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318 lines
18 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. I ZR 124/11
  4. Verkündet am:
  5. 6. Februar 2013
  6. Führinger
  7. Justizangestellte
  8. als Urkundsbeamtin
  9. der Geschäftsstelle
  10. in dem Rechtsstreit
  11. Nachschlagewerk:
  12. ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. Videospiel-Konsolen
  18. Richtlinie 2001/29/EG Art. 1 Abs. 2 Buchst. a
  19. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 1 Abs. 2
  20. Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl.
  21. Nr. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10) folgende Frage zur Vorabentscheidung
  22. vorgelegt:
  23. Steht Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG der Anwendung einer
  24. Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG ins nationale Recht umsetzenden
  25. Vorschrift (hier § 95a Abs. 3 UrhG) entgegen, wenn die in Rede stehende
  26. technische Maßnahme zugleich nicht nur Werke oder sonstige Schutzgegenstände, sondern auch Computerprogramme schützt?
  27. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 - I ZR 124/11 - OLG München
  28. LG München I
  29. -2-
  30. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
  31. und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Koch und Dr. Löffler
  32. beschlossen:
  33. I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
  34. II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung
  35. von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur
  36. Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und
  37. der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft
  38. (ABl. Nr. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10) folgende Frage zur
  39. Vorabentscheidung vorgelegt:
  40. Steht Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG der Anwendung einer Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG ins nationale Recht umsetzenden Vorschrift (hier § 95a Abs. 3 UrhG)
  41. entgegen, wenn die in Rede stehende technische Maßnahme
  42. zugleich nicht nur Werke oder sonstige Schutzgegenstände,
  43. sondern auch Computerprogramme schützt?
  44. Gründe:
  45. 1
  46. I. Die beiden Klägerinnen entwickeln, produzieren und vertreiben Videospiele und Videospiel-Konsolen, darunter die Konsole „Nintendo DS“ und zahlreiche dafür passende Spiele. Die Klägerin zu 1 ist Inhaberin der urheberrechtlichen Schutzrechte an den Computerprogrammen, Sprach-, Musik-, Lichtbild-
  47. -3-
  48. und Filmwerken sowie Laufbildern, die Bestandteil der Videospiele sind. Die
  49. Klägerin zu 2 ist ein Tochterunternehmen der Klägerin zu 1.
  50. 2
  51. Die Videospiele werden ausschließlich auf besonderen, nur für die Nintendo-DS-Konsole passenden Speichermedien, den „Slot-1-Karten“ angeboten,
  52. die in den Kartenschacht der Konsole, den „Slot-1“, eingesteckt werden. Die
  53. Karten verfügen über einen eingebauten Speicher, auf dem die Software sowie
  54. die Grafik- und Audiodateien der Spiele gespeichert sind. Auf dem Endkundenmarkt sind keine Geräte erhältlich, mit denen die Karten ausgelesen oder
  55. beschrieben werden können. Ohne eine in den „Slot-1“ eingesteckte Karte können auf der Konsole keine Spiele geladen und gespielt werden. Die Klägerinnen
  56. haben die „Slot-1-Karten“ speziell für die Nintendo-DS-Konsole entwickelt, um
  57. damit eine Vervielfältigung der Spiele durch den Durchschnittsverbraucher zu
  58. verhindern.
  59. 3
  60. Die frühere Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer die Beklagten zu 2
  61. und 3 waren (nachfolgend Beklagte) und über deren Vermögen im Laufe des
  62. Revisionsverfahrens das Insolvenzverfahren eröffnet und der jetzige Beklagte
  63. zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist, bot im Jahr 2008 im Internet
  64. Adapter für die Nintendo-DS-Konsole an. Diese Adapter sind den „Slot-1-Karten“ in Form und Größe genau nachgebildet, damit sie in den „Slot-1“ der Konsole passen. Sie verfügen über einen Einschub für eine Micro-SD-Karte oder
  65. über einen eingebauten Speicherbaustein („Flash-Speicher“). Nutzer der Konsole können mit Hilfe dieser Adapter im Internet angebotene Kopien von Spielen der Klägerinnen, die von Dritten durch Auslesen der Originalkarten unter
  66. Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen erstellt worden sind, auf der Konsole
  67. verwenden. Dazu laden sie solche Kopien der Spiele aus dem Internet herunter
  68. und übertragen diese sodann entweder auf eine Micro-SD-Karte, die anschließend in den Adapter eingesteckt wird, oder unmittelbar auf den eingebauten
  69. -4-
  70. Speicherbaustein des Adapters. Mithilfe der Adapter kann die Nintendo-DSKonsole auch für eine Vielzahl von Spielen anderer Anbieter genutzt werden.
  71. 4
  72. Die Klägerin zu 1 sieht in dem Vertrieb der Adapter einen Verstoß gegen
  73. die Vorschrift des § 95a Abs. 3 UrhG zum Schutz wirksamer technischer Maßnahmen (Schutzmaßnahmen), die ihrerseits dem Schutz urheberrechtlich geschützter Werke oder Leistungen dienen. Sie hat daher beantragt, den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu untersagen,
  74. zu gewerblichen Zwecken in den Kartenschacht der Nintendo-DS-Spielkonsole
  75. passende sogenannte „Slot-1-Karten“, die über einen internen wiederbeschreibbaren Speicher oder eine Vorrichtung zur Verwendung einer Micro-SDKarte verfügen und geeignet sind, im Internet verfügbare Kopien von NintendoDS-Spielen der Klägerinnen auf einer Nintendo-DS-Konsole abzuspielen, insbesondere die [näher bezeichneten] „Slot-1-Karten“, einzuführen, zu verbreiten,
  76. zu verkaufen, im Hinblick auf den Verkauf zu bewerben oder zu besitzen.
  77. 5
  78. Darüber hinaus hat sie die Verurteilung der Beklagten zur Auskunftserteilung, zur Rechnungslegung und zur Vernichtung der Karten sowie Feststellung
  79. der Schadensersatzpflicht begehrt. Ferner haben die Klägerin zu 1 markenrechtliche und die Klägerin zu 2 wettbewerbsrechtliche Ansprüche gegen die
  80. Beklagten erhoben, die im Zusammenhang mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen aber nicht von Bedeutung sind.
  81. 6
  82. Das Landgericht hat den auf einen Verstoß gegen § 95a Abs. 3 UrhG
  83. gestützten Klageanträgen im Wege des Teilurteils stattgegeben (LG München I,
  84. MMR 2010, 341).
  85. 7
  86. Dagegen haben die Beklagten Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren haben die Parteien den Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht
  87. im Blick darauf, dass die Klägerin zu 1 ihren Schadensersatzanspruch teilweise
  88. beziffert und inzwischen vor dem Landgericht die Verurteilung der Beklagten
  89. zur Zahlung von 1 Mio. € beantragt hat, übereinstimmend für teilweise erledigt
  90. erklärt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen
  91. -5-
  92. und in Abänderung des Feststellungsausspruchs des landgerichtlichen Urteils
  93. festgestellt, dass die Beklagten der Klägerin zu 1 einen 1 Mio. € übersteigenden
  94. Schaden zu ersetzen haben.
  95. 8
  96. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die
  97. Klägerinnen beantragen, verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Abweisung
  98. der Klage weiter. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen
  99. der früheren Beklagten zu 1 hat der jetzige Beklagte zu 1 das Verfahren als Insolvenzverwalter aufgenommen.
  100. 9
  101. II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 1 Abs. 2
  102. Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl.
  103. Nr. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10; im Folgenden: Richtlinie 2001/29/EG) ab.
  104. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
  105. 10
  106. 1. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin zu 1 auf einen Verstoß
  107. der Beklagten gegen die Bestimmung des § 95a Abs. 3 UrhG zum Schutz technischer Maßnahmen gestützten Ansprüche als begründet erachtet. Diese Vorschrift setzt Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG nahezu wörtlich ins deutsche Recht um.
  108. 11
  109. 2. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich
  110. bei der Bestimmung des § 95a Abs. 3 UrhG um ein Schutzgesetz im Sinne von
  111. § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB zugunsten der Inhaber von Rechten an urheberrechtlich geschützten Werken oder anderen urheberrechtlich geschützten Schutzgegenständen handelt (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2008 - I ZR 219/05, GRUR
  112. -6-
  113. 2008, 996 Rn. 14 bis 16 = WRP 2008, 1149 - Clone-CD). Die Klägerin zu 1 ist
  114. daher als Inhaberin der urheberrechtlichen Schutzrechte an den in den Videospielen enthaltenen Sprach-, Musik-, Lichtbild- und Filmwerken sowie Laufbildern berechtigt, die von ihr erhobenen Ansprüche auf Unterlassung (§ 1004
  115. Abs. 1, § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB), Auskunftserteilung und Rechnungslegung
  116. (§§ 242, 259 Abs. 1 BGB) geltend zu machen. Ferner kann sie die Feststellung
  117. der Schadensersatzpflicht (§ 823 Abs. 2 Satz 1 BGB) verlangen. Die Frage, ob
  118. ein Verstoß gegen § 95a Abs. 3 UrhG ein „anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht“ im Sinne des § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG verletzt (offengelassen
  119. in BGH, GRUR 2008, 996 Rn. 12 - Clone-CD) und die Klägerin daher auch befugt ist, den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Vernichtung der Karten
  120. (§ 98 Abs. 1 Satz 1 UrhG) zu erheben, kann beim derzeitigen Stand des Verfahrens offenbleiben.
  121. 12
  122. 3. Das Berufungsgericht hat weiter mit Recht angenommen, dass die
  123. Voraussetzungen des § 95a Abs. 3 Nr.3 UrhG (Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der
  124. Richtlinie 2001/29/EG) erfüllt sind.
  125. 13
  126. a) Gemäß § 95a Abs. 3 Nr. 3 UrhG (Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie
  127. 2001/29/EG) sind unter anderem die Herstellung, die Einfuhr, die Verbreitung,
  128. der Verkauf, die Werbung im Hinblick auf Verkauf und der gewerblichen Zwecken dienende Besitz von Vorrichtungen, Erzeugnissen oder Bestandteilen verboten, die hauptsächlich entworfen oder hergestellt werden, um die Umgehung
  129. wirksamer technischer Maßnahmen zu ermöglichen oder zu erleichtern. Technische Maßnahmen sind unter anderem Vorrichtungen und Bestandteile, die im
  130. normalen Betrieb dazu bestimmt sind, Handlungen zu verhindern, die geschützte Werke oder andere nach dem Urheberrechtsgesetz geschützte Schutzgegenstände betreffen und die vom Rechtsinhaber nicht genehmigt sind (§ 95a
  131. Abs. 2 Satz 1 UrhG; Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2001/29/EG). Technische Maßnahmen sind unter anderem wirksam, soweit der Rechtsinhaber mit
  132. -7-
  133. ihrer Hilfe die Nutzung eines geschützten Werkes oder eines anderen nach
  134. dem Urheberrechtsgesetz geschützten Gegenstandes durch einen Mechanismus kontrolliert, der die Erreichung des Schutzziels sicherstellt (§ 95a Abs. 2
  135. Satz 2 UrhG, Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2001/29/EG).
  136. 14
  137. b) Das Berufungsgericht hat angenommen, die konkrete Ausgestaltung
  138. der von den Klägerinnen hergestellten Karten und Konsolen stelle eine wirksame technische Schutzmaßnahme dar, weil aufgrund ihrer Abmessungen ausschließlich die „Slot-1-Karten“ mit dem „Slot-1-Schacht“ der Konsolen kompatibel seien und damit ausschließlich die auf den originalen „Slot-1-Karten“ vertriebenen Spiele der Klägerin zu 1 auf der Nintendo-DS-Konsole gespeichert
  139. und gespielt werden könnten. Die von den Beklagten vertriebenen Adapterkarten seien hauptsächlich zu dem Zweck entworfen und hergestellt worden, diese
  140. Schutzmaßnahmen zu umgehen. Dem stehe nicht entgegen, dass über die
  141. Adapterkarten auch etwa 2000 von Dritten entwickelte Spiele abgespielt werden
  142. könnten. Die Werbung der Beklagten für die Adapterkarten stelle gezielt auf die
  143. in wirtschaftlicher Hinsicht allein lukrative Möglichkeit des Abspielens von
  144. Raubkopien ab; demgegenüber träten die legalen Einsatzmöglichkeiten der
  145. Adapterkarten eindeutig in den Hintergrund.
  146. 15
  147. c) Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben
  148. nach Ansicht des Senats keinen Erfolg.
  149. 16
  150. 4. Es ist jedoch zweifelhaft, ob § 95a Abs. 3 UrhG (Art. 6 Abs. 2 der
  151. Richtlinie 2001/29/EG) im Streitfall überhaupt anwendbar ist.
  152. 17
  153. a) Gemäß § 69a Abs. 5 UrhG finden die Vorschriften der §§ 95a bis 95d
  154. UrhG auf Computerprogramme keine Anwendung. Die Regelung des § 69a
  155. Abs. 5 UrhG dient der Umsetzung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie
  156. 2001/29/EG und ist daher richtlinienkonform auszulegen.
  157. -8-
  158. 18
  159. Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG lässt die Richtlinie 2001/29/EG - deren Gegenstand der rechtliche Schutz des Urheberrechts
  160. und der verwandten Schutzrechte ist (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG) die bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über den rechtlichen
  161. Schutz von Computerprogrammen unberührt und beeinträchtigt sie in keiner
  162. Weise. Gemäß Erwägungsgrund 50 Satz 2 der Richtlinie 2001/29/EG sollte ein
  163. gemäß Art. 6 der Richtlinie 2001/29/EG harmonisierter Rechtsschutz technischer Maßnahmen insbesondere nicht auf den Schutz der in Verbindung mit
  164. Computerprogrammen verwendeten technischen Maßnahmen Anwendung finden, der ausschließlich in der Richtlinie 91/250/EWG - sie ist mittlerweile durch
  165. die Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
  166. 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl.
  167. Nr. L 111 vom 5. Mai 2009, S. 16; im Folgenden nur: Richtlinie 2009/24/EG)
  168. kodifiziert worden - behandelt wird.
  169. 19
  170. Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2009/24/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten, gemäß ihren innerstaatlichen Vorschriften geeignete Maßnahmen
  171. gegen das Inverkehrbringen und den Erwerbszwecken dienenden Besitz von
  172. Mitteln vorzusehen, die allein dazu bestimmt sind, die unerlaubte Beseitigung
  173. oder Umgehung technischer Programmschutzmechanismen zu erleichtern.
  174. Nach der zur Umsetzung dieser Vorschrift erlassenen Bestimmung des § 69f
  175. Abs. 2 UrhG kann der Rechtsinhaber vom Eigentümer oder Besitzer verlangen,
  176. dass Mittel vernichtet werden, die allein dazu bestimmt sind, die unerlaubte Beseitigung oder Umgehung technischer Programmschutzmechanismen zu erleichtern.
  177. 20
  178. b) Die zugunsten der Klägerin zu 1 urheberrechtlich geschützten Videospiele bestehen nicht nur aus Sprach-, Musik-, Lichtbild- und Filmwerken sowie
  179. Laufbildern; vielmehr liegen den Videospielen auch Computerprogramme zugrunde. Es stellt sich daher die Frage, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie
  180. -9-
  181. 2001/29/EG der Anwendung einer Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG ins
  182. nationale Recht umsetzenden Vorschrift (hier § 95a Abs. 3 UrhG) entgegensteht, wenn die in Rede stehende technische Maßnahme zugleich nicht nur
  183. Werke oder sonstige Schutzgegenstände, sondern auch Computerprogramme
  184. schützt. Diese - entscheidungserhebliche - Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. In Rechtsprechung und Schrifttum werden dazu unterschiedliche
  185. Auffassungen vertreten.
  186. 21
  187. aa) Nach einer Ansicht richtet sich der Schutz technischer Maßnahmen
  188. bei solchen hybriden Produkten, die zugleich Computerprogramme und andere
  189. Werke oder urheberrechtlich geschützte Schutzgegenstände enthalten, wegen
  190. der Vorrangregelung des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG allein nach der speziellen Regelung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie
  191. 2009/24/EG (vgl. Götting in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl.,
  192. § 95a UrhG Rn. 4).
  193. 22
  194. bb) Nach anderer Ansicht ist das anwendbare Recht bei hybriden Produkten nach dem Schwerpunkt des Schutzes zu bestimmen. Danach ist ausschließlich Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2009/24/EG anwendbar, wenn
  195. die technische Maßnahme vor allem das Computerprogramm schützt; dagegen
  196. ist allein Art. 6 der Richtlinie 2001/29/EG anzuwenden, wenn die technische
  197. Maßnahme in erster Linie dem Schutz anderer Werke oder urheberrechtlich geschützter Schutzgegenstände dient (vgl. Grützmacher in Wandtke/Bullinger,
  198. Urheberrecht, 3. Aufl., § 69a UrhG Rn. 83; Czychowski in Fromm/Nordemann,
  199. Urheberrecht, 10. Aufl., § 69a UrhG Rn. 45; Peukert in Loewenheim, Handbuch
  200. des Urheberrechts, 2. Aufl., § 34 Rn. 8; Kreutzer, CR 2007, 1, 6 f.; vgl. auch
  201. Wandtke/Ohst in Wandtke/Bullinger aaO § 95a UrhG Rn. 8).
  202. 23
  203. Dabei bestehen allerdings unterschiedliche Meinungen zu der Frage, wo
  204. bei hybriden Produkten und insbesondere Videospielen der Schwerpunkt des
  205. - 10 -
  206. Schutzes liegt. Nach einer Ansicht gelten technische Schutzmaßnahmen bei
  207. Videospielen in erster Linie dem Computercode und nicht den Spielsequenzen
  208. (Grunert in Wandtke/Bullinger aaO § 69a Rn. 83; Kreutzer, CR 2007, 1, 3 ff.).
  209. Nach anderer Ansicht ist dies jedenfalls dann der Fall, wenn die Darstellung von
  210. Werken unmittelbar auf dem Ablauf einer dynamischen Software beruht, die Interaktionen zwischen Nutzer und Spiel ermöglicht (vgl. Peukert in Loewenheim
  211. aaO § 34 Rn. 8). Nach wiederum anderer Auffassung sollen die technischen
  212. Schutzmaßnahmen bei Videospielen vor allem die Filmsequenzen schützen
  213. (vgl. Schmidl in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 2. Aufl., § 95a UrhG Rn. 20).
  214. 24
  215. cc) Nach einer dritten Auffassung, die der Senat teilt, ist bei technischen
  216. Schutzmaßnahmen, die dem Schutz kombinierter Produkte dienen, grundsätzlich sowohl die Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie
  217. 2009/24/EG als auch die Bestimmung des Art. 6 der Richtlinie 2001/29/EG anwendbar (vgl. LG München I, MMR 2008, 839, 840 f.; so wohl auch High Court
  218. of Justice [Chancery Division], [2004] EWHC 1738 [Ch] Rn. 26 ff. - Kabushiki
  219. Kaisha Sony Computer Entertainment Inc. u.a./Ball u.a.; Arnold/Timmann, MMR
  220. 2008, 286, 287, insbesondere Fn. 7; ähnlich Arlt, MMR 2005, 148, 154). Es erscheint nicht gerechtfertigt, technische Schutzmaßnahmen, die auch dem
  221. Schutz anderer Werke und urheberrechtlich geschützter Schutzgegenstände
  222. dienen, nur deshalb dem weiterreichenden Schutz des Art. 6 der Richtlinie
  223. 2001/29/EG zu entziehen und allein dem Schutz des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der
  224. Richtlinie 2009/24/EG zu unterstellen, weil sie zugleich dem Schutz von Computerprogrammen dienen. Das gilt auch dann, wenn der Schwerpunkt des
  225. Schutzes auf den Computerprogrammen liegt. Gegen eine Abgrenzung nach
  226. dem - oft nicht eindeutig zu bestimmenden - Schwerpunkt des Schutzes spricht
  227. zudem, dass diese zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen würde. Dass der
  228. weiterreichende Schutz des Art. 6 der Richtlinie 2001/29/EG bei hybriden Produkten faktisch auch Computerprogrammen zugutekommt, ist hinzunehmen,
  229. - 11 -
  230. soweit weiterhin Mittel zur Umgehung technischer Maßnahmen entwickelt oder
  231. verwendet werden dürfen, die erforderlich sind, um die nach Art. 5 Abs. 3 und
  232. Art. 6 der Richtlinie 2009/24/EG - ohne Genehmigung oder Zustimmung des
  233. Rechtsinhabers zulässigen - Handlungen zu ermöglichen (vgl. Erwägungsgrund 50 Satz 3 der Richtlinie 2001/29/EG).
  234. Bornkamm
  235. Pokrant
  236. Koch
  237. Büscher
  238. Löffler
  239. Vorinstanzen:
  240. LG München I, Entscheidung vom 14.10.2009 - 21 O 22196/08 OLG München, Entscheidung vom 09.06.2011 - 6 U 5037/09 -