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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 StR 417/02
  4. vom
  5. 3. Dezember 2002
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Diebstahls
  9. -2-
  10. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 3. Dezember 2002
  11. gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
  12. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
  13. Itzehoe vom 3. Juli 2002 wird als unbegründet verworfen.
  14. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
  15. Gründe:
  16. Das Landgericht hat den Angeklagten - einen Heranwachsenden - wegen Diebstahls in 15 Fällen schuldig gesprochen, wegen Reifeverzögerungen
  17. Jugendstrafrecht angewendet und ihn wegen schädlicher Neigungen zu einer
  18. Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Zur Höhe der Jugendstrafe hat es ausgeführt, daß es zur nachhaltigen erzieherischen Einwirkung eigentlich eine Jugendstrafe von drei Jahren und vier Monaten für erforderlich erachte, wegen
  19. einer den Justizbehörden zuzurechnenden Verfahrensverzögerung diese
  20. Strafe aber um vier Monate zu reduzieren sei.
  21. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat
  22. aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen
  23. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
  24. Die Ermäßigung der Jugendstrafe wegen eines Verstoßes gegen das
  25. Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gibt aber Anlaß zu folgendem Hinweis:
  26. -3-
  27. Mit dieser Strafermäßigung hat das Landgericht ersichtlich versucht, der
  28. in Strafsachen gegen erwachsene Straftäter geltenden Rechtslage Rechnung
  29. zu tragen. Verzögert sich ein solches Verfahren aus den Justizbehörden zuzurechnenden Gründen, so sind nach der die Strafgerichte bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NStZ 1997, 591; vgl. auch
  30. BGH NStZ 1999, 181; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7 und
  31. 12) Art und Ausmaß der Verzögerung festzustellen und sodann das Maß der
  32. Kompensation durch eine Ermäßigung der an sich verwirkten Strafe konkret zu
  33. bestimmen.
  34. In Jugendsachen sind die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte mehr noch als in Verfahren gegen Erwachsene - gehalten, alles zu tun, um
  35. unnötige Verfahrensverzögerungen auszuschließen. Dem Beschleunigungsgebot kommt in Jugendsachen wegen des das Jugendgerichtsgesetz beherrschenden Erziehungsgedankens eine gesteigerte Bedeutung zu (vgl. Eisenberg, JGG 9. Aufl. § 18 Rdn. 15 e und § 55 Rdn. 37). Nr. 1 Satz 1 der Richtlinien zu § 55 JGG bringt dies mit der Forderung, daß Jugendstrafverfahren aus
  36. erzieherischen Gründen möglichst schnell zum Abschluß gebracht werden
  37. sollen, deutlich zum Ausdruck. Sie gilt im gleichen Maße für Heranwachsende,
  38. auf die Jugendstrafrecht angewandt werden soll.
  39. Kommt es im Einzelfall in einer Jugendsache gleichwohl zu erheblichen,
  40. vermeidbaren Verfahrensverzögerungen, die den Strafverfolgungsbehörden
  41. zuzurechnen sind, so erscheint fraglich, ob eine Kompensation in der vom
  42. Bundesverfassungsgericht vorgeschriebenen Weise, also durch Ermäßigung
  43. der an sich verwirkten Jugendstrafe - nach Feststellung von Art und Ausmaß
  44. der Verzögerung - vorzunehmen ist. Einzelne Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (vgl. den Beschluß des Senats BGH StV 1999, 661; ferner BGH,
  45. -4-
  46. Beschl. vom 6. Juni 2000 - 4 StR 91/00; vgl. auch Brunner/Dölling, JGG
  47. 11. Aufl. § 18 Rdn. 6 d) könnten in diesem Sinne verstanden werden.
  48. Der Senat hält - nach erneuter Überprüfung - die uneingeschränkte
  49. Übertragung dieser im Erwachsenenstrafrecht geltenden Grundsätze für bedenklich. Zumindest in Fällen, in denen schädliche Neigungen die Verhängung
  50. von Jugendstrafe erforderlich machen und erzieherische Überlegungen die
  51. Höhe der Jugendstrafe ausschlaggebend bestimmen, wird sie ausscheiden
  52. müssen. Die Ausführungen des angefochtenen Urteils, nach denen zwar einerseits "eine Jugendstrafe von drei Jahren und vier Monaten" geboten ist, um
  53. "erzieherisch nachhaltig auf den Angeklagten einzuwirken", andererseits diese
  54. Jugendstrafe "jedoch wegen des Verstoßes der Justiz gegen Artikel 6 Abs. 1
  55. Satz 1 MRK ... um vier Monate zu reduzieren ist", belegt, daß die Kompensation von Verfahrensverzögerungen durch eine schablonenhafte Übertragung
  56. dem Grundanliegen des Jugendstrafrechts zuwiderlaufen würde. Der Ausgleich
  57. für eine Verfahrensverzögerung darf nicht dazu führen, daß die zur Erziehung
  58. erforderliche (vgl. Brunner/Dölling, aaO § 18 Rdn. 7 ff.; Eisenberg, aaO § 18
  59. Rdn. 13, 22) Dauer der Jugendstrafe unterschritten und dadurch die Erreichung des Erziehungsziels gefährdet wird. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK wird deshalb nicht durch einen mathematischen Abschlag von der erzieherisch gebotenen Jugendstrafe zu kompensieren sein. Sie wird vielmehr nur insoweit strafmildernd Berücksichtigung
  60. finden können, als Gedanken des Schuldausgleichs in die Strafzumessung
  61. einfließen.
  62. -5-
  63. Die Fragen brauchen aber nicht näher erörtert zu werden, weil das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) eine Erhöhung der Jugendstrafe auf
  64. die vom Landgericht aus erzieherischen Gründen für notwendig erachtete
  65. Dauer verbietet.
  66. Tolksdorf
  67. Miebach
  68. von Lienen
  69. Winkler
  70. Becker