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- BUNDESGERICHTSHOF
- IM NAMEN DES VOLKES
- URTEIL
- 4 StR 364/17
- vom
- 26. April 2018
- in der Strafsache
- gegen
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- wegen Verdachts des Mordes
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- ECLI:DE:BGH:2018:260418U4STR364.17.0
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- Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. April
- 2018, an der teilgenommen haben:
- Richter am Bundesgerichtshof
- Dr. Franke
- als Vorsitzender,
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- Richterin am Bundesgerichtshof
- Roggenbuck,
- Richter am Bundesgerichtshof
- Cierniak,
- Dr. Quentin,
- Dr. Feilcke
- als beisitzende Richter,
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- Erster Staatsanwaltschaft
- als Vertreter des Generalbundesanwalts,
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- Rechtsanwalt
- als Verteidiger,
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- Rechtsanwältin
- als Vertreterin der Nebenklägerin,
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- Justizangestellte
- als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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- für Recht erkannt:
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- – in der Verhandlung –
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- Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
- des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 9. Februar
- 2017 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es den
- Angeklagten S.
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- betrifft.
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- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
- auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
- Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen
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- Gründe:
- 1
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- Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des gemeinschaftlichen Mordes freigesprochen; den Mitangeklagten Se.
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- hat es wegen Mor-
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- des zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen den Freispruch des
- Angeklagten S.
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- richtet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene
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- Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen und formellen Rechts gerügt wird. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass
- es einer Erörterung der erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.
- I.
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- Der Mitangeklagte Se.
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- lockte seinen Freund
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- zember 2014 zu einer abgelegenen Örtlichkeit bei Ne.
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- N.
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- am 29. De-
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- , indem er ihm ein
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- lukratives Betäubungsmittelgeschäft in Aussicht stellte. Dort tötete er ihn nach
- 1.07 Uhr – möglicherweise im Rahmen eines gemeinsamen Tatplans mit dem
- Angeklagten – heimtückisch und grausam, ohne dass die Strafkammer ein Mo-
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- tiv für die Tat feststellen konnte. Zunächst schoss er unvermittelt von hinten mit
- einer Pistole auf N.
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- s Hinterkopf. Der Schuss hinterließ allenfalls eine
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- Streifschussverletzung. Ein zweiter Schussversuch scheiterte, da die Tatwaffe
- eine Ladehemmung aufwies. Der Mitangeklagte Se.
- N.
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- versetzte daraufhin
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- mit dem Griff der Waffe mindestens zehn wuchtige Schläge gegen den
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- Kopf. Auch schlug er ihm mindestens zehnmal mit Fäusten mit voller Wucht ins
- Gesicht.
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- N.
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- , der sich zeitweise gegen die Schläge gewehrt hatte, ging
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- mehrfach zu Boden, konnte sich jedoch immer wieder aufrichten und versuchte,
- auf die angrenzenden Felder zu entkommen. Er rief dabei um Gnade und nach
- seiner Mutter. Etwa 50 Meter von der Straße entfernt brach er auf dem Feld
- zusammen, war aber noch bei Bewusstsein und stöhnte. Der Mitangeklagte
- Se.
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- versuchte erneut erfolglos, auf ihn zu schießen. Er trat ihm nun mindes-
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- tens 20-mal mit voller Wucht an den Kopf. Bei einem weiteren Schussversuch
- löste sich ein Schuss, das Projektil blieb, nachdem es an einem anderen Gegenstand abgeprallt war, in der Kapuze N.
- Se.
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- s stecken. Der Mitangeklagte
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- zog nun zwei etwa einen Meter lange Holzpfähle aus der Erde. Mit
-
- einem der Pfähle schlug er N.
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- mehrfach mit voller Wucht auf den Kopf. Nicht
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- ausschließbar wurde dieser beim ersten Schlag bewusstlos. Der Mitangeklagte
- Se.
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- und der Angeklagte rauchten anschließend zusammen eine Zigarette.
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- Als der Mitangeklagte feststellte, dass N.
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- noch lebte, schlug er mit dem zwei-
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- ten Holzpfahl und mindestens 20-mal mit dem Lauf seiner senkrecht nach unten
- gehaltenen Schusswaffe auf N.
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- s Kopf ein. Das Geschehen dauerte bis zum
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- Todeseintritt mindestens 15 Minuten, möglicherweise eine Stunde. Der mit dem
- Mitangeklagten Se.
-
- befreundete Angeklagte S.
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- war die ganze Zeit
-
- zugegen, ohne in das Tötungsgeschehen einzugreifen. Nach der Tötung des
- N.
-
- setzte er einen Notruf ab, wobei er wie bei seinen ersten polizeilichen
-
- Vernehmungen angab, Täter sei ein Rumäne in einem französischen Polizei-
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- auto gewesen. In einer Nachvernehmung am 31. Dezember 2014 benannte er
- den Mitangeklagten als Täter.
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- Das Landgericht hat den Angeklagten S.
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- freigesprochen, weil
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- ihm weder eine Planung, Unterstützung oder Billigung der Tat noch die zumutbare Möglichkeit, dem Opfer Hilfe zu leisten, nachzuweisen gewesen seien.
- II.
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- Der Freispruch hat keinen Bestand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft.
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- 1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das
- Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft
- nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters
- (§ 261 StPO), dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen
- und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein,
- es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Januar
- 2018 – 1 StR 331/17, Rn. 7 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt
- sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in
- sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017
- – 4 StR 162/17, Rn. 9 mwN). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu
- würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18,
- 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände,
- die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.
- Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweis-
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- ergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt worden sind. Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung
- schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 117 ff. mwN).
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-
- 2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts
- nicht in jeder Hinsicht gerecht. Zwar ist es aus revisionsrechtlicher Sicht nicht
- zu beanstanden, dass das Landgericht weder eigenhändige Tatbeiträge des
- Angeklagten S.
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- noch eine Mitplanung der Tat feststellen und sich des-
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- halb nicht von einer Mittäterschaft überzeugen konnte. Durchgreifende Rechtsfehler zeigt auch die Revisionsbegründung insoweit nicht auf. Das Landgericht
- hat sich aber angesichts der festgestellten Tatumstände unzureichend mit der
- Frage auseinandergesetzt, ob dem Angeklagten eine Beihilfe zur Tötung des
- N.
-
- zur Last liegt. Seiner Wertung, dem Angeklagten seien auch keine sonsti-
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- gen Tatbeiträge bzw. Unterstützungshandlungen nachweisbar, fehlt eine ausreichende Begründung.
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-
- a) Das Landgericht hat es – den Angaben des Angeklagten folgend – als
- möglich angesehen, dass dieser aus Angst am Tatort geblieben sei und nicht
- eingegriffen habe, weil er die Aufforderung des Mitangeklagten Se.
-
- , nicht
-
- wegzugehen, als bedrohlich empfunden habe. Da der Mitangeklagte Se.
- bewaffnet gewesen sei, aus der Waffe immerhin zwei Schüsse abgegeben und
- den Geschädigten N.
-
- durch zahlreiche heftige Schläge getötet habe, sei es
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- angesichts der besonderen Lebensgeschichte des Angeklagten (Suizid des Vaters vor seinen Augen, Suizid zweier Freunde) nachvollziehbar, dass er aus
- Entsetzen und Angst sowie in einem gewissen Schockzustand nicht imstande
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-
- gewesen sei, rettend in das Geschehen einzugreifen oder den Tatort zu verlassen, um Hilfe zu holen.
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- Entsetzen und Angst, insbesondere ein Schockzustand über den gesamten Tatzeitraum, den der Angeklagte selbst mit einer Stunde angegeben hat,
- werden in den Erwägungen des Landgerichts zur Beweiswürdigung indes nur
- unzureichend begründet. Ausführungen dazu, inwieweit die in diesem Zusammenhang angeführten Lebensumstände des Angeklagten (Suizid des Vaters
- und von zwei Freunden) seine Psyche nachhaltig beeinflussten, enthalten die
- Urteilsgründe nicht. Bei seiner Bewertung hat das Landgericht auch nicht in den
- Blick genommen, dass die Tatwaffe nach dem ersten Schuss des Mitangeklagten Se.
-
- zunächst eine Ladehemmung aufwies und der zweite Schuss erst
-
- deutlich später abgegeben wurde. Schließlich hat das Landgericht auch nicht
- erwogen, inwieweit es mit Angst, Entsetzen und einem Schockzustand zu vereinbaren ist, dass der Angeklagte unmittelbar nach der Tat bei Absetzen des
- Notrufs und der anschließenden polizeilichen Vernehmung hinsichtlich des Täters eine umfangreiche Lügengeschichte erzählte. Dies erweist sich hier als
- Lücke in der Beweiswürdigung. Denn der Tatrichter ist aus Rechtsgründen nicht
- gehalten, Sachverhaltskonstellationen zu Gunsten des Angeklagten als unwiderlegt oder möglich zugrunde zu legen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. nur
- BGH, Urteile vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, aaO; vom 17. Juli 2014
- – 4 StR 129/14, Rn. 7; vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010,
- 85, 86; Beschluss vom 25. April 2007 – 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324, 325, jeweils mwN).
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- b) Die Beweiserwägungen des Landgerichts zu einer Tatbeteiligung des
- Angeklagten sind auch im Weiteren lückenhaft. Das Landgericht hat nicht in
- den Blick genommen, dass schon die ständige Anwesenheit des Angeklagten
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-
- über den gesamten Zeitraum den Mitangeklagten Se.
-
- bei seiner Tatausfüh-
-
- rung bestärkt haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 1995 – 2 StR
- 84/95, NStZ 1995, 490, 491; Urteil vom 29. November 2011 – 1 StR 287/11,
- NStZ 2012, 347, 348 mwN). Eine solche Erörterung drängte sich hier auf: Die
- Tathandlung erstreckte sich über einen Zeitraum von mindestens 15 Minuten,
- nach Angaben des Angeklagten bis zu einer Stunde, und verlagerte sich von
- der Straße auf ein Feld. Der Angeklagte hat hierzu angegeben, er habe „wie ein
- Hund hinterherdackeln müssen“. Nach der Abgabe des ersten Schusses hatte
- die Tatwaffe eine Ladehemmung; der Mitangeklagte begann deshalb, auf das
- Tatopfer einzuschlagen, um es zu töten. Es erschließt sich nicht ohne Weiteres,
- wieso sich der Angeklagte gezwungen sah, jeweils mitzugehen, ohne einen
- Versuch zu unternehmen, wegzurennen oder den Mitangeklagten, „einen seiner
- besten Freunde“, wenigstens verbal von der weiteren Tatausführung abzuhalten. Während der Tatausführung rauchte der Angeklagte zudem eine Zigarette
- mit dem Mitangeklagten. Auch war er auf dessen Aufforderung sofort bereit, bei
- einer polizeilichen Vernehmung zu lügen. Diese Bereitschaft hatte der Angeklagte dem Mitangeklagten nicht etwa aus einer Zwangslage heraus vorgespiegelt. Vielmehr setzte er zwar unmittelbar nach der Tat, als N.
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- mit Sicherheit
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- tot war, von sich aus einen Notruf ab, machte aber zugleich umfangreiche
- Falschangaben zur Verschleierung der Täterschaft des Mitangeklagten. Dies
- lässt sich mit Angst und Entsetzen nicht mehr erklären und mit einem Schockzustand während der Tat kaum vereinbaren. Diese Tatumstände, die für eine
- aktive Unterstützung durch psychische Bestärkung des Mitangeklagten sprechen könnten, hat das Landgericht nicht in die Beweiswürdigung eingestellt.
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- 3. Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, dass auch die
- Würdigung der Aussage des Zeugen H.
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- widersprüchlich ist: Das Land-
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- gericht hat einerseits nachvollziehbar ausgeführt und begründet, dass der Zeuge wahrheitsgemäße Angaben mit originellen Details zu der Schilderung des
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- Mitangeklagten gegenüber dem Zeugen während der gemeinsamen Untersuchungshaft gemacht habe (UA 66). Dazu gehört, dass die Tat mit einem
- Freund geplant worden sei, der den Auftrag dazu gegeben habe. Einen sonstigen Tatbeitrag des anderen, der ihn „verpfiffen“ habe, habe Se.
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- nicht be-
-
- nannt. Andererseits hat das Landgericht es abgelehnt, die Angaben des Mitangeklagten zu einer Tatbeteiligung des Angeklagten festzustellen, weil der Zeuge
- H.
-
- in der Hauptverhandlung unsicher gewesen sei und seine Angaben
-
- vage und unbestimmt (UA 97).
- III.
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- Mit der Aufhebung des Urteils sind die sofortigen Beschwerden der
- Staatsanwaltschaft gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung und gegen
- die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten gegenstandslos
- (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 464 Rn. 20).
- Franke
-
- Roggenbuck
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- Cierniak
-
- RiBGH Dr. Quentin ist urlaubsbedingt verhindert zu
- unterschreiben.
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- Franke
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- Feilcke
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