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258 lines
9.1 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. Urteil
  4. 4 StR 468/14
  5. vom
  6. 18. Dezember 2014
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Körperverletzung mit Todesfolge
  10. -2-
  11. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Dezember
  12. 2014, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  14. Sost-Scheible,
  15. Richter am Bundesgerichtshof
  16. Cierniak,
  17. Dr. Franke,
  18. Dr. Mutzbauer,
  19. Bender
  20. als beisitzende Richter,
  21. Richterin am Landgericht
  22. – in der Verhandlung –,
  23. Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
  24. Verkündung –
  25. als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
  26. Rechtsanwalt
  27. als Verteidiger,
  28. Justizangestellte
  29. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  30. für Recht erkannt:
  31. – bei der
  32. -3-
  33. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 13. März 2014 wird als unbegründet
  34. verworfen.
  35. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die insoweit entstandenen
  36. notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu
  37. tragen.
  38. Von Rechts wegen
  39. Gründe:
  40. 1
  41. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es Maßnahmen nach §§ 69, 69a
  42. StGB angeordnet. Die dagegen gerichtete, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe erstrebt, hat keinen Erfolg.
  43. I.
  44. 2
  45. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
  46. 3
  47. 1. Der Angeklagte war als Taxifahrer in der Silvesternacht vom
  48. 31. Dezember 2012 auf den 1. Januar 2013 mit seinem Großraumtaxi auf dem
  49. Weg zu einer Kundin. Das Fahrzeug verfügte hinten über zwei Sitzreihen; der
  50. -4-
  51. Zustieg erfolgte über Schiebetüren. Am Nachbarhaus der ihm telefonisch genannten Adresse wurde er von dem späteren Tatopfer
  52. M.
  53. und
  54. seinen beiden Begleitern angehalten, die mit einem Taxi zum Bahnhof fahren
  55. wollten. Der Angeklagte lehnte die Beförderung mit der Begründung ab, er könne sie wegen einer anderen Bestellung nicht mitnehmen. Währenddessen hatte
  56. M.
  57. die hintere rechte Schiebetür des Taxis geöffnet und war ein-
  58. gestiegen. Der Angeklagte forderte ihn auf, das Fahrzeug wieder zu verlassen.
  59. Während
  60. M.
  61. ausstieg, entspann sich ein Wortwechsel mit dem
  62. Angeklagten, da
  63. nachdem
  64. M.
  65. M.
  66. auf der Beförderung bestand. Unmittelbar
  67. das Taxi verlassen hatte und mit beiden Füßen auf
  68. der Straße stand, fuhr der Angeklagte mit seinem Taxi an. Die hintere rechte
  69. Schiebetür war zu diesem Zeitpunkt noch offen, was dem Angeklagten bewusst
  70. war.
  71. M.
  72. wollte nun den Angeklagten dazu bewegen, das Taxi an-
  73. zuhalten. Er griff mit seiner linken Hand durch die geöffnete Schiebetür in das
  74. Fahrzeug und hielt sich im Inneren fest. Dann lief er neben dem Fahrzeug her,
  75. wobei er sich mit dem Oberkörper halb im Fahrzeug befand, rief einige Male
  76. „Stopp“ und versuchte, sich in das Fahrzeug hineinzuziehen, während der Angeklagte das Fahrzeug beschleunigte. Der Angeklagte hörte die Rufe und bemerkte, dass
  77. M.
  78. an der offenen Tür neben dem Fahrzeug herlief.
  79. Gleichwohl setzte er seinen Beschleunigungsvorgang fort. Dabei nahm er in
  80. Kauf, dass das Taxi
  81. M.
  82. touchieren könnte, dieser möglicherweise
  83. zu Fall kommen und sich dabei durch Prellungen oder Abschürfungen leicht
  84. verletzen könnte. Mit diesen möglichen Folgen hatte sich der Angeklagte abgefunden. Ihm war ferner bewusst, dass es auch zu einem schweren oder tödlichen Unfall kommen könnte, wenn das Fahrzeug die nebenherlaufende Person berühren sollte. Nach einigen Sekunden geriet
  85. M.
  86. ins Strau-
  87. cheln, löste seinen Griff im Inneren des Fahrzeugs und fiel hin, wobei er sich
  88. durch den Anstoß am Fahrzeug eine Verletzung am Oberarm und eine Schürf-
  89. -5-
  90. wunde zuzog. Im Fallen verhakte sich seine Jacke in der Schiebetür, sodass er
  91. in eine horizontale Drehbewegung versetzt wurde, durch die sein Kopf unter
  92. das Fahrzeug geriet und vom rechten Hinterrad überrollt wurde. Er war sofort
  93. tot.
  94. 4
  95. 2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte eine Verletzung
  96. M.
  97. s durch eine Berührung mit seinem Fahrzeug billigend in
  98. Kauf genommen habe. Er habe damit den Tatbestand einer gefährlichen
  99. Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt. Den Tod des
  100. M.
  101. habe er fahrlässig verursacht, indem er – abgesehen von der
  102. vorangegangenen Körperverletzung – gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen habe, sein Fahrzeug so zu führen, dass andere Personen dabei nicht geschädigt
  103. werden (§ 1 Abs. 2 StVO). Der Kausalverlauf (Sturz des Opfers durch die Weiterfahrt trotz der dicht neben dem Fahrzeug laufenden Person) und die mögliche Folge des Todes lägen nicht außerhalb der Lebenserfahrung und seien für
  104. den Angeklagten vorhersehbar gewesen. Bei rechtmäßigem Handeln, wenn
  105. also der Angeklagte alsbald gebremst hätte, nachdem er bemerkt hatte, dass
  106. M.
  107. an der offenen Tür neben seinem Fahrzeug herlief, wäre der
  108. Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten.
  109. 5
  110. Das Landgericht hat nach Abwägung der für und gegen den Angeklagten
  111. sprechenden Umstände einen minder schweren Fall der Körperverletzung mit
  112. Todesfolge im Sinne von § 227 Abs. 2 StGB angenommen.
  113. -6-
  114. II.
  115. 6
  116. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf den Strafausspruch beschränkt.
  117. 7
  118. 1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft eingangs ihrer Revisionsbegründung
  119. die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und die
  120. Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Ferner hat sie zur Begründung der von
  121. ihr erhobenen Rüge der Verletzung materiellen Rechts ausgeführt, durch die
  122. nachfolgenden Einzelausführungen die allgemeine Sachrüge nicht beschränken
  123. zu wollen. Mit diesem den Schuld- und Strafausspruch umfassenden Revisionsantrag sowie dem Einleitungssatz der Begründung steht der übrige Inhalt
  124. der Revisionsrechtfertigung jedoch nicht in Einklang. Aus den einzelnen Beanstandungen sowie den zusammenfassenden Ausführungen am Schluss der
  125. Revisionsrechtfertigung ergibt sich vielmehr, dass die Revisionsführerin das
  126. Urteil nur deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Bemessung der
  127. Freiheitsstrafe zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren Falles nach
  128. § 227 Abs. 2 StGB zu Grunde gelegt und bei der Strafzumessung im engeren
  129. Sinne strafmildernde Umstände zu Unrecht berücksichtigt und strafschärfende
  130. Gesichtspunkte nicht erkennbar erwogen habe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach
  131. ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (BGH, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR
  132. 90/14, NStZ-RR 2014, 285; vgl. auch BGH, Urteil vom 25. November 2003
  133. – 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118; Urteil vom 12. April 1989 – 3 StR 453/88,
  134. NJW 1989, 2760, 2762; insoweit in BGHSt 36, 167 nicht abgedruckt; Urteil
  135. vom 17. Dezember 1998 – 4 StR 527/98; Beschluss vom 7. November 2002
  136. -7-
  137. – 5 StR 336/02, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 5; LR-StPO/Franke, 26. Aufl.,
  138. § 344 Rn. 10).
  139. 8
  140. Danach entnimmt der Senat dem Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft in einer Gesamtschau, dass der Schuldspruch nicht angegriffen werden
  141. soll. Es ist nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsrechtfertigung
  142. allein der Strafausspruch angefochten (vgl. auch Senatsurteil vom 25. April
  143. 2013 – 4 StR 296/12, Rn. 4, insoweit in StV 2013, 699 nicht abgedruckt). Der
  144. von der Staatsanwaltschaft geltend gemachte Erörterungsmangel, wonach das
  145. Landgericht das Ausmaß des Verschuldens nicht hinreichend berücksichtigt
  146. habe, rechtfertigt keine andere Beurteilung der Reichweite des Rechtsmittelangriffs. Die Beanstandung bezieht sich ersichtlich auf den Schuldumfang.
  147. 9
  148. 2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist im vorliegenden Fall auch rechtswirksam.
  149. 10
  150. Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zur Schuld- und Straffrage ergibt. Soweit die Revision im Hinblick auf die von ihr beanstandete Annahme eines minder schweren Falles im Sinne von § 227 Abs. 2 StGB die Beweiswürdigung angreift, betrifft dies keine tatbestandsrelevanten Feststellungen.
  151. III.
  152. 11
  153. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
  154. -8-
  155. 12
  156. Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten bei der Wahl des Strafrahmens und bei der Strafzumessung im engeren Sinne zeigt die Revision nicht
  157. auf. Das Landgericht hat die erforderliche Gesamtschau vorgenommen und
  158. dabei alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Es ist auch nicht zu besorgen, dass das Landgericht den Grad der Fahrlässigkeit und den Umfang des
  159. Vorsatzes unzutreffend bewertet hat. In Anbetracht der zahlreichen strafmildernden Umstände ist die Annahme eines minder schweren Falles im Sinne
  160. von § 227 Abs. 2 StGB aus Rechtsgründen ebenso wenig zu beanstanden wie
  161. die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe.
  162. 13
  163. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Überprüfung des
  164. Urteils auf Grund der Revision der Staatsanwaltschaft nicht ergeben (§ 301
  165. StPO).
  166. Sost-Scheible
  167. Cierniak
  168. Mutzbauer
  169. Franke
  170. Bender