirksamkeit möglicherweise eine Ausgleichungspflicht unter den Miterben zur Folge gehabt hätte
  162. (vgl. §§ 2050 Abs. 3, 2052 BGB; BGHZ 82, 274, 278). Denn die Vereinbarung
  163. war unwirksam; sie hätte der notariellen Beurkundung bedurft, weil sie eine
  164. Verpflichtung zur Übertragung und zum Erwerb von Grundstücken enthielt
  165. (§§ 125, 313 BGB).
  166. Der dargelegte Schaden kann entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung des Beklagten nicht behoben werden, indem der Kläger die Miterben,
  167. die die Genehmigung des Schenkungsvertrages verweigert haben, auf Zu-
  168. - 10 -
  169. stimmung verklagt. Die Revisionserwiderung meint, dieser Vertrag sei wirksam
  170. gewesen, weil die Erblasserin entgegen der Vollmachtsurkunde den Vertreter
  171. der Vertragspartner zur schenkweisen Übertragung des Ackerlandes an den
  172. Kläger im Rahmen der Vereinbarung vom 1. März 1992 bevollmächtigt habe
  173. und diese Vollmacht nach § 167 Abs. 2 BGB formfrei wirksam gewesen sei.
  174. Aus der Absicht der Erblasserin, die Erbfolge vorwegzunehmen und dabei dem
  175. Kläger nach dessen Behauptung das Ackerland zu schenken, kann nicht zwingend auf eine solche Vollmacht geschlossen werden, weil die Erblasserin am
  176. 15. April 1992 eine Vollmacht beurkunden ließ, die nicht zu einer schenkweisen Übertragung berechtigte. Dementsprechend hat der Beklagte vorgetragen,
  177. die Erblasserin habe keine Vollmacht zur Schenkung von Grundstücken erteilen wollen (GA I 28, 119).
  178. Der Schaden des Klägers entfällt nach seinem Vorbringen auch nicht
  179. wegen eines Ausgleichsanspruchs gegen Miterben aus §§ 2050 Abs. 3, 2052
  180. BGB. Der Kläger hat nicht behauptet, die Erblasserin habe bei der Zuwendung
  181. der Hausgrundstücke an zwei Kinder eine rechtswirksame Ausgleichung angeordnet, die den Vermögensverlust wettmache (vgl. Dütz, in: MünchKomm-BGB,
  182. aaO § 2050 Rdn. 31).
  183. c) Die Zustimmung des Klägers zu der Auseinandersetzung des Nachlasses hat nach dem Klagevortrag den Ursachenzusammenhang zwischen den
  184. behaupteten Amtspflichtverletzungen des Beklagten und dem geltend gemachten Schaden des Klägers entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts
  185. nicht unterbrochen.
  186. - 11 -
  187. Der Kläger hat behauptet, die Miterben hätten im Januar 1995 einen
  188. Vertrag zur Auseinandersetzung des Nachlasses geschlossen, um allen Miterben möglichst gleiche Anteile zu verschaffen. Danach sei der Nachlaß auf die
  189. Miterben mit Ausnahme der beiden Geschwister, die bebaute Grundstücke von
  190. der Erblasserin erworben haben, so verteilt worden, daß die bedachten fünf
  191. Miterben jeweils 1/5 der im Vertrag vom 13. August 1992 bezeichneten Grundstücke sowie bestimmte Geldbeträge erhalten hätten.
  192. Da ein solcher Vertrag nichtig ist, weil er nicht gemäß § 313 Satz 1 BGB
  193. beurkundet worden ist (§ 125 BGB; vgl. BGH, Urt. v. 14. Dezember 1965 V ZR 116/64, MDR 1966, 227), hat der Kläger bei der Auseinandersetzung der
  194. Miterben kein Recht aus seiner Erbenstellung aufgegeben, so daß schon aus
  195. diesem Grunde der haftungsrechtliche Ursachenzusammenhang zwischen den
  196. behaupteten Amtspflichtverletzungen und dem geltend gemachten Schaden
  197. erhalten geblieben ist. Das ist jedoch auch dann der Fall, wenn der Vertrag
  198. nach § 313 Satz 2 BGB geheilt oder auf sonstige Weise unumkehrbar vollzogen worden ist. Der Kläger hat der einvernehmlichen Auseinandersetzung des
  199. Nachlasses zugestimmt, weil sie nach seiner Behauptung gemäß dem Testament der Eltern eine gleiche Beteiligung der Miterben an dem dargelegten Gesamtwert des Nachlasses angestrebt hat. Nach dem Vorbringen des Klägers
  200. gehörten zum Nachlaß seiner Mutter der Wert des Ackerlandes in Höhe von
  201. 111.475 DM sowie "Barvermögen" von insgesamt 195.000 DM einschließlich
  202. der Ausgleichszahlungen derjenigen Geschwister, die durch Verträge mit der
  203. Erblasserin Grundstücke erworben hatten. Das einer Schwester des Klägers zu
  204. Lebzeiten der Mutter übereignete Grundstück, das nach der Behauptung des
  205. Klägers einen Wert zwischen 350.000 bis 500.000 DM haben soll, gehörte
  206. nicht zum Nachlaß. Das Grundstück, das die Erblasserin an einen Bruder des
  207. - 12 -
  208. Klägers übertragen hat und das ebenfalls einen solchen Wert haben soll, fiel
  209. wirtschaftlich ebenfalls nicht mehr in den Nachlaß, weil die vertragliche Verpflichtung der Erblasserin durch die Miterben zu erfüllen war (§§ 1967, 2058
  210. BGB).
  211. Der Kläger durfte sich herausgefordert fühlen, zur Klärung einer verworrenen, nach seinem Vorbringen durch Amtspflichtverletzungen des Beklagten
  212. hervorgerufenen Rechtslage eine Auseinandersetzung des Nachlasses, die
  213. eine gleiche Beteiligung der Miterben am Nachlaß anstrebte, zuzustimmen.
  214. Außerdem bestand dafür ein rechtfertigender Anlaß, weil eine einvernehmliche
  215. Auseinandersetzung einem Erbteilungsrechtsstreit vorbeugte, so daß das Vorgehen des Klägers keine ungewöhnliche Reaktion auf die behaupteten Amtspflichtverletzungen des Beklagten war (vgl. BGH, Urt. v. 10. Mai 1990 - IX ZR
  216. 113/89, NJW 1990, 2882, 2883).
  217. d) Der geltend gemachte Schaden ist - ausgehend vom Vorbringen des
  218. Klägers - dem Beklagten haftungsrechtlich zuzurechnen. Es liegt nicht außerhalb aller Lebenserfahrung, daß eine Schenkung von Grundstücken, die infolge eines Beurkundungsfehlers des Notars unwirksam ist, nach dem Tode des
  219. Schenkers von dessen Erben nicht genehmigt wird und deswegen dem Beschenkten die Zuwendung entgeht. Eine solche adäquate Schadensfolge fällt
  220. bei wertender Betrachtung in den Schutzbereich der verletzten Amtspflicht, weil
  221. diese auch auf die Durchführung des Schenkungsvertrages abzielte (vgl. BGH,
  222. Urt. v. 8. Juli 1993 - IX ZR 222/92, WM 1993, 1992, 1996, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 123, 178; v. 11. Juli 1996 - IX ZR 116/95, WM 1996, 2074,
  223. 2077).
  224. - 13 -
  225. II.
  226. Das angefochtene Urteil ist nicht aus einem anderen Grund richtig
  227. (§ 563 ZPO). Vielmehr sind tatrichterliche Feststellungen erforderlich.
  228. 1. Der Kläger hat die bisher geltend gemachten - fahrlässigen - Amtspflichtverletzungen des Beklagten im Zusammenhang mit der Beurkundung der
  229. Vollmacht vom 15. April 1992 und des Schenkungsvertrages vom 13. August
  230. 1992 unter Beweisantritt schlüssig dargelegt, wie bereits ausgeführt worden ist.
  231. Dem entsprechenden Klagevortrag ist der Beklagte in rechtserheblicher
  232. Weise entgegengetreten. Eine schadensursächliche Amtspflichtverletzung des
  233. Beklagten entfällt, wenn - gemäß seinem Vorbringen - die Erblasserin keine
  234. Vollmacht zur Schenkung von Grundstücken erteilen wollte und den Vertrag
  235. vom 13. August 1992 wegen inzwischen eingetretener Geschäftsunfähigkeit
  236. nicht mehr genehmigen konnte (vgl. § 104 Nr. 2, §§ 105, 177 Abs. 1 BGB).
  237. Der Kläger hat die Amtspflichtverletzung gemäß § 286 ZPO zu beweisen
  238. (vgl. BGH, Urt. v. 11. März 1999 - IX ZR 260/97, WM 1999, 1324, 1326).
  239. b) Sollte sich insoweit ein Schadensersatzanspruch des Klägers ergeben, so
  240. hat der Kläger keine anderweitige Ersatzmöglichkeit, die demselben Tatsachenkreis entsprungen ist, aus dem sich die Schadenshaftung des Notars ergibt, und begründete Aussicht auf Erfolg bietet (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO; vgl.
  241. - 14 -
  242. BGH, Urt. v. 22. Juni 1995 - IX ZR 122/94, WM 1995, 1883, 1885; v.
  243. 19. Oktober 1995 - IX ZR 104/94, WM 1996, 30, 32).
  244. Selbst wenn dem Kläger gegen seinen Bruder, der die Vertragspartner
  245. beim Abschluß des Schenkungsvertrages vertreten hat, ein Anspruch aus
  246. § 179 BGB zustehen sollte, so wäre dieser keine anderweitige Ersatzmöglichkeit im vorstehenden Sinne, weil der Vertreter in den Schutzbereich des § 19
  247. Abs. 1 Satz 1 BNotO einbezogen war und bei einer Inanspruchnahme durch
  248. den Kläger seinerseits einen Rückgriffsanspruch gegen den Beklagten hätte
  249. (vgl. BGHZ 56, 26, 31 ff; Senatsbeschl. v. 10. Dezember 1998 - IX ZR 244/97,
  250. BGHR BNotO § 19 Abs. 1 Satz 2 - Subsidiarität 4).
  251. Auch die Miterben haften dem Kläger nicht. Da die Vereinbarung vom
  252. 1. März 1992 unwirksam ist, waren die Miterben nicht verpflichtet, den Schenkungsvertrag zu genehmigen.
  253. c) Ein solcher Amtshaftungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten
  254. wäre auch nicht verjährt (§ 19 Abs. 1 Satz 3 BNotO, § 852 BGB).
  255. Die dreijährige Verjährungsfrist für einen solchen Anspruch beginnt erst
  256. dann, wenn der Geschädigte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt (vgl. dazu BGHZ 102, 246, 248 f; BGH, Urt. v.
  257. 24. Juni 1993 - IX ZR 84/92, NJW 1993, 2741, 2743 f; v. 2. Juli 1996 - IX ZR
  258. 299/95, WM 1996, 2071, 2074).
  259. aa) Der Kläger hat durch die geltend gemachten Amtspflichtverletzungen
  260. im Zusammenhang mit dem Schenkungsvertrag einen Schaden erlitten, als
  261. - 15 -
  262. seine Mutter am 23. Januar 1993 verstarb, so daß sie den vom Beklagten beurkundeten Schenkungsvertrag nicht mehr genehmigen konnte. Ein früherer
  263. Schadenseintritt ist insoweit nicht anzunehmen wegen der - vom Kläger bestrittenen - Behauptung des Beklagten, die Erblasserin sei nach dem
  264. 13. August 1992 geschäftsunfähig gewesen; der Beklagte, der die Voraussetzungen der Verjährung darzulegen und zu beweisen hat (vgl. BGH, Urt. v.
  265. 30. Januar 1980 - VIII ZR 237/78, WM 1980, 532, 534), hat keinen Beweis für
  266. dieses Vorbringen angetreten.
  267. An der Verschlechterung des Vermögens des Klägers infolge des Todes
  268. der Erblasserin ändert nichts die rechtliche Möglichkeit, daß die Miterben den
  269. Schenkungsvertrag hätten genehmigen können (§§ 177 Abs. 1, 184 Abs. 1,
  270. 1922, 2032, 2040 Abs. 1 BGB). Bis zur Verweigerung der Genehmigung durch
  271. zwei Miterben war nur unsicher, ob der bei wertender Betrachtung bereits eingetretene Schaden bestehenblieb und damit endgültig wurde (vgl. BGH, Urt. v.
  272. 15. Oktober 1992 - IX ZR 43/92, NJW 1993, 648, 650 f; v. 17. Juni 1999 IX ZR 100/98, WM 1999, 1642, 1643).
  273. bb) Der Kläger hat unter Beweisantritt behauptet, er habe von den Beurkundungsfehlern erst durch seinen Bruder erfahren, nachdem dieser das
  274. Schreiben des Beklagten vom 2. September 1994 erhalten gehabt habe. Davon
  275. ist auszugehen, da der Beklagte nicht schlüssig dargelegt hat, daß der Kläger
  276. zu einem früheren Zeitpunkt von dem Schaden und dessen Urheber erfahren
  277. hat. Selbst wenn sich der Kläger, wie der Beklagte geltend gemacht hat, den
  278. Kenntnisstand seines Bruders zurechnen lassen müßte, so hat auch dieser erst
  279. mit dem Schreiben des Beklagten vom 2. September 1994 eine entsprechende
  280. Kenntnis erlangt.
  281. - 16 -
  282. cc) Danach ist die Verjährung mit Zustellung der Amtshaftungsklage am
  283. 30. Oktober 1996 rechtzeitig unterbrochen worden (§§ 209 Abs. 1, 211, 217
  284. BGB, 253 Abs. 1 ZPO).
  285. d) Sollte sich ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen eines
  286. Beurkundungsfehlers dem Grunde nach ergeben, so wird das Berufungsgericht
  287. gemäß § 287 ZPO festzustellen haben, ob der Kläger durch die geltend gemachten Amtspflichtverletzungen den dargelegten Schaden erlitten hat; auch
  288. insoweit ist der Beklagte dem Klagevortrag entgegengetreten.
  289. 2. In erster Linie wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob nach
  290. dem bisher unberücksichtigten Vortrag des Klägers dessen gesamter Schadensersatzanspruch gerechtfertigt ist.
  291. a) Der Kläger hat unter Beweisantritt vorgebracht, der beklagte Notar
  292. habe es übernommen, die von der Erblasserin und ihren Kindern am 1. März
  293. 1992 vereinbarte Vorwegnahme der Erbfolge in eine geeignete rechtliche Form
  294. zu bringen sowie entsprechende Verträge vorzubereiten und für deren Vollzug
  295. zu sorgen (GA I 44). Bei Richtigkeit dieses Vorbringens, dem der Beklagte bisher nicht widersprochen hat, hat dieser eine umfassende Rechtsbetreuung gemäß § 24 Abs. 1 BNotO übernommen. Seine Aufgabe hat dann darin bestanden, für eine auftragsgerechte und zuverlässige Rechtsgestaltung zu sorgen;
  296. § 17 BeurkG gilt sinngemäß (vgl. BGH, Urt. v. 5. November 1992 - IX ZR
  297. 260/91, WM 1993, 260, 261 f).
  298. - 17 -
  299. Die aus einer Betreuungstätigkeit folgenden Amtspflichten hat der Beklagte nach dem vorliegenden Sach- und Streitstand fahrlässig verletzt. Er hat
  300. die Beteiligten nicht darauf hingewiesen, daß ihre Vereinbarung vom 1. März
  301. 1992 der notariellen Beurkundung gemäß § 313 BGB bedurfte. Außerdem hat
  302. er die Beteiligten nicht über die erbrechtliche Tragweite ihres Vorhabens, insbesondere über Art und Umfang einer Ausgleichspflicht unter den Miterben,
  303. belehrt (§§ 2050 Abs. 3, 2052, 2056 BGB; vgl. BGHZ 82, 274, 278).
  304. Da in den Vorinstanzen das Vorbringen des Klägers bisher nicht unter
  305. diesem rechtlichen Gesichtspunkt erörtert worden ist, ist den Parteien Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern.
  306. b) Sollte danach der Klagevortrag in diesem Sinne zu verstehen sein
  307. und sich als richtig herausstellen, so ist nach den Regeln des Anscheinsbeweises davon auszugehen, daß die Beteiligten nach pflichtgemäßer Belehrung
  308. durch den Beklagten ihre Vereinbarung vom 1. März 1992 hätten beurkunden
  309. lassen sowie Art und Höhe der Ausgleichsleistungen unter den Miterben sachgerecht festgelegt hätten. Allein ein solches Verhalten wäre dem Zweck und
  310. Inhalt ihrer Vereinbarung dienlich gewesen.
  311. c) Der Kläger hat schlüssig dargelegt, daß ihm aus der Verletzung einer
  312. Betreuungspflicht des Beklagten ein Schaden in Höhe seines Klageanspruchs
  313. entstanden ist. Danach sollte er aufgrund der Vereinbarung vom 1. März 1992
  314. das Ackerland im Wert von 111.475 DM und eine Zuzahlung von 20.000 DM
  315. erhalten. Tatsächlich sind ihm nach seiner Behauptung ein anteiliger Grundstückswert von 22.295 DM sowie Bargeld von 41.670 DM - einschließlich der
  316. - 18 -
  317. zugesagten Zahlung von 20.000 DM - zugeflossen. Der Unterschiedsbetrag
  318. entspricht der hauptsächlichen Klagesumme.
  319. Der haftungsrechtliche Ursachenzusammenhang ist nicht durch die Zustimmung des Klägers zu der Auseinandersetzung des Nachlasses im Januar
  320. 1995 unterbrochen worden; insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen
  321. verwiesen.
  322. d) Bei Verletzung einer Betreuungspflicht gemäß § 24 Abs. 1 BNotO
  323. haftet der Beklagte dem Kläger, der einer der Auftraggeber war, primär (§ 19
  324. Abs. 1 Satz 2 BNotO).
  325. e) Auch ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer Betreuungspflicht ist nicht verjährt (§ 19 Abs. 1 Satz 3 BNotO, § 852 BGB). Selbst
  326. wenn der daraus folgende Schaden schon mit der Nichtbeurkundung der Vereinbarung vom 1. März 1992 eingetreten sein sollte, so hat der Kläger Kenntnis
  327. von dem Schaden und dessen Urheber frühestens im September 1994 erlangt,
  328. so daß die Verjährung durch die Klageerhebung im Oktober 1996 unterbrochen
  329. wurde.
  330. Kreft
  331. Stodolkowitz
  332. Ganter
  333. Zugehör
  334. Wagenitz