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22 KiB

  1. 5 StR 412/03
  2. BUNDESGERICHTSHOF
  3. BESCHLUSS
  4. vom 7. Juli 2004
  5. in der Strafsache
  6. gegen
  7. wegen Steuerhinterziehung u. a.
  8. -2-
  9. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juli 2004
  10. beschlossen:
  11. I.
  12. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  13. Landgerichts Rostock vom 23. Dezember 2002 nach
  14. § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
  15. 1. soweit der Angeklagte wegen Untreue (Fall II. 1
  16. der Urteilsgründe) verurteilt worden ist; insoweit
  17. wird das Verfahren auf Kosten der Staatskasse,
  18. die auch die hierdurch entstandenen notwendigen
  19. Auslagen
  20. des
  21. Angeklagten
  22. trägt,
  23. eingestellt
  24. (§ 206a StPO);
  25. 2. mit den Feststellungen, soweit der Angeklagte im
  26. übrigen verurteilt worden ist.
  27. II.
  28. Im Umfang der Aufhebung wird das Verfahren, soweit
  29. es nicht eingestellt ist, zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des
  30. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des
  31. Landgerichts zurückverwiesen.
  32. G r ü n d e
  33. Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im übrigen – wegen Untreue, Betrugs in drei Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun
  34. Monaten verurteilt. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit Verfahrensrügen und der Sachrüge, ferner macht er ein Verfahrenshindernis gel-
  35. -3-
  36. tend. Die Revision des Angeklagten führt zur Einstellung des Verfahrens hinsichtlich des Tatvorwurfs der Untreue wegen Verjährung und zur Aufhebung
  37. des Urteils, soweit der Angeklagte im übrigen verurteilt worden ist.
  38. 1. Die Verurteilung wegen Untreue hat keinen Bestand, weil insoweit
  39. jedenfalls Verfolgungsverjährung (§ 78 Abs. 2 Nr. 4 StGB) eingetreten ist.
  40. a) Das Landgericht hat hinsichtlich des Vorwurfs der Untreue folgende
  41. Feststellungen getroffen:
  42. Der Angeklagte bemühte sich nach seinem Rücktritt als Bundesminister, eine Existenz als selbständiger Unternehmer aufzubauen. Im Sommer
  43. 1993 erwarb er zu diesem Zweck 75 % der Gesellschaftsanteile der I
  44. GmbH, die später als A
  45. I
  46. GmbH bzw. A
  47. GmbH firmierte (A
  48. I
  49. I
  50. GmbH)
  51. und deren alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer er wurde. Darüber
  52. hinaus wurde er Mehrheitsgesellschafter der in der Schweiz gegründeten
  53. Firma A
  54. I
  55. AG. In dieser Gesellschaft übernahm er die Funktion
  56. des Präsidenten des Verwaltungsrates und wurde neben dem Zeugen W
  57. alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer.
  58. Am 26. Juli 1993 erhielt der Angeklagte von der Bayerischen Landesbank ein – nur unzureichend besichertes – Darlehen in Höhe von
  59. elf Mio. DM, dessen Zweck nach dem zugrundeliegenden Rahmenvertrag die
  60. Mitfinanzierung diverser Bauträgermaßnahmen war. Das Geld aus dem
  61. Darlehen stellte der Angeklagte der A
  62. I
  63. GmbH mit mehreren Ge-
  64. sellschafterdarlehen zur Verfügung und leitete es in der Folgezeit an die A
  65. I
  66. AG weiter. Zu diesem Zweck wurden zwischen diesen beiden Ge-
  67. sellschaften Treuhandverträge abgeschlossen, nach denen die A
  68. AG das Geld „künftig für Rechnung der A
  69. I
  70. I
  71. GmbH verwalten und
  72. möglichst zinsgünstig anlegen“ sollte; eine Absicherung zugunsten der A
  73. I
  74. GmbH war nicht vorgesehen. Die A
  75. I
  76. AG schloß mit
  77. -4-
  78. der Firma F
  79. C
  80. T
  81. A
  82. S
  83. (FAS), welche ihrerseits mit der F
  84. AG (FCT AG) zusammenarbeitete, einen Anlage- und
  85. Treuhandvertrag ab, mit dem das Geld in einem angeblich risikolosen und
  86. außerordentlich ertragreichen Dollar-Yen-Programm (5 % Zinsen pro Monat)
  87. angelegt werden sollte. Eine Absicherung des Investors war in dem Vertrag
  88. nicht vorgesehen. In der Folgezeit flossen insgesamt 8,7 Mio. DM an die
  89. FAS, wobei der Angeklagte den Verlust des Geldes zumindest billigend in
  90. Kauf nahm. Darüber hinaus wurde ein Teil der angeblichen Renditen in das
  91. Dollar-Yen-Programm reinvestiert, so daß sich eine Anlagesumme von rund
  92. 9,78 Mio. DM ergab.
  93. Im November 1993 bemühte sich der Angeklagte bei der Deutschen
  94. Bank vergeblich um einen Kredit von bis zu 260 Mio. DM zur Umsetzung eines weiteren Projekts. Gelder aus dem Darlehen, die bei der Projektumsetzung nicht unmittelbar benötigt wurden, sollten über die A
  95. I
  96. AG bei
  97. Investmentgesellschaften mit einer garantierten Rendite von 12 % jährlich
  98. angelegt werden. Bei der Ablehnung des Kreditwunsches warnten Mitarbeiter
  99. der Bank den Angeklagten ausdrücklich vor vermeintlich hochverzinslichen
  100. Geldanlagen, da diese oft hochspekulativ und risikobehaftet seien.
  101. Im Anschluß daran versuchte der Angeklagte etwa ab Januar 1994,
  102. Anteile einer in Deutschland ansässigen Bank zu erwerben, um sich so eine
  103. Geldquelle für seine Geschäfte zu erschließen. Um den Kaufpreis für den in
  104. Aussicht genommenen Erwerb von 50 % des Aktienkapitals der B
  105. N
  106. AG (BCN AG) aufzubringen, schlossen die A
  107. I
  108. C
  109. AG und
  110. die FAS am 3. Februar 1994 einen Darlehensvertrag über 10 Mio. DM ab.
  111. Als Sicherheit verpfändete die A
  112. I
  113. AG die Dollar-Yen-Anlage. Der
  114. Darlehensbetrag wurde bis Anfang März 1994 tatsächlich fast vollständig auf
  115. privaten Konten des Angeklagten gutgeschrieben.
  116. Etwa zur gleichen Zeit hatte der Finanzvermittler S
  117. bekannten R
  118. dem ihm
  119. , der als Vertreter der FCT AG auftrat, eine weitere
  120. -5-
  121. Investition in ein angeblich hochverzinsliches Tradingprogramm angeboten.
  122. Da R
  123. selbst nicht in der Lage war, das erforderliche Kapital aufzu-
  124. bringen, drängte er den Angeklagten, ihm das Geld zur Verfügung zu stellen.
  125. Unter erneuter Zurückstellung aller vernünftigen Zweifel und Bedenken hinsichtlich der Seriosität und Machbarkeit solcher Anlagen, ging der Angeklagte darauf ein, indem er 8,3 Mio. DM am 15. Juni 1994 an S
  126. berwies. S
  127. ü-
  128. bestätigte mehrfach wahrheitswidrig, das Geld sei
  129. – durch werthaltige Sicherheiten besichert – in das Investmentprogramm geflossen. Tatsächlich hatte er den gesamten Betrag am 2. Juli 1994 dem anderweitig verfolgten B
  130. zur freien Verfügung gestellt. Nach den Feststel-
  131. lungen des Landgerichts führte B
  132. damit kein Investmentprogramm
  133. durch, sondern er verbrauchte das Geld bis zum 31. Dezember 1994 fast
  134. vollständig im eigenen Interesse für andere Zwecke.
  135. Bereits ab Februar 1994 gab es wegen angeblicher „interner Probleme
  136. bei der Abwicklung“ Unregelmäßigkeiten bei den Renditezahlungen aus dem
  137. Dollar-Yen-Programm. Ungeachtet dessen schlossen die A
  138. I
  139. AG
  140. und die FCT AG (die FAS findet keine Erwähnung mehr) einen weiteren Anlage- und Treuhandvertrag, der mit dem ursprünglichen weitgehend übereinstimmte und diesen ersetzte. Nachdem auch in der Folgezeit keine weiteren
  141. Renditezahlungen erfolgten, kam es bei einer Unterredung am 23. Juli 1994
  142. zwischen dem Angeklagten und R
  143. zur vorfristigen Kündigung des
  144. Dollar-Yen-Programms und der Investition der Anlagesumme in eine „alternative Finanzanlage“ bei einer monatlichen Verzinsung von 5 %.
  145. Im Frühsommer 1995 erfuhr der Angeklagte, daß S
  146. zur Geldanlage überlassenen 8,3 Mio. DM an B
  147. Der Angeklagte erreichte, daß „die A
  148. I
  149. die ihm
  150. weitergereicht hatte.
  151. AG die Anlage bei B
  152. in
  153. Höhe von 5 Mio. US-Dollar nunmehr unmittelbar übernahm“. Damit sollten
  154. die Ansprüche der A
  155. I
  156. AG gegen die FAS und die FCT AG abge-
  157. golten sein. In Verhandlungen mit B
  158. gelang es dem Angeklagten, diesen
  159. -6-
  160. in der Zeit zwischen Juni und August 1995 zu Rückzahlungen von ca.
  161. 1,5 Mio. DM zu veranlassen.
  162. Trotz des Abschlusses weiterer Nachfolgeverträge (unter anderem mit
  163. einer weiteren Firma A
  164. F
  165. G
  166. L
  167. mit Renditen von
  168. jährlich bis zu 100 % sowie dem Abschluß von Managementverträgen
  169. betreffend wertlose goldgestützte Deutsche Äußere Anleihen von 1924) blieben Renditezahlungen aus. Im Jahr 1997 kam es zum Konkursverfahren über das Vermögen der FCT AG. Forderungen der A
  170. I
  171. AG konnten im
  172. Konkurs wegen der durch den Angeklagten erklärten Verrechnungen nicht
  173. mehr durchgesetzt werden.
  174. Die Weitergabe der als Gesellschafterdarlehen in die A
  175. GmbH eingebrachten Beträge an die A
  176. I
  177. I
  178. AG und deren Anlage in
  179. dem hochspekulativen und unseriösen Dollar-Yen-Programm führten zu einer Überschuldung der GmbH und letztlich zu deren Insolvenz.
  180. Das Landgericht hat dieses Vorgehen des Angeklagten als Untreue
  181. zum Nachteil der A
  182. I
  183. GmbH gewertet, weil die Weggabe fast des
  184. gesamten Gesellschaftsvermögens der A
  185. I
  186. AG ohne erforderli-
  187. chen Gesellschafterbeschluß erfolgt sei und der Kapitalverlust zu einer dauerhaften Überschuldung der Gesellschaft geführt habe. Nach Auffassung des
  188. Landgerichts war insoweit auch keine Verjährung eingetreten. Der für den
  189. Beginn der Verjährungsfrist maßgebliche Beendigungszeitpunkt der Untreue
  190. sei hier in den von B
  191. auf Druck des Angeklagten vorgenommenen Rück-
  192. zahlungen im Zeitraum Juni bis August 1995 zu sehen. Danach habe die
  193. staatsanwaltschaftliche Anordnung der Beschuldigtenvernehmung wegen
  194. des Vorwurfs der Untreue vom 20. Oktober 1999 die Verjährungsfrist rechtzeitig unterbrochen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  195. b) Nach § 78a Satz 1 StGB beginnt die Verjährung mit der Beendigung der Tat. Die Untreue im Sinne von § 266 StGB ist beendet mit dem
  196. -7-
  197. Eintritt des vom Vorsatz umfaßten Nachteils. Entsteht der Nachteil erst durch
  198. verschiedene Ereignisse oder vergrößert er sich nach und nach, dann ist der
  199. Zeitpunkt des letzten Ereignisses maßgebend (vgl. BGHR StGB § 78a Satz 1
  200. Untreue 1; BGH NStZ 2003, 540 f. m.w.N.).
  201. Es erscheint nicht gänzlich ausgeschlossen, die Beendigung der Untreue zum Nachteil der A
  202. I
  203. GmbH bereits in der ursprünglichen Ü-
  204. berweisung des Geldes zur Anlage in ein völlig unseriöses Investmentprogramm wie das Dollar-Yen-Programm zu sehen. Aber auch wenn man eine
  205. Ersetzung der ursprünglichen Geldanlage darin sieht, daß der Angeklagte im
  206. Juni 1994 einen – darlehensweise erlangten – Betrag von 8,3 Mio. DM für ein
  207. weiteres hochspekulatives Investmentprogramm bereitstellte, war der Nachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB jedenfalls mit Überweisung dieses Betrages am 15. Juni 1994 durch den Angeklagten an S
  208. und spätestens durch dessen Überweisung an B
  209. eingetreten
  210. am 2. Juli 1994 end-
  211. gültig. Der Lauf der Verjährung wurde erstmals durch die Anordnung der Beschuldigtenvernehmung wegen des Vorwurfs der Untreue am 20. Oktober 1999 unterbrochen, mithin erst nach Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 2 Nr. 4 StGB).
  212. Dabei kommt es nicht darauf an, ob bei dem vom Landgericht festgestellten Geschehen neben der ausgeurteilten Untreue (unbesicherte Verschiebung fast des gesamten Gesellschaftsvermögens der A
  213. GmbH an die A
  214. I
  215. I
  216. AG zur Anlage in hochspekulativen Geldge-
  217. schäften) weitere untreuerelevante Handlungen des Angeklagten vorliegen.
  218. So könnte die zweckwidrige Verwendung des bei der FAS aufgenommenen
  219. Darlehens (Überweisung an S
  220. statt Erwerb von Anteilen der BCN
  221. AG) ebenso als Untreue zu werten sein, wie die „Verpfändung“ der DollarYen-Anlage als Sicherheit (insoweit verfügte die A
  222. händerisch angelegtes Geld der A
  223. I
  224. I
  225. AG über treu-
  226. GmbH und entwertete letztlich
  227. deren Rückzahlungsanspruch). Eine genaue rechtliche Bewertung ist indes
  228. mangels ausreichend getroffener Feststellungen hinsichtlich der jeweiligen
  229. -8-
  230. konkreten vertraglichen Ausgestaltungen und der Verantwortlichkeiten nicht
  231. möglich. So bleibt unklar, auf welcher Grundlage die Überweisung an S
  232. erfolgte und wer insoweit Vertragspartner des S
  233. geklagte persönlich, R
  234. oder die A
  235. I
  236. war (der AnAG). Weiterhin un-
  237. terzeichnete nach den Feststellungen des Landgerichts der Zeuge W
  238. die für die A
  239. I
  240. AG abgeschlossenen Verträge. Inwieweit der Ange-
  241. klagte auf den Abschluß der Verträge bzw. auf den Zeugen W
  242. Einfluß
  243. nahm, ist im Urteil nicht näher dargelegt.
  244. Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil hier der Nachteil – sowohl
  245. der vom Landgericht ausgeurteilten Untreue als auch der weiteren in Betracht kommenden Untreuehandlungen, die den ursprünglichen Nachteil vertieften – mit der Überweisung der 8,3 Mio. DM am 15. Juni 1994 an S
  246. eingetreten war. Wie das Landgericht zutreffend feststellt, hatte sich
  247. der Angeklagte durch die unbesicherte Weggabe der 8,3 Mio. DM aus der
  248. Sphäre der A
  249. I
  250. AG jeglicher Zugriffsmöglichkeiten auf die ange-
  251. legten Beträge beraubt; Sicherheiten waren nicht vereinbart. Der Rückzahlungsanspruch der A
  252. I
  253. AG gegen S
  254. auch der Rückzahlungsanspruch der A
  255. I
  256. war wertlos und damit
  257. I
  258. GmbH gegen die A
  259. AG. Nach Eingang des Geldes auf dem Konto des S
  260. spätestens mit der Weitergabe des Geldes durch S
  261. und
  262. an B
  263. am
  264. 2. August 1994 bestand keine reale Möglichkeit mehr, das Geld zurückzuerhalten. Damit war die Untreue beendet. Selbst wenn man auf die vertragsmäßige Beendigung des ursprünglichen Dollar-Yen-Programms und dessen
  265. Ersetzung durch eine alternative Finanzanlage abstellen würde (einvernehmliche vorfristige Kündigung am 23. Juli 1994) würde dies nichts am Eintritt der
  266. Verjährung ändern.
  267. Entgegen der Auffassung des Landgerichts wurde der Beendigungszeitpunkt auch nicht durch die verschiedenen Teilrückzahlungen, die B
  268. aufgrund des Drucks des Angeklagten bis Mitte 1995 erbrachte, hinausgeschoben. Weder durch diese zum Teil erfolgte Schadenswiedergutmachung,
  269. -9-
  270. noch durch die verschiedenen vom Angeklagten nachträglich abgeschlossenen Vereinbarungen, die letztlich Rückzahlungsverpflichtungen von S
  271. und B
  272. zum Gegenstand hatten, vertiefte sich der bei der GmbH
  273. eingetretene Schaden.
  274. 2. Die Verurteilung wegen versuchter Steuerhinterziehung in zwei
  275. Fällen war aufzuheben, weil die Revision insoweit zutreffend das durchgeführte Selbstleseverfahren (§ 261, § 249 Abs. 2 StPO) beanstandet.
  276. a) Das Landgericht hat am 35. und am 38. Hauptverhandlungstag die
  277. Durchführung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO für eine
  278. Vielzahl von Urkunden angeordnet und den Verfahrensbeteiligten jeweils
  279. Kopien der Schriftstücke ausgehändigt. Dies wurde jeweils im Protokoll vermerkt ebenso wie der Hinweis des Vorsitzenden, daß die Berufsrichter die
  280. Schriftstücke gelesen hätten (Prot. Bd. III, Bl. 488 ff. und Bd. IV, Bl. 531 ff.).
  281. Bis zum Abschluß der Hauptverhandlung findet sich dagegen kein Eintrag im
  282. Protokoll, daß auch die Schöffen vom Wortlaut der Schriftstücke Kenntnis
  283. genommen haben. Das Landgericht stützt seine Beweisführung hinsichtlich
  284. des Vorwurfes der versuchten Steuerhinterziehung maßgeblich auf verschiedene Beträge über Zinsen, Aufwendungen, Tilgungszahlungen und Rechnungsabgrenzungsposten, welche sie aus den Berichten über den Jahresabschluß der A
  285. I
  286. GmbH zum 31. Dezember 1993 und 1994
  287. entnommen hat. Die Revision rügt die Verletzung der Förmlichkeiten des
  288. Selbstleseverfahrens und bezieht sich dabei auf sechs Urkunden bzw. Urkundenkonvolute, darunter auch die maßgeblichen Jahresabschlüsse.
  289. b) Macht das Tatgericht von der Möglichkeit des Selbstleseverfahrens
  290. nach § 249 Abs. 2 StPO Gebrauch, müssen sowohl die Berufsrichter als
  291. auch die Schöffen vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis nehmen, diese also
  292. tatsächlich gelesen haben. Eine Differenzierung hinsichtlich der Vorgehensweise zwischen Berufsrichtern und Schöffen ist unzulässig. Der Vorsitzende
  293. muß gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die Feststellung über die Kenntnis-
  294. - 10 -
  295. nahme in das Protokoll aufnehmen. Dabei handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 StPO (vgl. BGH NStZ 2000, 47; 2001,
  296. 161; StV 2000, 603, 604). Der Nachweis hierüber kann somit nur durch das
  297. Protokoll geführt werden (§ 274 StPO).
  298. Wurde die Feststellung der Kenntnisnahme durch die Schöffen nicht
  299. protokolliert, ist somit aufgrund der negativen Beweiskraft des Protokolls davon auszugehen, daß das Beweismittel nicht zur Kenntnis gelangt ist (vgl.
  300. Schlüchter in SK-StPO 6. Aufbau-Lfg. § 249 Rdn. 71; Eisenberg, Beweisrecht der StPO 4. Aufl. Rdn. 2070; a.A. Diemer in KK 5. Aufl. § 249 Rdn. 39;
  301. Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. § 249 Rdn. 31). Dem Revisionsgericht ist es
  302. damit verwehrt, freibeweislich nachzuforschen, ob die Kenntnisnahme tatsächlich unterblieben ist (abw. Diemer aaO; Meyer-Goßner aaO). Die Beweiskraft des Protokolls kann nur bei offenkundiger Fehler- oder Lückenhaftigkeit entfallen (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 12 m.w.N.); solches ist
  303. hier insoweit nicht ersichtlich. Eine Lückenhaftigkeit ergibt sich auch nicht
  304. schon daraus, daß die Anordnung des Selbstleseverfahrens, nicht aber die
  305. nach § 249 Abs. 2 StPO notwendige Feststellung über dessen erfolgreiche
  306. Durchführung vermerkt ist. Denn die Anordnung des Selbstleseverfahrens
  307. läßt keinen Schluß auf die weitere Beachtung des Verfahrens nach § 249
  308. Abs. 2 StPO zu (vgl. BGH NStZ 2000, 47 m.w.N.).
  309. Der Inhalt der verwendeten Jahresabschlußberichte, namentlich die
  310. vom Landgericht hieraus entnommenen Zahlenwerke, konnte auch nicht im
  311. Wege des Vorhalts an Zeugen zulässig in die Hauptverhandlung eingeführt
  312. werden. Denn bei Jahresabschlußberichten handelt es sich um umfangreiche, inhaltlich schwierige und komplexe Urkunden (vgl. BGHR StPO § 249
  313. Abs. 1 Verlesung, unterbliebene 1). Für die Erfassung des Sinns der verwendeten Zahlen kommt es auf den genauen Kontext an, in dem diese in der
  314. Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung bzw. deren Erläuterungen stehen.
  315. - 11 -
  316. 3. Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Betrugs in drei Fällen hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen des Landgerichts zum Eintritt eines Vermögensschadens bei den Geschädigten sind
  317. nicht ausreichend.
  318. a) Das Landgericht ist in bezug auf die Betrugsvorwürfe von folgenden
  319. Feststellungen ausgegangen:
  320. Die Zeugen Sc
  321. mer der A
  322. I
  323. , Ka
  324. ,F
  325. und Ra
  326. waren Arbeitneh-
  327. GmbH. Sie beendeten ihre Arbeitsverhältnisse, nach-
  328. dem die GmbH nicht mehr in der Lage war, ihre Gehälter zu bezahlen. Um
  329. Zeit zu gewinnen, legte der Angeklagte in dem vom Zeugen Sc
  330. betrie-
  331. benen arbeitsgerichtlichen Mahnverfahren Widerspruch ein und bot dem
  332. Zeugen eine außergerichtliche Einigung an; im Januar 1997 erkannte er dessen Forderungen in Höhe von 21.080 DM an und verpflichtete sich zu Ratenzahlungen. Auch gegen den vom Zeugen Ka
  333. beantragten Mahnbescheid
  334. legte der Angeklagte Widerspruch ein; er nahm aber Gesprächstermine für
  335. eine außergerichtliche Einigung nicht wahr, so daß Ka
  336. ein Versäumnis-
  337. urteil über 37.091 DM erwirkte. Um die drohende Erzwingungshaft zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und das Insolvenzverfahren für die A
  338. I
  339. GmbH, insbesondere im Hinblick auf seine Kandidatur bei der
  340. Bundestagswahl 1998, zu vermeiden, übernahm der Angeklagte am 11. Januar 1998 jeweils eine selbstschuldnerische, unbeschränkte Bürgschaft für
  341. die ausstehenden Lohnforderungen von Ka
  342. und Sc
  343. . Im Gegenzug
  344. stundeten diese jeweils zwei Drittel ihrer Forderungen. Der Angeklagte zahlte
  345. – wie von Anfang an beabsichtigt – jeweils nur die erste Rate der Ratenzahlungsvereinbarung. Zahlungen bei Fälligkeit der zweiten Rate – kurz nach
  346. der Bundestagswahl im September 1998 – erfolgten nicht mehr.
  347. Auch zur Abwendung der Vollstreckung des vom Zeugen F
  348. erwirkten Versäumnisurteils über 49.741 DM übernahm der Angeklagte im
  349. März 1998 eine selbstschuldnerische Bürgschaft und vereinbarte mit dem
  350. - 12 -
  351. Zeugen einen Ratenzahlungsvergleich, den er ebenfalls nicht einhielt. Erst
  352. auf Drohung mit einer Strafanzeige zahlte der Angeklagte einmalig
  353. 4.000 DM. Die rückständigen Lohnforderungen seiner langjährigen Sekretärin Ra
  354. in Höhe von 108.126 DM erkannte der Angeklagte nach längerer
  355. Hinhaltetaktik schließlich im Oktober 1998 an; er verbürgte sich auch für diese Forderungen persönlich. Die gleichzeitig abgeschlossene Ratenzahlungsvereinbarung erfüllte der Angeklagte – seiner ursprünglichen Absicht entsprechend – nicht. Im Wege der Zwangsvollstreckung eines im Oktober 1999
  356. erwirkten Versäumnisurteils konnte die Zeugin nur noch 14.000 DM beitreiben.
  357. Die A
  358. I
  359. GmbH verfügte 1998 noch über laufende Mietein-
  360. nahmen von monatlich mindestens 10.000 DM sowie über nicht unerhebliche, zumindest teilweise einbringliche Werklohnforderungen. Auch der Angeklagte hatte in den Jahren 1998 und 1999 noch Einnahmen. So erlöste er
  361. im Dezember 1998 aus dem Verkauf seiner Gesellschaftsanteile an der A
  362. I
  363. GmbH 10.000 DM und erhielt für seinen Verzicht auf eine stille
  364. Beteiligung an der B
  365. V
  366. GmbH einen Barscheck über
  367. 75.000 DM. Ab Januar 1999 erhielt er von der Firma A&I B
  368. GmbH
  369. ein monatliches Beraterhonorar von 8.000 DM.
  370. b) Die vier Fälle stellen jeweils einen Stundungsbetrug dar. Der Angeklagte hielt im Ergebnis die Geschädigten (vorübergehend) von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ab, indem er Versprechungen hinsichtlich der Zahlungen durch die A
  371. I
  372. GmbH machte und persönliche Bürgschaften ü-
  373. bernahm. Ein solcher Stundungsbetrug ist indes nur dann strafbar, wenn die
  374. Chancen für die Erfüllung eines Anspruchs gerade durch den Zeitablauf verschlechtert werden und damit die Forderung an Wert verliert (vgl. BGHSt 1,
  375. 262, 264; Tiedemann in LK 11. Aufl. § 263 Rdn. 211, 229 m.w.N.). Dies kann
  376. dann der Fall sein, wenn der Angeklagte zum Zeitpunkt der Stundung noch
  377. zahlungsfähig oder in höherem Maße zahlungsfähig war als später (BGHSt
  378. aaO).
  379. - 13 -
  380. Zwar hat das Landgericht – das in rechtlich nicht zu beanstandender
  381. Weise von Zahlungsunwilligkeit des Angeklagten ausgeht – dargelegt, daß
  382. sowohl die A
  383. I
  384. GmbH als auch der Angeklagte selbst in den Jah-
  385. ren 1998 und 1999 über laufende Einnahmen und werthaltige Forderungen
  386. gegenüber Dritten verfügten. Indes wird nicht hinreichend deutlich, daß bei
  387. Abschluß der Stundungsvereinbarungen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen
  388. gegen die GmbH bzw. den Angeklagten hinsichtlich der nicht unerheblichen
  389. Verbindlichkeiten erfolgversprechender gewesen wären als zu einem späteren Zeitpunkt. Es wird insoweit nicht mitgeteilt, ob der Angeklagte auch tatsächlich über die bezeichneten Einnahmen verfügen konnte. Angesichts der
  390. schlechten finanziellen Lage der GmbH und der desolaten Finanzlage des
  391. Angeklagten versteht sich dies nicht von selbst. Das Landgericht hätte folglich darlegen müssen, daß Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zum Zeitpunkt
  392. der jeweiligen Stundungsvereinbarungen eine größere Erfolgsaussicht gehabt hätten, als zu den Zeitpunkten, in denen der Angeklagte die Vereinbarungen nicht einhielt.
  393. Harms
  394. Brause
  395. Häger
  396. Raum
  397. RiBGH Schaal
  398. ist wegen urlaubsbedingter
  399. Abwesenheit an der Unterschrift gehindert
  400. Harms