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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 349/12
  4. vom
  5. 10. April 2013
  6. in der Betreuungssache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. BGB §§ 1836, 1908 i; VBVG § 4
  14. Zur Vergleichbarkeit einer Ausbildung des Betreuers mit einer Hochschulausbildung
  15. gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG.
  16. BGH, Beschluss vom 10. April 2013 - XII ZB 349/12 - LG Chemnitz
  17. AG Aue
  18. -2-
  19. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. April 2013 durch den
  20. Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Dr. Vézina und die Richter
  21. Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Nedden-Boeger
  22. beschlossen:
  23. Auf die Rechtsbeschwerde des Betreuers wird der Beschluss der
  24. 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 1. Juni 2012 aufgehoben.
  25. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
  26. über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen.
  27. Beschwerdewert: 624 €
  28. Gründe:
  29. I.
  30. 1
  31. Der Beteiligte (im Folgenden: Betreuer) wurde im Januar 2011 zum ehrenamtlichen Betreuer und für die Zeit ab 1. Juli 2011 zum Berufsbetreuer der
  32. Betroffenen bestellt. Er hatte in der ehemaligen DDR einen Abschluss als Diplomjurist an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche erworben. Im Juni
  33. 1991 schloss er das 1.200 Ausbildungsstunden umfassende postgraduale Studium "Unternehmensführung/Management" an der Hochschule für Ökonomie in
  34. Berlin erfolgreich ab. Voraussetzung für die Aufnahme dieses postgradualen
  35. Studiums war ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Er nahm weiter an verschiedenen Fortbildungsmaßnahmen teil.
  36. -3-
  37. 2
  38. Für den Abrechnungszeitraum vom 1. Juli 2011 bis zum 31. Dezember
  39. 2011 beantragte der Betreuer auf der Grundlage eines Stundensatzes von 44 €
  40. die Festsetzung einer pauschalen Vergütung aus dem Vermögen der Betroffenen in Höhe von insgesamt 1.614,80 €.
  41. 3
  42. Das Amtsgericht hat dem Antrag unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 27 € in Höhe von insgesamt 990,90 € stattgegeben und ihn im Übrigen zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betreuers ist
  43. erfolglos geblieben.
  44. 4
  45. Mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er
  46. seinen Vergütungsantrag in voller Höhe weiter.
  47. II.
  48. 5
  49. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
  50. 6
  51. 1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt, das von dem Betreuer absolvierte Studium an der Juristischen
  52. Hochschule Potsdam-Eiche sei nach dem Einigungsvertrag nicht der Ersten
  53. Juristischen Staatsprüfung gleichgestellt und berechtigte nicht zur Aufnahme
  54. eines gesetzlich geregelten juristischen Berufes.
  55. 7
  56. Aufgrund der fehlenden staatlichen Anerkennung der absolvierten Hochschulausbildung sei eine Erhöhung des Stundensatzes gemäß § 4 Abs. 1
  57. Satz 2 Nr. 2 VBVG nicht statthaft. Auch das Umschulungsstudium an der Hochschule für Ökonomie sei mit 1.200 Ausbildungsstunden bereits hinsichtlich des
  58. zeitlichen Umfangs einer Hochschulausbildung nicht vergleichbar.
  59. -4-
  60. 8
  61. Der Umstand, dass das Umschulungsstudium eine Hochschulausbildung
  62. vorausgesetzt habe, rechtfertige es nicht, bei dem Betreuer von einer der
  63. Hochschulausbildung vergleichbaren Ausbildung auszugehen. Maßgeblich sei,
  64. dass das von dem Betreuer absolvierte Studium an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche nicht staatlich anerkannt worden sei.
  65. 9
  66. Auch die weiteren Fortbildungsmaßnahmen rechtfertigten keinen erhöhten Stundensatz.
  67. 10
  68. 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht in allen
  69. Punkten stand.
  70. 11
  71. a) Das Beschwerdegericht hat bei seiner Annahme, der von dem Betreuer erworbene Abschluss an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche sei
  72. einem Hochschulabschluss nicht vergleichbar, die maßgebenden Tatsachen
  73. nicht vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt.
  74. 12
  75. aa) Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG erhält der Betreuer einen auf
  76. 44 € erhöhten Stundensatz, wenn er über besondere, für die Betreuung nutzbare Kenntnisse verfügt, die er durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer
  77. Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben hat.
  78. 13
  79. (1) Besondere für die Betreuung nutzbare Kenntnisse sind über das
  80. jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehende Kenntnisse, die den
  81. Betreuer in die Lage versetzen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen (Senatsbeschluss vom 18. Januar 2012
  82. - XII ZB 409/10 - FamRZ 2012, 629 Rn. 10; vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 14 f.).
  83. 14
  84. Solche Kenntnisse sind im Hinblick darauf, dass es sich bei der Betreuung um eine rechtliche Betreuung handelt (§ 1901 Abs. 1 BGB), regelmäßig
  85. -5-
  86. Rechtskenntnisse (Senatsbeschluss vom 22. August 2012 - XII ZB 319/11 NJW-RR 2012, 1475 Rn. 17).
  87. 15
  88. (2) Einer Hochschulausbildung vergleichbar ist eine Ausbildung, wenn
  89. sie staatlich reglementiert oder zumindest staatlich anerkannt ist, einen formalen Abschluss aufweist und der durch sie vermittelte Wissenstand nach Art und
  90. Umfang dem eines Hochschulstudiums entspricht. Als Kriterien können insbesondere der mit der Ausbildung verbundene Zeitaufwand, der Umfang und Inhalt des Lehrstoffes und die Zulassungsvoraussetzungen herangezogen werden (Senatsbeschluss vom 18. Januar 2012 - XII ZB 409/10 - FamRZ 2012,
  91. 629 Rn. 11). Für die Annahme der Vergleichbarkeit einer Ausbildung mit einer
  92. Hochschul- oder Fachschulausbildung kann auch sprechen, wenn die durch die
  93. Abschlussprüfung erworbene Qualifikation Zugang zu beruflichen Tätigkeiten
  94. ermöglicht, deren Ausübung üblicherweise Hochschulabsolventen vorbehalten
  95. ist. Bei der Prüfung der Vergleichbarkeit hat der Tatrichter strenge Maßstäbe
  96. anzulegen (Senatsbeschluss vom 4. April 2012 - XII ZB 447/11- NJW-RR 2012,
  97. 774 Rn. 16).
  98. 16
  99. bb) Ausgehend von diesen Maßstäben wird die Annahme des Beschwerdegerichts, der von dem Betreuer erworbene Abschluss an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche sei einem Hochschulabschluss nicht vergleichbar, von seinen Feststellungen nicht getragen.
  100. 17
  101. Die Regelung in Anlage I Kap. III A Abschn. III Nr. 8 y), jj) des Einigungsvertrages (EV), wonach der Abschluss eines Studiums an der Juristischen
  102. Hochschule Potsdam-Eiche nicht zur Aufnahme eines gesetzlich geregelten
  103. juristischen Berufs berechtigt, schließt lediglich die Aufnahme eines gesetzlich
  104. geregelten juristischen Berufs aus. Dazu, ob diese staatlich reglementierte
  105. Ausbildung und der durch sie vermittelte Wissensstand nach Art und Umfang
  106. -6-
  107. dem eines Hochschulstudiums entspricht, enthält der Einigungsvertrag keine
  108. Aussage.
  109. 18
  110. Um dies beurteilen zu können, bedarf es der Feststellungen zu Art und
  111. Umfang der Ausbildung an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche. Darüber hinaus ist zu klären, ob durch diese Ausbildung für die Betreuung nutzbare
  112. Fachkenntnisse vermittelt worden sind.
  113. 19
  114. b) Zu Recht ist das Beschwerdegericht demgegenüber davon ausgegangen, dass weder das Umschulungsstudium noch die Fortbildungsmaßnahmen
  115. nach Art und Umfang einem Hochschulstudium vergleichbar sind und dass
  116. auch eine Gesamtbetrachtung der verschiedenen Ausbildungen ausscheidet
  117. (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Januar 2012 - XII ZB 409/10 - FamRZ 2012, 629
  118. Rn. 11, 18).
  119. -7-
  120. 20
  121. 3. Die Sache ist danach zur Nachholung der Feststellungen zu Art und
  122. Umfang der Ausbildung an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche und der
  123. Nutzbarkeit der vermittelten Kenntnisse an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
  124. Dose
  125. Vézina
  126. Schilling
  127. Klinkhammer
  128. Nedden-Boeger
  129. Vorinstanzen:
  130. AG Aue, Entscheidung vom 19.01.2012 - 2 XVII 43/11 LG Chemnitz, Entscheidung vom 01.06.2012 - 3 T 106/12 und 3 T 126/12 -