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271 lines
11 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 355/15
  5. vom
  6. 1. Juni 2016
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
  10. ECLI:DE:BGH:2016:010616U2STR355.15.0
  11. -2-
  12. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Juni 2016,
  13. an der teilgenommen haben:
  14. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  15. Prof. Dr. Fischer,
  16. die Richter am Bundesgerichtshof
  17. Prof. Dr. Krehl,
  18. Dr. Eschelbach,
  19. Zeng,
  20. die Richterin am Bundesgerichtshof
  21. Dr. Bartel,
  22. Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  23. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  24. Rechtsanwalt
  25. als Verteidiger des Angeklagten M.
  26. Justizhauptsekretärin
  27. Justizangestellte
  28. ,
  29. in der Verhandlung,
  30. bei der Verkündung
  31. als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
  32. für Recht erkannt:
  33. -3-
  34. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 1. Juni 2015 im Strafausspruch und im Ausspruch über die Einziehung aufgehoben.
  35. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  36. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  37. Von Rechts wegen
  38. Gründe:
  39. 1
  40. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in dreizehn Fällen zu einer
  41. Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine
  42. Einziehungs- sowie eine Verfallsentscheidung getroffen.
  43. 2
  44. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die unausgeführte
  45. Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat den aus
  46. dem Urteilstenor ersichtlichen Teilerfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs und des Ausspruchs über die Einziehung. Im Übrigen ist das
  47. Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
  48. -4-
  49. I.
  50. 1. Das Landgericht hat – soweit für die Entscheidung von Bedeutung –
  51. 3
  52. hinsichtlich der Taten 1 bis 12 folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
  53. a) Der Angeklagte verkaufte an die in seinem „Saunaclub“ als Prostituier-
  54. 4
  55. te tätige, heroinabhängige
  56. S.
  57. in mindestens zehn Fällen jeweils
  58. 100 Gramm Heroingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von 10 % Heroinhydrochlorid zum Preis von 12,50 EUR pro Gramm. Die Abwicklung der Geschäfte erfolgte teils in der Weise, dass der Angeklagte gemeinsam mit
  59. S.
  60. mit
  61. einem von ihm gesteuerten Fahrzeug vom Saunaclub zur Wohnung seiner Lebensgefährtin oder seines Sohnes fuhr, wo er das Rauschgift verwahrte, das
  62. Rauschgift aus der Wohnung holte und an die im Fahrzeug wartende
  63. S.
  64. übergab; teils übergab der Angeklagte das Rauschgift auch in seinem
  65. „Saunaclub“ an seine Abnehmerin (Fälle 1 bis 10 der Urteilsgründe). Die
  66. Rauschgiftgeschäfte erfolgten jeweils auf Kommissionsbasis; war die vorangegangene Lieferung aufgebraucht, begab
  67. S.
  68. sich zum Angeklagten,
  69. bezahlte die vorangegangene Lieferung und erhielt eine neue Lieferung auf
  70. Kommissionsbasis.
  71. 5
  72. b) Im Vorfeld einer 10tägigen Reise im Februar oder im März 2013 verkaufte der Angeklagte
  73. S.
  74. 400 Gramm Heroingemisch mit einem
  75. Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % Heroinhydrochlorid zum Preis von
  76. 5.000 EUR auf Kommissionsbasis und händigte ihr das Rauschgift in seinem
  77. „Saunaclub“ aus;
  78. S.
  79. entrichtete den vereinbarten Kaufpreis in der
  80. Folgezeit ratenweise an den Sohn des Angeklagten und an einen seiner Türsteher (Fall 11 der Urteilsgründe).
  81. -5-
  82. 6
  83. c) In der Woche vor dem 19. Juni 2013 veräußerte der Angeklagte an
  84. S.
  85. erneut 100 Gramm Heroingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von
  86. 10 % Heroinhydrochlorid zum Preis von 1.000 EUR auf Kommission. Der Angeklagte erhielt den Kaufpreis nicht; die Zeugin, die sich einer drohenden Strafvollstreckung entziehen wollte, tauchte unter. Zur Begleichung der Schulden
  87. erbrachte der Bruder der Zeugin,
  88. Sl.
  89. , Malerarbeiten für den Ange-
  90. klagten (Fall 12 der Urteilsgründe).
  91. 7
  92. 2. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Taten im Verhältnis
  93. der Tatmehrheit zueinander stehen; es hat in den Fällen 1 bis 10 und 12 jeweils
  94. Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten und im Fall 11 eine Einzelstrafe von zwei Jahren verhängt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten als
  95. überführt angesehen, in der ersten Septemberhälfte des Jahres 2013 bei niederländischen Abnehmern Heroin für insgesamt 30.000 EUR bestellt zu haben,
  96. das ihm im Oktober 2013 und im September 2014 in zwei Teilmengen geliefert
  97. worden war (Fall 13 der Urteilsgründe). Ausgehend von der für diese Tat verhängten Einzelstrafe von drei Jahren und drei Monaten als Einsatzstrafe hat es
  98. eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten gebildet.
  99. II.
  100. 8
  101. Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch ohne Erfolg. Die
  102. Beurteilung der Konkurrenzen ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Jedoch kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben.
  103. 9
  104. 1. Die Annahme realkonkurrierender Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen 1 bis 12 der Urteilsgründe hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand. Die Feststellungen drängten nicht
  105. -6-
  106. zur näheren Prüfung und Erörterung der Frage, ob die Taten im Verhältnis der
  107. Tateinheit zueinander stehen.
  108. 10
  109. a) Nach § 52 Abs. 1 StGB liegt eine Tat im Sinne des materiellen Rechts
  110. vor, wenn dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz
  111. mehrfach verletzt. Eine mehrfache Gesetzesverletzung kann vorliegen in Fällen, in denen ein Willensentschluss zu einer Handlung führt, die das Gesetz
  112. mehrfach verletzt (LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., vor § 52 Rn. 9, § 52
  113. Rn. 6). Über den Wortlaut des § 52 Abs. 1 StGB hinaus liegt eine Tat im
  114. Rechtssinne auch vor, wenn zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für
  115. einen Dritten als ein einheitliches Tun erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil
  116. vom 30. November 1995 – 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368). Die Annahme von
  117. Tateinheit kommt auch in Betracht, wenn mehrere Tatbestandsverwirklichungen
  118. dergestalt objektiv zusammentreffen, dass die Ausführungshandlungen in einem für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil zumindest
  119. teilweise identisch sind (BGH, Beschluss vom 31. Juli 2013 – 4 StR 223/13,
  120. NStZ-RR 2014, 144, 145). Dagegen genügt ein einheitliches Motiv, die Gleichzeitigkeit von Geschehensabläufen, die Verfolgung eines Endzwecks, eine Mittel-Zweck-Verknüpfung oder eine Grund-Folge-Beziehung nicht, um Tateinheit
  121. zu begründen (BGH, Beschluss vom 25. November 1997 – 5 StR 526/96,
  122. BGHSt 43, 317, 319; Urteil vom 16. Juli 2009 – 3 StR 148/09, NStZ 2011, 97).
  123. Ob im Einzelfall eine die Annahme einer Tat im Rechtssinne tragende Teilidentität der Ausführungshandlungen gegeben ist, richtet sich nach dem materiellen
  124. Recht.
  125. -7-
  126. 11
  127. b) Der Begriff des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im
  128. Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG umfasst nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs alle eigennützigen Bemühungen, die darauf gerichtet sind, den Umsatz von Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern
  129. (BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 – 1 StR 791/96, BGHSt 43, 158, 161 f.; Beschluss vom 26. Oktober 2005 – GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256). Vom weiten
  130. Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sind Handlungen weit im Vorfeld des eigentlichen Güterumsatzes ebenso erfasst wie die dem Güterumsatz
  131. nachfolgenden Geldflüsse (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 418/12,
  132. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 14). Die Tat des Handeltreibens
  133. mit Betäubungsmitteln ist „auf der untersten Ebene der Handelskette“ mithin
  134. erst beendet, wenn der Lieferant das Entgelt erhalten hat, wenn also auch der
  135. Geldfluss als Gegenleistung für die Betäubungsmittellieferung „zur Ruhe“ gekommen ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 – 1 StR 791/96, BGHSt 43, 158,
  136. 162). Betätigungen, die in diesem weiten Sinne auf den Vertrieb ein- und derselben Rauschgiftmenge bezogen sind, werden zu einer tatbestandlichen Bewertungseinheit zusammengefasst (Körner/Patzack/Volkmer-Patzack, BtMG,
  137. 8. Aufl., § 29 Teil 4, Rn. 293 ff.).
  138. 12
  139. Darüber hinaus entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass zwei oder mehrere an sich selbstständige Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zur Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB
  140. verbunden werden, wenn sie in einem Handlungsteil zusammentreffen. Ist eine
  141. Handlung als eine tatbestandliche Ausführungshandlung beider oder mehrerer
  142. Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln anzusehen, so ist Tateinheit
  143. anzunehmen. Allein das zeitliche Zusammentreffen von Zahlungsvorgängen in
  144. Bezug auf eine frühere Drogenbeschaffung mit der Abholung der nächsten Lieferung – die bloße Gleichzeitigkeit beider, verschiedene Umsatzgeschäfte fördernder Ausführungshandlungen – genügt jedoch zur Annahme gleichartiger
  145. -8-
  146. Tateinheit nicht (BGH, Beschluss vom 13. April 1999 – 4 StR 42/99, NStZ 1999,
  147. 411; Senat, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 2 ARs 319/13, NStZ-RR 2014,
  148. 81, 82; BGH, Beschluss vom 15. Februar 2011 – 3 StR 3/11; Beschluss vom
  149. 6. Februar 2014 – 3 ARs 7/13, NStZ-RR 2014, 146; vgl. auch BGH, Urteil vom
  150. 25. April 2013 – 4 StR 418/12, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 14;
  151. Senat, Beschluss vom 22. Januar 2010 – 2 StR 563/09, StV 2010, 684).
  152. 13
  153. c) Gemessen hieran ist die Annahme jeweils selbstständiger Taten nicht
  154. zu beanstanden. Zwar hat die Kammer festgestellt, dass der Angeklagte seine
  155. Abnehmerin
  156. S.
  157. „auf Kommissionsbasis“ belieferte. Konkrete Fest-
  158. stellungen dazu, wann und bei welcher Gelegenheit die Abnehmerin die vorangegangene Lieferung an den Angeklagten bezahlte, vermochte die Kammer
  159. jedoch nicht zu treffen. Damit ist die tatrichterliche Annahme jeweils selbständiger Taten nicht zu beanstanden.
  160. 14
  161. 2. Der Strafausspruch kann jedoch keinen Bestand haben. Die Strafkammer hat bei der Prüfung, ob die Taten als minder schwere Fälle im Sinne
  162. des § 29a Abs. 2 BtMG anzusehen sind, sowie bei der Strafzumessung im engeren Sinne jeweils zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass er „die
  163. jeweils großen Mengen an Betäubungsmitteln nicht für seinen eigenen Konsum
  164. bestellt“, sondern an Dritte weitergegeben hat, „um seine Schulden zu tilgen
  165. oder Gewinne aus dem Verkauf zu erhalten“. Damit hat sie dem Angeklagten
  166. eigennütziges Handeln zur Last gelegt, obwohl dies bereits ein Merkmal des
  167. Handeltreibens ist (Senat, Beschluss vom 29. April 2014 – 2 StR 616/13, BGHR
  168. StGB § 46 Abs. 3 Handeltreiben 7; BGH, Beschluss vom 24. September 2009
  169. – 3 StR 294/09, NStZ-RR 2010, 24). Der hierin liegende Verstoß gegen § 46
  170. Abs. 3 StGB führt zur Aufhebung der Einzelstrafen und entzieht dem Ausspruch
  171. über die Gesamtstrafe die Grundlage.
  172. -9-
  173. 15
  174. 3. Auch der Ausspruch über die Einziehung kann keinen Bestand haben.
  175. Sind Gegenstände einzuziehen, so ist es grundsätzlich erforderlich, sie in der
  176. Urteilsformel konkret so zu bezeichnen, dass für die Verfahrensbeteiligten und
  177. die Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung geschaffen ist. Hierzu gehört im Falle der Einziehung von Betäubungsmitteln auch die
  178. Angabe von Art und Menge des einzuziehenden Rauschgifts, die sich aus dem
  179. Urteilstenor ergeben muss (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2007 – 1 StR
  180. 251/07).
  181. 16
  182. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung
  183. und Entscheidung. Einer Aufhebung von Feststellungen bedurfte es nicht, da
  184. ein reiner Wertungsfehler vorliegt.
  185. Fischer
  186. Krehl
  187. Zeng
  188. Eschelbach
  189. Bartel